Kinder- und Jugendliteratur


Definitionen von Kinder- und Jugendliteratur


Ausschnitt aus dem Titelbild
"Das große Buch. Geschichten für Kinder "
von Franz Hohler (Text),
Nikolaus Heidelbach (Illustration)
Hanser Verlag (2009)

Kinder- und Jugendliteratur (KJL) ist ein vieldeutiger Begriff, der immer wieder neu bestimmt wird. Je nachdem, welches Bild man von Kindern und Jugendlichen hat und je nachdem, was man mit Literatur für Kinder und Jugendliche erreichen will, wird KJL (Kinder- und Jugendliteratur) anders wahrgenommen und definiert.
Wenn man in Kindern und Jugendlichen beispielsweise vorrangig junge Erwachsene sieht, kann man ihnen grundsätzlich alles zu lesen geben, was auch Erwachsene lesen. KJL ist in diesem Fall dann kein besonderes Genre mit eigenen Merkmalen, sondern all das, was Kinder aus dem großen Angebot der Erwachsenenliteratur (von Abenteuer- über Fantasygeschichten bis hin zum Comic) lesen können. Kinder werden bei dieser Betrachtungsweise insofern ernst genommen, als man sie in das literarische Leben der Erwachsenen einbezieht und ihnen keinen eigenen literarischen Schonraum schafft.
Wenn man in Kindern und Jugendlichen dagegen vorrangig noch nicht erwachsene Personen mit eigenen kindlichen seelischen und geistigen Bedürfnissen sieht, wird man ihnen anderen Lesestoff als für Erwachsene geben, oder zumindest die für Erwachsene geschriebene Literatur für Kinder und Jugendliche umschreiben. Bei dieser Betrachtungsweise wird man also eine eigene KJL entwickeln und sich über deren spezifische oder kennzeichnenden Merkmale Gedanken machen. Außerdem wird man es für wichtig halten, diese KJL zu fördern und zu unterstützen.

Daneben wird KJL auch danach bestimmt, was man mit ihr erreichen möchte.
Möchte man Kinder und Jugendliche mit Literatur beispielsweise in erster Linie erziehen, möglicherweise zu braven Bürgern, wird man ihnen vor allem pädagogische Texte wie Fabeln, Märchen, Lehrgeschichten als KJL zu lesen geben.
Möchte man Kinder und Jugendliche lieber zu politisch wachen und aktiven Menschen heranbilden, wird man vor allem realistische, sozialkritische Texte und Sachliteratur als geeignete Lektüre für Kinder und Jugendliche ansehen.
Möchte man Kinder und Jugendlichen dagegen vor allem ein literarisches Textverständnis vermitteln, wird man in erster Linie Texte mit ästhetischem oder künstlerisch-literarischem Niveau der KJL zuordnen.
Genauso kann es einem aber auch wichtig sein, Kinder und Jugendliche mit Literatur vor allem zu unterhalten. Dann wird man vor allem leicht verständliche, spannende Literatur zur Kinder und Jugendliteratur zählen.

Da es so viele verschiedene Vorstellungen von Kinder- und Jugendliteratur gibt und man sich nicht auf eine Definition oder Bestimmung einigen kann, zählt man heute ganz allgemein alles, was Kinder und Jugendliche lesen, zur Kinder- und Jugendliteratur. Damit meint man sowohl Literatur, die Kinder und Jugendliche von sich aus lesen, als auch das, was sie von Erwachsenen zu lesen bekommen und von Erwachsene als geeignete Kinder- und Jugendlektüre angesehen wird.

Einteilungen der Kinder- und Jugendliteratur

Die Einteilung, dass alles, was Kinder und Jugendliche lesen, zur KJL zählt, ist natürlich sehr grob und allgemein gehalten. Außerdem entspricht diese weite Bestimmung auch nicht wirklich unserem alltäglichen Verständnis von Kinder- und Jugendliteratur. Beispielweise wird man Samuel Becketts Warten auf Godot oder James Joyces Ulysses auch dann wohl kaum zur KJL zählen, wenn es ein paar Kinder oder Jugendliche gibt, die diese Literatur lesen.
Literaturwissenschaftler haben sich deshalb einige Gedanken dazu gemacht, nach welchen Kriterien man KJL feiner einteilen kann.
Eine gängige Einteilung ist heute, Kinder- und Jugendliteratur in intentionale und nicht intentionale, spezifische und nicht spezifische KJL und sanktionierte und nicht sanktionierte KJL einzuteilen.
Das hört sich komplizierter an als es ist:
Intentionale Literatur heißt beabsichtigte oder angebotene Literatur. Damit meint man Literatur, die ausdrücklich für Kinder und Jugendliche veröffentlicht wurde. Dazu gehören sowohl Erwachsenenbücher, die für Kinder und Jugendliche in einer anderen Aufmachung veröffentlicht wurden, als auch Bücher, die eigens für Kinder und Jugendliche geschrieben wurden. Nicht intentionale Literatur ist im Gegensatz dazu Literatur, die Kinder und Jugendliche lesen, ohne sie gezielt vermittelt bekommen zu haben.
Wenn man den Begriff der intentionalen Literatur weiter einengt, spricht man von spezifischer Literatur. Spezifische oder eigentliche Literatur für Kinder und Jugendliche ist Literatur, die extra für Kinder und Jugendliche geschrieben wurde.
Heute nimmt die spezifische KJL den größten Raum der KJL ein. Das war aber nicht immer so. In der Antike und im Mittelalter wurden beispielsweise nur sehr wenige Texte eigens für Kinder geschrieben. Damals lasen Kinder und Jugendliche vor allem bearbeitete Texte, die ursprünglich für Erwachsene gedacht waren.
Als sanktionierte Literatur wird nun all diejenige Literatur bezeichnet, die von den Vermittlern der KJL wie Pädagogen, Eltern, Journalisten, Bibliotheken und teilweise auch Literaturwissenschaftler für Kinder und Jugendliche geeignet und empfehlenswert angesehen wird. Dazu können Texte, die eigentlich für Erwachsene geschrieben wurden, genauso gehören wie Texte, die eigens für Kinder geschrieben wurden. Wichtig ist nur, dass das Thema des Textes und die sprachliche Bearbeitung den Vermittlern kindgerecht erscheint und in ihren Augen eine Bereicherung für Kinder und Jugendliche ist.
Nicht sanktionierte Literatur ist dagegen Literatur, die für Kinder als ungeeignet angesehen wird. Und zwar deshalb, weil ihre Sprache, ihr Stil, ihr Thema als zu unpassend oder wenig wertvoll oder bereichernd für Kinder und Jugendliche angesehen wird.

Welche Literatur man Kindern und Jugendlichen anbieten möchte und was als wertvoll und empfehlenswert angesehen wird, hängt natürlich immer vom Standpunkt des Betrachters ab. Und deshalb können je nach Zeit und Blickrichtung die Werke der KJL auch von einer Kategorie in die andere wechseln. Beispielsweise kann ein Buch, das ursprünglich für Erwachsene gedacht war, von Kindern oder Jugendlichen für sich entdeckt werden und dann anschließend in den Kanon der intendierten KJL einbezogen werden. Moby Dick war früher beispielsweise eigentlich ein Buch für Erwachsene. Heute wird es der Kinder- und Jugendliteratur zugewiesen. Oder Literatur, die nicht sanktioniert war, kann plötzlich sanktioniert werden. Ein Beispiel für eine solche veränderte Zuordnung ist beispielsweise das gesamte Genre Comic. Comics wurden noch vor wenigen Jahrzehnten von den meisten Vermittlern als schlechte Literatur verachtet. Heute gelten Comics und Graphic Novels (gezeichnete Geschichten) als wichtige, sogar kunstvolle Ausdrucksform unserer Zeit.

Textmerkmale der KJL

Alle diese oben beschriebenen Zuweisungen und Bestimmungen von Kinder- und Jugendliteratur sagen noch nichts über die Texte selber aus. Sie beschreiben lediglich den Bezug und die Erwartungshaltung, die jemand zur KJL hat, aber nicht, warum ein Text als Kinder- und Jugendliteratur wahrgenommen wird oder nicht.
Warum aber wird ein Text überhaupt der Kinder- und Jugendliteratur zugerechnet oder nicht? Was zeichnet Literatur für Kinder und Jugendliche aus? Gibt es allgemeine Merkmale, die für die KJL bestimmend sind? Oder anders ausgedrückt: Wie sollte aus Sicht der Vermittler ein Text geschrieben sein, damit Kinder und Jugendliche ihn verstehen und gerne lesen?
Insgesamt sind sich die Vermittler der KJL darüber einig, dass Texte für Kinder und Jugendliche in erster Linie einfach sein sollten.
Das leuchtet ein. Vor allem jüngere Kinder haben noch keine große Leseerfahrung und müssen das Lesen und Verstehen der Texte erst noch üben. Einfachheit ist also das grundlegende Strukturmerkmal der Texte der Kinderliteratur. Für Jugendliche können Texte allerdings schon schwieriger gestaltet sein.
Allerdings gibt es darüber, was Einfachheit genau ist oder wie sie bestimmt werden kann, schon wieder unterschiedliche Meinungen.


Titelblatt zu "Herr der Diebe"
von Cornelia Funke
Dressler Verlag (2000)

Für die einen bedeutet einfach ganz allgemein, dass Kinder- und Jugendliteratur in einer einfachen Sprache, also in kurzen Sätzen und mit unkomplizierter Wortwahl geschrieben sein sollte. Außerdem sollten literarische Texte für Kinder und Jugendliche handlungsorientiert sein. Das heißt, dass man die Geschichte nicht in erster Linie über Gedanken und Reflexionen, sondern vor allem über die Taten der Figuren erzählt. Als einfacher zu lesen gilt auch, wenn die Geschichte mit vielen Dialogen aufgelockert ist. Damit sich der Leser leichter in den Protagonisten hinein fühlen kann, sollte der Protagonist der Geschichte ungefähr in dem Alter des Lesers sein. Nicht zuletzt findet man es auch für Kinder einfacher, Geschichten zu lesen, deren Themen ihnen entsprechen. Freundschaft, Abschied, Abenteuer, Familie, Schule, erste Erfahrungen mit der Liebe gelten beispielsweise als passende Themen für Kinder und Jugendliche.
Für die anderen bedeutet einfach allerdings schlicht trivial, also seicht, oberflächlich, nicht kunstvoll. Hier wird einfach abwertend gebraucht und Kinderliteratur mit Trivialliteratur gleichgesetzt. Immer wieder wurde auch die Nähe der Kinderliteratur zum einfachen, ungebildeten Volk betont. Leider gibt es in der KJL tatsächlich viele Texte, die genau dieser Vorstellung von einfach entsprechen.
Trotzdem kann man von diesen schlechten Beispielen nicht auf die KJL allgemein Rückschlüsse ziehen. Denn es gibt auch viel Kinder- und Jugendliteratur, die absolut nicht trivial, sondern literarisch anspruchsvoll ist.
Solche anspruchsvolle Literatur ist es, die einige Literaturwissenschaftler und Vermittler der KJL im Blick haben, wenn sie die Einfachheit der Kinder- und Jugendliteratur als lobenswert hervorstellen und fordern. Für sie bedeutet einfach nicht trivial und seicht, sondern bezeichnet die Fähigkeit, komplexe, also schwieriger und mehrschichtiger Inhalte veranschaulichen zu können. Gerade weil KJL so einfach geschrieben sei und schon von Kindern verstanden werden könne, eigne sie sich, Kindern und Jugendlichen schwierige Themen und Inhalte nahe zu bringen.
Eine solche Einfachheit erreicht man beispielsweise dadurch, dass man eine bilderreiche Sprache verwendet. Bildlichkeit spart viele Worte und wird von den Lesern meistens ohne Schwierigkeiten, meist schon mit dem Gefühl erfasst. Außerdem bedeuten Bilder im Text meist mehr als sie darstellen und weisen über sich selbst hinaus auf einen allgemeineren Zusammenhang. Die einzelne Szene im Text kann dadurch vom Leser auch auf andere Bereiche übertragen werden. Wichtig ist natürlich, dass die Bilder gut und passend ausgesucht werden, sonst verfehlen sie ihre Wirkung.
Ein anderes Mittel zur Vereinfachung eines Textes ist die Stilisierung des Themas. Dabei wird das Thema des Textes auf seine wesentliche Grundzüge reduziert und vereinfacht.
Auch indem man einen Text nur mit wenigen Regeln baut, kann man ihn vereinfachen. Das ist beispielsweise bei vielen Kindergedichten oder Liedern der Fall. Durch die Wiederholung einer gleichen Verszeile kann man diese Sprachregel zum einen einüben, zum anderen kann man beim Regelbruch durch eine neue Verszeile etwas Neues lernen.


Titelbild zu "Wo die wilden Kerle wohnen"
von Maurice Sendak
Diognes Verlag (1967)

Einfachheit kann man nicht zuletzt auch erreichen, in dem man sich gewisser Muster aus anderen Texten bedient. Viele Märchen haben zum Beispiel das selbe Muster, dass jemand von zu Hause auszieht, Abenteuer erlebt und beschenkt wieder kehrt. Wie bei der Regel werden beim Textmuster einerseits gewisse literarische Muster trainiert, zum anderen wird das Neue der Geschichte beim Verlassen des Musters gleich erkannt.
Muster, Regeln, Bilder und Stilisierungen sind in der KJL zwar einfacher zu verstehen als in der Literatur für Erwachsene. Ihrem Wesen nach sind sie aber gleich angelegt wie in der Erwachsenenliteratur, die auch gewissen Regeln, Mustern, Stilisierungen und Bildern folgt. Aus dem Grund trainiert einfache Literatur, die nicht trivial, sondern literarisch anspruchsvoll ist, die Fähigkeit der Kinder, Literatur in ihren Grundformen und Grundstrukturen insgesamt zu verstehen und zu entschlüsseln. In diesem Sinne unterscheidet sich KJL also von der Erwachsenenliteratur ihrem Wesen nach nicht, sondern nur in dem Grad der Veranschaulichung. Einen eigenen Stil der KJL gibt es deshalb nicht , und alle Genres, die in der Erwachsenen vorkommen, können grundsätzlich auch von der KJL übernommen werden.

Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur

Anfänge der KJL


"Orbis pictus" von Johann Amos Comenius (1658)
Ein Gespräch zwischen Schüler und Lehrer
über die Weisheit

Wenn man Kinder- und Jugendliteratur allgemein als das bestimmt, was Kinder und Jugendliche lesen, gibt es KJL seit Kinder und Jugendliche lesen können.
Das ist schon sehr lange der Fall, auch wenn die meiste Zeit vor allem Kinder von höher gestellten Persönlichkeiten, Reichen und Adligen oder allgemein bevorzugten Gruppen lesen und schreiben lernen durften.
Tatsächlich gab es schon in der Antike Kinder und Jugendliche, die lesen konnten. Als Literatur gab man ihnen damals vor allem Bearbeitungen von Texten für Erwachsene zum Lesen, zum Beispiel die Ilias von Homer.

Die Anfänge der deutschen Kinder- und Jugendliteratur sieht man im Mittelalter. Kinder und Jugendliche sollten damals vor allem belehrt und zu christlichen, tugendhaften Menschen erzogen werden, die sich ihrem Stand gemäß verhalten konnten. Zu dem Zweck gab man ihnen Bearbeitungen von Literatur für Erwachsene wie Äsops Fabeln, außerdem Lieder, Heldensagen, Nacherzählungen von Bibelstellen, teilweise aber auch eigens für sie geschrieben Anstandsbücher, Lehrgedichte und Lehrbücher über lateinische Grammatik und Rhetorik. Kinder und Jugendliche lasen also ähnliche Dinge wie Erwachsene, nur in etwas abgewandelter Form.

Aufklärung


  Titelbild (1744) zu
"Robinson Crusoe"
von Daniel Defoe

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erlebte die KJL mit der Aufklärung und deren Ziel, alle Menschen durch Bildung zu vernünftigen Menschen zu erziehen, einen Aufschwung der intentionalen Kinder- und Jugendliteratur, also der Literatur, die speziell Kindern und Jugendlichen angeboten wurde. Als zu bildender Mensch rückte in der Aufklärung vor allem das Kind in den Mittelpunkt der Betrachtung, die Kindheit selbst wurde als eigener Bereich entdeckt. Philosophen, Pädagogen und Schriftsteller machten sich viele Gedanken darüber, welche Literatur für Kinder und Jugendliche geeignet wäre, um sie zu guten, hilfsbereiten Weltbürgern zu erziehen.
Zum einen bearbeitete man für Kinder und Jugendliche nun Werke der National- und Weltliteratur wie Robinson Crusoe, Lederstrumpf, Gullivers Reisen oder Simplicius Simplicissimus. Zum anderen schrieb man für sie eigene Kinderlieder, Fabeln, Spiel- und Beschäftigungsbücher, Fibeln, Sittenlehren, Ratgeber, Reiseberichte und Sachbücher. In allen Büchern sollte Nutzen (Bildung) mit Vergnügen (Unterhaltung) verbunden werden.

Romantik


"Des Knaben Wunderhorn.
Alte deutsche Lieder"
von Achim von Armin und
Clemens Brentano (1808)

Auch die Romantik wandte sich in besonderer Weise dem Kind zu. Doch anders als in der Aufklärung galt hier das Kind nicht als Person, die vor allem erzogen werden sollte, sondern als ein unschuldiges Wesen, das noch im Einklang mit der Natur und daher in einer Art paradiesischem Zustand lebte. Dieses Kind wollte man nicht mit lehrreichen Schriften stören oder gar verziehen, sondern mit Volksdichtung in seinem Wesen unterstützen. Volksmärchen, Volkslieder, Volkssagen und Kinderreime, Legenden und Puppenspiele galten den Romantikern daher als geeignete Kinder- und Jugendliteratur. Neben diesen Volksdichtungen schrieben die Autoren der Romantik auch bald viele eigene Kunstmärchen und Kunstlieder und gründeten dadurch die Tradition der phantastischen Geschichte, des modernen Kinderlieds und Kindergedichts.

Biedermeier und Realismus


Titelbild zu "Winnetou"
von Karl May (1893)

Im Zeitalter des Biedermeiers und Realismus, also in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, gewannen Bücher für immer mehr Menschen an Bedeutung. Das liegt zum einen daran, dass immer mehr Kinder in die Schule gehen und Lesen und Schreiben lernen durften. Zum anderen verbesserte sich die Drucktechniken, und die Herstellung von Büchern wurde insgesamt billiger. Neben Pädagogen und Autoren hatten nun auch plötzlich Verlage und Druckhäuser ein Interesse daran, Bücher in einem größeren Umfang zu verkaufen. Um einen möglichst großen Absatzmarkt zu haben, gab es nun neben teuren Schmuckbänden für die Reicheren auch billige Heftchen für die Ärmeren. Auch die Themen passten sich mehr dem Geschmack der Leser an. Neben Lektüre für Frauen und Männer, entdeckte man auch Kinder als Leser mit eigenen Leseinteressen. Und so bildete sich damals die spezifische Kinder- und Jugendliteratur, wie wir sie heute kennen, heraus, also eine KJL, die eigens für Kinder und Jugendliche geschrieben wurde. Für Jungen wurden technische Sachbücher, Abenteuer- und Indianerbücher wie Mark Twains Tom Sawyer und Karl Mays Winnetou, heraus gegeben.


Titelbild zu "Der Trotzkopf "
von Emmy von Rhoden (1885)

Daneben wurden nun erstmals auch vermehrt Bücher für Mädchen geschrieben, wodurch sich allmählich der Begriff Mädchenliteratur oder auch Backfischliteratur herausbildete. Bekannte Mädchenbücher dieser Zeit waren Backfischchens Freuden und Leiden von Clementine Helm und Emmy von Rhodens Trotzkopf, die sich mit der Rolle des Mädchens und der Frau in der Gesellschaft beschäftigten.


Originalzeichnung
"Der Struwwelpeter"
von Heinrich Hoffmann alias
Reimerich Kinderlieb (1845)

Auch Bilderbücher für die Jüngsten wurden etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts gemacht. Heinrich Hoffmanns Der Struwwelpeter und Wilhelm Buschs Max und Moritz wurden international bekannt und gelten auch heute noch als Klassiker.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden außerdem historische Romane und Biographien gedruckt, die Kinder und Jugendliche politisch beeinflussen und sie zu deutschen Nationaltugenden wie Treue, Tapferkeit und Heldenmut und imperialistischem Kampfesgeist erziehen sollten. Es gab allerdings auch Töne gegen diese nationalen Schriften. Heinrich Wolgast setzte sich in seinem viel beachteten Aufsatz Das Elend unserer Jugendliteratur für eine ästhetische und künstlerisch wertvolle Kinder- und Jugendliteratur ein.

Während die deutsche KJL um die Jahrhundertwende allerdings wenig literarisch Anspruchsvolles zu bieten hatte, wurden in den anderen europäischen Ländern einige Werke geschaffen, die heute noch Weltruhm haben. Unter ihnen die fantastischen Romane Nils Holgerson von Selma Lagerlöff, Pinocchio von Carlo Collodi, die Dschungelbücher von Rudyard Kipling oder Der Wind in den Weiden von Kenneth Grahame.

Weimarer Republik


Titelbild (Walter Trier) zu
"Emil und die Detektive"
von Erich Kästner

In Deutschland gab es erst wieder in der Weimarer Republik (1918-1933) einen größeren künstlerischen und literarischen Aufbruch. Anders als viele Autoren in England, Schweden und den USA, schrieben die Autoren hier keine fantastischen Geschichten, sondern experimentierten und spielten vor allem mit Sprache und ihren Lauten, kritisierten das Zeitgeschehen, beispielsweise indem sie sich darüber lustig machten oder schrieben sachliche Romane für Kinder wie Erich Kästner. Kästner ist ein bekannter Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Die Neue Sachlichkeit wollte aus einer möglichst sachlichen oder unpersönlichen Blickweise heraus und mit einer möglichst schlichten Alltagssprache das Zeitgeschehen beschreiben. Erich Kästners neuer sachlicher Roman Emil und die Detektive gefiel den Lesern so gut, dass das Buch zu einem der erfolgreichsten, deutschen Bücher im 20. Jahrhundert wurde.


Titelbidl zu "Ede und Unku"
von Alex Wedding
Malik-Verlag (1931)

Parallel dazu entwickelte sich eine proletarische KJL, die Kinder und Jugendliche zu brüderlichen Menschen und zum Klassenkampf erziehen sollte. Der Klassenkampf sollte die wirtschaftliche, politische und ideologische Ungerechtigkeit, die nach Meinung der Sozialisten darin besteht, dass die Kapitalisten viel mehr Geld und Macht als die Arbeiter haben, schrittweise beenden und letztendlich eine Gesellschaft herstellen, in der alle die gleichen politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten haben. Während innerhalb der proletarischen KJL anfangs noch Märchen oder fantastische Geschichten als das geeignete Genre zur sozialistischen Erziehung angesehen wurden, sollten wenige Jahre später vor allem sozialistische realistische Geschichten Kinder und Jugendliche auf das kommunistische Ideal einschwören. Alex Weddings Ede und Unku ist ein bekanntes, frühes Beispiel für eine solch realistische dem Sozialismus verpflichtete Erzählweise.

Nationalsozialismus

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler stellte für die KJL einen großen Einschnitt dar. 1933 gab es eine Reichsstelle für das Jugendschrifttum, die sich um die Verbreitung ideologisch richtiger Kinderbücher kümmern sollte. Ideologisch richtige Bücher waren für die Nationalsozialisten solche, die Kinder im Sinne des Nationalsozialismus zu ordentlichen, gehorsamen, dem Deutschtum, seiner Machterhaltung und Machterweiterung verpflichteten Menschen erziehen sollten. Dieses Ziel sollte KJL nicht in erster Linie mit sachlichen Informationen oder Bildung, sondern vor allem durch emotionale Beeinflussung erreichen. Alle anderen Bücher sollten aus Bibliotheken entfernt, verboten, zensiert oder erst gar nicht veröffentlicht werden. Parallel wurden Empfehlungslisten und Verzeichnisse „guter Bücher“ heraus gegeben, die die Leser zusätzlich lenken sollten.
Zum Großteil verschwanden deshalb viele gute Bücher aus den Regalen. Trotzdem gelang es immer wieder Autoren und Verlegern, Bücher zu veröffentlichen, die eigentlich nicht in das Konzept der Nationalsozialisten passten, aber – aus welchen Gründen auch immer – geduldet wurden. Dazu gehörten beispielsweise die Bildergeschichten von Vater und Sohn von Erich Ohser  (e.o.plauen) oder Das fliegende Klassenzimmer von Erich Kästner. Viele andere Autoren zogen aus Deutschland fort und schrieben aus dem Exil Bücher. Kurt Held schrieb beispielsweise aus der Schweiz Die rote Zora und ihre Bande. Und seine Ehefrau Lisa Tetzner schrieb die in Berlin angefangene Serie Die Kinder aus Nr. 67 in der Schweiz weiter.

Nachkriegszeit

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs und dem Untergang des Nationalsozialismus spaltete sich nicht nur Deutschland in West und Ost, sondern auch die deutsche Kinder- und Jugendliteratur.


Titelbild zu "Digedags"-Band
von Hannes Hegen
(veränderte Auflage von 2005)

In der sozialistisch regierten DDR wurde in der Tradition der proletarischen KJL von den Autoren eine sozialistisch-realistische Literatur gefordert, die sich auf die Zielvorstellungen des Kommunismus konzentrierte. Aus dem Grund wurden Bücher vor ihrer Veröffentlichung auf ihre politische Botschaft hin überprüft und gegebenenfalls zensiert, die Druckgenehmigung verweigert oder deren Veröffentlichung zumindest erschwert. Viele Autoren hatten deshalb eine Art "Schere im Kopf", das heißt, sie zensierten sich selbst und schrieben nichts mehr, was problematisch werden konnte. Manche Autoren versuchten ihre Kritik zwischen den Zeilen zu verpacken. Anderen gelang es, einen Großteil ihrer Texte in der BRD zu veröffentlichen.
Gleichzeitig wurden einige Autoren aus dem feindlichen, kapitalistischen Ausland zumindest in den ersten zwei bis drei Jahrzehnten in der DDR nicht veröffentlicht. Beliebten Genres wie der Abenteuerroman oder Comic wurden teilweise eigene, neue Erzählweisen oder Formen entgegen gestellt. Liselotte Welskopf-Henrich schrieb mit Die Söhne der großen Bärin eine sehr erfolgreiche sozialistisch-realistische Indianer-Roman-Reihe. Hannes Hegen schuf mit den Digedags eine beliebte Bildergeschichten-Serie, die neben der Darstellung vieler Abenteuer durch Raum und Zeit, historisches, geografisches und naturwissenschaftlich-technisches Wissen vermittelte.

KJL galt in der DDR also als wichtige Möglichkeit, Kinder und Jugendliche zu erziehen. Sie wurde vom Staat deshalb gefördert und unterstützt. Es wurde auch viel darüber diskutiert, wie Literatur für Kinder und Jugendliche sein sollte. Insgesamt wurde sie ernster genommen und war anerkannter als die KJL zur gleichen Zeit in der BRD. Mit Bert Brecht, Peter Hacks, Franz Fühmann, Erwin Strittmatter, Stephan Hermlin und anderen gab es einige bekannte Autoren, die sowohl für Erwachsene als auch für Kinder schrieben.


Titelbild (Werner Klemke) zu
"Lütt Matten und die weiße
Muschel" von Benno Pludra
Kinderbuchverlag (1964)

In den ersten Jahren nach dem Weltkrieg wurden in Ostdeutschland viele Bücher der sowjetischen Besatzungsmacht veröffentlicht. Daneben wurden auch Klassiker, ideologisch unproblematische Bücher aus der Zeit des Nationalsozialismus und sozialistischen realistischen Literatur aus der Weimarer Republik wieder aufgelegt. 

Während die KJL in der DDR in den 50er Jahren anfangs noch sehr von der Vorstellung geprägt war, Kindern eine sozialistische Weltsicht zu vermitteln und sie zum Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft zu erziehen, rückten bereits in den 60er Jahren die Alltagsprobleme und persönlichen Konflikte des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft in den Vordergrund. Gehard Holtz-Baumert nimmt in Alfons Zitterbacke. Geschichten eines Pechvogels beispielsweise die Schwierigkeiten Alfons, sich in seiner Umwelt zurecht zu finden, aufs Korn und lässt selbst seinen Protagonisten darüber lachen. Benno Pludra stellt in Tambari und Lütt Matten und die weiße Muschel Heranwachsende vor, die immer wieder Konflikte mit Erwachsenen haben, weil sie vom vorgeschriebenen Weg abgehen. Anders als bei Holtz-Baumert werden hier die Konflikte nicht mit Humor weggelacht, sondern mit kindlicher Kreativität und deren Anerkennung durch die Erwachsenen gelöst.


Titelbild (Manfred Bofinger) zu
"Das Wildpferd unterm
Kachelofen" von
Christoph Hein
Altberliner Verlag (1984)

Die Entwicklung, die persönlichen Sichtweisen der Protagonisten zu beschreiben, setzte sich in den 70er Jahren fort. Die Beschreibung des subjektiven Erlebens wurde immer wichtiger. Ulrich Plenzdorfs Roman und Bühnenstück Die neue Leiden des jungen W. steht beispielsweise für so eine neue Literatur.

In den achtziger Jahren fand wieder verstärkt eine Hinwendung zu fantastischen Stoffen wie Märchen, Heldendichtungen, Mythen, vereinzelt auch fantastischen Geschichten statt. Bekannt wurde Christoph Heins fantastischer Roman Das Wildpferd unterm Kachelofen, der bis heute immer wieder neu aufgelegt wird. Daneben wurden erstmals kritische Töne über das fehlende Umweltbewusstsein in der DDR laut und das erste Sachbuch zu Umweltfragen erschien.


Titelbild
(Winnie Gebhardt-Gayler) zu
"
Die kleine Hexe" von
Otfried Preussler
Thienemann Verlag (1957)

Anders war die Entwicklung in der marktwirtschaftlich orientierten BRD. Kindern wurden hier die ersten zwanzig Jahre nach dem Krieg aus dem politischen Leben der Eltern eher rausgehalten und ihnen dementsprechend Literatur angeboten, die ihnen einen eigenen, literarisch unterhaltsamen Schutzraum bot. In den fünfziger und sechziger Jahren wurden ihnen viele klassische Märchen- und Heldendichtungen angeboten. Auch Otfried Preußler nahm mit der Kleinen Hexe oder Bei uns in Schilda alte Märchen- und Sagenstoffe auf.

Daneben wurde nun aber auch viel Literatur aus dem Ausland veröffentlicht. Pippi Langstrumpf, Die Fünf Freunde und Der kleine Prinz zogen neben Micky Maus, Tim und Struppi, Tarzan und etwas später auch Superman in die Kinderzimmer ein.

In den 60er Jahren setzte sich die Tendenz fort, Kinder mit fantastischer Literatur zu unterhalten.
Otfried Preußler, Michael Ende und teilweise auch James Krüss, die Geschichten mit fantastischen Elementen schrieben, mussten sich allerdings bald von Vermittlern der KJL den Vorwurf anhören, Bücher zu schreiben, die die Realität verdrängten oder ausblendeten, anstatt sie kritisch darzustellen.


Titelbild zu
"Die grauen und
die grünen Felder" von
Ursula Wölfel
Anrich Verlag (1970)

Mit der Protestbewegung der 1968er wurde nun gefordert, dass Literatur Kindern nicht eine märchenhafte oder heile Welt vorgaukeln sollte, sondern sie aufklären, auf Missstände aufmerksam machen und sie zu selbstständigem Denken und Handeln provozieren und auffordern sollte. Aufklärende, problemorientierte Bücher wie Peter Härtlings Das war der Hirbel oder Ursula Wölfels Die grauen und die grünen Felder galten nun als vorbildlich.
Oft wurden zur kritischen Durchleuchtung der Realität auch fantastische Mittel eingesetzt. Eindrücklich ins Bild gebracht wurde diese widerständische KJL durch der Anti-Struwwelpeter von Friedrich Karl Waechter. Im Anti-Struwwelpeter stellt Waechter sich auf die Seite der Kinder und richtet sich gegen die Macht der Erwachsenen und unsinnige Erziehungsideale. Bekannt sind auch Christine Nöstlingers Wir pfeifen auf den Gurkenkönig, in dem der herrische Gurkenkönig die autoritären Strukturen einer Familie offen legt, und Paul Maars Sams, das Herrn Taschenbier Mut macht, sich gegen seinen Chef zu wehren. Oder auch Janoschs fantastische Welten, die voller anarchischer, antiautoritärer Bilder sind.


Titelbild zu
"Die unendliche Geschichte"
von Michael Ende
Thienemann Verlag (1979)

Nachdem Anfang der Achtziger Jahre Michael Endes fantastischer Roman Die unendliche Geschichte einen riesigen Erfolg bei den Lesern hatte und auch J.J.R. Tolkiens Herr der Ringe mit jahrelanger Verspätung in Deutschland sehr erfolgreich wurde, gewann die fantastische Literatur wieder an Bedeutung und verdrängte allmähliche die realistische und problemorientierte Literatur.


Titelbild zu Novemberkatzen
von Miriam Pressler
Belz & Gelberg (1982)

Trotzdem wurden auch weiterhin realistische Romane geschrieben und Konflikte von Kinder und Jugendlichen innerhalb der Gesellschaft dargestellt. Großes Aufsehen erlangte damals Gudrun Pausewangs negative Utopien Die letzten Kinder von Schewenborn und Die Wolke, in denen die wirkliche Bedrohung durch Atombombe und Atomkraftwerke anhand von tragischen Kinderschicksalen plastisch vor Augen geführt wurde. Einen anderen Weg, Kinder und Jugendliche für die gesellschaftliche Umgebung und ihre geschichtliche Entwicklung zu sensibilisieren, schlug Klaus Kordon ein. Er recherchierte Ereignisse und stellte sie in einen sozialen oder politische Zusammenhang. Wieder einen anderen Weg, Wirklichkeit darzustellen, zeigte Miriam Pressler. Sie schuf psychologische Kinderromane, die sich mit den Gedanken und Gefühlen der kindlichen Protagonisten, meistens Außenseiter, auseinandersetzen.
Daneben wurden in den achtziger Jahren auch viele Bücher veröffentlicht, die sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinander setzten.

Gegenwart


Titelbild zu "Harry Potter"
von Joanne K. Rowling
Carlsen Verlag (1997)

Nach der Wiedervereinigung und dem Ende des kalten Krieges, zieht die Postmoderne und ihr Slogan „alles ist erlaubt“ auch in die Kinderliteratur ein. Veröffentlicht und gedruckt wird nunmehr alles, was sich verkauft und nicht eindeutig jugendgefährdend ist. Neben Harry Potter und der daraus folgenden Flut an Magie- und Fantasybüchern wurden in den letzten zehn Jahren die Genres Science-Fiction, Mystery, Horror und Grusel und auch Mangas, das sind japanische Comics, immer beliebter.


Titelbild zu "Nachts"
von Wolf Erlbruch
Peter Hammer Verlag (1999)

Einen innovativen Schub bekam Mitte der achtziger, und vor allem in den neunziger Jahren das Bilderbuch. Während in der DDR mit Illustrationen, beispielsweise von Klaus Ensikat, Hans Ticha, Volker Pfüller, Kinder schon früh an Kunst für Erwachsene herangeführt wurden, orientierten sich Illustratoren in der BRD insgesamt (trotz einzelner Ausnahmen wie Friedrich Karl Waechter) häufiger an dem, was man als kindgemäß betrachtete. Nun entstanden auch in West-Deutschland viele künstlerische Bilderbücher, deren Illustratoren Kindern Kunst vermitteln und sie an den Sehgewohnheiten der Erwachsenen teilhaben lassen wollten. Bekannte Illustratoren dieser neuen Bilderbuchkunst waren anfangs beispielsweise Wolf Erlbruch, Quint Buchholz oder Nikolaus Heidelbach. Heute gibt es auch einige andere Illustratoren, die kunstvolle Illustrationen für Kinder und Jugendliche machen. Daneben entstehen auch wieder vermehrt Illustrationen, die keinen eigenständigen, künstlerischen Wert haben, sondern reine Bebilderung oder Verzierung eines Textes sind.


Titelbild zu "Conni auf dem Reiterhof"
von Julia Boehme
Carlsen Verlag (2002)


Titelbild (1998) zu
"Die kleine Raupe Nimmersatt"
von Eric Carle
(Erstausgabe 1970 im Stalling Verlag)

Im Jahr 2000 werden die Vermittler der KJL durch die sogenannten PISA-Studie, die deutschen Schülern unter anderem eine ziemliche Leseschwäche bescheinigte, aufgeschreckt. Weiter beunruhigend wirkt auf die Vermittler der explodierende Markt an Computerspielen und der massive Einzug des damals noch relativ neuen Mediums Internet in die deutschen Kinderzimmer.
Anstatt wie bisher das gute Kinder- und Jugendbuch einzufordern, sei es nun politischer, pädagogischer oder literarischer Art, sind die Vermittler der KJL nun froh, wenn Kinder und Jugendliche überhaupt noch lesen. Lesezirkel und Lesepatenschaften sprießen seit dem PISA-Schock wie Pilze aus dem Boden, werden gefördert und bepreist, meist unabhängig davon, welche Bücher den Kindern vorgelesen werden und wie ihnen Literatur vermittelt wird. Ein sprachlich und bildlich schlechtes Conni-Buch scheint plötzlich die gleiche Qualität zu haben wie Eric Carles Kleine Raupe Nimmersatt, eine ruhm- und herrschsüchtige und bei genauer Betrachtung recht zickige Molly Moon von Georgia Byng gilt heute gleich vorbildlich wie die mutige Matilda von Roald Dahl oder Pippi Langstrumpf von Astrid Lindgren, die sich beide in erster Linie eben nicht für sich selbst, sondern für andere einsetzen.
Den Kindern und Jugendlichen könnte ihre neue Freiheit eigentlich nur Recht sein, dürfen sie nun endlich ohne Rücksicht auf Verluste alles lesen, was ihnen gefällt.
Doch diese Freiheit ist trügerisch und nicht wirklich vorhanden. Denn die Verlage und Großbuchhandlungen schränken diese Freiheit insofern wieder ein, als sie vor allem massentaugliche, sehr häufig seichte Bücher veröffentlichen und verkaufen. Vielfalt und Qualität wird durch unzählige Variationen eines Buchtyps und einseitiges Sichtbarmachen von erfolgreichen Serien in Programmheften und Buchregalen ersetzt. Wenn sie nicht gerade Artemis Fowl oder Warrior Cats heißen, sind die echten Perlen, die es in der KJL nach wie vor auch noch gibt, oft schwer zu entdecken. Dadurch diktieren Verlage und Großbuchhandlungen den Lesern doch wieder einen Geschmack, den sie in vielen Fällen wahrscheinlich gar nicht haben.
Unabhängig davon lässt sich für die Gegenwartsliteratur für Kinder und Jugendliche sagen, dass sie sich in ihrer Themenwahl, Sprache und Machart immer mehr zu All Age Büchern entwickelt, also zu Büchern, die von allen Alterstufen gelesen und gekauft werden können.
Abschließend kann man deshalb feststellen, dass zumindest zur Zeit nicht nur das anspruchsvolle Kinderbuch, sondern auch die intentionale Kinder- und Jugendliteratur langsam verschwindet.

http://www.rossipotti.de/
http://www.akademie-kjl.de/index.html
http://www.goethe.de/kue/lit/prj/kju/deindex.htm
http://www.schule-bw.de/unterricht/paedagogik/lesefoerderung/lesetipps/k...