Lautmalerei


Was ist Lautmalerei?

„Schluck - stöhn - knarr - krach - bum!“
Woran erinnert das? An ein Nonsens-Gedicht? Vielleicht.
An einen Comic? Gut möglich.
Und woran denkt man bei: „mam - mam- mam“?
Ganz klar, an ein Baby, das sprechen lernt.
Aber auch wenn beide Beispiele gut zu Nonsens-Gedicht, Comic oder Kleinkindsprache passen, gehören sie vor allem auch zur Lautmalerei.
Denn bei der Lautmalerei wird mit den Tönen, die beim Aussprechen eines Buchstabes oder von Silben eines Wortes entstehen, sozusagen ein klingendes Bild „schreibend gemalt“. Gibt es eine Zeichnung dazu wie bei Comics, ist die Handlung sofort erkennbar. Gibt es aber nur die (Mund-)Geräusche, kann man sich dafür ganz allein eine Geschichte ausdenken, um solch einem Text eine Richtung zu geben.
In der Lautmalerei haben Wörter und Sätze keinen verständlichen Sinn, sondern nur einen Klang. Deshalb wird ein Vers dieser Art auch als „Gedicht ohne Inhalt“ bezeichnet. Es ist eine Sprachmusik, die erst durch das laute Lesen zur richtigen Wirkung kommt.

Lautmalerei in der Alltagssprache

Gedanken über den Klang von Wörtern machten sich schon die alten Griechen ab dem fünften Jahrhundert vor Christus. Die griechischen Philosophen stritten sich darüber, ob sich die Töne der Buchstaben ganz zufällig zu den Lautgestalten der Wörter zusammenfügten oder ob der Klang eines Wortes genau seine Bedeutung widerspiegeln würde. Und sie fragten sich, ob eine Dichtung nur mit den Tönen der Buchstaben - also scheinbar ohne Inhalt - eine vorbestimmte Wirkung erzielen könnte. Sie diskutierten, ob es einen Ur-Klang, ein Ur-Wort vom Klang her geben würde, wie zum Beispiel „mam-mam-mam“, von dem man heute weiß, dass nahezu alle Kinder auf der Erde das Sprechen mit diesen Lauten beginnen.
Das griechische Fachwort für die Literatur der Lautmalerei heißt Onomatopöie. Das bedeutet: einen Namen prägend, ein Klänge nachahmendes und Laute malendes Wort.
In unseren täglichen Gesprächen verwenden wir mehr lautmalerische Wörter als wir denken. Eine besondere Art der Lautmalerei ahmt Tierlaute und Geräusche der Natur nach. Dabei entsteht in der Alltagssprache ein Schall-Wort, das den Klang des Gehörten wiedergibt. Beispiele für eine solche wortbildende Lautmalerei sind  „bellen“, „piepen“, „tschilpen“ und „klirren“, „klatschen“ oder „knallen“.
Da sich die Laute der einzelnen Sprachen teilweise unterscheiden (Buchstaben werden z.B. anders ausgesprochen als im Deutschen), verändern sich diese Schall-Wörter.
Das Zwitschern eines Vogels wird zum Beispiel von Deutschen mit „tschiep, tschiep“, von Japanern dagegen mit „pyu, pyu“ und von Griechen mit „tsiu, tsiu“ wiedergegeben, oder der Hahnenschrei im Deutschen mit „kikeriki“, im Niederländischen mit „kukeleku“, im Französischen mit „cocorico“, im Spanischen mit „quiquiriquí und im Englischen mit „cock-a-doodle-doo“.
Trotz dieser Unterschiede ähneln sich Schall-Wörter verschiedener Sprachen (z. B. deutsch „wau-wau“, französisch „oua-oua“, englisch „waf-waf“) häufiger als die Bezeichnungen, die wir als Vokabeln für den täglichen Gebrauch lernen (z.B. Hund, chien, dog).
Manchmal ist an einem Wort nicht gleich zu erkennen, dass es eine akustische Wortmalerei ist. Beispiele dafür sind „schnorcheln“, „gähnen“ oder „flüstern“.
Lautmalerei kommt besonders in Kinderliedern, Kindergedichten und Volksmärchen vor:
„Summ, summ, summ, Bienchen summ herum … “
„Auf unserer Wiese gehet was … fängt die Frösche schnapp, schnapp, schnapp, klappert lustig klapperdiklapp ...“
Lautmalerei tritt auch in der Sprache der Comics und der Trickfilme auf. Oder wird auch von moderner Kunst wie bei Pop-Art benutzt.  Man findet solch eine lautmalende Sprache auch in Chat-Foren des Internets.

Lautmalerei in der Literatur

Obwohl die Lautmalerei in der Literatur ganz modern erscheint, ist sie als eigene Kunstform schon mehr als 100 Jahre alt.
Immer wieder gab es Künstler, die mit der Sprache oder auch mit Sprachlauten zur Klangerzeugung experimentierten. Aber das erste, richtige Werk der Lautmalerei in deutscher Sprache verfasste Paul Scheerbart (1863-1915). Er schrieb das Gedicht Kikakokú!.

Kikakokú!
Ekoraláps!
Wîso kollipánda opolôsa.
Ipasátta íh fûo.
Kikakokú proklínthe petêh.
Nikifilí mopaléxio intipáschi benakáffro - própsa pî! própsa pî!
Jasóllu nosaréssa flípsei.
Aukarótto passakrússar Kikakokú.
Núpsa púsch?
Kikakokú bulurú?
Futupúkke - própsa pî!
Jasóllu .......

(Die Zeichen über den Buchstaben sind Hinweise für die Betonung.)

Paul Scheerbart, der Philosophie und Kunstgeschichte studiert hatte und zeichnete, wissenschaftliche Abhandlungen verfasste, Romane und Gedichte schrieb, wollte mit seiner Lautdichtung die Wunderwelt der gesprochenen Sprache darstellen und gleichzeitig Kritik üben. Er wehrte sich dagegen, dass seine Mitbürger die Kunst vor allem nur als ein Mittel zu ihrer Unterhaltung, zu ihrer Zerstreuung ansahen. Die meisten Menschen verstanden aber Scheerbart nicht, sie lachten über ihn und sahen ihn als Spinner an.
Neben Paul Scheerbart beschäftigte sich um 1900 auch der Dichter Christian Morgenstern (1871-1914) mit der Lautdichtung. Heute immer noch sehr bekannt, ist sein lautgemaltes Gedicht Das große Lalula, das er 1905 geschrieben hat:

Das große Lalula
Kroklokwafzi? Semememi!
Seiokrontro - prafriplo:
Bifzi, bafzi; hulalemi:
quasti basti bo...
Lalu lalu lalu lalu la!
Hontraruru miromente
zasku zes rü rü?
Entepente, Leiolente
klekwapufzi lü?
Lalu lalu lalu lalu la!
Simarar kos malzipempu
silzuzankunkrei (;)!
Marjomar dos: Quempu Lempu
Siri Suri Sei [ ]
Lalu lalu lalu lalu la!

Christian Morgenstern, auch bekannt als Dichter von Nonsensgedichten, betrachtete aber die Lautmalerei nicht als künstlerischen Auftrag, für ihn war es mehr ein Sprachspiel.
Mit ähnlichen Zielen wie Paul Scheerbart griff fast zwanzig Jahre später eine ganze Gruppe von Künstlern die Lautmalerei wieder auf und schuf ihre eigene Lautdichtung: Die Dadaisten.
Der Dada oder Dadaismus entstand 1916 in Zürich, der größten Stadt der Schweiz. Die Dadaisten, so nennt man die Mitglieder dieser Künstlerbewegung, lehnten die damalige Gesellschaft und deren Wertesystem ab. Sie protestierten gegen den Krieg (das war damals der Erste Weltkrieg 1914-1918). Die Dada-Künstler vertraten Friedens-Positionen und zeigten das zum Teil mit provozierenden Aktionen. Im Laufe des Ersten Weltkrieges breitete sich der Dadaismus in ganz Europa aus. Dada war die Blütezeit der Lautmalerei und beeinflusst die Kunst bis zum heutigen Tag.
Der Dadaist Hugo Ball (1886-1927) trat gleich am Anfang der Dada-Bewegung in den Jahren 1916 und 1917 in Zürich mit seinen Lautgedichten auf. Er wird als Begründer der Dada-Lautdichtung angesehen. Eines dieser Werke ist die Karawane.

KARAWANE
jolifanto bambla ô falli bambla
grossiga m’pfa habla horem
égiga goramen
higo bloiko russula huju
hollaka hollala
anlogo bung
blago bung
blago bung
bosso fataka
ü üü ü
schampa wulla wussa ólobo
hej tatta gôrem
eschige zunbada
wulubu ssubudu uluw ssubudu
tumba ba- umf
kusagauma
ba - umf

Von der Zeit ihres Entstehens bis weit ins 20. Jahrhundert hinein hatte es die Lautdichtung schwer, ernst genommen zu werden. Viele Menschen verstanden diese Kunst nicht. Manche Kritiker bewerteten die Klangpoesie als Rückfall in die Urzeit, als die Menschen begannen, sich mit Hilfe von Lauten zu verständigen. Andere warfen den Dichtern der Lautmalerei sogar vor, dass sie Nichtskönner wären und ihre Unfähigkeit mit dieser sinnlosen Sprache überdecken wollten. Noch der wichtigste deutschsprachige Vertreter der Lautmalerei, der österreichische Schriftsteller Ernst Jandl (1925-2000), hatte bis zu seinem Lebensende damit zu kämpfen, dass er nicht nur als Sprachkünstler, sondern sehr oft nur als Sprachclown angesehen wurde.
In der Gegenwart ist die Lautmalerei eine anerkannte Literatur und wird der Lyrik zugeordnet, denn es lassen sich eindeutig lyrische Elemente wie Verse, Reime und Rhythmen erkennen. Die Lautmalerei wird heute in allen europäischen Literaturen als Stil- und Gestaltungsmittel benutzt.

Merkmale und Arten der Lautpoesie

Die Lautmalerei arbeitet stark mit Verknüpfungen von sprachlichen Assoziationen, von Klang-Vorstellungen und Laut-Bildern, die wir aus unserer Muttersprache im Kopf haben. Die Lautpoesie weist immer drei Merkmale auf:

  1. Es gibt keine Wörter und Sätze, die eine Bedeutung haben.
  2. Die Dichter arbeiten nach selbst ausgedachten Vorschriften und danach bauen sie die Sprachlaute zusammen und prägen so akustische Neuwörter.
  3. Die Sprachwirkung zeigt sich erst beim Sprechen.

Durch diese Merkmale unterscheidet sich die Lautpoesie wesentlich von der Nonsensdichtung. Denn der Nonsensdichter arbeitet in der Regel mit bekannten Wörtern seiner Muttersprache. Er verwendet sie in unerwarteter Weise und verändert so unter Umständen ihren Sinn. Manchmal vertauscht er auch nur einzelne Buchstaben in den Wörtern und erzeugt so ein Lachen schon beim stillen Lesen. Der Dichter der Lautmalerei benutzt dagegen nur den Klang der einzelnen Buchstaben seiner Muttersprache, kombiniert Konsonanten und Vokale entgegen der Gesetze der jeweiligen Sprache. Die Wirkung seiner Verse wird erst mit dem lauten Lesen deutlich.

Es gibt verschiedene Arten von lautmalerischen Gedichten:

  1. Gedichte, bei denen sich kein Sinnzusammenhang zwischen den Zeilen, Versen und Einzelbuchstaben erkennen lässt.
  2. Gedichte, die aus sinnlosen Lautfolgen bestehen, aber durch eine Überschrift einen Sinn erhalten.

Ein Beispiel für Punkt 1 ist das Kikakok!ú von Paul Scheerbart. Es hat zwar einen Titel, der aber unverständlich ist.

Ein Beispiel für Punkt 2 ist die Karawane von Hugo Ball.
Durch die Überschrift lassen sich die Laute gedanklich mit Geräuschen einer Karawane oder einer Gruppe großer, schwerer Tiere verbinden. Diese Gedankenrichtung zu Elefanten wird noch durch solche Lauteinheiten wie „jolifanto“, „russula“, „tumba ba“ und „grossiga“ sowie durch die Häufung der Vokale „u“ und „a“ verstärkt.

Löse das Quiz zum Lexikonartikel!

http://www.rossipotti.de/ausgabe14/11uhr_termin1.html
http://www.wdr.de/tv/wissenmachtah/bibliothek/lautmalerei.php5
http://de.wikipedia.org/wiki/Onomatopoesie
http://www.lehrer-online.de/geraeusche-raten.php