Handlung


Bedeutung

Die meisten literarischen Texte, vom Theaterstück über den Roman bis hin zum Comic, erzählen Geschichten. Diese Geschichten nennt man die Handlung des jeweiligen Werkes.
Handlungen können ganz lang sein und beispielsweise das Leben einer Familie über Hunderte von Jahren nachzeichnen. Oder sie können ganz kurz sein und sich beispielsweise nur darauf beschränken, eine Figur drei Minuten bei einem Spaziergang zu begleiten.


Illustration: Halina Kirschner

Handlungen werden in der Regel chronologisch, also nach ihrem zeitlichen Ablauf erzählt. Aber es gibt viele Möglichkeiten, diesen Ablauf zu durchbrechen.
Möglich ist beispielsweise, die Handlung in Rahmen- und Binnenhandlung zu unterteilen. In der Rahmenhandlung wird dann eine Situation geschildert, die einen Anlass für die Erzählungen innerhalb, nämlich der Binnenhandlungen, liefert. Bekannt ist die Rahmenhandlung des Märchens Tausendundeine Nacht, in der die frisch vermählte Königin Scheherazade ihrem Mann jede Nacht spannende Fortsetzungsgeschichten erzählen muss, damit sie nicht hingerichtet wird. Während die bedrohliche Situation von Scheherazade die Rahmenhandlung bildet, gehören die einzelnen Märchenerzählungen zur Binnenhandlung. Die Rahmenhandlung folgt dabei mit 1001 Nächten einem anderen Zeitschema als die Binnenhandlungen, die sich je nach Märchen über einen unterschiedlichen Zeitraum erstrecken.
Andere Möglichkeiten, den chronologischen Ablauf einer Handlung zu durchbrechen, sind außerdem Vor- und Rückblenden, Abschweifungen oder richtige Unterbrechungen der Haupthandlung durch verschiedene Nebenhandlungen.

Handlungen beschreiben eigentlich immer die Taten von Figuren. Wenn eine Figur etwas tut, handelt sie. Meistens handeln die Figuren in Geschichten so, dass ihr Tun für die anderen Figuren sichtbar wird. Sie handeln dann im engeren Sinne von Tätigsein. Das heißt, sie rufen mit ihrem Handeln Wirkungen in der Außenwelt hervor.
Sie machen beispielweise eine Reise, begegnen dabei anderen Figuren, streiten, versöhnen oder lieben sich oder finden das große Glück oder Pech. Handlungen, die für alle sichtbar sind, können gut im Drama oder Theater vorgeführt werden. Drama heißt auf griechisch übrigens nichts anderes als Handlung.
Im weiteren Sinne von Tätigsein tut man aber auch bereits etwas, wenn man denkt. Insofern können Handlungen auch aus Gedanken bestehen. Ein weltberühmtes Buch, Ulysses von James Joyce, handelt beispielsweise in großen Teilen von „Bewusstseinsströmen“ (stream-of-consciousness), also von den Gedanken der Figuren. Da man zumindest im herkömmlichen Theater Gedanken außer im Monolog nicht so gut darstellen kann, findet man Darstellungen von Handlungen wie stream-of-consciousness oder erlebte Rede (Gedanken oder Wahrnehmungen werden in der dritten Person beschrieben) vor allem in der epischen, also erzählenden Literatur.

Je nachdem, was die Figuren tun, je nachdem also, welche Handlung das Buch hat, kann man die Texte beispielsweise in Abenteuer-, Liebes- oder auch Krimigeschichten einteilen.
Je nachdem, wie die Figuren etwas tun, also je nachdem, wie die Handlung beispielsweise über Dialoge oder über sicht- und hörbare Äußerungen oder auch stumme Gedanken dargestellt wird, findet die Handlung auf der Bühne, im Film, Hörspiel oder in einem geschriebenen Textstück statt.

Handlungsaufbau

Handlungen können packend und äußerst spannend oder auch ermüdend, unmotiviert und belanglos auf den Leser wirken.
Wie sehr die Handlung den Leser packen kann, hängt dabei nicht nur vom Geschmack des einzelnen Lesers ab, sondern auch vom Können des Autors, mit seiner Sprache und einem geschickten Handlungsaufbau Spannung zu erzeugen.
Seit die Menschen Geschichten schreiben, haben sie sich Gedanken darüber gemacht, wie man eine Handlung zusammenfügen muss, damit die Geschichte gut und spannend ist.
Eine der bedeutendsten und vor allem wirkungsreichsten Gedanken dazu hat der griechische Philosoph Aristoteles in seiner Poetik (Lehre über die Dichtkunst) bereits vor mehr als zweitausend Jahren aufgeschrieben. Sie war viele Jahrhunderte Vorbild für eine gelungenen Handlungsaufbau und einiges, was in seiner Poetik steht, findet man auch heute noch richtig.
Aristoteles sagte zum Beispiel, dass eine Handlung dadurch spannend und gut wird, wenn sie nur Teile beschreibt, die notwendig, wahrscheinlich und glaubwürdig für das Verständnis der Geschichte sind. Langatmige Passagen ohne Bedeutung für den Gesamtzusammenhang und stumpfe Motive, die nichts besagen und nur falsche Erwartungen im Leser hervor rufen, stören also eine gute Handlung. Man kann seiner Meinung nach in eine Geschichte zwar Nebenhandlungen und mehrere, parallel verlaufende Handlungsstränge einbauen. Aber sie sollten im Bezug zum Gesamtwerk stehen, und zwar so, dass sie nicht weggelassen werden können, weil man ohne sie den Text nicht verstehen würde.
Außerdem war Aristoteles der Meinung, dass eine klare, allerdings deshalb nicht platte, sondern auf jeden Fall literarische Sprache die Handlung packender macht, als eine gekünstelte, affektierte, mit Fremdwörtern überladene Sprache.
Das alles wird auch heute noch von den meisten Lesern für richtig empfunden. Andere Vorstellungen von Aristoteles gelten heute dagegen als veraltet. Zum Beispiel seine Meinung, dass Dichtung immer Nachahmung möglicher Ereignisse und Handlungen sein müsse. Würde das stimmen, könnte man nur die realistische Literatur als Dichtung ansehen, die phantastische und utopische Literatur dagegen nicht.
Auch die Einschätzung von Aristoteles, dass eine Handlung immer so aufgebaut sein sollte, dass sie mit einem voraussetzungslosen, klaren Anfang beginnt, dann auf einen konfliktbeladenen Höhepunkt zusteuert, ins Gegenteil umschlägt und schließlich in einem läuternden Schluss für das Publikum oder den Leser endet, teilen viele Autoren schon lange nicht mehr.
Für das Drama hat bereits Shakespeare der geschlossenen Form die offene entgegen gesetzt, für die Epik wurden spätestens seit der Romantik andere Formen wie der fragmentarische, bruchstückhafte, aber auch vieldimensionale Roman entwickelt.
Auch wenn heute literarische Texte zum Teil noch nach dem alten Handlungsschema Einleitung, Höhepunkt, Wendepunkt und Schluss geschrieben sind, ist grundsätzlich alles erlaubt und der Autor ist künstlerisch frei. Selbst Geschichten, die irgendwo anfangen und ohne Höhepunkt irgendwo wieder aufhören, werden heute gedruckt und gelesen.