Epik


Epik als Gattung

Der berühmte Dichter Johann Wolfgang Goethe bezeichnete vor knapp 200 Jahren die Epik, Lyrik und Dramatik als die „drei Naturformen der Poesie“. Obwohl sich die einzelnen Formen der Dichtung oder des literarischen Schreibens bis heute verändert haben, greift man bei der Einteilung der Grundgattungen immer noch auf Goethes Unterscheidung zurück.
Wodurch unterscheidet sich die Epik aber von den anderen Gattungen?
Die Unterschiede finden sich in der Gestaltung der Texte:
Die Lyrik ist stark von Klang und Rhythmus bestimmt und stellt persönliches Erleben dar. Die Dramatik lebt vor allem vom Dialog und der Darstellung handelnder Personen.
Die Epik erzählt dagegen mit verschiedenen Stilmitteln eine Geschichte: Eines dieser Stilmittel ist die Erzählperspektive. Damit ist die Art und Weise gemeint, wie dem Leser eine Geschichte erzählt wird und vor allem auch von wem. Denn in epischen Texten findet man tatsächlich immer einen Erzähler, der die Geschichte berichtet. Das kann ein Ich-Erzähler sein, der beschreibt, was er erlebt hat oder aber zum Beispiel ein allwissender Erzähler, der sich außerhalb des Geschehens befindet und von außen auf die Geschichte blickt. Manchmal, aber nicht unbedingt immer, ist dieser Erzähler dieselbe Person wie der Autor einer Geschichte. Manchmal wurde der Erzähler aber auch vom Autoren erfunden – extra um die Geschichte zu erzählen.
Ein weiteres wichtiges Merkmal der Epik ist die Erzählzeit. Man kann nämlich unterscheiden zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit. Die erzählte Zeit ist die Zeit, in der die Geschehnisse um den Helden einer Geschichte stattfinden. Die Erzählzeit ist dagegen die Zeit, in der sich der Erzähler befindet und die Geschichte erzählt. Wenn zum Beispiel eine Geschichte mit „Es war einmal ...“ beginnt, dann befindet sich der Erzähler in der Gegenwart (die Erzählzeit ist jetzt!) der Held und seine Geschichte befinden sich jedoch in der Vergangenheit (die erzählte Zeit „war einmal“!). Einen Erzähler und damit auch die Erzählzeit gibt es in der Lyrik so gut wie nie und in der Dramatik nur selten  – der Erzähler ist das wichtigste Merkmal zur Unterscheidung der drei Gattungen!

In epischen Texten werden oftmals nicht nur die Begebenheiten und Erlebnisse des Helden und anderer einzelner Personen, sondern auch die gesellschaftlichen Zustände geschildert. Denn in epischen Texten gibt es die Möglichkeit alles ausführlich zu schildern, zwischen unterschiedlichen Perspektiven und Handlungssträngen zu wechseln oder Vorgeschichten zu erzählen und somit ein umfassendes Bild von einer Situation zu vermitteln.

Die Geschichte des Epikbegriffs

Am Anfang des 12. Jahrhunderts meinte Epik alle Texte, die nicht in lateinischer Schrift sondern in der Volkssprache geschrieben waren. Die Texte also, die man auch lesen konnte, ohne Latein sprechen zu können. Damals waren die epischen Texte aber stets in Versform geschrieben und wurden oft von fahrenden Sängern vorgetragen und je nach Publikum in „epischer Breite“, also sehr ausführlich ausgeschmückt.
Als die Gesellschaft sich änderte und nicht mehr nur aus Großgrundbesitzern und ihren Leibeigenen bestand, sondern aus freien Bürgern, da änderte sich auch die Epik. Die Verse lösten sich auf und die Epik wurde nun in ungebundener einfacher – ja ganz normaler – Sprache geschrieben und nacherzählt.
Am Ende des 18. Jahrhunderts fand dann noch einmal eine Wandlung in der Epik statt. Durch die Entwicklung der Technik war das Drucken und Verbreiten von Literatur immer schneller möglich. Gleichzeitig lernten immer mehr Menschen lesen und schreiben. Durch beide Entwicklungen verschwand der mündliche Vortrag und das Weitererzählen des epischen Textes allmählich und an seine Stelle trat der Leser, der das Buch alleine las.
Bald entwickelten sich verschiedene Formen der Epik.
Heute unterscheidet man zwischen Großen und Kleinen erzählerischen Formen, wobei eine Sondergruppe der Kleinformen die Minimal- oder Kürzestformen sind.
Mit Groß- oder Langformen der Epik sind besonders große, lange Texte gemeint, wie zum Beispiel das Epos oder der Roman. Die Langformen erzählen die Geschichte ausführlicher, können unter anderem sehr detaillierte Schilderungen von Personen, Gegenständen oder Szenen haben, die Geschichte über einen langen Zeitraum ausdehnen oder sogar ganz von der eigentlichen Geschichte ablenken, um sie später weiter zu führen.
Die Gruppe der epischen Klein- oder Kurzformen meint, wie der Name schon sagt, kürzere Texte wie Erzählungen, Novellen, Balladen oder Kurzgeschichten. Die Kurzformen greifen im Unterschied zu den Langformen oft nur eine Situation, ein Problem oder einen Ausschnitt eines Geschehens heraus und ziehen den Leser nicht so intensiv in die Handlung mit hinein.
Teilt man die Kurzformen nicht nach der Größe und Länge der Texte, sondern nach ihrem Ursprung, ihrer Zielgruppe oder ihrer Funktion ein, spricht man bei Märchen und Sagen von volkstümlicher Epik, da diese allgemein verständliche Textsorten besonders beim Volk beliebt sind. Oder man spricht von didaktischen Kurzformen, wenn Texte dem Leser etwas beibringen, sie belehren oder ihnen etwas mitgeben möchten, wie zum Beispiel Legenden, Fabeln und Parabeln.
Zu den Minimal- oder Kürzestformen zählt man Rätsel und Sprichwörter.
Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert waren es vor allem die volkstümlichen Formen der Epik, die den Menschen besonders gefielen. Heutzutage sind es bei den Kurzformen, die Kurzgeschichten, Erzählungen und Novellen, vor allem aber auch die Großform des Romans, die besonders beliebt sind und von vielen Menschen gelesen werden.

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