Sage


Bedeutung

Eine Hexe im Märchen hat einen buckligen Rücken, eine krumme Nase, wohnt irgendwo im Wald und wird am Ende des Märchens verbrannt oder auf andere Weise unschädlich gemacht.
Eine Hexe in der Sage sieht eher aus wie die Nachbarin des Sagen-Erzählers, hat einen vielschichtigen, undurchschaubaren Charakter, wohnt an einem genau bezeichneten Ort und kann den Schluss der Sage gut überleben. Denn  im Unterschied zum Märchen endet die Sage oft nicht mit einem Happy End.
Die Sage ist im Vergleich zum Märchen also weitaus realistischer. Obwohl der Sagenerzähler es durchaus für möglich hält, dass wir echten Hexen oder anderen magischen Phänomenen begegnen können, sind die dargestellten Personen, Orte und Handlungen in unsere Wirklichkeit angesiedelt.
Der Ausgangspunkt oder Anlass der Sage ist außerdem sehr oft eine reale Begebenheit oder eine beobachtete, merkwürdige Naturerscheinung.
Als Wahrheitsbericht hatte die Sage ursprünglich das Ziel, geheimnisvolle Phänomene oder Ereignisse anderen mitzuteilen, sie damit zu unterhalten, aber auch zu deuten und den Zuhörern zu raten, wie man sich in einer ähnlichen Situation verhalten solle. Sagen wirken deshalb auch auf das Verhalten des Einzelnen und der Gruppe zurück.
Trotz ihres wahren Kerns sind Sagen aber erfundene Geschichten. Und statt wirkliche Tatsachen zu berichten, spiegeln sie vor allem wieder, welcher (Aber)Glauben und welches soziale oder gesellschaftliche Verhalten in der jeweiligen Zeit gerade aktuell war.

Die berühmte Sage vom Rattenfänger von Hameln veranschaulicht diese Elemente sehr gut:
Zuerst einmal hat die Sage vom Rattenfänger einen wahren Kern. Denn vor langer Zeit verschwanden in der Nähe von Hameln tatsächlich mehrere hundert Kinder auf unerklärliche Weise. Bis heute weiß man nicht genau, wie und wohin die Kinder entführt wurden.
Aus diesem gruseligen Ereignis entstand dann die Sage vom Rattenfänger, der Hameln von der Rattenplage befreite und, als ihm die Hamelner Bürger den versprochenen Lohn nicht bezahlten, die Bürgerskinder mit einer wunderschön klingenden Flöte für immer aus der Stadt lockte.
Die Sage vom Rattenfänger deutete also, wohin die Kinder damals verschwunden waren. Und sie rät gleichzeitig, wie man sich in einem ähnlichen Fall besser verhält: Bezahle deinen Lohn, sonst kann dir etwas Schreckliches geschehen.
Außerdem kann man an der Sage den Glauben und das soziale Verhalten der damaligen Zeit ablesen. Zum Beispiel erfährt man, dass die Menschen religiös noch so gebunden waren, dass sie glaubten, dass Schuld gesühnt werden müsse. Man kann aus der Sage aber auch herauslesen, dass fahrende Spielleute damals von den Bürgern nicht besonders ernst genommen wurden und keine besonderen Rechte hatten.

Dem Sagenerzähler ist es sehr wichtig, dass man seinen Bericht für wahr hält. Doch da die Sage meistens über erstaunliche, merkwürdige oder märchenhafte Dinge berichtet, ist es ziemlich schwer, das Publikum von der Wirklichkeit der Geschichte zu überzeugen. Aus diesem Grund macht der Erzähler konkrete Angaben über die erzählten Ereignisse und gibt meistens genau an, wo und wann sie stattgefunden haben.
Da jeder Erzähler die Handlung nach seinen Vorstellungen und seinem Publikum ausschmückte und sie - falls möglich - den lokalen Begebenheiten anpasste, gibt es viele Sagen, die zwar die gleiche Geschichte erzählen, aber von unterschiedlichen Personen und Orten handeln. Sagen, die so von einem Ort zum anderen gelangten, nennt man übrigens Wandersagen.


Illustration: Jeanette Besmer

Erst nach dem Aufschreiben dieser Volkserzählungen blieben die Inhalte relativ fest. Das Sammeln und Erforschen der deutschen Sagen wurde Anfang des 19. Jahrhunderts entscheidend durch die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm angeregt, die neben den bekannten Kinder- und Hausmärchen auch die Deutsche Sagen sammelten und veröffentlichten. Während die Grimms die Sagen mehr für Erwachsene sammelten, veröffentlichte Ludwig Bechstein 1853 sein Deutsches Sagenbuch ausdrücklich für junge Leser.
Ungefähr zur selben Zeit wie die Grimms fingen Schriftsteller auch an, zahlreiche Sagenstoffe und Sagenfiguren aufzugreifen und damit Probleme ihrer Zeit literarisch zu gestalten. Bekannteste Beispiele dafür sind die Teufelssage Faust von Johann Wolfgang Goethe und die Heldensage Wilhelm Tell in der Bearbeitung von Friedrich Schiller.
In der Kinder- und Jugendliteratur ist heute vor allem die literarisch verarbeitete Sage um den Zauberschüler Krabat von Jurij Brezan und Otfried Preußler bekannt.

Auch in unserer Zeit entstehen noch Sagen. Darin wird beispielsweise über geisterhafte Tramper und Krokodile in Abwassersystemen berichtet. Diese Sagen oder auch Gerüchte werden heute dann mit Handys jederzeit weitererzählt, sogar mit einem Foto als Wahrheitsbeweis rund um den Erdball geschickt. Für die schnelle und massenhafte Verbreitung von sagenhaften Erscheinungen sorgt heute neben Zeitung, Radio und Fernsehen vor allem das Internet.

Verschiede Arten von Sagen

Sagen werden von Wissenschaftlern in verschiedene Gruppen und Stoffe eingeteilt. Da die Wissenschaftler unterschiedliche Maßstäbe der Einteilung haben, gibt es auch viele verschiedene Gruppenbezeichnungen für Sagen, die sich teils überschneiden, teils aber auch widersprechen.
Generell unterscheidet man in Götter- und Volkssagen.
Da die Göttersagen in grauer, unbestimmter Vorzeit vom Ursprung der Welt, von den Göttern und der Frühzeit der Menschheit erzählen, werden sie auch oft dem Bereich der Mythen, das sind Erzählungen über die Entstehung eines Volkes, zugeordnet. Aus den Göttersagen entstanden übrigens auch die Heldensagen wie Odysseus oder einige Jahrhunderte später das Nibelungenlied.
Wenn der Laie heute von Sagen spricht, meint er deshalb weniger die mythischen Göttersagen, sondern meistens die Volkssagen.
Die Volkssagen wurden von Wissenschaftler wiederum in unterschiedliche Gruppen eingteilt, die sich je nach Theorie voneinander unterscheiden.
Allen Theorien gemeinsam ist, dass man Sagen nach ihrem Inhalt oder Stoff, ihrer Funktion, ihrer Verbreitung und ihrer Form unterscheiden kann:


Illustration: Jeanette Besmer

1. Ihrem Inhalt oder Stoff nach (Figuren, Ereignisse, Orte) teilt man Sagen beispielsweise in Teufels-, Dämonen-, Helden-, Heiligen-, Schatz-, Natur- oder Bergbausagen ein.

2. Ihrer Funktion nach teilt man Sagen beispielsweise in Erklärungs-, Wissens-, Erlebnis- oder Warnsagen ein.
Die Erklärungssage berichtet beispielsweise über unerklärliche Erscheinungen wie eigenartige geformte Felsen, Bauwerke oder Skulpturen und versucht diese zu erklären. Auch Sagen, in denen auffallende Ortsnamen gedeutet werden, gehören zu den Erklärungssagen.
Die Wissenssage soll dagegen geschichtliches Wissen vermitteln. Zu ihr gehören Erzählungen über außerordentlichen Ereignissen wie Kriege, Notzeiten oder Seuchen. Außerdem wird über besondere Menschen wie Könige, Ritter, Heilige, aber auch Mörder und edle Räuber berichtet. Die meisten Sagen weichen dabei allerdings weit von den tatsächlichen Begebenheiten ab.
Die Erlebnissage berichtet von einem verstörenden Erlebnis oder Geschehen und will den Leser erschüttern, unterhalten oder auch warnen.
Die Warnsage erklärt sich schon durch ihren Namen: Sie warnt andere Menschen vor ähnlichen Situationen und gibt auch öfters an, wie man sich besser verhalten soll.

3. Ihrer Verbreitung nach kann man Sagen in Wander- oder Lokalsagen einteilen.
Wandersagen werden von Ort zu Ort weiter getragen und kommen deshalb in verschiedenen Gegenden vor, passen sich aber den lokalen Gegenden an.
Lokalsagen kommen nur an einem Ort vor. Sie lassen sich wegen ihrer Besonderheit (zum Beispiel ein auffallend geformter Fels oder eigenartiger Ortsname) nicht auf andere Orte übertragen oder sind so wenig spektakulär, dass sie nicht in anderen Gegenden  weiter getragen wurden.

4. Ihrer Form nach kann man Sagen in Schwank-, Zeitungs- oder Spottsagen einteilen.

Weil dieses Einteilungsschema ein ziemlich großes Raster hat, passt hier eine Sage meistens in mehrere Gruppen. Die oben genannte Sage vom Rattenfänger von Hameln ist beispielsweise gleichzeitig Erlebnis-, Dämon-, Warn- und Lokalsage.

http://www.kinder.niedersachsen.de/index.php?id=143
http://www.deutschonline.de/Deutsch/Sagen/Inhalt.htm
http://www.labbe.de/lesekorb/index.asp?titelid=677&j=1
http://www.geschichte-schweiz.ch/schweizer-nationalheld-wilhelm-tell.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Faust

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