Märchen
Das Wort Märchen stammt von dem alten Wort Märe (mære) ab. Das ist mittelhochdeutsch und bedeutet Nachricht, Kunde, Erzählung oder Gerücht. Weil das Märchen ein „Märlein“ ist, also eine kleine Märe, ist es auch eine kleine Erzählung. Im Unterschied zu den kleinen Erzählungen Legende und Sage, die vorgeben, dass das Erzählte wirklich geschehen ist, versetzt das Märchen seine Handlung an einen unbestimmten Ort in eine unbestimmte Zeit: „Es war einmal in einem Königreich …“ |
Herkunft des Märchens
Das Märchen ist eine der ältesten literarischen Formen. Früher wurden Märchen von den Menschen nur mündlich weitergegen, bevor sie aufgeschrieben wurden. Ursprünglich waren sie auch gar nicht für Kinder bestimmt. Sie dienten eigentlich der Unterhaltung von Erwachsenen. Darum geschehen in ihnen manchmal ziemlich grausame Dinge.
Der Franzose Charles Perrault, der im 17. Jahrhundert lebte, war in Europa einer der ersten, der Märchen gezielt sammelte und aufschrieb. Seine Märchen wie Blaubart, Rotkäppchen oder Aschenputtel finden sich ungefähr 150 Jahre später in etwas anderen Versionen in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm wieder. Jacob und Wilhelm Grimm sind die bekanntesten deutschen Märchensammler. Die Brüder Grimm beschlossen Anfang des 19. Jahrhunderts, alle Märchen, die man damals kannte, aufzuschreiben. Viele Freunde und Dichter halfen ihnen, diese riesige Anzahl von Märchen zu sammeln. Die Grimms haben die Märchen in einem einheitlichen Stil und in einer einfachen Sprache aufgeschrieben, damit sie jeder verstehen konnte. Daraus wurden dann ihre Kinder- und Hausmärchen.
Die Brüder Grimm waren also selbst gar nicht die Autoren dieser Märchen, sondern die Herausgeber. Wer die Märchen wirklich erfunden oder als erstes erzählt hatte, konnte man damals nicht mehr herausbekommen. Denn selbst wenn man von einzelnen Märchen wusste, dass sie zum Beispiel von Charles Perrault aufgeschrieben wurden, wusste man immer noch nicht, wer alles Perrault seine Märchen erzählt hatte. Bis heute ist unklar, woher viele der Märchen kommen. Und deshalb weiß man auch nicht, wie alt sie wirklich sind. Man weiß nur, dass sie vor langer, langer Zeit im Volk entstanden sind und von ihm die längste Zeit mündlich überliefert wurden. Aus dem Grund werden sie auch Volksmärchen genannt.
Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm sind also auch Volksmärchen und gelten in Deutschland als traditioneller Märchentyp. Die wahrscheinlich bekanntesten Volksmärchen der Brüder Grimm sind Rotkäppchen, Dornröschen, Hänsel und Gretel, Aschenputtel und Schneewittchen.
Die Brüder Grimm lebten in der Epoche der Romantik. Da nicht nur die Grimms Märchen liebten, sondern in dieser Zeit viele Dichter anfingen, selbst Märchen zu schreiben, war die Romantik eine Blütezeit der Märchen.
Märchen, die von den Autoren selbst geschrieben werden, werden im Unterschied zum Volksmärchen Kunstmärchen genannt. Kunstmärchen sind meistens umfangreicher und nicht so leicht verständlich wie ihr Vorbild, die Volksmärchen. Teilweise greifen sie deren Charakter auf, teilweise sind Inhalt und Sprache sehr künstlich und voller verschlüsselter Motive, teilweise sind sie auch sozialkritisch. Außerdem sind ihre Protagonisten in der Regel keine namenlosen Märchenhelden, sondern Menschen mit einem vielschichtigen Charakter.
Die meisten romantischen Kunstmärchen wie Gockel, Hinkel und Gackeleia von Clemens Brentano, Der goldene Topf von E. T. A. Hoffman oder Zwerg Nase von Wilhelm Hauff richten sich nicht in erster Linie an Kinder, sondern an Erwachsene.
Illustration: Halina Kirschner
Obwohl die Romantik die Blütezeit des Volks- und Kunstmärchens war, wurden auch später immer wieder Kunstmärchen geschrieben. Zum Beispiel Die Regentrude von Theodor Storm. Das Märchen der 672. Nacht von Hugo von Hofmannsthal oder Märchen von der Technik von Alfred Döblin sind Beispiele des modernen Märchens aus dem 20. Jahrhundert.
In der Nachkriegszeit wurden auch einige Kunstmärchen für Kinder berühmt. Zum Beispiel Astrid Lindgrens Mio mein Mio oder Im Wald sind keine Räuber, Otfried Preußlers Krabat oder Das Märchen vom Einhorn und Michael Endes Märchen-Roman Momo. Die Grenze zur phantastischen Erzählung ist bei diesen Büchern meistens fließend.
Märchen gibt es in jedem Kulturkreis der Welt. Zum Beispiel die russischen Zaubermärchen, die norwegischen Volksmärchen oder die orientalischen Märchen aus 1001 Nacht. Der bekannteste internationale Märchendichter ist der Däne Hans Christian Andersen. Märchen wie Die Prinzessin auf der Erbse, Des Kaisers neue Kleider, Die Schneekönigin oder Die kleine Seejungfrau hat er im Unterschied zu den romantischen Kunstmärchendichtern vor allem für Kinder geschrieben. Obwohl es Kunstmärchen sind, ähneln sie teilweise durch ihre Themen und ihren Aufbau den Volksmärchen.
Struktur und Figuren des Märchens
Das Besondere am Märchen ist, dass ständig Wunderbares und Zauberhaftes passiert, als wäre es das Normalste der Welt. Im Märchen herrschen also ganz andere Gesetze als wir sie aus unserer Realität kennen: Tiere und Pflanzen können sprechen; Wünsche gehen in Erfüllung; Tote werden wiedererweckt; die Helden können fliegen, Berge versetzen, die Sonne, den Mond und die Sterne besuchen; es wird gezaubert und verwunschen.
Zum Stammpersonal der Märchen gehören Könige, Königstöchter oder Königssöhne, Hexen, Zauberer, Teufel, Zwerge, Riesen, Tiere oder auch ganz einfache Menschen. Sie sind entweder gut oder böse, schön oder hässlich, arm oder reich, fleißig oder faul. Und weil es im Märchen immer gerecht zugeht, wird am Ende der belohnt, der gut ist und wer schlecht ist, bekommt eine ordentliche Strafe.
Viele Märchen beginnen mit einer Eingangsformel und enden mit einer Schlussformel, die jeder kennt: „Es war einmal …“ und „Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“.
Im Mittelpunkt der Handlung stehen immer eine Heldin, ein Held oder mehrere Helden. Die Handlung findet meistens in drei Teilen statt. Im ersten Teil herrscht bei den meisten Märchen ein Mangel, der die Helden im zweiten Teil, dem Mittelteil, in Abenteuer verwickelt, um dann im dritten und letzten Teil mit einem Happy End schließen zu können.
Oft ziehen deshalb am Anfang die Helden in die Welt oder werden aus ihrer Heimat vertrieben. Sie gehen auf die Reise, kämpfen gegen das Böse und müssen Aufgaben oder Rätsel oft dreimal lösen, bevor sie sie bestanden haben, so zum Beispiel in Der Teufel mit den drei goldenen Haaren oder in Rumpelstilzchen. Manchmal muss ein Ereignis dreimal stattfinden, bis das Gute endlich über das Böse siegt wie in Schneewittchen oder in Aschenputtel. Und wenn die Helden Glück haben, bekommen sie drei Wünsche frei, die sie (nicht immer) klug einsetzen. Am Ende kehren sie meistens nach Hause zurück, wo sie endlich glücklich leben können oder wo auf sie eine dicke Belohnung wartet: der Held darf die Prinzessinn heiraten und bekommt dazu auch gleich noch ein ganzes Königreich – und natürlich Gold und Edelsteine in Massen.
Links
http://www.rossipotti.de/ausgabe06/titelbild.html
http://www.maerchen.org/
http://www.märchenkristall.de/maerchen.htm
http://www.labbe.de/zzzebra/index.asp?themaid=591
http://www.weihnachts-geschichten.com/weihnachtsgeschichten-fuer-kinder
Quellenangabe
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Kriegel, Kirsti: Märchen. In: Rossipotti-Literaturlexikon; hrsg. von Annette Kautt; https://www.literaturlexikon.de/genres/maerchen.html; Stand: 14.02.2018.