Peter Bichsel

* 1935 Luzern


Leben

Peter Bichsel wurde am 24.03.1935 in Luzern in der Schweiz geboren. 1941 zog seine Familie nach Olten, weil sein Vater dort Arbeit in der Eisenbahnwerkstätte gefunden hat. Bichsels Eltern waren einfache Handwerksleute. Bücher hatten in ihrem Leben keinen Platz. Dennoch entwickelte Bichsel schon früh ein Talent zum Schreiben, das von seinem Klassenlehrer entdeckt wurde.
Bichsel machte eine Ausbildung zum Grundschullehrer und arbeitete in dem Beruf, bis er 33 Jahre alt war. Nebenbei schrieb er und konnte auch immer wieder kleinere Texte, vor allem Gedichte in Zeitschriften veröffentlichen. Seit 1968 arbeitete er dann ausschließlich als freiberuflicher Schriftsteller.
1956 hat Peter Bichsel die Theaterschauspielerin Therese Spörri geheiratet. Gemeinsam bekamen sie zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Therese ist 2005 gestorben. Mittlerweile hat Bichsel drei Enkelkinder.

Nachdem Bichsel bereits 1960 ein Werk auf eigene Kosten veröffentlicht hatte, wurde er
1964 mit der Veröffentlichung seines zweiten Werks Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen schlagartig bekannt. In der Folge wurde er von Schriftstellern der Gruppe 47 eingeladen. Die Gruppe 47 gab es zwischen 1947-1967. Sie war ein loser Verbund von Schriftstellern, die sich immer wieder trafen, um über Politik und Gesellschaft und die Rolle der Literatur  zu diskutieren. Die Gruppe 47 hatte damals großen Einfluss auf den deutschen Literaturbetrieb und diente für viele Schriftsteller als Karrieresprungbrett. 1965 bekam Bichsel für seine Lesung aus dem Roman Die Jahreszeiten den begehrten Preis der Gruppe 47.
Nach der Veröffentlichung seiner Geschichtensammlung Kindergeschichten 1969 publizierte Bichsel 15 Jahre lang keinen literarischen Text, bis 1985 der Geschichtenband Der Busant erschien. Darum bezeichnet Bichsel sich selber auch als „Wenigschreiber“.

Neben den literarischen Arbeit war und ist Bichsel auch politisch aktiv. 1957 trat er in die Sozialdemokratische Partei der Schweiz ein und von 1974 bis 1981 war er Berater seines Freundes und Schweizer Bundesrates Willy Ritschard. So wundert es nicht, dass Bichsel neben literarischen Texten auch Kolumnen und Essays schreibt, die sich nicht selten mit politischen und gesellschaftskritischen Themen befassen.

Werk und Bedeutung

Peter Bichsel ist ein Meister der Kurz- und Kürzestgeschichten. Darum wird er von den Literaturkritikern „Meister der kleinen Form“ genannt. Die meisten seiner Texte sind höchstens ein paar Seiten lang. Einen großen und wichtigen Teil seines Werkes bilden aber auch die Kolumnen, die er zunächst in der Weltwoche und später in der Schweizer Illustrierten veröffentlicht. Für Letztere schreibt Bichsel bis heute.
Bichsel stellt viele Fragen und gibt wenig Antworten. Denn ihm sind nicht die Antworten auf eine Frage, sondern die Frage selbst wichtig. So hinterfragt Bichsel oft auch ganz alltägliche Dinge und regt seine Leser damit zum Nachdenken an. So zum Beispiel die Frage, ob es Amerika denn nun wirklich gibt oder ob es sich dabei um eine Illusion handelt? Dabei ist nicht die Antwort – ein einfaches „Ja“ - das Entscheidende an den Texten Bichsels, sondern die Möglichkeit, dass es auch anders sein könnte. Die Frage  also, was wäre, wenn es Amerika gar nicht geben würde?

Bichsels Sprache ist geprägt durch kurze Sätze und einfache Worte. Jeder kann sie verstehen. Aber dennoch entwickeln die Texte so eine ganz eigene Poesie. Bichsels Geschichten sind Momentaufnahmen. Sie erzählen keine Vorgeschichte und keinen Schluss. Sie geben einen kurzen Einblick in die Welt der Figuren und beschauen die Farblosigkeit ihres Alltags. Damit verweisen sie auch darauf, wie wenig wir Menschen übereinander wissen, dass wir nur Episoden aus dem Leben eines Anderen erfahren, uns aber selten fragen, was davor war und was danach kommt.

Inhaltlich widmet sich Bichsel den kleinen Dingen des alltäglichen Lebens. Wie zum Beispiel in der Geschichte Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen. Darin geht es darum, dass der Milchmann zwar jeden Tag die Milch und etwas Butter für Frau Blum bringt, sich die beiden aber nicht kennen, weil er schon morgens um vier Uhr kommt und eigentlich keiner im Viertel den Milchmann kennt. Der Milchmann kommt und stellt die Milch ab, Frau Blum legt das Geld für den Milchmann hin, wenn es ein Problem mit der Abrechnung gibt, schreiben sie sich eine kurze Nachricht. Begegnet sind sie sich nie. Der Milchmann weiß über Frau Blum, dass sie immer zahlt und einen verbeulten Milchtopf hat, Frau Blum weiß über den Milchmann nichts, aber sie ahnt, dass er einen harten Beruf hat. Eigentlich möchte sie den Milchmann gern kennenlernen. Ob das jemals geschehen wird, bleibt offen.

Peter Bichsel schreibt meistens für Erwachsene. Er hat bisher nur einen Geschichtenband für Kinder geschrieben. Die erste Kindergeschichte daraus war Ein Tisch ist ein Tisch und erschien 1969 in dem Sammelband Dichter erzählen Kindern im Verlag Middelhauve. Im gleichen Jahr erschien der Bichsels Band Kindergeschichten. Die Sammlung von kurzen Geschichten fand viel Beachtung und erhielt 1970 eine Prämie des Deutschen Jugendbuchpreises.
In der Kindergeschichte Ein Tisch ist ein Tisch geht es um einen alten Mann, dessen Leben grau und eintönig ist. Eines Tages – an einem besonders schönen Tag – spürt er, dass sich alles ändern wird und muss. Doch als der Alte nach Hause kommt, hat sich nichts geändert. Also ändert er selbst etwas und beginnt, den Dingen um ihn herum neue Namen zu geben. Der Tisch heißt dann nicht mehr Tisch, sondern Teppich. Der Teppich heißt Schrank, und der Schrank heißt Zeitung, und die Zeitung heißt ... So macht der alte Mann es mit allen Dingen um ihn herum. Am Anfang macht es ihm großen Spaß und er lacht so sehr, dass sich die Nachbarn beschweren. Doch bald merkt er, dass er die Leute nicht mehr versteht. Das ist nicht so schlimm, auch darüber lacht er. Aber bald verstehen die Leute auch ihn nicht mehr, und keiner spricht mehr mit ihm. Das ist dann nicht mehr so lustig. „Eine lustige Geschichte ist das nicht. Sie hat traurig angefangen und hört traurig auf.“ So ist das bei den Geschichten von Peter Bichsel.

Bichsels Kindergeschichten sind in zweierlei Hinsicht einmalig – zum einen, weil sie sein einziges Buch für Erwachsene ist, das auch als Kinderbuch erschienen ist, und zum anderen, weil sie einen ganz besonderen, für Kinderbücher ungewöhnlichen, literarischen Stil haben. Sie sind nicht fröhlich und bunt, sondern oft melancholisch und grau. Sie zeigen auf ganz normale Menschen, die einsam sind oder müde und darum ein wenig kauzig. Sie zeigen aber auch auf Menschen, die den Mut haben, sich anders zu verhalten als andere, die sich auf den Weg machen, auch wenn sie nicht ankommen werden, die den Mut haben, wenigstens gedanklich auszubrechen.
Die Geschichten werfen Fragen auf, die in unserem Alltag oft von Kindern gestellt werden, aber selten von Erwachsenen. So wollen Bichsels Figuren beispielsweise wissen, ob die Erde wirklich rund ist und machen sich auch sogleich auf den Weg, es herauszufinden. Oder sie wollen nichts mehr wissen, alles umbenennen oder alles zählen. Sie machen sich dann auf den Weg und kommen doch nur selten an. Ein Ergebnis bekommen sie nicht, aber wenigstens haben sie gefragt.

Bichsels Texte haben einen tiefen symbolischen Gehalt. Dieser lässt sich auch in der Form der Texte finden. Zum einen spiegeln die kurzen, schnörkellosen und fragmentarischen oder bruchstückhaften Sätze das von der Gesellschaft abgesonderte Leben der Figuren wieder. Die sachlichen Texte, die nichts erklären, sondern nur darstellen, unterstreichen dabei die Figuren, die ohne lange zu überlegen, handeln.
Zum anderen steht die einfache, klare Sprache aber auch im Kontrast zu ihrem komplizierten Inhalt. Denn in Wirklichkeit machen die Figuren ja keine einfachen, nachvollziehbaren, sondern völlig unwahrscheinliche, aberwitzige Dinge, durch die sie sich eine eigene, zum Teil sehr komplizierte Welt erschaffen.
Durch diesen Kontrast zwischen Form und Inhalt wird die Spannung zwischen allgemeiner, scheinbar relativ einfach geregelter Gesellschaft und eigenem, schwierigem, abgesondertem Leben besonders deutlich gemacht. Bichsels Texte verweisen damit insgesamt auf die Einsamkeit und Leere des Einzelnen in unserer Gesellschaft, auf seine Sprachlosigkeit und auf die Schwierigkeit für den einzelnen, aus dieser Situation auszubrechen. Doch sie regen auch dazu an, nicht alles einfach hinzunehmen, sondern sich Fragen zu stellen und machen Mut, die Antwort zu suchen, auch wenn einem schon die Frage fragwürdig erscheint.

Preise/Auszeichnungen

1964 Einzelwerkpreis der Schweizerischen Schillerstiftung
1965 Preis der Gruppe 47
1965 Lessing-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg
1966 Förderungspreis der Stadt Olten
1970 Deutscher Jugendbuchpreis für die Kindergeschichten
1978 Kunstpreis des Kantons Solothurn
1978 Literaturpreis des Kantons Bern
1981/82 Stadtschreiber von Bergen
1986 Johann-Peter-Hebel-Preis des Landes Baden-Württemberg
1987 Gesamtwerkspreis der Schweizerischen Schillerstiftung
1996 Mainzer Stadtschreiber
1999 Gottfried-Keller-Preis
1999 Einzelwerkpreis der Schweizerischen Schillerstiftung
2000 Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor
2004 Ehrendoktor der Universität Basel
2011 Solothurner Literaturpreis

Titelauswahl

Versuche über Gino / Bichsel, Peter (Text) - Privatdruck 1960. Buchvorstellungen: ()
Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen / Bichsel, Peter (Text) - Walter 1964. Buchvorstellungen: ()
Die Jahreszeiten / Bichsel, Peter (Text) - Luchterhand 1967. Buchvorstellungen: ()
Kindergeschichten / Bichsel, Peter (Text) - Luchterhand 1969. Buchvorstellungen: (1)
Der Leser. Das Erzählen. - Frankfurter Poetik-Vorlesungen / Bichsel, Peter (Text) - Luchterhand 1982. Buchvorstellungen: ()
Der Busant - Von Trinkern, Polizisten und der schönen Magelone / Bichsel, Peter (Text) - Luchterhand 1985. Buchvorstellungen: ()
Irgendwo anderswo - Kolumnen 1980-1985 / Bichsel, Peter (Text) - Luchterhand 1986. Buchvorstellungen: ()
Ein Tisch ist ein Tisch / Bichsel, Peter (Text) - Suhrkamp 1995. Buchvorstellungen: ()
Cherubin Hammer und Cherubin Hammer / Bichsel, Peter (Text) - Suhrkamp 1999. Buchvorstellungen: ()
Kolumnen, Kolumnen / Bichsel, Peter (Text) - Suhrkamp 2005. Buchvorstellungen: ()

http://www.drs.ch/www/de/drs/themen/wissen/kultur-religion/172586.hoerpu...