Johanna Spyri
* 1827 in Hirzel / Kanton Zürich
† 1901 in Zürich
Leben
Johanna Spyri
Johanna Louise war die Tochter des Arztes Johann Jacob Heusser und der christlichen Dichterin Meta Heusser, geborene Schweizer. Sie wuchs in der kleinen Landgemeinde Hirzel oberhalb des Zürichsees auf. Sie hatte noch fünf - manche Biographien sagen sechs - Geschwister. Die Kindheit von Johanna Louise war geprägt durch das dörfliche Leben und den pietistischen, tief frommen Glauben der Mutter. Eine starke Religiosität bestimmte das ganze weitere Leben von Johanna. Sie nahm auch einen sehr wichtigen Platz im Werk der späteren Schriftstellerin ein.
Das Mädchen besuchte vormittags die Schule ihres Heimatortes und bekam am Nachmittag zusätzlichen Unterricht beim Dorfpfarrer. Er förderte sie gemeinsam mit seinen Töchtern besonders in den Fächern Deutsch, Geschichte, Geografie und Zeichnen. Mit 12 oder 13 wurde Johanna für einige Jahre nach Zürich zu einer Tante gegeben. Dort lernte sie Klavierspielen und mehrere Fremdsprachen, was in der mehrsprachigen Schweiz wichtig ist.
Während des Aufenthaltes in Zürich las Johanna sehr viel. Vor allem liebte sie die Werke von Annette von Droste-Hülshoff, einer norddeutschen Dichterin, von Gotthold Ephraim Lessing und an erster Stelle von Johann Wolfgang von Goethe.
Mit sechzehn besuchte Johanna für zwei Jahre ein Internat in Yverdon, einer Stadt in der französischen Schweiz. Hier sollte sie vor allem ihre französischen Sprachkenntnisse vervollkommnen.
Vom 18. bis zum 25. Lebensjahr war sie wieder zu Hause, unterrichtete ihre jüngeren Geschwister und half der Mutter im Haushalt. In jeder freien Minute aber las sie. Das Gelesene regte sie immer wieder an. So erinnert der Titel des ersten Heidi-Buchs Heidis Lehr- und Wanderjahre an ein Werk von Goethe mit dem Titel Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre, in dem die Entwicklung und Bildung Wilhelm Meisters zum selbstbewussten, der Gesellschaft dienenden Mann beschrieben wird.
1852 heiratete sie den Juristen und Redakteur Bernhard Spyri und zog mit ihm nach Zürich. Dort wurde ihr Mann 1868 Stadtschreiber. Die beiden hatten einen Sohn, Bernhard. Er starb 1884 mit 28 Jahren an Schwindsucht. Die Schwindsucht ist eine sehr gefährliche Erkrankung der Lunge. Man nennt sie auch Tuberkulose.
Johanna Spyri betrachtete die Hausarbeit als Zwang für eine Frau und als ein notwendiges Übel. Trotzdem hielt sie persönlich nicht viel vom Frauenstudium. Doch - 1901 an Krebs erkrankt - ließ sie sich von Marie Heim-Vögtlin, der ersten Schweizer Ärztin, behandeln.
Zum Schreiben von Kinderbüchern kam Johanna Spyri erst ziemlich spät. Der befreundete Bremer Pastor Cornelius Rudolf Vietor regte sie dazu an. Sie war damals bereits über 40 Jahre alt. 1871 – da war sie 44 - erschien ihre erste Erzählung für Erwachsene Ein Blatt auf Vronys Grab und wurde ein großer Erfolg.
In den dreißig Jahren von 1871 bis zu ihrem Tod am 7. Juli 1901 veröffentlichte Johanna Spyri 31 Romanbücher, 27 Erzählbände und 4 Broschüren mit insgesamt 48 Erzählungen.
Ihre Biografie sowie Handschriften, Briefe und andere literarische Dokumente ihres Lebens werden im Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien in Zürich aufbewahrt.
Die Gemeinde Hirzel richtete 1981 in dem Alten Schulhaus aus dem Jahre 1660 für ihre große Mitbürgerin ein Johanna-Spyri-Museum ein.
Werk und Bedeutung
Johanna Spyri ist mit Abstand die in aller Welt bekannteste schweizer Kinder- und Jugendbuchautorin. Ihre erste Erzählung erschien 1871 und ihre letzte Geschichte 1895. Johanna Spyris tiefe Liebe zur Schweizer Bergwelt und ihren Bewohnern sowie ihr großes Verständnis für die Gedanken- und Gefühlswelt von Kindern machen ihr Werk bis in die Gegenwart hinein interessant und lesenswert.
Johanna Spyri war eine sehr gläubige Frau. Für sie war der Glaube an Gott die wichtigste Basis ihres Lebens. Sie meinte, dass dieser Schöpfer nicht nur die Natur mit Tieren und Pflanzen bestimmen würde, sondern auch das Handeln der Menschen. Ihre Haltung war wesentlich durch den Pietismus bestimmt. Der Pietismus ist eine Glaubensrichtung aus dem 17./18. Jahrhundert, die sich gegen den Vernunftglauben der Aufklärung richtete und dagegen Herzensfrömmigkeit und die tätige Nächstenliebe setzte. Diese Haltung wollte sie an ihre Leser weitergeben. So stellte sie ihre Hauptfiguren als „Werkzeuge Gottes“ dar. Gott bestimmte ihrer Meinung nach alles, was sich auf der Erde abspielte, die Naturereignisse genauso wie das Handeln jedes einzelnen Menschen.
Durch diese Darstellung haben ihre Romane und Erzählungen etwas Unwirkliches. Diese Tatsache wurde schon zu Lebzeiten der Dichterin kritisiert. Es gab Pädagogen wie den Volksschullehrer Heinrich Wolgast, die der Kinderliteratur eine sehr wichtige Bedeutung bei der Bildung und Erziehung zuerkannten. Die Darstellung der Arbeitswelt in den Büchern sollte den Kindern helfen, die Welt zu verstehen. Er und andere bezeichneten das Werk von Johanna Spyri als „Abkehr von der Wirklichkeit“. Sie reihten aus diesem Grunde die Kinderbücher von Johanna Spyri nur bedingt in die empfehlenswerte Kinderliteratur der damaligen Gegenwart ein.
Alle Bücher und Texte von Johanna Spyri spielen in der Bergwelt der Alpen. Hinter dem schönen Bild der Berge werfen sie trotzdem einen kritischen Blick auf das Land und auf die Lebensbedingungen der Menschen im 19. Jahrhundert. Auch in der Schweiz begann man in dieser Zeit verstärkt, eine Industrie mit einer Massenproduktion aufzubauen. Damit veränderte sich das tägliche Leben der Menschen teilweise sehr stark.
Das Schicksal der Kinder und der jungen Frauen lag Johanna Spyri ganz besonders am Herzen. Darum beschreibt sie deren Leben in ihren Geschichten sehr genau und mit besonderem Feingefühl. Ihre Texte sind deshalb auch von geschichtlichem Interesse.
Vieles, was sie in ihren Büchern erzählt, hat sie entweder selbst erlebt oder in ihrer näheren Umgebung beobachtet.
Ihr erstes Kinderbuch Heimathlos enthielt die Erzählungen Am Silser- und am Gardasee und Wie Wiseli’s Weg gefunden wird und erschien 1878 in Gotha. Als Autorin war nicht Johanna Spyri angegeben, sondern auf dem Titel stand: Von der Verfasserin von Ein Blatt auf Vrony’s Grab. Wie heute warben die Herausgeber eines Buchs auch schon damals mit vorherigen Erfolgen einer Autorin oder Autors.
Bereits auf dem Umschlag von Heimathlos gibt es die Anmerkung „Eine Geschichte für Kinder und auch für Solche, welche die Kinder lieb haben“. Später ist diese Angabe auf fast allen Ausgaben von Spyris Werken zu finden. Das zeigt, wie wichtig der Schriftstellerin die Kinder waren, aber auch die Menschen, die sich um die Kinder kümmerten.
In den ersten Erzählungen von Johanna Spyri wie z. B. Aus nah und fern sind schon zahlreiche Elemente zu finden, die sie später immer wieder anders verarbeitet:
Sehr oft sind es Geschichten von Waisen, die auf dem Land leben. Gottesfürchtigkeit spielt bei allen eine große Rolle. Diese drückt sich beispielsweise in der Liebe zur Bergwelt aus. Die „guten Helden“, fast ausschließlich Kinder, vollbringen ihre Taten aus ihrem Inneren heraus und als „Werkzeug Gottes“. Wer Unrecht begeht, erfährt die Strafe Gottes.
In ihrem Bestseller und Longseller Heidis Lehr- und Wanderjahre tritt Johanna Spyri gegen die moderne Entwicklung der Gesellschaft auf. Sie stellt den Gegensatz zwischen dem Leben in der Stadt und dem auf dem Dorf dar. Hier die krank machende Stadt, dort die gesund machende freie Natur.
Dabei führt Heidi in Frankfurt ein gutes Leben. Sie lernt sogar das Lesen. Trotzdem leidet sie immer stärker unter einer großen Traurigkeit. Sie sehnt sich nach den Bergen und ihrem Alpöhi (in der deutschen Ausgabe Alm-Öhi genannt). Erst als sie in ihrer alt gewohnten, aber rauen und doch schönen Umgebung ist, kann sie wieder lachen. Auch die kranke Klara erfährt in den Bergen ein märchenhaftes Wunder. Sie kann ihrem Vater auf den eigenen Beinen entgegen laufen.
Doch Johanna Spyri vergisst dabei auch nicht das Elend der unteren Bevölkerungsschichten im 19. Jahrhundert: Da sind Tante Dete, die als Dienstmädchen viel und schwer arbeiten muss, und ihre Nichte, das Waisenkind Heidi, das mit etwa vier-fünf Jahren zu dem unbekannten Großvater in die Berge gebracht wird. Als sie sich eingelebt, das versteinerte Herz des alten Mannes erwärmt und im Geißenpeter einen Freund gefunden hat, wird sie aus dieser Welt herausgerissen. Sie muss in eine fremde große Stadt, nämlich nach Frankfurt am Main, in eine unbekannte Familie. Dort muss das kleine Mädchen die Rolle als Gefährtin der gelähmten Klara übernehmen. Und dazu kommt dann auch noch, dass Heidi es auch noch mit einer fremden Sprache zu tun bekommt. Denn zwischen Schweizerdeutsch und unserer Umgangssprache gibt es zwar viel Gemeinsames, aber auch sehr viel Unterschiedliches.
Spryri schrieb Heidi übrigens als 52jährige im Herbst 1879 in wenigen Wochen nieder. Der erste Teil erschien 1880. Ein Jahr darauf folgte der zweite Band Heidi kann brauchen, was es gelernt hat.
In nur wenigen Jahren nach der ersten Veröffentlichung von 1880/81 wurden die Heidi-Bücher zu einem Welterfolg. Bis heute sind sie in über 50 Sprachen übersetzt und mehrmals verfilmt worden. Nachdem die Urheberrechte abgelaufen waren, wurde die Heidi-Geschichte von vielen anderen benutzt. Sie wurde teilweise so umgestaltet, dass die Heidi von Johanna Spyri kaum noch zu erkennen ist. Trotz allem lebt die Heidi aus den Schweizer Alpen weiter. Noch heute kommen jährlich immer wieder Neuerscheinungen auf den Büchermarkt.
Von Literaturwissenschaftlern wird Heidi dagegen oft kritisch betrachtet. Sie sehen in der Geschichte einen „Anti-Entwicklungsroman“. Denn ganz im Gegensatz zu Spyris Vorbild Wilhelm Meister lernt Heidi nicht, dass es in der Fremde viel Neues zu entdecken und erlernen gibt, sondern dass es zu Hause am Schönsten ist.
Auch in den anderen Geschichten von Johanna Spyri findet in der Regel keine Weiterentwicklung der Hauptfigur statt. Der Leser kann keine deutliche Veränderung der Protagonistin erkennen. So ist es nicht Heidi, die erzogen werden muss. Nein, sie ist ein Beispiel für andere. Sie ist sozusagen deren Lehrmeisterin. Sie verhilft ihnen zu einem besseren, gesünderen, erfüllten Leben.
Ähnliche Figuren und Handlungselemente wie in den ersten Erzählungen und den Heidi-Büchern tauchen auch beim Rosenresli auf. Das ist die gleichnamige Erzählung im siebenten Band der Geschichten für Kinder. Ähnliches lässt sich auch bei den Gritli-Bänden oder auch bei der Dori-Geschichte feststellen. Auch hier spielen Krankheiten, Tod und Sterben von Kindern und Erwachsenen eine Rolle. Das gehörte vor 100 und 200 Jahren zum Alltagsleben aller Menschen.
Während ihrer letzten Lebensjahre reiste Johanna Spyri viel und schrieb weiter an ihren Geschichten für Kinder. Alle finden einen großen Leserkreis. Aber ihre weitaus beliebteste Kinderbuchfigur ist bis heute Heidi geblieben.
Titelauswahl
Links
http://gutenberg.spiegel.de/autor/562
http://www.labbe.de/lesekorb/index.asp?themaid=119&titelid=1441
http://www.tivi.de/fernsehen/heidi/start/index.html
Quellenangabe
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Hörath, Helma: Johanna Spyri. In: Rossipotti-Literaturlexikon; hrsg. von Annette Kautt; https://www.literaturlexikon.de/autoren/spyri_johanna.html; Stand: 13.06.2012.
- Autoren
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