Sturm und Drang


Merkmale des Sturm und Drang

Die Bezeichnung Sturm und Drang spricht schon für sich. „Sturm“ und „Drang“ klingt nach Wildheit, Angriff, Leidenschaft und Gefühlsausbruch. Und grob gesprochen verbindet man auch genau das mit der Dichtung dieser Epoche.
Das Gefühl des Stürmen und Drängens haben zu allen Zeiten eigentlich vor allem junge Menschen. Und so wundert es nicht, dass es junge Dichter zwischen 20 und 30 Jahren waren, die diese literarische Epoche prägten.
Ziel ihres Stürmen und Drängens war dabei wie in der vor ihnen liegenden Epoche der Aufklärung der einzelne, freie Mensch in einer bürgerlichen und eben nicht in einer in über- und untergeordnete Stände gegliederten Gesellschaft. Doch die Mittel, die die jungen Dichter verwenden wollten, um diese Ziele zu erreichen, gingen weiter als die der Aufklärung. Denn während die Dichter der Aufklärung als geeignetes Mittel zur Veränderung vor allem die Vernunft und den Verstand ansahen, sollte nach Meinung der Stürmer und Dränger der ganze natürliche Mensch aus Fleisch und Blut, mit Vernunft und Emotionen, Leidenschaften, Trieben und Gefühlen diese Ziele erreichen. Denn nur so wurden die Menschen ihrer Meinung nach zu Höchstleistungen und Selbstverwirklichung angespornt, und nur so konnte der Dichter zum schöpferischen Genie werden.

 
Illustration: Daniel Chodowiecki: Natürliche und affektierte Handlungen des Lebens.
Blatt 1: Natur, Blatt 2: Afectation. (1779)

Der ideale Dichter des Sturm und Drang war ein "Original-Genie", weshalb die Epoche oft auch "Geniezeit" genannt wird. Ein Original-Genie war ihrer Meinung nach jemand, der sich beim Verfassen von Dichtung nicht an Regeln und Ideen aus der Tradition hält, sondern seine sinnlichen Erfahrungen der Natur und seine eigenen Gefühle als Inspiration für seine Dichtung nutzt. Die Dichter und Autoren dieser Epoche interessierten sich zwar auch für die Poesie aus älteren Zeiten. Doch sie waren überzeugt, dass jede Kultur und jede Zeit ihre eigene, originale, unvergleichliche und dadurch geniale Poesie schreiben sollte, so dass die eigenen Gedichte, Dramen und Romane das eigene Lebensgefühl widerspiegeln können. Deshalb lehnten sie es ab, beim Schreiben andere große Dichter nachzuahmen, auch wenn sie sich für Dichtung aus anderen Zeiten begeistern konnten.
Das Original-Genie sah seine Stärke also nicht mehr darin, gebildeter „tintenklecksender“ Kulturmensch, sondern kraftstrotzender, einmaliger Naturmensch zu sein. An die Stelle der objektivierenden, also verallgemeinenderen Vernunftgläubigkeit der „kalten“ und „kopflastigen“ Aufklärung, setzten sie die Sprache des Gefühls und des subjektiven, persönlichen, ursprünglichen Erlebnisses. Als ursprünglich galt den Dichtern des Sturm und Drang dabei eine Sprache voller Bilder, Symbole und Gleichnisse, durch die sich die göttlichen Kräfte des schöpferischen Genies offenbare.
Johann Georg Hamann (1730-1788), ein Freund des Philosophen Kants, verglich die Sprache des Dichters auch mit der Sprache der Bibel. In der Bibel spreche Gott zu den Menschen auch nicht durch die Vernunft und mit logischen Argumenten, sondern in Gleichnissen und Bildern. Schon die Schöpfungsgeschichte im Alten Testament fängt mit so einem Gleichnis an, wenn Gott Eva aus einer Rippe Adams formt. Aber auch im Neuen Testament finden sich viele Gleichnisse. So zum Beispiel die Geschichte von den Arbeitern im Weinberg (Matthäus 20,1-15) oder dem verlorenen Sohn (Lukas 15,11-32). Da schon in der Bibel Gott zu den Menschen auf diese Weise spricht, dachte Georg Hamann, dass die Poesie so etwas wie die Muttersprache der Menschen und göttlichen Ursprungs sei. Für viele Stürmer und Dränger wurde so der Dichter, der in der „Ursprache der Menschheit“ die Welt zu begreifen versucht, selbst fast göttlich.


Illustration: Daniel Chodowiecki: Kupferstich
zu Schillers „Kabale und Liebe“ (1786).
„Willst du dein Maul halten? Willst das
Violoncello am Hirnkasten wissen?“

Weil die Dichter nicht nur die Literatur, sondern auch das Lebensgefühl und die Ideen ihrer Generation beeinflussten, kann man aus heutiger Sicht sagen, dass der Sturm und Drang die erste bedeutende Jugendprotestkultur in Europa war. Ihren Protest gegen die Gesellschaft formulierten sie in ihren Werken. So zum Beispiel in dem Drama Die Räuber von Friedrich Schiller. Schiller lässt hier den rebellischen Helden Karl Moor auftreten, der lieber zum Räuberhauptmann wird, als sich der verkommenen Gesellschaft anzupassen. Oder in dem Drama Götz von Berlichingen, in dem Johann Wolfgang von Goethe, den Ritter Götz für die Freiheit des Einzelnen gegen den Staat kämpfen lässt.

In der Zeit des Sturm und Drang blieben diese politischen Forderungen noch wirkungslos. Doch die literarischen und philosophischen Ideen hatten großen Einfluss auf viele spätere Strömungen und Autoren, zum Beispiel für die Klassik, die Romantik, den Naturalismus und den Expressionismus. Auch Georg Büchner und Bertolt Brecht wurden stark vom Sturm und Drang beeinflusst. Beispielsweise nahm Bertolt Brecht einige Merkmale der Dramen aus dieser Zeit in seinem epischen Theater wieder auf.
Den Beginn der Epoche markierte das Werk Fragmente von Johann Gottfried von Herder (1744-1803) aus dem Jahr 1767. Das Ende der Epoche läuteten Goethes Bildungsreise nach Italien und Schillers Kant-Studien ein. Die beiden Autoren verfassten einige der wichtigsten Werke des Sturm und Drang. Doch Goethe gewann in Italien viele neue Ideen, die seine Bücher, die er nach der Reise schrieb, sehr veränderten. Ebenso erging es Schiller, nachdem er sich intensiv mit der Philosophie Kants beschäftigt hatte. Man kann sagen, dass beide in dieser Zeit „erwachsener“ wurden. Mit ihren späteren Werken begründeten die beiden Schriftsteller die auf den Sturm und Drang folgende Epoche: die Weimarer Klassik.

Dichtungsformen des Sturm und Drang

Drama


Illustration: Jean Blaise Simonet
nach Jean Michel Moreau le Jeune
zu Goethes „Werther“ (1809).

Die wichtigste Dichtungsform des Sturm und Drang ist das Drama, wobei die herkömmliche Form des Dramas nicht mehr reichte, die Gefühle der jungen Dichter auszudrücken. Wie der von ihnen als „Original-Genie“ betrachtete Dichter Shakespeare schon rund hundertfünfzig Jahre zuvor, sprengten die Stürmer und Dränger die traditionelle Form des Dramas. So hoben sie beispielsweise die Einheit von Zeit, Ort und Handlung auf und ersetzten das strenge Versmaß durch eine wilde, zum Teil umgangssprachliche Prosa.
Als Helden wurden vor allem nach Freiheit strebende Naturgenies und rebellische, junge Menschen, die sich gegen die herrschende Ordnung auflehnen, dargestellt. Oft wurden „Verbrecher“ wie der Räuber Karl Moor auf die Bühne gebracht. Ein weiteres wichtiges Thema war der Konflikt zwischen Leidenschaft und Moral. Typisch für die Dramen dieser Epoche ist es, dass der Held am Ende an den gesellschaftlichen Normen und Regeln scheitert und seine Überzeugungen und seine Persönlichkeit nur durch Freitod oder Mord retten kann.
Besonders an den Dramen dieser Epoche war auch, dass sie aktuelle Probleme der Gesellschaft thematisierten. Meistens wurde der Konflikt zwischen Bürgertum und Adel ins Bild gebracht. Das war zu dieser Zeit etwas völlig Neues und Revolutionäres. Das Stück Die Räuber von Schiller war zu seiner Zeit so brisant, dass die Regisseure die Handlung des Dramas bei der Uraufführung 1782 dreihundert Jahre in die Vergangenheit verlegen wollten. Doch August Wilhelm Iffland, der die Hauptfigur Fritz Moor spielte, trat in zeitgenössischer Kleidung auf und löste so einen Skandal aus.
Die Sprache der Dramen dieser Epoche ist meist gefühlsbetont, voller Ausrufe und unvollständiger Sätze. Auch viele Schimpfwörter kommen in den Stücken vor. Es ist die Jugendsprache dieser Zeit, die diese Dramen kennzeichnet. Da sich die Autoren nicht an die traditionellen Formen des Theaters halten wollten, kam es auch vor, dass die häufigen Schauplatzwechsel oder andere Vorgaben des Dramas gar nicht richtig auf der Bühne dargestellt werden konnten.

Lyrik

Neben Dramen wurden in der Zeit auch gerne Gedichte geschrieben. Denn Gedichte eignen sich besonders, die subjektiven Gefühle eines Individuums auszudrücken. Da die Dichter des Sturm und Drang besonderen Wert darauf legten, in den Gedichten eine möglichst passende Sprache zu entwickeln, um Gefühle und Empfindungen auszudrücken, werden die Gedichte der Epoche häufig unter dem Begriff „Empfindungslyrik“ oder „Erlebnislyrik“ zusammengefasst.
Um ihre Empfindungen und Erlebnisse auszudrücken, eigneten sich vor allem Gedichte, die über die Liebe handelten, aber auch Balladen, die oft von Menschen mit tragischen Schicksalen berichten, oder auch Volkslieder und religiöse oder weltanschauliche Betrachtungen über die Natur. Ein schönes Beispiel für ein Liebesgedicht des Sturm und Drang ist Willkommen und Abschied (1775) von Johann Wolfgang von Goethe:

Es schlug mein Herz. Geschwind, zu Pferde!
Und fort, wild wie ein Held zur Schlacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht.
Schon stund im Nebelkleid die Eiche
Wie ein getürmter Riese da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah schläfrig aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr.
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch tausendfacher war mein Mut,
Mein Geist war ein verzehrend Feuer,
Mein ganzes Herz zerfloß in Glut.

Ich sah dich, und die milde Freude
Floß aus dem süßen Blick auf mich.
Ganz war mein Herz an deiner Seite,
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Lag auf dem lieblichen Gesicht
Und Zärtlichkeit für mich, ihr Götter,
Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht.

Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe!
Aus deinen Blicken sprach dein Herz.
In deinen Küssen welche Liebe,
O welche Wonne, welcher Schmerz!
Du gingst, ich stund und sah zur Erden
Und sah dir nach mit nassem Blick.
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden,
Und lieben, Götter, welch ein Glück!


Illustration: Daniel Berger (1744-1824) nach Daniel Chodowiecki.
Liebesszene aus Goethes „Leiden des jungen Werther“

Romane

Neben Dramen und Gedichten wurden auch manche Romane im Sturm und Drang verfasst. Auch eines der bekanntesten Werke des Sturm und Drang ist ein Roman: Die Leiden des jungen Werther von Johann Wolfgang von Goethe. Es ist ein Briefroman aus dem Jahr 1774, in dem Werther, der Held des Buches, in Briefform über seine Erlebnisse und Gefühle an einen Freund schreibt. Werther hat Liebeskummer, weil er in Lotte verliebt ist, die jedoch schon mit Albert verlobt ist. Weil er Lotte, seine große Liebe, nicht für sich gewinnen kann, tötet sich Werther am Ende selbst.
Die Briefromanform kommt den Ideen des Sturm und Drang sehr entgegen, denn Briefe eignen sich sehr gut, um Gefühle und Gedanken auszudrücken. Dieser Roman wurde schon damals zu einem riesigen Erfolg - er wurde zum Kultroman der Jugendkultur dieser Zeit.

Autoren und Werke

Die meisten Autoren des Sturm und Drang konnten zu ihren Lebzeiten nicht von ihren Werken leben und gingen deshalb noch anderen Berufen nach. Viele Werke sind in Vergessenheit geraten und werden heute kaum noch gelesen. Doch ein paar Dramen und Gedichte, vor allem der schon genannte Briefroman Die Leiden des junge Werther, sind bis heute bekannt. Die wichtigsten Werke des Sturm und Drang von Johann Wolfgang von Goethes sind das Drama Götz von Berlichingen (1773) und die Gedichte Prometheus (1773) und Ganymed (1774). Von Friedrich von Schiller werden die Dramen Die Räuber (1781) und Kabale und Liebe (1784) bis heute gerne gelesen.
Weitere wichtige Autoren des Sturm und Drang sind Gottfried August Bürger (1747-1794), Heinrich Leopold Wagner (1747-1779), Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) und Friedrich Maximilian Klinger (1752-1831), der mit seinem Stück Sturm und Drang der Epoche ihren Namen gab. Ursprünglich hieß das Schauspiel übrigens Wirrwarr. Der als „Genieapostel“ bekannte Christoph Kaufmann gab ihm  wenig später den Namen Sturm und Drang.

http://www.pinselpark.de/geschichte/spezif/literaturg/epochen/1770_sturm...
http://www.literaturwelt.com/epochen/sturm.html
http://www.xlibris.de/Epochen/Sturm%20und%20Drang