Klassik
Ursprünglich bezeichnet Klassik die Kunstepoche der antiken Griechen, später der antiken Römer. Daran anlehnend werden alle künstlerische Epochen, die die Antike als Vorbild hatten, als klassisch bezeichnet. |
Herkunft des Begriffs
Ursprünglich kommt der Begriff „Klassik“ aus dem Lateinischen: „Classicus“ bedeutete früher „zum ersten Rang gehörig“. Damit wurden besonders wohlhabende Angehörige der höchsten Steuerklasse bezeichnet. Im Laufe der Zeit löste sich der Begriff von seiner ursprünglichen Bedeutung und bezeichnete im Allgemeinen etwas „Erstrangiges“ oder „Erstklassiges“.
Die deutsche oder Weimarer Klassik
Man definiert heute in den unterschiedlichen Ländern Europas verschiedene Epochen der Kunst als „klassisch“. In Italien wird beispielsweise Dantes Epos Die göttliche Komödie als klassisch betrachtet, in Spanien Cervantes’ Roman Don Quichote und in England Shakespeares Drama Macbeth. In Frankreich zählt die französische Literatur des 17. Jahrhunderts von Molière, Corneille und Racine zur Klassik, und in Österreich stellt die Wiener Klassik eine spezielle Stilrichtung in der Musik Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts dar.
In Deutschland ist vor allem die deutsche Klassik von Bedeutung, die auch nach der Stadt Weimar, in der wesentliche Werke der Epoche geschaffen wurden, als Weimarer Klassik bezeichnet wird. Sie beschreibt im engeren Sinne das Schaffen der beiden großen deutschen Schriftsteller Goethe und Schiller in einem bestimmten Zeitraum. Je nach Definition handelt es sich um die 19jährige Zeitspanne zwischen 1786, dem Jahr von Goethes erster Italienreise und 1805, dem Todesjahr Schillers, oder auch nur um die elfjährige Schaffensphase der beiden Autoren von 1794 bis 1805, in der beide in einem inspirierenden und fruchtbaren Austausch zusammen gearbeitet haben.
Edle Einfalt, stille Größe
Einer der grundlegenden Gedanken der deutschen Klassik ist die Auffassung, dass Kunst und Literatur den Menschen erziehen sollte. Kunst sollte also nicht nur unterhalten, etwas Ästhetisches oder Schönes darstellen und gefallen, sondern den Menschen gleichzeitig zu einem guten Menschen ausbilden. Man glaubte damals, dass Kunst positive Eigenschaften wie Herzensgüte, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit im Menschen befördern und ausbilden und so an der Verbreitung von Humanität, also der Menschlichkeit, mitwirken könne. So fordert Goethe beispielsweise die Menschen in seinem Gedicht Das Göttliche auf::
Edel sei der Mensch,
Hilfreich und gut!
(…)
Der edle Mensche
Sei hilfreich und gut!
Unermüdet schaff er
Das Nützliche, Rechte,
Sei uns ein Vorbild
Jener geahneten Wesen!
Damit verleiht er nicht nur seinem Glauben an das Gute und Vorbildhafte im Menschen Ausdruck, sondern benennt auch die seiner Meinung nach zentralen menschlichen Werte Edelmut, Hilfsbereitschaft und Güte. Zudem stellt er die Nähe des Menschen zum Göttlichen dar, „jener geahneten Wesen“.
Die antike Laokoon Gruppe verkörperte für Winckelmann
vorbildlich das Begiffspaar „edle Einfalt, stille Größe“
Ähnliche Werte beschreibt auch der schon oben erwähnte Archäologe und Kunstschriftsteller Johann Joachim Winckelmann in seiner berühmt gewordenen Schrift Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst von 1755. Dort spricht er über die „edle Einfalt“ und die „stille Größe“, die griechische Kunstwerke ausstrahlen würden. Mit „edler Einfalt“ meint er, dass der in den Kunstwerken behandelte Stoff nicht kompliziert, sondern einfach und klar sei. „Stille Größe“ heißt für ihn, dass die Kunstwerke für eine „große“, das heißt großzügige und großmütige und zugleich bescheidene, also „stille“ Geisteshaltung stünden. Beide Begriffe, „edle Einfalt“ und „stille Größe“, wurden später zu Schlagwörtern, die die künstlerische Ausprägung von klassischen Kunstwerken bis heute griffig auf einen Nenner bringen.
Historisch-politischer Hintergrund
Die humanistischen Bestrebungen der deutschen Klassik lassen sich auch mit dem historisch-politischen Hintergrund der Zeit erklären. Die französische Revolution, die die wohlhabenden Adligen von ihrem Thron stürzen und dem einfachen Volk gleiche Rechte einräumen sollte, begeisterte zunächst viele bedeutende Denker und Künstler der Zeit, so unter anderem Goethe und Schiller. Doch leider scheiterten die demokratischen und sozialen Bestrebungen der Revolutionsführer, und die besonders radikalen Republikaner, auch Jakobiner genannt, übernahmen die Herrschaft in Frankreich. Sie ließen den König hinrichten und errichteten eine Schreckensdiktatur. Damit wurde den Menschen und auch den Künstlern der Klassik klar, wie schwierig es ist, humanistische Ideale wie „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ in der Realität umzusetzen. Als Folge machte man sich Gedanken darüber, wie man die Menschen wirkungsvoll auf eine gerechte Gesellschaft vorbereiten könnte, und man kam auf die Idee, den Menschen durch die Kunst erziehen zu wollen. Schiller zeigt in einer berühmten Schrift von der „ästhetischen Erziehung des Menschen“, wie so eine Erziehung aussehen könnte. Der Gedanke, den Menschen durch Kunst zu erziehen hat die Literaturgeschichte immer wieder geprägt, bis hin zur Theorie des Epischen Theaters von Bertolt Brecht im 20. Jahrhundert.
Typische Beispiele für die humanistischen Bestrebungen der deutschen Klassik findet man beispielsweise in den Briefen zur Beförderung der Humanität von Herder, einem Dichter und Philosophen der deutschen Klassik, der unter anderem an der von Schiller herausgegebenen Zeitschrift Die Horen von 1795 – 1797 mitarbeitete, sowie in Goethes Drama Iphigenie auf Tauris, in seinem Epos Hermann und Dorothea und in Schillers Drama Wallenstein.
Wichtig für die inhaltliche und formale Stoßrichtung der Klassik war auch ihre Absetzung und Unterscheidung von der literarischen Epoche des Sturm und Drang. Sie ging der Klassik voran, und ihr bedeutendster Vertreter war der damals noch jüngere und ungestümere Goethe. Er wetterte beispielsweise im dem Gedicht Prometheus noch heiß aufbrausend gegen das göttliche Prinzip und feiert die jugendliche Kraft des Gefühls als entscheidende Macht. Später dann spricht der „klassische“ älter und weiser gewordene Goethe wie in dem oben zitierten Gedicht Das Göttliche von edlen Tugenden, die der Mensch im Gleichgewicht von Gefühl und Verstand in sich ausbilden solle.
Die Sprache der deutschen Klassik: Iphigenie auf Tauris
Die Sprache des Sturm und Drang war vergleichsweise lebendig und wirklichkeitsnah und orientierte sich am mündlichen Ausdruck der Menschen. In der Klassik strebte man dagegen eine wohl geformte, edle Sprache an, die den Sturm der Gefühle durch ihre strenge Form bändigen und sublimieren, also erhöhen sollte. Auf diese Art und Weise würde sie zur „totalen Harmonie“ von Leidenschaft und Geist führen.
Ein berühmtes Beispiel für die hohe Sprache der Klassik ist der Blankvers in Goethes Versdrama Iphigenie auf Tauris, der zu der Zeit der Klassik als besonders vollendet und vorbildhaft galt und mehrere komplizierte Forderungen gleichzeitig erfüllen musste: Jeder Vers bestand aus fünf Hebungen, das Versmaß war der aufsteigende Jambus, das heißt auf eine unbetonte Silbe folgte jeweils eine betonte, und die Verse endeten abwechselnd mit männlichen und weiblichen Kadenzen, das heißt mit einer Hebung (=männlich), wie zum Beispiel beim Wort „Herz“ oder mit einer Senkung (= weiblich), wie zum Beispiel bei „suchend“. Das hört sich dann zum Beispiel so an, wenn Iphigenie ganz zu Beginn des Dramas auf der Insel Tauris in die Ferne schaut und ihre griechische Heimat vermisst:
Iphigenie
Gemälde von Anselm Feuerbach (1871)
Heraus in eure Schatten, rege Wipfel
Des alten, heilgen, dichtbelaubten Haines,
Wie in der Göttin stilles Heiligtum,
Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,
Als wenn ich sie zum ersten Mal beträte,
Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.
So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen
Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe;
Doch immer bin ich, wie im ersten fremd,
Denn ach! mich trennt das Meer von den Geliebten
Und an dem Ufer steh ich lange Tage
Das Land der Griechen mit der Seele suchend;
Und gegen meine Seufzer bringt die Welle
Nur dumpfe Töne brausend mit herüber.
Auch der Inhalt des Stücks wird häufig als typisch „klassisch“ bezeichnet – Goethe selbst hat es als „verteufelt human“ beschrieben. Vorlage für das Schauspiel ist ein antiker Stoff, das Drama Iphigenie bei den Taurern von Euripides, eines der wichtigsten griechischen Dramatiker. Die Heldin Iphigenie, Tochter des Königs Agamemnon und seiner Gattin Klytaemnestra, sollte der Kriegsgöttin Artemis, auch Diana genannt, geopfert werden, um ihren Vater im Feldzug gegen Troja zum Sieg zu führen. Diana aber rettete Iphigenie und brachte sie zu dem Volk der Taurer, wo sie nun als Priesterin lebt, um der Göttin zu dienen. So ist Iphigenie zu Beginn des Stücks zwar ihrem furchtbaren Schicksal entronnen, geopfert zu werden, muss aber fern von ihrer Heimat und ihrer Familie leben und dem Auftrag Dianas folgen. Sie fühlt sich zerrissen zwischen ihrer „göttlichen“ Aufgabe und der Sehnsucht nach ihren Lieben, was man auch als typisch klassischen „Konflikt zwischen Pflicht und Neigung“ bezeichnet. An einer zentralen Stelle des Stückes spricht sie davon, dass die Menschen sich nicht mehr allein von den Göttern leiten lassen, sondern auf ihre innere „menschliche“ Stimme hören sollten:
Es hört sie jeder,
Geboren unter jedem Himmel, dem
Des Lebens Quelle durch den Busen rein
Und ungehindert fließt.
Aus Sicht vieler Literaturtheoretiker vertritt Iphigenie mit dieser Auffassung typisch humanistische und „klassische“ Ideale: Sie gemahnt an die Entscheidungsfreiheit und Mündigkeit des Menschen und an seine Verantwortung für sein eigenes Leben und die Menschheit.
Goethe und Schiller
Friedrich Schiller, Brüder Humboldt,
Johann Wolfgang Goethe (von links nach rechts)
Auch wenn mehrere Dichter und Denker an der Ausbildung der deutschen Klassik beteiligt waren, so sind die beiden entscheidenden Dichter der deutschen Klassik doch Goethe und Schiller. Sie haben nicht nur theoretisch über formale und inhaltliche Prinzipien der Klassik nachgedacht, sondern diese auch praktisch in ihren literarischen Werken umgesetzt.
Beide erlernten, bevor sie durch ihr schriftstellerisches Schaffen bekannt und erfolgreich wurden, zunächst einen „ordentlichen“ Beruf und übten diesen auch aus: Goethe studierte Jura und arbeitete als Anwalt, Schiller widmete sich zunächst dem Jura- und dann dem Medizin-Studium und arbeitete danach als Arzt. Goethe, der oft als „Universalgenie“ bezeichnet wird, da er gleichermaßen begabt und erfolgreich als Dichter, Kunstkritiker, Philosoph, Naturwissenschaftler, Jurist und Staatsmann war, war vergleichsweise schnell als Literat anerkannt und konnte von seiner Kunst gut leben. Schiller hingegen, dessen Interessen vorrangig der Kunst und dem Studium der Geschichte galten, hatte ein schwierigeres Leben: Er musste immer wieder mit finanziellen Notsituationen kämpfen und litt an stetig wiederkehrenden schweren Erkrankungen, die schließlich zu seinem frühen Tod im Jahre 1805 führten. Durch ihre Haltung zu Liebe und Treue unterschieden sich die beiden Literaten ebenso: Goethe liebte in seinem Leben zahlreiche Frauen, die seine Kunst inspirierten und bereicherten, und lebte jahrelang in „wilder Ehe“ mit seiner Lebensgefährtin Christiane Vulpius. Schillers Liebesleben hingegen war – soweit man weiß – geradliniger: Abgesehen von einigen wenigen unerfüllten „Jugendlieben“ sind neben seiner Gattin Charlotte von Lengefeld keine Frauen bekannt, die Schillers Leben oder gar seine Kunst nachhaltig geprägt hätten.
Auf dem Feld der Literatur jedoch trafen sich die beiden unterschiedlichen Dichter zu einem überaus fruchtbaren Austausch. Sie schrieben beide für die von Schiller herausgegebene Zeitschrift Die Horen, veranstalteten im sogenannten „Balladenjahr“ einen Wettstreit um das kunstvolle Verfassen einer „klassischen“ Ballade, gestalteten gemeinsam Theateraufführungen und kritisierten und ermunterten sich gegenseitig in zahlreichen Briefen, in denen sie sich auch ausgiebig zu literaturtheoretischen Themen austauschten: Ihr Briefwechsel gilt als eines der wertvollsten Zeugnisse der deutschen Klassik überhaupt.
Bedeutende Werke von Goethe sind neben seiner zahlreichen kunstvollen Gedichte unter anderem der Briefroman Die Leiden des jungen Werther (1774), mit dem er über Nacht berühmt wurde, die „klassischen“ Dramen Torquato Tasso (1790) und Iphigenie auf Tauris (1779) und das „klassische“ Epos Hermann und Dorothea (1798), der Bildungsroman Wilhelm Meister Lehrjahre (1795), seine dramatischen Meisterwerke Faust I (1808) und Faust II (1831) sowie der Roman Die Wahlverwandtschaften (1809).
Schiller ist neben seinen ausgefeilten Balladen unter anderem für Die Räuber (1781) berühmt, sein erstes vom Sturm und Drang geprägtes Drama, das ihn bekannt machte, außerdem für das Theaterstück Kabale und Liebe (1783), sein großes ,klassisches Drama Wallenstein (1799) und für die Dramen Maria Stuart (1800), Die Braut von Messina (1803) und Wilhelm Tell (1803 / 04).
Links
http://www.rossipotti.de/ausgabe13/titelbild.html
http://www.literaturwelt.com/epochen/klassik.html
http://www.pohlw.de/literatur/epochen/klassik.htm
http://www.literaturwelt.com/autoren/goethe.html
http://www.literaturwelt.com/autoren/schiller.html
Quellenangabe
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Schrimpf, Ulrike: Klassik. In: Rossipotti-Literaturlexikon; hrsg. von Annette Kautt; https://www.literaturlexikon.de/epochen/klassik.html; Stand: 11.04.2012.