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Das geheime Buch
Herrn Maiteufels wundersame
Reise in die Wirklichkeit
von
Annette Kautt
Fortsetzung Teil 4
Wer den letzten Teil noch nicht kennt und mehr als
die kurze Zusammenfassung darüber lesen möchte, geht zurück
zur letzten Rossipotti-Ausgabe
.
Was bisher geschah:
Herr Maiteufel arbeitet in einer
Butterbrotpapierfabrik und lauscht jeden Tag dem verheißungsvollen
Gesang der Butterbrotpapiere, die sich auf ihr großes Leben
in der Welt vorbereiten. Doch je länger er dem Gesang der Papiere
lauscht, umso mehr sehnt er sich danach, selbst ein Butterbrotpapier
zu werden. Da er ein Mensch mit Visionen ist, setzt er eines Tages
seinen Wunsch in die Tat um: Er baut anhand des originalen Konstruktionsplans
von Herrn Knobel, seinem Chef, eine Butterbrotpapiermaschine, in
die er selbst hineinpassen und zum Butterbrotpapier werden kann!
Doch aus irgendeinem Grund funktioniert die Maschine nicht. Irgendein
Detail muss Herrn Maiteufel beim Bau der Maschine entgangen sein
...
Eines Tages bekommt Herr Maiteufel ein Paket. Herr Maiteufel ist
fest davon überzeugt, dass ihm der Finder seiner Gasluftballonkarte,
die er beim letzten Betriebsfest verschickt hat, das Paket geschickt
hat. Doch leider ist es nicht von einem unbekannten Finder, sondern
nur von seiner ehemligen Klassenkameradin Mara. Zuerst ist Herr
Maiteufel enttäuscht darüber, weil in dem Paket nichts
weiter als ein paar alte Fotografien und ein alter Stadtplan seiner
Heimatstadt sind. Doch dann entdeckt er, dass die Streckenverhältnisse
des Stadtplans und seines Konstruktionsplans genau gleich sind!
Und das kann für Herrn Maiteufel
nur eins bedeuten: Wenn sich das fehlende Detail seiner Maschine
nicht auf dem Konstruktionsplan entdecken lässt, muss es in
seiner Heimatstadt zu finden sein! Kurz entschlossen packt Herr
Maiteufel deshalb seine Siebensachen und reist mit dem Zug dorthin.
Doch kaum hat er seine Reise begonnen, weiß er nicht mehr, ob er
nicht lieber zu Hause geblieben wäre. Im Zug bringt ihn sein Gegenüber
stark in Verlegenheit, im Hotel seiner Heimatstadt verwirrt ihn
eine "Brötchenfrau", und auch der eigentlich ganz harmlose Kaffeklatsch-Besuch
bei seiner alten Bekannten Mara ruft bei ihm vor allem Beklemmung
hervor. Zum Glück ist da auf einmal von einem Finder die Rede,
und Herr Maiteufel weiß sofort, dass nur der Finder seiner
Luftballonkarte gemeint sein kann! Er möchte ihn unbedingt
kennenlernen und stattet ihm deshalb gleich einen Besuch ab.
Dort erfährt er, dass der Finder nicht nur seine Karte, sondern
auch noch viele andere Dinge gefunden hat. Außerdem weiht
ihn der Finder in die seltsamen Geschehnisse der Stadt ein:
Eine wichtige Person der Stadt, der Läufer, ist verschwunden.
Und so lange der Läufer verschwunden ist, bleibt in der Stadt
alles gleich und kann sich nichts mehr verändern! Der
Finder ist deshalb beauftragt worden, den Läufer zu finden,
hat aber bisher noch keine Spur.
Herr Maiteufel schwirrt bei so vielen Neuigkeiten der Kopf, und
so hat er das Detail seiner Maschine schon beinahe vergessen. Doch
nach einem erholsamen Schlaf im Hotelbett erinnert er sich wieder
an den eigentlichen Grund seiner Reise, und so kann sein Traum,
wie die Butterprotpapiere ein neues Leben zu beginnen, vielleicht
doch noch wahr werden ...
Sechstes Kapitel, in dem Herr Maiteufel der Brötchenfrau
mehr vertraut als dem Finder
Am anderen Morgen wachte Herr Maiteufel auf, als etwas gegen seinen
Bettkasten stieß.
Er blinzelte mit den Augen und sah eine Frau, die gerade mit dem
Besen unter sein Bett fuhr.
"Ich dachte, die Brötchenfrau hat mich aufgefangen, als
der Ballon zerplatzte!" sagte er mit verschlafener Stimme.
"Aber ich muss mich wohl getäuscht haben. Das waren Sie!"
"Welche Brötchenfrau und welcher Ballon?" fragte
die Frau mürrisch und stellte den Besen an die Wand. "Bestimmt
haben Sie nur geträumt. Und für Träume habe ich keine
Zeit. Übrigens wird unten schon der Mittagstisch gedeckt!"
"Was, ist es schon so spät?"
Herr Maiteufel erschrak. So lange hatte er noch nie geschlafen!
Er setzte sich auf und überlegte, welchen wichtigen Termin
er wohl gerade verpasste. Da fiel ihm ein, dass er ja gar nicht
zu Hause, sondern in seiner Heimatstadt war und außer der
Suche nach dem Detail seiner kaputten Butterbrotpapier-Maschine
gar keinen Termin hatte. Und konnte man die Suche nach dem Detail
einen "wichtigen Termin" nennen? Wohl eher nicht!
Je länger er von zu Hause fort war, desto sinnloser kam ihm
der Gedanke vor, in dieser Stadt das Detail seiner Maschine finden
zu können.
Zugegeben, es war schon ein auffallender Zufall, dass die Streckenverhältnisse
des alten Stadtplans genau gleich wie die des Konstruktionsplans
der Butterbrotpapiermaschine waren. Theoretisch war es also
durchaus vorstellbar, dass er hier das Detail finden könnte.
Praktisch war es aber eher unwahrscheinlich. Denn musste
er hier nicht nach etwas suchen, das er nicht einmal kannte? Er
wusste nicht, ob das Detail ein lockerer Pflasterstein, ein kaputter
Klingelknopf oder etwas ganz anderes war.
Ja, seine Suche war sogar noch aussichtsloser: Er wusste nicht einmal,
ob das, was er suchte, überhaupt existierte!
"Am besten packe ich gleich meinen Koffer und fahre wieder
nach Hause", dachte er. "Dahin, wo ich hingehöre.
- Was Odette wohl gerade macht?"
Gedankenverloren sah er zum Fenster hinaus. Er musste heute unbedingt
noch Odette anrufen! Sie machte sich sonst nur unnötig Sorgen.
Außerdem sollte sie ihn nochmals bei Herrn Knobel entschuldigen.
Wer weiß, ob der Herr im Zug auch wirklich sein Chef gewesen
war?
"Ich gehe jetzt ins Zimmer nebenan und hoffe, dass Sie in einer
viertel Stunde draußen sind! Schließlich habe ich auch
noch andere Dinge zu tun, als Gästen beim Träumen zuzusehen."
Herr Maiteufel hatte die Frau mit dem Besen völlig vergessen.
Geräuschvoll ging sie aus dem Zimmer.
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, zog er sich
umständlich an und ging nach unten.
Ein Kellner war gerade dabei, den Mittagstisch zu decken.
Noch ganz benommen vom langen Schlaf, setzte sich Herr Maiteufel
auf einen der Ledersessel im Foyer und dachte nach. "Soll ich
wirklich gleich wieder nach Hause fahren?"
Er seufzte.
"Wenn ich jetzt nach Hause fahre, habe ich mit der Suche aufgehört,
bevor ich sie überhaupt begonnen habe. Dann habe ich nichts
gewonnen, aber viel verloren. Wenn ich jetzt nach Hause fahre, werde
ich mir den Traum von meiner funktionierenden Sehnsuchtsmaschine
nie erfüllen können! Und ich werde nie erfahren, wie es
ist, ein neues Leben zu beginnen!"
Energisch schüttelte Herr Maiteufel den Kopf: "So schnell
gebe ich nicht auf! Der kleine Stadtrundgang von gestern Vormittag
kann nicht genügen, um ein kleines Detail zu finden! Und überhaupt:
Vielleicht hat das Detail ja auch nicht direkt etwas mit der Stadt
und seinen Gebäuden zu tun, sondern viel mehr mit den Menschen,
die darin wohnen?
Im letzten Jahr habe ich ohne Erfolg versucht, das Detail mit Logik
und Berechnung zu finden. Vielleicht sollte ich es jetzt lieber
mit Intuition versuchen?"
Heute Nacht hatte er beispielsweise merkwürdige Dinge geträumt.
Wenn er zu Hause diesen Traum gehabt hätte, wäre er nie
auf die Idee gekommen, seinen Inhalt für wahr zu halten. Doch
hier und jetzt erschien ihm der Traum eine tief verborgene Bedeutung
zu haben.
Er hatte geträumt, dass er seinen Ballon vom Betriebsfest so
weit aufgeblasen hatte, dass er groß wie ein Gasluftballon
geworden war. Unten am Ballon war ein Korb befestigt. Er stieg in
den Korb und wurde dann von Mara, Arturo, Karla und den anderen
nach oben geblasen. Mit vollen Backen standen sie da. Sie strengten
sich mächtig an, und doch sah alles so leicht aus.
Als er schon über den Häusern schwebte, hatte er plötzlich
ein Fernrohr in der Hand mit dem er alles unter sich absuchte. Durch
das Fernrohr konnte er den Finder auf der Kirchturmspitze sehen.
Der Finder winkte ihm zu und rief "Halt! Halt!" Doch er
wollte immer höher hinauf, und auch die anderen unten hörten
nicht auf zu blasen. Da kam mit einem Mal Herr Knobel auf ihn zugeflogen
und zerstach mit seinen spitzen Schuhen den Ballon. Doch anstatt
ins Leere zu fallen, fing ihn jemand auf: Es war die Frau, die sein
Brötchen probiert hatte!
"Je länger ich über den Traum nachdenke", sagte
Herr Maiteufel zu sich selbst, "umso sicherer bin ich mir,
dass ich seiner Botschaft folgen muss, wenn ich das fehlende Detail
meiner Maschine finden will! Mit Logik und Sinn bin ich nicht weitergekommen,
also probiere ich es jetzt mit Unsinn aus! Und was ist, objektiv
betrachtet, unsinniger, als mich von einem ungereimten Traum leiten
zu lassen?"
Herr Maiteufel schmunzelte: Endlich war er wieder in seinem Element!
Odette lachte ihn zwar jedes Mal aus, wenn er wieder eine neue Vision
hatte.
Aber er wusste es besser: "Für Visionäre sind Visionen
wirklicher als die Wirklichkeit! Und weil das so ist, muss ich meinen
Träumen folgen, nichts anderem!"
Seiner Meinung nach musste er also nur noch die Botschaft seines
Traums entschlüsseln und schon wusste er, was er zu tun hatte!
"Ich muss der Brötchenfrau mehr vertrauen als dem Finder!"
fing Herr Maiteufel gleich mit der Deutung seines Traums an. "Denn
wollte der Finder in meinem Traum nicht verhindern, dass ich höher
fliege? - Wenn ich es recht bedenke, will der Finder wahrscheinlich
nicht nur verhindern, dass ich mein Detail finde, sondern auch,
dass die anderen den Läufer finden! Vielleicht ist das der
eigentliche Grund, weshalb er von einigen Leuten bedroht wird?
Wenn ich ehrlich bin, ist mir der Finder zwar gestern sehr sympathisch
gewesen. Aber kann man dem ersten Eindruck, den man von einer Person
gewinnt auch vertrauen?
Nein, das kann man nicht! Und zum Glück hat mich der Traum
noch rechtzeitig gewarnt!"
Herr Maiteufel lächelte zufrieden und zog seinen ersten sicheren
Schluss: "Dem Finder ist nicht zu trauen!"
Herr Maiteufel überlegte weiter und kam zu dem Ergebnis, dass
er unbedingt die Brötchenfrau treffen musste! Sie schien über
Vieles informiert zu sein. Vielleicht wusste sie sogar etwas vom
verschwundenen Läufer?
Sollte der Finder so nett und harmlos sein, wie er aussah, dann
konnte Herr Maiteufel ihm ja später erzählen, was die
Frau ihm zu berichten hatte. Vielleicht würde der Finder ihm
dann auch bei der Suche nach seinem Detail helfen. Als Finder müsste
es ihm eigentlich ein Leichtes sein, das Detail zu finden. Vielleicht
hatte er es ja sogar schon gefunden, und es lag bereits in einem
der vollgestopften Räume des Finders? Wie dumm von ihm, dass
er den Finder gestern nicht danach gefragt hatte. Aber vielleicht
hatte er intuitiv richtig gehandelt, weil dem Finder offensichtlich
nicht zu trauen war?
Auf jeden Fall schien die Brötchen-Frau mehr über die
Dinge zu wissen als manch anderer in dieser Stadt. Vielleicht konnte
sie nicht nur ihm bei seiner Suche nach dem Detail, sondern auch
den anderen bei der Suche nach dem Läufer helfen?
Gleich nach dem Mittagessen wollte er sie suchen gehen.
Doch jetzt wollte er zuerst einmal etwas essen. Mit leerem Magen
ließ es sich nicht gut Erkundigungen einziehen.
Herr Maiteufel ging in das Hotelrestaurant und bestellte das Tagesmenü.
Es gab Hühnerfrikassee mit Karottengemüse und es schmeckte
ihm sehr gut.
Als er fertig gegessen hatte, fragte er den Kellner, wo er denn
die Brötchenfrau finden könnte. Der Kellner sah ihn erstaunt
an. Anscheinend wusste er nicht, von wem Herr Maiteufel sprach.
Der Kellner behauptete sogar, er hätte eine solche Frau noch
nie gesehen!
"Nun", dachte Herr Maiteufel. "Dann war sie gestern
wohl zum ersten Mal hier und ist dem Kellner eben nicht aufgefallen.
Wenn man sie hier nicht kennt, dann eben woanders.
Schließlich ist es ihr Beruf, anderen das Brötchen vom
Teller wegzuessen. Da wäre es doch zu seltsam, wenn man sie
anderswo auch noch nie gesehen hätte."
Zuversichtlich ging er ins Foyer, um sich dort aus dem Branchenbuch
die Adressen aller möglichen Cafés und Restaurants herauszuschreiben.
In der kleinen Stadt gab es nicht sehr viele davon. Er würde
sie in ein paar Stunden alle ablaufen können.
Fröhlich pfeifend machte er sich auf den Weg.
Herr Maiteufel war schon zwei Stunden unterwegs, doch nirgends
kannte man die Frau, die er suchte. Die Wirtsleute oder Kellner
sahen ihn entweder verständnislos an oder sagten ihm, so jemanden
hätten sie noch nie gesehen.
Von einem verknöcherten alten Wirt wurde er sogar aus dem Haus
geworfen, weil er nicht wollte, dass man seine Gäste belästigte.
Dabei hatte Herr Maiteufel gar nicht mit den Gästen, sondern
nur mit dem Wirt gesprochen!
Entmutigt schlenderte Herr Maiteufel dann zum vorletzten Gasthaus,
das auf seiner Liste stand. Es war eine kleine, armselige Kneipe,
die sich mit ihrem alten Holzdach an das mächtige, steinerne
Stadthaus daneben schmiegte.
"Ob ich da auch hinein soll?" fragte sich Herr Maiteufel
unentschlossen. "Wenn man mich schon in den besseren Gasthäusern
so ruppig behandelt hat, wie wird es mir erst da drinnen ergehen?"
Er schaute durch das Fenster nach innen und versuchte, etwas zu
erspähen. Doch die Fenster schienen zugequalmt zu sein. Jedenfalls
konnte er nur ein paar Schatten erkennen. Allerdings hörte
er fröhliche Stimmen und Gesang. Und ein Poltern, als ob gerade
getanzt werden würde.
"Vielleicht eine Hochzeit?" dachte Herr Maiteufel. "Dann
sollte ich sowieso nicht stören."
Doch obwohl Herr Maiteufel nicht in das Gasthaus hineingehen wollte,
konnte er sich auch nicht dazu entschließen, wieder zu gehen.
Mit gespitzten Ohren belauschte er die Geräusche, die nach
draußen drangen und überlegte, was das wohl für
ein Fest sein könnte.
"Wohl eher doch keine Hochzeit. Dazu klingt es zu ungehobelt",
entschied Herr Maiteufel. "Vielleicht hat jemandirgend etwas
gewonnen und feiert jetzt mit seinen Bekannten? Oder ist heute ein
spezieller Feiertag? Doch dann würden auch die anderen Stadtbewohner
feiern ..."
Er überlegte noch eine Weile hin und her, bis die Tür
aufgerissen wurde und eine kleine Gruppe lautstarker Sänger
aus der Kneipe kam. Er schreckte hoch und drückte sich in die
Fensternische, um nicht gesehen zu werden.
Doch die Leute kümmerten sich gar nicht um ihn. Singend und
hüpfend sprangen sie die Straße entlang und waren bald
nicht mehr zu sehen.
Die Leute hatten vergessen, die Türe zu schließen, und
so konnte Herr Maiteufel in das Innere der Kneipe sehen. Es war
ziemlich dunkel und tatsächlich von dicken Rauchschwaden zugehangen.
Die Schwaden zogen vereinzelt nach draußen, und Herr Maiteufel
roch, dass es weniger nach Zigaretten- als nach Pfeifentabak stank.
Soweit er es erkennen konnte, saßen die Gäste an verschiedenen
Tischen und schienen nicht zusammen zu feiern. Dennoch schienen
sie sich alle gut zu kennen. Der Gesang war inzwischen verstummt.
"Wahrscheinlich haben vorhin nur die Leute gesungen, die gerade
gegangen sind", dachte Herr Maiteufel. "Wie klein und
niedrig die runden Tische da drinnen sind! Ein Tisch hat vielleicht
gerade einen Durchmesser von einem halben Meter, und trotzdem sitzen
um ihn zwischen vier und sechs Personen! Seltsamerweise habe ich
aber nicht das Gefühl, dass die Tische zu klein für die
Leute sind. Vielleicht sind die Leute selbst ungewöhnlich klein?
Aber eigentlich sehen sie normal groß aus. Womöglich
ist das Licht daran schuld, dass ..."
"Ah, da ist ja der schüchterne Herr von gestern Vormittag",
unterbrach eine dunkle Stimme seine Gedanken.
Herr Maiteufel fuhr zusammen und schaute sich furchtsam um.
"Treten Sie doch näher, lieber Herr. Wie darf ich Sie
nennen?"
"Maiteufel", stammelte er in den dichten Rauchnebel. Er
konnte nicht erkennen, wer ihn da angeredet hatte, aber die Stimme
erinnerte ihn vage an die der Brötchenfrau.
"Herr Maiteufel also. Möchten Sie sich nicht zu uns setzen?
Sie werden doch müde sein, nach so vielem Gehen?! Worauf warten
Sie denn noch?"
Herr Maiteufel folgte der Stimme wie ein zu braves Kind. Er ging
in die Wirtsstube und schaute sich suchend um. In einer Ecke des
Raums, schräg gegenüber der Eingangstür, saß
tatsächlich die Brötchenfrau!
Als Herr Maiteufel neben ihr Platz nahm und ihren warmen Atem an
seinem Ohr spürte, überkam ihn plötzlich ein ungutes
Gefühl. Vielleicht hätte er doch nicht die Brötchenfrau
aufsuchen sollen? Vielleicht war es nicht nur eine unsinnige, sondern
eine geradezu verrückte Idee gewesen, wegen eines Traums die
Brötchenfrau treffen zu wollen?
Herr Maiteufel sah die Brötchenfrau verstohlen an. Ihre Backen
hingen so verdächtig nach unten und ihre Arme waren auffallend
dick. Sie verströmte einen Geruch von nassen, aufgequollenen
Brötchen und hatte eine herunterhängende Unterlippe.
"Wie bin ich nur auf die Idee gekommen, dieser undurchsichtigen
Person vertrauen zu können? Viel lieber würde ich jetzt
beim Finder in der Dachstube sitzen und Tee trinken!"
"Ist Ihnen nicht gut?" fragte die Brötchenfrau einfühlsam.
"Oh doch, es geht", log Herr Maiteufel, "der Qualm
ist vielleicht etwas zu schwer."
"Ja, extra guter Pfeifentabak. Den gibt es nur hier. Hi, Hi.
Wenn Sie verstehen, was ich meine. Hi, Hi."
Herr Maiteufel nickte, und auch die Brötchenfrau nickte wieder
und machte "Plimm, plimm, hi, hi, plimm, plimm".
Nachdem die Brötchenfrau so eine Weile vor sich hingekichert
hatte, rückte sie noch näher an Herrn Maiteufel heran
und fragte ihn in fast drohendem Ton: "Möchten Sie mit
mir ein paar lustige Leute besuchen gehen? Hier ist doch eine etwas
trübe Stimmung, finden Sie nicht?"
"Schon etwas", meinte Herr Maiteufel, "aber ..."
"Was aber'?!" unterbrach ihn die Brötchenfrau,
"wer lange zaudert, bringt es zu nichts im Leben. Sind Sie
etwa ein Zauderer?"
"Eigentlich nicht", murmelte Herr Maiteufel und hielt
den Atem an, um sich ein wenig gegen den nassen Brötchenteiggeruch
zu schützen.
"Na also", grunzte die Brötchenfrau zufrieden. "Sie
kommen also mit!"
Und bevor Herr Maiteufel etwas erwidern konnte, klatschte die Brötchenfrau
bestimmend in ihre dicken, runzligen Hände, zog Herrn Maiteufel
mit erstaunlich großer Kraft zuerst in die Höhe und dann
hinaus aus dem Gasthaus.
Herr Maiteufel ärgerte sich über sich selbst.
"Warum habe ich nicht Ja' gesagt, als die Brötchenfrau
mich gefragt hat, ob ich ein Zauderer bin? Dann hätte sie mich
sicher in Ruhe gelassen. Warum kann ich nicht lügen, wenn es
wichtig ist? Und warum laufe ich hier überhaupt mit? Wer weiß,
ob die Brötchenfrau nicht nur undurchsichtig, sondern auch
gefährlich ist?"
Herr Maiteufel schaute sich um.
Außer der Brötchenfrau sah er keine Menschenseele.
"Am besten laufe ich in einem unbeobachteten Moment einfach
davon!" überlegte er. "Was will diese Brötchenfrau
überhaupt von mir?"
Herr Maiteufel musterte sie heimlich. Sie schien es zu bemerken,
denn sie drehte ihren Kopf in seine Richtung und lächelte ihm
freundlich zu.
"Wer weiß", dachte Herr Maiteufel weiter, "vielleicht
kann ich bei diesen lustigen Leuten' ja auch etwas über
den verschwundenen Läufer erfahren? Oder vielleicht sogar über
das Detail meiner Maschine? Vielleicht möchte mir die Brötchenfrau
auf diese Weise einen Hinweis geben? Schließlich war noch
immer sie es, die mich im Traum aufgefangen hat! Andererseits -
wenn ich weglaufen will, dann muss ich das gleich tun! Wer weiß,
wenn wir da sind?"
So im Selbstgespräch mit sich uneins, ließ er sich von
der Brötchenfrau durch dunkle und verwinkelte Gassen führen.
Endlich blieben sie vor einem hellen, großen Gebäude
stehen.
Herr Maiteufel hatte dieses Haus noch nie mit Bewusstsein gesehen.
Und da er während des kleinen Marsches so in Gedanken vertieft
gewesen war, hatte er auch nicht aufgepasst, wohin sie gegangen
waren.
Die Brötchenfrau zog an einer langen Schnur, die eine große,
messingne Glocke zum Schwingen brachte. Ihr Klang war voll und dunkel.
Nach einer Weile erschien ein älterer Herr mit schlohweißem
Haar, aber noch relativ jungem Gesicht. Er schien sich ungemein
zu freuen, als er seine Besucher erblickte.
"Meine Alabaster-Schönheit!" strahlte er die Brötchenfrau
an. "Wie sehr habe ich auf Sie gewartet! Sonst sind meine lieben
Gäste alle schon versammelt."
Die Brötchenfrau schüttelte ihm die Hand und zeigte dann
auf Herrn Maiteufel: "Das ist übrigens Herr Maiteufel.
Ich traf ihn in der Kneipe am Fischmarkt. Er fühlte sich nicht
wohl, und so bot ich ihm an, mit mir zu kommen. Ich dachte, Sie
könnten ihm einen Trunk bereiten?"
Die Alabaster-Schönheit blinzelte den Herrn verschwörerisch
an.
"Ich verstehe, ich verstehe", nickte der Herr und schaute
Herrn Maiteufel verständnisvoll an. "Ihnen ist nicht gut?
Was für ein Glück Sie hatten, dass Sie der Alabaster-Schönheit
begegnet sind! Aber treten Sie doch ein."
Er streckte Herrn Maiteufel seine kräftige Hand entgegen und
blickte ihn so innig an, dass es Herrn Maiteufel ganz warm wurde.
Plötzlich hatte er das dringende Bedürfnis, diesen Herrn
näher kennenzulernen!
Er trat hinter der Brötchenfrau, der angeblichen Alabaster-Schönheit,
ins Innere des Hauses. Ein breiter, lichtdurchfluteter Korridor
führte auf die andere Seite des Hauses in einen kleinen Glaspavillon.
Durch die Fensterfront des Pavillons konnte man in einen Garten
sehen, in dem sich viele Menschen aufhielten. Der Herr öffnete
eine Glastür und bat die Brötchenfrau und Herrn Maiteufel
in den Garten zu treten.
Oh welche Pracht!
Herr Maiteufel konnte nicht glauben, was seine Augen sahen: Leuchtendes
Blau neben glitzerndem Orange, Blutrot neben reinem Weiß und
sattes Gelb auf dunklem Lila.
Und welche Formen hatten die Blumen und Pflanzen erst! Da gab es
Sträucher, die wie kunstvolle Drahtgeflechte aussahen und Blumen,
deren Blütenblätter wie zarter Stoff auf den Boden hingen.
Es gab fast durchsichtige, quaderförmige Kakteen und Palmen,
die statt der typischen langen spitzen, kurze runde Blätter
hatten.
Woher hatte sein Gastgeber nur diese seltsamen Pflanzen?
Herr Maiteufel stand da und staunte. So etwas Anmutiges und gleichzeitig
Kraftvolles hatte er zuvor noch nie gesehen.
Er setzte sich auf eine Lehmmauer, die die unterste Stufe einer
Gräserterrasse bildete, und ließ sich von dem Farb- und
Duftspiel des Gartens betören.
"Möchten Sie vielleicht ein kleines Cocktail?"
Herr Maiteufel schreckte hoch und blickte dem Herrn mit dem schlohweißen
Haar ins Gesicht.
"Ja, gern!" hörte er sich sagen.
Der Herr reichte ihm ein lilienförmiges Glas, das eine regenbogenfarbige
Flüssigkeit enthielt und sagte: "Weil Ihnen doch nicht
wohl ist. Das Getränk wirkt beruhigend und belebend
zugleich."
Herr Maiteufel nahm einen Schluck und sagte schüchtern: "Hm,
das schmeckt wirklich gut! Allerdings habe ich mich vorhin gar nicht
so unwohl gefühlt. Das hat die Alabaster-Schönheit nur
erfunden."
"Ah", rief der ältere Herr erstaunt aus, "Sie
haben also etwas gegen Erfindungen?"
"Ganz und gar nicht", stotterte Herr Maiteufel - und ihn
durchzuckte für eine Millisekunde der Gedanke an seine Maschine
- "nur wenn man etwas erfindet, was mir nicht gefällt."
"Ich verstehe, ich verstehe. Sie meinen wohl, alles auf der
Welt müsste Ihnen gefallen?"
"Aber nein!" rief Herr Maiteufel da erschrocken aus, weil
man ihn so missverstanden hatte. "Sie verwirren mich ganz",
fügte er leise hinzu.
"Nichts für ungut", lachte der Herr hell auf "auch
Sie verwirren mich."
Er legte seinen Arm um Herrn Maiteufels Schulter und sang mit weicher
Stimme:
Keiner irrt langsam, keiner irrt schnell
ein Huhn ohne Kopf, ein Kamel ohne Fell
erkennen wir nimmer im dunklen Zimmer
erkennen wir immer im - ? -
"Na, wo erkennt man das Huhn ohne Kopf und das Kamel ohne
Fell, mein lieber Herr Maiteufel?"
Herr Maiteufel zuckte mit den Schultern und sagte dann unentschlossen:
"Im Zimmer mit Dimmer vielleicht?"
"Ach was!" freute sich der Herr: "Im Topf natürlich!
Kopf reimt sich doch auf Topf"
"Aber im Gedicht müsste sich das Wort doch auf Zimmer'
oder immer' reimen!" meinte Herr Maiteufel.
Doch der Herr erwiderte nur: "Sie müssen sich noch viel
irren, bevor Sie sich wirklich irren können", und ging
fröhlich singend zu einer Gruppe, die sich unter einem Feigenbaum
unterhielt.
"So ein blödes Gedicht und so ein blöder Sinnspruch",
dachte Herr Maiteufel. Aber er ärgerte sich nicht wirklich
darüber. Vielmehr dachte er, dass er dieses Rätselgedicht,
wenn er wieder in Oberfischen sein würde, Odette vortragen
wollte.
"Himmel, Odette!" dachte Herr Maiteufel entsetzt. "Jetzt
bin ich schon seit zwei Tagen hier und ich habe mich immer noch
nicht bei ihr gemeldet. Dabei wollte ich sie doch bitten, mich bei
Herrn Knobel abzumelden. Denn wer weiß, ob der Mann im Zug
tatsächlich Herr Knobel gewesen ist? Es kann sein, es kann
aber auch nicht sein. Das ist mir viel zu riskant und deshalb muss
ich unbedingt Odette anrufen! Am besten frage ich gleich den Gastgeber,
ob ich kurz telefonieren darf."
Er ging zu dem Feigenbaum, wo er den Herrn mit den schlohweißen
Haaren zuletzt gesehen hatte, doch der war nicht mehr bei der Gruppe.
"Wo ist denn der Herr?" fragte Herr Maiteufel einen der
Umherstehenden.
"Welcher Herr?" bluffte ihn ein rundlicher Mann mit einer
Melone auf dem Kopf an, "hier sind viele Herren!"
"Ich meine den Gastgeber", entschuldigte sich Herr Maiteufel.
"Oh, der Gastgeber, oh là là", sagte der
Herr mit der Melone, "wie heißt denn der Herr Gastgeber?"
"Na, ich weiß es doch nicht", erwiderte Herr Maiteufel
etwas ungeduldig.
"Ah, und Sie meinen, wenn Sie es nicht wissen, sollen wir es
wissen? - Na, was meinen Sie denn dazu, meine Herren?" fragte
der Melonenmann seine Bekannten.
Mit einem Finger zeigte er auf einen Herrn in blauem Anzug.
"Alfons, wie heißt der Gastgeber?"
"Ich denke doch Parbleu'."
"Und was meinst du dazu, Dattelfuß?"
"Er heißt Max Alexander."
"Aha, und was sagt der Herr mit der weißen Weste?"
"Kallinga."
"So, so und du da?" der Melonenmann zeigte auf eine lange
Frau mit einem rosa Schleierhut auf dem Kopf ...
"So kommen wir doch nicht weiter!" rief Herr Maiteufel
dazwischen. "Es ist doch ganz egal, wie der Gastgeber heißt,
wenn ich nur weiß, wo er ist und ich ihn fragen kann, ob ich
einmal kurz telefonieren kann."
"Sie wollen sich wohl über uns lustig machen, was?!"
fuhr ihn da der Herr mit der Melone an. "Erst wollen Sie den
Herrn suchen, ohne seinen Namen zu kennen. Dann wollen Sie den Herrn
gleich-zeitig suchen gehen und telefonieren. Am Ende wollen Sie
wohl telefonieren, suchen und gehen in einem? Aber hier geht alles
schön der Reihe nach. Verstanden?" fragte der Melonenmann,
packte Herrn Maiteufel am Kragen und ließ ihn nicht wieder
los, bis er "Verstanden" gesagt hatte.
"Dann können wir jetzt ja eine Partie Karten spielen.
Spielen Sie Rommé?"
Obwohl Herr Maiteufel das Spiel kannte, sagte er "Nein",
weil er von der Unterhaltung vorhin mit der Brötchenfrau gelernt
hatte, dass er sich nur über eine kleine Lüge von jemanden
loseisen konnte. Wenn die anderen spielten, so dachte Herr Maiteufel,
könnte er ungestört den Herrn suchen gehen.
Doch er hatte sich getäuscht. Denn der Melonemann sagte darauf:
"Umso besser, dann lernen Sie von uns gleich die richtigen
Regeln."
Er drückte Herrn Maiteufel in einen Gartenstuhl und erklärte
ausführlich die "richtigen" Regeln.
Währenddessen schweiften Herrn Maiteufels Gedanken immer wieder
ab. Er wunderte sich, warum er nicht einfach aufstand und davonging.
Warum er sich mit diesen Sonderlingen - denn als solche empfand
sie Herr Maiteufel - so lange aufhielt. War es wirklich einzig die
Idee, dass er hier vielleicht wichtige Hinweise über seine
Maschine oder den verschwundenen Läufer erhalten könnte?
Oder war es einfach sein mangelder Mut, der ihn sich nicht sagen
trauen ließ: "Hören Sie, Ihr Spiel interessiert
mich nicht, ich gehe jetzt!"?
Wie auch immer. Er blieb. Und er spielte. Eine Runde, und eine weitere,
und noch eine. Die Sonne war schon untergegangen und jemand hatte
im Garten Lampions angezündet.
Herr Maiteufel hatte inzwischen einige dieser Regenbogengetränke
getrunken und fühlte sich so wohl wie schon lange nicht mehr.
Sollte sich Herr Knobel doch über sein Fernbleiben wundern,
sollte der Läufer der Stadt doch für immer verschwunden
bleiben. Und sollte doch - bei diesem Gedanken wurde es Herrn Maiteufel
allerdings kurz etwas schwindelig - ja, sollte doch seine Maschine
auf immer und ewig funktionsunfähig bleiben.
Was kümmerte ihn das?
Der Garten blieb auch so, und das zählte. Es roch hier so unglaublich
gut, und das Getränk schmeckte vorzüglich. Beim Rommé
hatte er schon öfters gewonnen und die anerkennenden Blicke
der anderen erhalten.
Es war sehr schön in diesem Garten.
Ende Teil 4
Wie die Geschichte weitergeht, erfahrt ihr
im
Rossipotti
No. 11!
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