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Das geheime Buch
Reise ins Ungewisse
von
Heiko Bacher
Fortsetzung: Teil 7
Wer nicht alles mitbekommen hat und nicht
nur die kurze Zusammenfassung lesen möchte, geht ganz an den Anfang
der Geschichte zur 18. Ausgabe zurück oder zum letzten Kapitel der
letzten Rossipotti-Ausgabe
Was bisher geschah:
Der dreizehnjährige Tom und die zwölfjährige
Jenny werden von Kart Orkid, einem Agenten des unbekannten Volkstammes
Mok, gebeten, ihnen zu helfen. Laut einer uralten Prophezeiung
des "Buch des Tuns" sind die beiden Kinder "To-Am"
und "Jen-Yi" dazu bestimmt,
die Moks vor gelbem Hagel und dem Untergang ihres Stammes zu retten.
Jenny glaubt Kart Orkid kein Wort und denkt nicht daran, nach Frankreich
zu einem Volkstamm zu fahren, den es ihrer Einschätzung nach
gar nicht gibt. Doch Tom lockt Jenny mit einer vorgetäuschten
Entführung in die Auvergne, und so erfährt Jenny, dass
es die Moks wider Erwarten doch gibt.
Die Moks leben in einer großen, viel verzweigten Höhle
und haben ihre eigene Kultur und Geschichte. Tom und Jenny lernen,
dass die Moks zu dem kleinwüchsigen, afrikanischen Volksstamm
der Pygmäen gehören und als indigenes Volk von den großwüchsigen
Menschen in Europa vor langer Zeit bedroht und versklavt wurden.
Aus dem Grund verstecken sie sich seit vielen Jahrhunderten in der
Höhle. Da nun einer der Moks, Onk Ark, aus der Höhle geflohen
ist, weil er das Höhlenleben nicht mehr ausgehalten hat, und
der Agent Kart Orkid aus unerklärten Gründen verschwunden
ist, haben die Moks große Angst, dass sich die Prophezeiung
nun erfüllt und sie von den großen Menschen entdeckt
und wieder verfolgt und sogar vernichtet zu werden. Sie trauen sich
nicht mehr aus der Höhle, um mit den wenigen, befreundeten
Bauern Waren und Essen zu tauschen und befinden sich in einer Art
Ausnahmezustand.
Tom und Jenny reisen nach Rochefort
am französischen Atlantik, weil die Stadt in der Prophezeiung
genannt wurde. Dort erfahren sie, dass der kindergroße Kart
Orkid bei seiner Suche nach Onk Ark in ein Waisenhaus gesteckt wurde
und dort nach kurzer Zeit von irgendwelchen Männern abgeholt
wurde. Außerdem finden sie den
abtrünnigen, plötzlich reich gewordenen, aber sehr schweigsamen
Onk Ark in der Umgebung von Kriminellen. Leider erfahren Tom und
Jenny aber von ihm nichts weiter, als dass ein Journalist namens
Yves Scot von den Kriminellen gesucht wird. Unter dem Vorwand, für
die Schule Ferien-Interviews mit Einheimischen aus dem Urlaub zu
sammeln, verabreden sie sich mit Yves Scot. Wie sie mit großem
Schrecken feststellen, interessiert sich der Journalist tatsächlich
für die seltsamen Jungen, die aus dem Nichts aufgetaucht und
wieder verschwunden sind. Nach seiner Recherche wurde Kart Orkid
von den Männern ins Gefängnis gesteckt. In der Hoffnung,
endlich eine große Story über einen mysteriösen
Fall schreiben zu können, bittet
er Tom und Jenny, ihm zu helfen. Da Kart Orkid dem Journalisten
gegenüber bisher sehr misstrauisch und wortkarg gewesen war,
sollen Tom und Jenny Kart Orkid nun im Gefängnis besuchen und
ihn an seiner statt aushorchen, woher er kommt. Tom und Jenny sagen
ihm zu, weil sie selber daran interessiert sind, mit Kart Orkid
zu sprechen. Den Journalisten möchten sie danach natürlich
nich das wirkliche Gespräch verraten, sondern ihn mit einer
erfundenen Geschichte abspeisen. Doch im Besuchsraum im Gefängnis
werden sie gefilmt und ein normales Gespräch zwischen Kart
Orkid und ihnen ist nicht möglich. Und so wissen sie nach ihrem
Besuch kaum mehr als davor ...
Scot blickte enttäuscht auf, als Tom und Jenny vom Wärter
durch die Gittertür geschoben wurden. Offensichtlich hatten
sie ihre Besuchszeit lange nicht ausgeschöpft.
Der Pförtner gab Jenny und Tom ihre Taschen zurück und
schob sie dann eilig nach draußen vor das Gefängnistor.
"Ich fürchte, ihr ward nicht erfolgreich?" sagte
Scot, während er das Auto aufschloss. "Wollte der Junge
in die Zelle zurück, bevor ihr eure Fragen stellen konntet?"
Tom nickte.
Scot öffnete die Autotür und ließ sich in seinen
Sessel fallen.
Tom und Jenny stiegen ebenfalls ins Auto und schnallten sich an.
"So ging es mir im Waisenhaus auch immer", sagte Scot.
"Keine drei Sätze konnte ich mit ihm wechseln, schon drehte
er sich um und war verschwunden. Schade, ich habe gedacht, ihr stellt
euch geschickter an."
"Geschickter als Sie?" fragte Tom.
Scot nickte. Er ließ den Motor an und fuhr langsam aus der
Festungsanlage über einen kleine Brücke, die zurück
ins Zentrum von Saint Martin de Ré führte.
Als Scot sich orientiert hatte, wohin er fahren musste, um wieder
nach La Rochelle zu kommen, sagte er: "Ich bin eigentlich ziemlich
sicher, dass der Junge durch seinen Gefängnisaufenthalt inzwischen
so eingeschüchtert ist, dass er froh ist, wenn er mal wieder
jemanden zu Gesicht bekommt. Und wenn dieser jemand dann auch noch
zwei nette Kinder oder Jugendliche sind, ist es sehr wahrscheinlich,
dass er sich ihnen anvertraut."
"Was wollen Sie damit sagen?" sagte Tom und versuchte,
möglichst ahnungslos auszusehen.
"Ich frage mich, was ihr ihm gesagt habt, dass er gleich wieder
eingeschnappt ist?"
"Gar nichts", sagte Tom. "Aber als er gehört
hat, dass wir einen Artikel in der Schülerzeitung über
ihn schreiben wollen, hat er keinen Ton mehr gesagt."
"Ihr habt ihm was gesagt?" Scot schnappte nach
Luft. "Ihr habt ihm gesagt, dass ihr für eine Schülerzeitung
schreibt?"
"Das haben Sie uns doch selbst empfohlen!" Tom tat erstaunt.
"Blödsinn!" fauchte Scot. "Ich habe gesagt,
falls jemand vom Gefängnispersonal euch fragt,
warum ihr den Jungen besucht, sollt ihr ihm sagen, dass ihr für
eine Schülerzeitung schreibt. Aber das solltet ihr doch nicht
dem Jungen selbst sagen! Ich habe euch davor im Gegenteil klipp
und klar gesagt, dass er seine Geschichte nicht in der Zeitung lesen
will!"
"Tut mir leid!" sagte Tom betont geknickt. "Das habe
ich wohl falsch abgespeichert."
"Ihr habt mir alles vermasselt!" sagte Scot wütend.
"Ich hätte euch niemals fragen sollen, ob ihr den Jungen
besucht! Wie kam ich überhaupt auf die blöde Idee, irgendwelche
naiven Kinder aus dem Ausland damit zu beauftragen ...?!"
"Wahrscheinlich genau deshalb", getraute sich Tom zu sagen.
"Wir sind für Sie nur interessant, weil wir naiv sind
und aus dem Ausland kommen! Dadurch sind wir erstens leicht zu manipulieren
und zweitens haben wir keinen Ansprechpartner vor Ort, dem wir alles
brühwarm weiter erzählen können. Wie peinlich wäre
es dagegen für Sie, wenn Sie einheimische Kinder ins Gefängnis
schicken würden! Das würde nicht nur Sie in ein sehr unangenehmes
Licht rücken, sondern ihre tolle, geheime Story allen bekannt
machen!"
Scot grummelte irgend etwas vor sich hin, machte Tom und Jenny aber
keine weiteren Vorwürfe. Mit verbissener Mine fuhr er über
die Pont de Ré in die Hafenstadt La Rochelle. Im Auto breitete
sich eine unangenehme Stimmung aus. Aber Tom war das Schweigen lieber,
als eine gezwungene Unterhaltung. So musste er sich schon keine
weiteren Lügen ausdenken.
Nach einigen weiteren Kilometern, brach Scot allerdings sein Schweigen
und fragte: "Ich hoffe, ihr habt trotzdem irgendetwas
Neues erfahren?!"
Tom tat so, als ob er überlegen müsste. Dann sagte er:
"Vielleicht ist es für Sie interessant, dass der Junge
öfters Besuch bekommen hat?"
"Besuch?" horchte Scot auf. "Von wem?"
"Keine Ahnung", sagte Tom wahrheitsgemäß. "Der
Junge wusste offensichtlich selbst nicht genau, wer ihn da besuchte.
Auf jeden Fall waren es Männer in dunklen Anzügen."
"Sehr schön", sagte Scot bitter. "Davon gibt
es in Frankreich Tausende!"
"Aber könnten es nicht die gleichen Männer gewesen
sein, die ihn auch aus dem Waisenhaus in das Gefängnis gebracht
haben?" fragte Tom.
"Kluges Köpfchen", sagte Scot. "Sehr wahrscheinlich
sogar. Und da wir wissen, dass das keine angenehmen Personen sein
können, frage ich mich, ob sie ihn irgendwie unter Druck setzen.
Wird er gefoltert? Habt ihr irgendwelche Spuren von Gewalt an dem
Jungen entdecken können? Der Junge muss irgendetwas wissen,
was den Leuten in dunklen Anzügen von Vorteil ist. Aber was?!"
Tom zuckte wieder mit den Schultern. Er war froh, dass sie ihren
Besuch aus Scots Sicht vermasselt hatten. Andererseits war es natürlich
schade, dass sie selbst auch kaum mehr erfahren hatten, als sie
vor ihrem Besuch bei Kart Orkid nicht ohnehin schon gewusst hatten.
Das einzig wirklich Neue, was sie erfahren hatten, war, dass sie
nach einem "schwarzen Zeichen auf gelbem Grund" suchen
sollten. Tom seufzte: Selbst wenn sie heraus bekommen würden,
was das Zeichen bedeutete, waren sie wahrscheinlich trotzdem keinen
Schritt weiter als davor. Das Zeichen war sicher nichts anderes
als ein weiteres, rätselhaftes Symbol in der langen Kette der
symbolträchtigen Mok-Prophezeiung!
"Hat der Junge zufällig etwas in der Richtung gesagt,
dass man ihm irgendetwas versprochen hat, wenn er redet?" riss
Scot Tom aus seinen Gedanken.
Tom schüttelte den Kopf.
"Merde!" schimpfte Scot und schlug mit der Hand aufs Lenkrad.
"Die Fahrt hier her war völlig umsonst!"
Wütend drückte er aufs Gas und schnitt einem Autofahrer,
der von rechts kam, die Vorfahrt. Der Autorfahrer hupte, aber Scot
beachtete ihn nicht weiter.
Tom hatte beinahe ein wenig Mitleid mit Scot. Immerhin hatte er
ihnen einen Besuchsrecht bei Kart organisiert und sie hier her gefahren.
Sie dagegen logen ihn an und lachten sich hinter seinem Rücken
ins Fäustchen, wie gut sie ihn ausgetrickst hatten! Eigentlich
war das schäbig von ihnen.
Gab es nichts, mit dem er Scot ein wenig aufheitern konnte? Irgendeinen
Hinweis, der weder Kart noch ihnen schadete, der aber Scot ein wenig
für seine Mühe entschädigte? Tom dachte angestrengt
nach.
Nach einer Weile sagte er: "Ich denke trotzdem, dass Sie auf
der richtigen Spur sind. Denn er schien vor den Männern in
den dunklen Anzügen wirklich große Angst zu haben. Wir
haben zwar keine Spuren von körperlicher Gewalt an ihm sehen
können. Aber er hat etwas sehr Komisches zu uns gesagt, was
wir nicht verstanden haben."
"Was denn?" fragte Scot lauernd.
"Dass er Angst vor gelber Farbe hat!"
"Was?!" fragte Scot völlig überrascht. "Was
bedeutet das denn?!"
"Wie gesagt, wir haben es selbst nicht verstanden", sagte
Tom. "Aber vielleicht wollte er uns etwas verschlüsselt
mitteilen?"
"Hat er wirklich gelb gemeint oder nicht viel eher hell,
gleißend, wie zum Beispiel das Sonnenlicht oder ein
auf ihn gerichteter Strahler?"
'Hilfe!' dachte Tom. Hatte er jetzt doch auf dumme Art etwas über
die Moks preis gegeben? Denn die Sonne oder Licht war für die
Moks ja tatsächlich gefährlich. Zum einen blendete das
Sonnelicht ihre an die Dunkelheit gewöhnten Augen. Zum anderen
konnten sie während der Tageszeit nie ihre Höhle verlassen.
Aber wie hätte er auch ahnen können, dass Scot bei gelb
gleich an Sonne und Licht dachte? Oder wusste er mehr, als er zugab?
Oder hatte Scot mit seiner Bemerkung über den Strahler etwas
ganz anderes im Sinn?
Wie auch immer. Auf jeden Fall musste er Scot von dieser Verbindung
gelb=Sonne abbringen. Er erfand deshalb aus dem Stehgreif: "Nein,
der Junge hat bei der Farbe gelb sicher nicht an die Sonne oder
ein helles Licht gedacht, sondern wirklich nur an die Farbe selbst.
Er hat couleur nicht soleil oder lumière
gesagt!"
Scot nickte und kniff seinen Mund verärgert zusammen.
"Was redet ihr denn da?" fragte Jenny, alarmiert durch
den Begriff couleur, den selbst sie verstanden hatte. Tom
hatte Scot doch hoffentlich nichts von der Farbe des Zeichens verraten?!
"Keine Sorge!" sagte Tom und sah nach hinten. "Alles
im grünen Bereich. Ich habe Scot gerade nur erzählt, dass
der Junge die Farbe gelb nicht leiden kann."
Jenny warf Tom einen verärgerten Blick zu und wollte etwas
sagen. Aber Tom bedeutete ihr mit einer heimlichen Handbewegung,
still zu sein. Schließlich konnte man nie sicher sein, ob
Scot nicht doch ein paar Brocken deutsch sprach.
Jenny ließ sich wieder halbwegs entspannt zurück in den
Sitz fallen. Tom würde schon wissen, was er tat. Und eigentlich
konnte das halbwahre Wissen, dass Kart die Farbe gelb nicht mochte,
den Moks eigentlich nicht schaden? Das Wichtigste mit dem schwarzen
Zeichen hatte Tom ja hoffentlich nicht verraten.
Jenny überlegte, was Kart mit dem Zeichen wohl gemeint haben
könnte. Schwarz und gelb waren in Deutschland die Farben der
CDU und der FDP. Aber obwohl sich die Parteien nahe standen hatten
sie natürlich kein gemeinsames Zeichen. Außerdem gab
es in Frankreich die beiden Parteien ja gar nicht. Also konnte sie
diese Idee knicken. Aber was bedeutete das Zeichen dann?
Jenny hoffte, das Zeichen nachher mit Hilfe des Internets entschlüsseln
zu können. Immerhin war es unwahrscheinlich, dass es viele
verschiedene schwarze Zeichen auf gelbem Grund gab.
"Wir sind bald da!" sagte Tom. "Scot fragt, wo er
uns nachher rauslassen soll?!"
"Am besten im Stadtzentrum", meinte Jenny und dachte dabei
an ein Internet- oder Cyber-Café, wie es in Frankreich hieß,
an dem sie schon öfters vorbei gekommen waren. Die Leute, die
davor saßen, sahen nicht viel älter aus als sie selbst.
Jenny wäre am liebsten schon öfters hinein gegangen, um
ihre Mails abzurufen oder einfach nur abzuhängen und eine Cola
zu trinken. Aber sie mussten sie ja immer sparen und hatten kein
Geld für solche Ablenkungen. Aber heute würde Tom sicher
nichts dagegen haben, wenn sie hier nach dem Zeichen recherchieren
würden.
Eine halbe Stunde später ließ Scot die beiden in der
Rue Cochon Duvivier am Place Colbert raus. Es war ein kurzer und
schmerzloser Abschied. Scot hatte inzwischen offensichtlich verdaut,
dass er von zwei deutschen Kindern keine große Hilfe erwarten
konnte. Und Tom und Jenny waren froh, dass sie bei ihrer Doppelagentenrolle
so glimpflich davon gekommen waren. Scot schüttelte ihnen die
Hand, bedankte sich knapp für ihre Hilfe, schwang sich in sein
Auto, hupte noch einmal und fuhr davon.
"Puh!" sagte Jenny, als Scots Auto verschwunden war.
"Bin ich froh, dass wir den los sind!"
"Ich auch", sagte Tom. "Ich hoffe nur, dass ich ihn
mit der Farbe gelb nicht doch auf die Spur der Moks gesetzt
habe."
"Wieso denn das?"
Tom erzählte Jenny kurz das Gespräch zwischen ihm und
Scot.
"Ach was!" sagte Jenny. "Ich glaube nicht, dass wir
uns darum Sorgen machen müssen. Selbst, wenn er weiterhin bei
gelb an die Sonne denkt: Was bringt ihm das? Die Sonne ist
von den Moks weiter entfernt als von uns! Außerdem schätze
ich Scot nicht so ein, als ob er gerne irgendetwas herum spekuliert.
Er wird von der Sonne nicht auf die Moks kommen! Scot ist Geschichte.
Lass uns jetzt lieber selbst überlegen, was Kart mit dem schwarzen
Zeichen auf gelbem Grund gemeint haben könnte!"
Jenny knuffte Tom kameradschaftlich in die Seite und zog ihn Richtung
Rue Lesson, wo das Cyber-Café war. Jetzt, da Scot in der
Ferne verschwunden war, fühlte sie sich schon viel besser.
Erstens mussten sie jetzt nicht mehr aufpassen, was sie sagen durften
und zweitens, konnten sie endlich wieder selbst entscheiden, was
sie tun oder lassen wollten. Das Wetter war herrlich, sie würden
gleich in einem tollen Café sitzen und eine Cola trinken.
Und sie hatten durch Kart eine heiße Spur, der sie nachgehen
konnten: Das schwarze Zeichen auf gelbem Grund.
Tom stolperte dagegen ziemlich deprimiert neben Jenny her. Er fand
ihren Vorschlag, im Internet nach dem Zeichen zu forschen, ziemlich
abwegig. Mittlerweile war er sich sogar sicher, dass das Zeichen
genau so verschlüsselt war wie die ganze Prophezeiung des Mok-Gründers
Tor. Auch das Internet würde ihnen Tors Sprache nicht übersetzen
können.
Als sie in dem Cyber-Café angekommen waren, ließ er
sich deshalb lustlos an einem der Tische mit Laptop auf den Stuhl
plumpsen.
Jenny klickte sich am Computer gleich in ihr Postfach und versank
in ihren Mails und ihren Klatsch-Plattformen, die sie zu Hause täglich
besuchte. Er selbst hatte keine Lust, seine Mails zu lesen. Warum
auch? Wenn er sie las, hätte er nur das Gefühl, antworten
zu müssen. Und er hatte keine Lust, irgendeine gefälschte
Geschichte über das Ferienlager city kids zu schreiben,
in dem er und Jenny im Moment angeblich waren.
Jenny tippte dagegen fröhlich auf der Tastatur herum, vertippte
sich manchmal, weil ein paar Buchstaben auf der französischen
Tastatur anders lagen als bei der deutschen, und plapperte immer
wieder laut einige Sätze vor sich hin.
Tom sah ihr eine Weile dabei zu, dann ging er zum Tresen und bestellte
für sich und Jenny eine Cola.
Etwa nach einer halben Stunde tauchte Jenny wieder aus ihrer virtuellen
Kommunikation auf: "Zu Hause scheint alles beim Alten zu sein!"
sagte sie. "Kaum zu glauben eigentlich, dass deren Welt immer
noch gleich aussieht, während sich unsere so verändert
hat!"
Jenny nahm einen großen Schluck von ihrer Cola und fragte:
"Sollen wir die Suche nach dem Zeichen auf Deutsch oder auf
Französisch starten?"
"Egal", sagte Tom und schob seinen Stuhl neben Jenny.
"Da es sich bei dem Zeichen um ein Symbol und nicht um einen
Text handelt, müsste eigentlich beide Male das gleiche heraus
kommen."
"Stimmt", sagte Jenny und klickte bei der Suchmaschine
auf "Bildersuche". Dann gab sie in das Suchfeld "schwarzes
Zeichen auf gelbem Grund" ein und drückte auf Enter.
Auf dem Bildschirm bauten sich schnell verschiedene schwarze Zeichen
auf gelbem Grund auf. Die ersten Treffer waren gelbe Nummernschilder,
danach kamen mehrere Blindenzeichen und ein aus vier Kreisen bestehendes
Symbol, das anscheinend Biogefährdung bedeutete. Außerdem
gab es mehrere Symbole mit Totenköpfen, ein Blitzzeichen, ein
flammenartiges Zeichen für feuergefährliche Stoffe und
ein Symbol für nukleare Gefahr oder Radioaktivität.
"Na toll", sagte Jenny. "Jetzt sind wir so klug wie
davor. Oder hast du eine Ahnung, welches der vielen Zeichen Kart
gemeint haben könnte? Vielleicht das Blindenzeichen, weil die
Moks in der Höhle so gut wie blind sind?"
"Daran habe ich im Gefängnis auch schon gedacht",
sagte Tom. "Aber jetzt kommt mir das irgendwie zu einfach vor.
Außerdem bringt es uns in der Sache überhaupt nicht weiter.
Die Nummernschilder können wir auch vergessen. Davon gibt es
so viele verschiedene, dass es unmöglich ein Hinweis sein kann."
"Vielleicht sollten wir die Suche doch auf Französisch
starten?" überlegte Jenny. "Immerhin haben sie sich
mit Kart wohl auf Französisch unterhalten."
Tom zuckte mit den Schultern, übersetzte den Satz aber trotzdem
in "signe noir sur jaune" und gab ihn in den Suchschlitz
ein.
"Was ist das denn?!" fragte Jenny.
Auf dem Bildschirm erschien an erster Stelle ein Symbol, das schwarz
gemalte Männchen auf gelbem Grund darstellte. Darunter stand
"Family". Daneben war ein anderes Zeichen, auf dem zwei
schwarze Männchen spazieren gingen. "Glaubst du, dass
mit Familie die Moks gemeint sind?"
Tom schüttelte den Kopf und tippte mit dem Finger auf ein Symbol
weiter unten: "Dann meinte Kart schon eher das Vorsicht
Blitz-Symbol! Das kam doch vorhin auch bei der deutschen Suche.
Und hier gibt es nochmals das Symbol für nukleare Gefahr oder
Radioaktivität!"
"Meinst du, dass die beiden Symbole in unserem Fall miteinander
zusammen hängen?" fragte Jenny.
"Nein", sagte Tom. "Ich denke eher, dass Kart eines
der beiden Zeichen gemeint hat. Eines aus der Schnittmenge der französischen
und deutschen Zeichen."
"Warum dass denn?" frage Jenny befremdet. "Was hat
denn die Schnittmenge der Zeichen mit den Moks zu tun? - Oder glaubst
du, dass Kart von dieser Schnittmenge wusste und gehofft hat, dass
wir es heraus bekommen?"
"Wohl kaum", meinte Tom. "Aber ich denke, dass die
Schnittmenge etwas über die wesentliche Eigenschaft des Zeichens
aussagen kann. Und dass umgekehrt alles, was nicht zu den Überschneidungen
gehört, unwesentlich ist?"
"Verstehe ich nicht", sagte Jenny. "Du kannst doch
nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, und dann sagen, die Schnittmenge
ist die Bedeutung von Apfel oder Birne: nämlich Obst!"
"Das nicht", gab Tom zu. "Aber logischer Weise bekommt
man die eigentliche Bedeutung eines Dings dann heraus, wenn man
die unnötigen Eigenschaften abstreicht und nur noch die nötigen
beibehält. Ein Stuhl ist beispielsweise einfach nur eine Sitzfläche
mit vier Beinen. Die Farbe des Stuhls, seine spezifische Form und
so weiter spielen für die Grundbedeutung keine Rolle. Sie sind
also unnötige Eigenschaften, die man von der eigentlichen Bedeutung
abziehen kann."
"Kapier ich nicht", sagte Jenny. "Deine Stuhl-Logik
hat doch absolut nichts mit den Moks zu tun! Unsere Zeichen sind
doch zwei völlig verschiedene Gegenstände, deren Bedeutungen
du nicht miteinander vermischen kannst!"
"Da hast du allerdings Recht", sagte Tom nachdenklich.
"Trotzdem habe ich irgendwie das Gefühl, dass wir die
Bedeutung von Karts Zeichen nur dann heraus bekommen, wenn wir die
Zeichen weiter verfolgen, die unabhängig von der Sprache gleich
sind!"
"Pfff", stöhnte Jenny. "Das ist mir viel zu
spekulativ. Als ob es eine unabhängige Kraft gäbe, die
im Hintergrund wirkt und uns über deine abwegige Logik etwas
sagen möchte!"
"Genau so empfinde ich es auch!" rief Tom aus. "Ich
weiß, dass sich das seltsam anhört. Zuerst war ich mir
eigentlich ziemlich sicher, dass das Internet uns in dieser Zeichen-Sache
nicht weiter helfen kann, weil das schwarze Zeichen genau so verschlüsselt
ist wie die ganze Prophezeiung. Aber wenn ich jetzt die konkreten
Zeichen auf dem Bildschirm sehe, glaube ich irgendwie, dass die
Kraft, die in der Prophezeiung steckt, auch im Internet wirkt! Und
diese Kraft will uns über die Schnittmenge der Zeichen etwas
mitteilen!"
"Das ist doch völlig durchgeknallt!" sagte Jenny
wütend. "Blödsinniger Hokuspokus!"
"Von wegen Hokuspokus", sagte Tom, "so etwas Ähnliches
habe ich auch schon mal in dem Science-Fiction-Roman Swosh-Size
gelesen habe. Da wird die These vertreten, dass Mathematik oder
Logik bessere Mystik ist. Oder umgekehrt, dass Mystik mit Mathematik
erklärbar ist."
"Auch nicht besser!" stöhnt Jenny. "Es gibt
keine mystische Mathematik, die mehr weiß, als wir selber.
Deshalb gibt es auch keinen tieferen mystischen Sinn unseres Zeichens.
Es gibt einfach nur verschiedene schwarze Zeichen auf gelbem Grund,
die Menschen erfunden haben und sie dazu benutzen, sich gegenseitig
unterschiedliche Dinge mitzuteilen! Wir haben jetzt nur das Problem,
welches dieses von Menschen gesetzte Zeichen Kart gemeint haben
könnte? Wenn er überhaupt ein bestimmtes Zeichen gemeint
hat. Vielleicht weiß er ja genauso wenig wie wir selbst?"
"Mmmh", sagte Tom und gab "black sign on yellow ground"
in das Suchfeld ein.
Jenny fragte sich, ob Tom die deutsch-französische Schnittmenge
auch noch mit den englischen Suchergebnissen abgleichen wollte?
Genervt verdrehte sie die Augen.
Nachdem Tom auf die Enter-Taste gedrückt hatte, erschienen
auf dem Bildschirm Bilder mit schwarz-gelben Turnschuhen, einem
Rucksack und eine Warntafel für unebenen Boden.
"Da hast du deine mathematische Mystik!" bemerkte Jenny
schadenfroh. "Es gibt keine magische Schnittmenge zwischen
deutschen, französischen und englischen Zeichen!" Oder
will dir deine verborgene Zeichenkraft etwa mitteilen, dass die
Moks nicht nur durch gefährliche Stoffe bedroht werden, sondern
auch noch dringend Turnschuhe und einen Rucksack brauchen?!"
"Ha, ha", machte Tom, "vielleicht habe ich das Ganze
auch nur falsch übersetzt?"
"Genau!" sagte Jenny. "Deine Idee ist insgesamt ein
Übersetzungsfehler!"
Tom ließ sich nicht beirren und gab statt sign symbol
in das Suchfeld ein und klickte wieder auf die Enter-Taste.
"Yeah!" sagte Tom und ballte seine Hand triumphierend.
Auf dem Bildschirm hatten sich dieses Mal neben verschiedenen anderen
Zeichen auch mehrere Symbole für Radioaktivität aufgebaut.
"Wieder das schwarze Atomzeichen!"
"Na und?!" sagte Jenny. "Das beweist gar nichts.
"Natürlich ist das Atomzeichen eines der möglichen
Zeichen. Genauso gut kann Kart aber auch alle anderen Zeichen gemeint
haben!"
"Glaube ich nicht", sagte Tom und sah weiter auf den Bildschirm.
"Die Moks sind in irgendeiner Form atomar bedroht! Vielleicht
sollen sie ja mit einer Atombombe aus der Höhle vertrieben
werden?!"
"Quatsch!" sagte Jenny. "Das macht überhaupt
keinen Sinn! Wenn man in die Höhle eine Atombombe schmeißen
würde, müsste man davor auch die französische Bevölkerung
in einem Umkreis von zig Kilometern evakuieren! Und was wollen die
Franzosen bitte mit einer verstrahlten Höhle? Außerdem
setzt deine Theorie voraus, dass die Moks und ihre Höhle schon
entdeckt sind."
"Kann doch sein?!" sagte Tom. "Vielleicht sitzt Kart
im Gefängnis, damit er die Moks nicht warnen kann?!"
"Und warum hat er uns dann nicht eindeutiger zu verstehen gegeben,
dass wir die Moks warnen müssen?"
Tom zuckte mit den Schultern. "Wenn du eine bessere Idee hast,
kannst du sie gerne mitteilen! Aber mit den Zeichen Family,
dem Blindenzeichen oder schwarz gelben Turnschuhstreifen
kommen wir sicher nicht weiter."
"Wie gesagt: Biogefährdung oder das Zeichen für feuergefährliche
Stoffe kann ich mir auch gut vorstellen", sagte Jenny. "Vor
allem letzteres. Immerhin stand in der Prophezeiung doch etwas von
Feuer, Flamme, Hunger, Betrug, zerquetschendes Ende? Vielleicht
ist die Höhle mit einem giftigen Biostoff verseucht!"
"Da kann ich dir gleich deine eigenen Argumente vorhalten:
Erstens müssten in dem Fall die Männer in dunklen Anzügen
auch schon über die Höhle Bescheid wissen und zweitens,
stellt sich auch hier die Frage: Was liegt den Männern an einer
verseuchten Höhle?" "Was liegt den Männern überhaupt
an der Höhle?" fragte Jenny.
"Womit wir mit unseren Fragen wieder ganz am Anfang stehen",
sagte Tom. "Aber irgendetwas muss ihnen an der Höhle oder
zumindest an den Moks liegen. Sonst wäre Kart nicht im Gefängnis
und Onk Ark kein reicher Mann!"
Jenny zuckte mit den Schultern. "Auf jeden Fall wäre atomare
Bedrohung oder Biogefährdung für uns eine viel zu große
Nummer! Wer sind wir denn? Zwei stinknormale Kinder aus Deutschland,
die weder besonders heldenhaft noch politisch bewegt sind. Was erwarten
die Moks eigentlich von uns?"
"Dass wir die Prophezeiung erfüllen", sagte Tom.
"In ihren Augen sind wir, glaube ich, nur Werkzeuge einer höheren
Macht."
"Und was, wenn die Werkzeuge bei ihrem Gebrauch kaputt gehen?!"
sagte Jenny. "Haben sich die Moks das auch mal überlegt?"
"Immerhin steht am Ende der Prophezeiung, dass in Trümmern
To-Am und Jen-Yi das Licht der Hoffnung tragen und nicht erlöschen
lassen werden."
"Ich wollte, ich könnte an die Prophezeiung glauben!"
dachte Jenny laut. "Das würde mir manches erleichtern."
"Weißt du übrigens, was noch auf das Atomkraft-Zeichen
hindeutet?" Tom war plötzlich ein Gedanke gekommen: "die
drei runden Kreissegmente des Atomkraftzeichens!" Tom fuhr
mit dem Finger auf dem Zeichen für Radioaktivität eine
imaginäre Linie zwischen den drei Kreissegmenten. "Sieh
mal: Eigentlich beschreiben sie zusammen einen Bogen!"
"Na und?"
"Erinnerst du dich nicht an den Satz der Prophezeiung?"
sagte Tom und zitierte: "Der Bogen des Schatzes wird durch
Tricastin und Marcoule offenbart!"
"Den gleichen Bogen könntest du auch bei dem Zeichen für
Biogefährdung nachzeichnen", sagte Jenny.
"Stimmt", gab Tom zu. "Dann verfolgen wir eben neben
dem Atomkraftzeichen auch das Zeichen für Biogefährdung.
Aber du bist doch wenigstens mit mir einer Meinung, dass mit einem
der Zeichen der Bogen des Schatzes gemeint ist?"
"Nicht wirklich", sagte Jenny, "Bögen und Kreise
kommen fast überall vor! Auch meine Kniescheibe beschreibt
so gesehen einen Bogen. Außerdem: Warum soll ausgerechnet
ein Gefahren-Symbol ein Schatz sein?"
Tom zuckte mit den Schultern: "Vielleicht für diejenigen,
die damit Geld verdienen? Zum Beispiel irgendwelche Schieber von
Giftmüll oder Verkäufer von Atomwaffen!"
"Ich sehe immer noch keinen Zusammenhang mit den Moks!"
sagte Jenny.
"Ich im Moment auch nicht", sagte Tom leicht gereizt.
"Aber ich bin froh, dass wir jetzt überhaupt eine Ahnung
haben, in welche Richtung wir weiter recherchieren müssen!
Übrigens passt das Zeichen für Radioaktivät auch
gut zu Feuer, Flamme, Hunger und zerquetschendes Ende! Zumindest
die Atombombe ist ein riesiger, zerstörerischer Feuerball!
Denn die Atombombe ist ja nicht nur wegen ihrer Radioaktivität
gefährlich. Bevor die Radioaktivität in einem Umkreis
von mindestens 150 km alles verseucht, verbrennt bei der Explosion
der Bombe ein wahnsinnig heißer Blitz auf der Stelle erst
mal alles in vier Kilometern Entfernung. Und dann zerstört
die darauf folgende Druckwelle der Atombombe alles Leben im Umkreis
von ungefähr 50 km. Und wer etwas weiter von der Explosion
weg ist, hat immer noch kein Glück, denn in der darauf folgenden
Hitzewelle werden alle brennbaren Dinge in einer Entfernung bis
zu 130 Kilometern vernichtet! Zerquetschender kann ein Ende auf
jeden Fall nicht sein!"
"Grausam", sagte Jenny bedrückt. "Und was sollen
ausgerechnet wir dagegen tun, wenn es nicht ein mal die Regierungen
der einzelnen Länder schaffen, die Atomenergie mit allen ihren
zerstörerischen Nebenwirkungen abzuschaffen? Wir sind nur zwei
Kinder gegen eine riesige Macht. Und wir haben nicht einmal jemanden,
dem wir alles erzählen können und der einen größeren
Überblick hat als wir!"
"Aber das haben wir doch!" rief Tom aus. Er war selbst
überrascht, dass er erst jetzt auf den Gedanken gekommen war.
"Wir haben doch am letzten Abend bei den Moks von Enk eine
Adressliste mit Namen von Bauern bekommen, die den Moks helfen und
an die wir uns wenden sollen, wenn wir nicht mehr weiter wissen?"
"Stimmt!" sagte Jenny. "Jetzt verstehe ich auch,
was Kart vorhin gemeint hat, als er sagte, wir sollen den Boden,
der alle ernährt, nicht vergessen! Wahrscheinlich wollte
er uns damit einen versteckten Hinweis geben, dass wir zu den Bauern
gehen sollen?!"
Tom nickte. Ja, wahrscheinlich hatte Kart genau das gemeint! Sie
konnten zu den Bauern gehen und ihnen berichten, was sie bis jetzt
heraus bekommen hatten. Und vielleicht hatten die Bauern eine Idee,
was es mit dem schwarzen Zeichen wirklich auf sich hatte?
"Bin ich froh, dass wir bald nicht mehr die ganze Verantwortung
alleine tragen!" sagte Jenny. "Die Sache mit dem Zeichen
ist einfach zu groß für uns, ganz egal, was es wirklich
bedeutet! - Davor ist mir alles eher wie ein abgedrehtes, wenn auch
gefährliches Spiel vorgekommen. Aber jetzt bricht die Realität
so extrem in das Spiel, dass ich mich frage, was wir hier noch ausrichten
können? - Sollen die Bauern sich doch überlegen, was getan
werden muss! Wir sind auf jeden Fall draußen!"
"Dabei bleiben müssen wir in jedem Fall!" erinnerte
Tom sie an die Prophezeiung. "Ohne unser Mitwirken werden die
Moks vernichtet."
Jenny stöhnte. Im Unterschied zu Tom konnte sie einfach nicht
an die Wahrheit der Prophezeiung glauben. Es passte nicht in ihr
aufgeklärtes Weltbild, von irgendwelchen fremden Schickssalsmächten
bestimmt zu werden. Es konnte einfach nicht sein, dass jemand anderes
als sie selbst ihr Leben plante, und das sogar schon tausend Jahre
bevor sie überhaupt geboren worden war!
Jenny nahm die Maus und löschte ihre gesamten Sucheinträge,
damit der nächste Benutzer des Computers ihre Recherche nicht
nachvollziehen konnte.
Als beide gezahlt hatten, entschieden sie sich, noch ein letztes
Mal durch die Stadt zum Hafen zu schlendern. Auch wenn sie Scot
gegenüber behauptet hatten, erst übermorgen aus Rochefort
wegzufahren, würden sie nun schon morgen zu den Bauern reisen.
Die Zeit drängte und außerdem waren sie Scot gegenüber
zu nichts verpflichtet.
Tom und Jenny kauften sich zwei Kugeln Eis und versuchten, sich
wenigstens einmal in Rochefort wie gewöhnliche Touristen zu
fühlen.
Da zumindest Jenny die Hauptlast ihres Auftrags bereits auf den
Schultern der Bauern verteilt hatte, gelang ihnen das auch ziemlich
gut. Dieser Abend schmeckte nach Erdbeere und Vanille, roch nach
salziger Meerluft und wehte ein Brise Sommerferien in ihre Herzen.
Vor allem aber gehörte er nicht den Moks, nicht den Männern
in dunklen Anzügen und auch nicht Scot, sondern ihnen! Ihnen
ganz allein.
Einer, der auszog, wird aufgehängt
Onk Ark saß in seinem spärlich, aber edel eingerichteten,
klimatisierten Appartement in Portes des Barques und zitterte. Er
hatte gerade mit einem der Assistenten des CHEFS gesprochen, der
alles andere als erfreut über seine Mitarbeit gewesen war.
Sie würden deshalb in einer halben Stunde hier klingeln und
ihn "bearbeiten".
Was das bedeutete, konnte sich Onk Ark nach ihrem letzten Besuch
nur zu gut vorstellen. Die Frage war nur: Würden sie ihn dieses
Mal ernsthaft verletzen oder sogar töten?
War es vor diesem Hintergrund nicht besser, zu fliehen?
Onk Ark verzog sein Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse. Es
gab keinen Ort, zu dem er hätte fliehen können. Er wurde
von den Männern des CHEFS von morgens bis abends beobachtet.
Und selbst, wenn es ihm gelingen würde, unbemerkt nach Hause
zur Mokhöhle zu kommen, würden ihn die Moks sicher nicht
mehr aufnehmen, sondern ihn wie ein verdorbenes Stück Fleisch
gleich wieder aus dem Berg ausspeien.
Zu Hause! dachte Onk Ark bitter. Ein schönes Zuhause hatte
er! Warum hatte ausgerechnet er so ein Pech gehabt, als Mok
geboren worden zu sein? In einem finsteren Loch ohne Freude und
Vielfalt?
Wenn er richtig informiert war, gab es auf der Welt über 7
Milliarden Menschen. Die Moks mit ihren paar Tausend Einwohnern
waren dabei ein so verschwindend kleiner Teil, dass es sie beinahe
gar nicht gab. Also war auch die Wahrscheinlichkeit, als Mok geboren
zu werden, so klein, dass man sie als vernachlässigbar ansehen
konnte. Und trotzdem war er ein Mok geworden! Es musste ein Irrtum
gewesen sein, eine Verwechslung, ein Fehler des Schicksals! Doch
diesen Fehler musste er unbedingt ausbügeln. Er musste zu den
Menschen gehören, die über der Erde lebten! Und deshalb
würde er so lange aushalten, bis er ein richtiger Licht-Mensch
geworden war! Sollten die Licht-Menschen doch kommen und ihn foltern.
Er würde es aushalten. Er musste es aushalten. Er hatte ein
Recht, wie ein Licht-Mensch zu leben.
Andererseits musste er feststellen, dass er immer noch viel zu oft
wie ein Mok fühlte und dachte. Allein schon die Beweggründe
des CHEFs und seinen Männern waren ihm immer noch unklar. Die
Licht-Menschen brauchten die Höhle für irgend welche gewinnbringenden
Geschäfte. Dafür störten die Moks in der Höhle
und mussten weg. So viel hatte er verstanden.
Was er nicht verstanden hatte, wozu die Höhle außer als
Rückzugsort eines aussterbenden Volkes gut war? Dazu fehlte
ihm die Vorstellungskraft der Licht-Menschen. Die Höhle ohne
die Moks war so nutzlos wie eine Tüte ohne Güter. Onk
Ark war sich sicher, dass die Höhle keine Bodenschätze
barg. Alles, was die Höhle mit ihren Gängen, ihren Bildern,
ihrer Infrastruktur ausmachte, hatten die Moks gemacht. Ohne die
Moks gab es die Höhle eigentlich gar nicht.
Aber die Licht-Menschen wollten die Moks aus ihrer Höhle vertreiben,
um Geschäfte zu machen. Die Geschäfte der Licht-Menschen
hatten etwas mit gelben Tonnen zu tun, die sehr gefährlich
waren. Er war ziemlich sicher, dass es sich bei den Tonnen um Waffen
handelte. Brauchten sie die Höhle womöglich als Versteck
für ihre dunklen Geschäfte? Aber gab es nicht weitaus
bessere Verstecke als die Mok-Höhle? Und was für einen
Sinn machte ein Versteck überhaupt, wenn es die vertriebenen
Moks kennen würden?
Sie hatten ihn leider nie eingeweiht. Sie vertrauten ihm nicht vollständig.
Sie hatten Angst, dass er eines Tages doch Heimweh bekommen und
sie bei den Moks verraten könnte. Einmal Verräter,
immer Verräter, haben sie gesagt. Doch sie hatten Unrecht.
Er war kein Verräter. Er war jemand, der ans Licht wollte.
Und wenn die Licht-Menschen die Moks aus der Höhle vertreiben
würden, würden sie den Moks nur einen Gefallen tun. Sobald
die Moks die Schönheit der Licht-Welt gesehen haben würden,
wären sie ihm dankbar, dass er geholfen hatte, sie gewaltsam
aus der Höhle zu zerren. Natürlich wusste er, dass es
viele Moks gab, die behaupteten, dass sie gar nicht aus der Höhle
wollten und lieber sterben würden, als ihren sicheren Ort zu
verlassen. Aber er hielt sie für Lügner oder für
absolut phantasielose Schwächlinge. Nun, er würde die
Lügner ihre Lügen überführen und die Schwächlinge
aus ihrem Rattenloch befreien. Es konnte einfach nicht wahr sein,
dass die Moks wirklich lieber in Dunkelheit als im Licht lebten.
Schließlich war er ein Mok. Wusste er da nicht, wie ein Mok
tief im Inneren seines Herzens fühlte?
Die Licht-Menschen glaubten dagegen, dass die Moks am liebsten in
Dunkelheit sitzen. Das war auch eines der Dinge, die Onk Ark nicht
verstand. Die Licht-Menschen selbst liebten ihr Licht und hatten
viele seltsame Dinge erfunden, damit es auch in der Nacht niemals
dunkel zu werden brauchte. Wie kamen sie dann auf die irrwitzige
Idee, dass die Moks die Dunkelheit liebten? Schließlich waren
die Moks keine Maulwürfe oder blinde Würmer, sondern Menschen
wie sie! Aber zumindest einige von ihnen mussten glauben, dass die
Moks die Dunkelheit liebten. Denn sonst hätte der CHEF nicht
so viel Angst vor anderen Licht-Menschen. Der CHEF vermutete, dass
es sehr mächtige Licht-Menschen gab, die sehr böse werden
würden, wenn sie erfahren würden, dass die Moks aus der
Höhle vertrieben werden sollen. Jetzt wussten diese mächtigen
Licht-Menschen noch nichts von den Moks. Aber wenn sie etwas von
ihnen erfahren würden, würden sie sie beschützen.
Und deshalb durfte man die Moks auch nicht mit Feuerstäben
oder anderen Waffen vertreiben. Man musste es heimlich tun, so,
dass niemand es merkte.
Onk Ark kamen diese Gedanken sehr verwinkelt und sonderbar vor.
Ein Mok dachte viel mehr in geraden Linien. Wenn ein Mok etwas schlecht
oder gut fand, sagte er es laut und trat für seine Sache ein,
oder er schwieg und ordnete sich der Meinung der anderen unter.
Er konnte zwar verärgert sein, aber er würde niemals heimlich
etwas machen, was der Gemeinschaft ernsthaft schadete. Aus dem Grund
war er selbst auch aus der Mok-Höhle geflohen. Er hatte versucht,
mit anderen Moks die Kräfte zu bündeln und für ihr
Recht auf Licht einzustehen, aber seine Gruppe war zu schwach gewesen.
Als er eingesehen hatte, dass die anderen Moks mehr Kraft hatten,
wollte er nicht mehr bei ihnen bleiben. Er hatte sie verlassen,
aber er hätte nie heimlich längere Zeit gegen sie vorgehen
können! Natürlich gab es Moks, die gegen das Gesetz verstießen.
Aber im Vergleich zu den dunklen Machenschaften der Licht-Menschen
schienen ihm das Kleinigkeiten zu sein.
Jetzt, dachte Onk Ark, ging er natürlich sehr wohl heimlich
gegen seinen Volksstamm vor und war in eine große Sache verwickelt.
Aber jetzt war er auch kein richtiger Mok mehr, sondern auf dem
besten Weg, ein Licht-Mensch zu werden. Natürlich musste er
von den Licht-Menschen noch viel lernen, wenn er hier oben überleben
wollte. Aber er würde lernen, da war er sich sicher.
Zum Glück waren die Dinge fast von Anfang an gut für ihn
gelaufen. Nach ein paar beschämenden Tagen im Waisenhaus, waren
ein paar Männer in dunklen Anzügen gekommen und hatten
ihn stundenlang verhört. Im Unterschied zur Polizei glaubten
sie ihm, dass er kein Kind war, und brachten ihn aus diesem kümmerlichen
Haus weg, in dem es nicht viel heller als in der Mokhöhle gewesen
war und außerdem nach schlechtem Essen gerochen hatte. Nach
ein paar Untersuchungen bei einem Arzt wurde er dann in das schicke
Appartement hier in Portes des Barques gebracht und mit einer neuen
Identität versorgt. Er bekam maßgeschneiderte Anzüge
und lebte das Leben eines reichen Müßiggängers.
Also lief eigentlich alles bestens, wenn da nicht diese lästigen
Besuche der Männer in dunklen Anzügen gewesen wären.
Inzwischen wusste er, dass die Männer Agenten des europäischen
Geheimdienstes waren. Offiziell gab es diese Männer gar nicht.
Aber genau das machte sie so gefährlich, denn alles, was sie
machten, gab es deshalb folgerichtig auch nicht. Sie konnten Onk
Ark verschwinden lassen, ohne dass irgendjemand davon Notiz nehmen
würde!
Insofern war es ein Fehler gewesen, sich aus dem Waisenhaus fortbringen
zu lassen. Damals hatte er wenigstens noch eine richtige Identität
gehabt. Jetzt war er eine Kunstfigur, ein Niemand. Vielleicht hätte
er schweigen sollen, als sie ihn gefragt haben, ob er mit ihnen
zusammen arbeiten wollte?
ABER: Hatte er denn wirklich eine andere Wahl gehabt? Hätten
ihn die Geheimdienstleute nicht sowieso zu seiner Mitarbeit gezwungen?
Und außerdem: Hatte er als Erwachsener, der wie ein Kind wirkte,
überhaupt eine andere Chance, das würdige Leben eines
Licht-Menschen zu führen ohne die Hilfe der Agenten?
Sein Blick fiel auf die Digital-Anzeige: Nur noch zehn Minuten,
bis die Männer des Geheimdienstes an seiner Türe klingeln
würden!
Onk Ark trat kalter Schweiß auf die Stirn. Wenn es auch nicht
falsch gewesen war, mit den Agenten überhaupt zusammen zu arbeiten,
so war es auf jeden Fall falsch gewesen, so früh mit
ihnen zusammen zu arbeiten. Anfangs hatte er einfach viel zu wenig
verstanden, wie sie dachten. Er hatte munter drauf los geplappert
und sie mit Informationen versorgt, anstatt ihnen bei jedem Treffen
nur eine Information zu geben. So hatte er sein Pulver zu schnell
verschossen. Nachdem er ihnen anfangs bereitwillig Auskunft über
die Lage, die Größe und die Beschaffenheit der Höhle
gegeben hatte, musste er ihnen schon bald immer mehr Details über
einzelne Personen, das Leben und die Gebräuche der Moks erzählen.
Das letzte Mal hatte er ihnen sogar die Prophezeiung der Moks vorgetragen,
allein aus dem Grund, sie mit einer weiteren Information bei Laune
zu halten. Nur von den befreundeten Bauern hatte er bisher nichts
erwähnt. Denn die Bauern waren Licht-Menschen und hatten mit
den Moks eigentlich nichts zu tun.
Trotzdem waren die Männer plötzlich unfreundlicher geworden.
Sie hatten nach Kart Orkid gefragt und vermutet, dass Kart mit ihm
zusammen gemeinsame Sache für die Moks machte. Er konnte sie
nur mit Mühe davon überzeugen, dass er Kart für einen
Schwächling hielt, mit dem er niemals zusammen arbeiten würde.
Dass Kart Orkid ein Agent der Moks war und noch mehr über die
Moks wusste als er selbst, hatte er ihnen allerdings verschwiegen.
Wer weiß, vielleicht hätten sie dann lieber Kart Orkid
mit viel Geld in die schöne Wohnung gelockt und ihn dagegen
wieder ins Waisenhaus gesteckt? Inzwischen hatte er immerhin so
viel von ihnen gelernt, dass er wusste, dass man ihnen nicht alles
treuherzig erzählen durfte. Man wusste nie, was sie mit den
Informationen anfangen würden und ob sie sie sogar gegen einen
selbst verwenden würden. Andererseits konnte er sich nicht
vorstellen, dass Kart Orkid überhaupt Lust gehabt hätte,
mit den Licht-Menschen zusammen zu arbeiten? Dieser Schwächling
war ein sehr treuer Mok und liebte sein Oberhaupt über alles.
Irgendwann hatten sich die Männer des CHEFs wegen Kart Orkid
auch wieder beruhigt. Trotzdem blieben sie ihm gegenüber misstrauisch
und fingen an, Onk Ark auf Schritt und Tritt zu verfolgen und zu
beobachten.
Als sie ein wenig später heraus bekommen hatten, dass dieser
aufdringliche Journalist Yves Scot ihm im Waisenhaus mehrmals aufgelauert
hatte, wurden die Agenten ihm gegenüber noch misstrauischer.
Dabei hatte er Scot gegenüber kein Sterbenswörtchen über
die Moks gesagt. Er war doch nicht blöd! Wenn er ihm die Wahrheit
erzählt hätte, hätte Scot sicher die Polizei alarmiert,
die ihn sofort wieder zurück ins Waisenhaus gebracht hätte!
Oder Scot hätte ihm geglaubt und dann die Moks an die Öffentlichkeit
gezerrt. Und damit wäre das schöne geheime Geschäft
des CHEFs vorbei gewesen. Und mit ihm sein eigenes luxuriöses
Leben.
Dass er Scot wirklich nichts über die Moks erzählt hatte,
haben ihm die europäischen Agenten allerdings erst geglaubt,
als er nach der qualvollen, stundenlangen Gefangenschaft im Fischerhäuschen
immer noch nichts anderes erzählt hatte.
Warum kamen sie aber heute vorbei? Was hatte er jetzt falsch gemacht?
Und warum wollten sie ihn "bearbeiten"?
Hatten sie etwa heraus bekommen, dass er in dem Fischerhäuschen
mit diesen zwei besserwisserischen Kindern aus Deutschland gesprochen
hatte? Er konnte nur hoffen, dass es nicht so war, denn wer wusste,
was sie dann mit ihm anstellen würden?
Was aber, wenn sie davon bereits wussten? In dem Fall durften sie
von ihm auf keinen Fall erfahren, dass der Junge das Mädchen
mit dem Namen "Tschen-i" gerufen hatte! Der Name erinnerte
zu sehr an einen der Retter-Namen der Prophezeiung. Wenn sie das
heraus bekommen würden, wäre es eine Katastrophe! Denn
dem CHEF würde es sicher keinesfalls gefallen, wenn die Retterin
der Moks seine Pläne durchkreuzen würde! Oder glaubten
sie gar nicht an die Prophezeiung?
In den Augen des CHEFs, hätte Onk Ark ihn sicher gleich über
die Kinder informieren sollen. Aber wäre er dann nicht Gefahr
gelaufen, dass sie ihm eine heimliche Verbindung zu ihnen vorgeworfen
hätten? Genau so, wie sie es bei Kart Orkid getan hatten? Er
wusste einfach zu wenig, wie die Agenten dachten. Was wollten sie
wirklich von ihm? Was konnte man ihnen erzählen, was nicht?
Sie waren hungrig nach allen möglichen Informationen, und trotzdem
spuckten sie einem manche Informationen wieder vor die Füße,
als ob sie verdorben wären. Er verstand sie einfach nicht.
Und genau deshalb hatte er solche Angst vor ihnen .
Ein kurzer Klingelton riss Onk Ark aus seinen Gedanken.
Er erstarrte.
Es klingelte nochmals, und Onk Ark löste sich steif von seinem
Sessel. Mit mulmigen Gefühl im Bauch öffnete er die Tür.
"Schön, Sie zu sehen!" sagte der CHEF und trat mit
seinen zwei Mitarbeitern durch die Tür.
Wenn der CHEF dabei war, musste es sich um etwas wirklich Wichtiges
handeln, dachte Onk Ark. Er war ihm erst zwei Mal begegnet. Alle
anderen Termine erledigten die beiden Mitarbeiter allein.
"Gibt es etwas Neues?" fragte der CHEF beiläufig
und setzte sich auf einen Sessel. Einer der beiden Männer stellte
sich neben ihn. Der andere blieb breitbeinig an der Zimmertür
stehen.
"Nein", sagte Onk Ark.
"Keinen anregenden Kontakt zur Außenwelt gehabt?"
fragte der CHEF.
Onk Ark schwitzte. Sollte er jetzt von seiner Begegnung mit den
Kindern erzählen? Nein, dafür war es zu spät. Das
hatte er irgendwie im Gefühl.
"Sagen Ihnen die beiden Namen Tom Salzig und Jenny Limmer etwas?"
fragte der CHEF und lächelte Onk Ark an.
Onk Ark schüttelte verwundert den Kopf. Diese beiden Namen
kannte er zum Glück tatsächlich nicht.
"Seltsam", sagte der CHEF. "Dabei hören sie
sich sehr ähnlich an wie die Namen in der Prophezeiung der
Moks: To-Am und Jen-yi!"
Onk Arks Körper krampfte sich zusammen. Jen-yi hörte sich
zu ähnlich an wie Tschen-i. Also war dieses Tschen-i-Mädchen,
das am Fischerhäuschen Informationen aus ihm heraus pressen
wollte, wahrscheinlich Jenny Limmer? Und Jenny Limmer war tatsächlich
das Kind aus der Prophezeiung?
Der CHEF schien die schrittweise Erkenntnis Onk Arks in seinen Gesichtszügen
ablesen zu können. Denn er fragte: "Sie kennen diese beiden
also doch?"
"Ja ... nein!" stammelte Onk Ark. "Natürlich
kenne ich die Prophezeiung. Aber Tom Salzig und Jenny Limmer hören
sich ganz anders an. Darum wusste ich vorhin nicht, von wem Sie
reden."
"Heißt das, dass sie To-Am und Jen-Yi doch kennen?"
"Nein!" behauptete Onk Ark. "Ich meine nur, dass
ich die Namen nicht in Verbindung gebracht habe."
"Als Sie sie getroffen haben?" fragte der CHEF.
Onk Ark schüttelte ängstlich den Kopf. Was wusste der
CHEF? Wusste er bereits, dass er gerade gelogen hatte, oder tat
er nur so, als ob er es wusste? Die Licht-Menschen waren so schwer
zu verstehen!
Der CHEF zeigte Onk Ark ein Foto mit den beiden Kindern, die er
aus dem Fischerhäuschen kannte. Auf dem Foto standen sie an
einem Tisch und packten gerade etwas aus ihren Rucksäcke. Ein
Mann in Uniform sah ihnen dabei zu.
"Erinnern Sie sich jetzt?" fragte der CHEF.
Onk Ark zuckte mit den Schultern. "Vielleicht sind die beiden
Mal am Strand von Portes des Barques gewesen?"
"Gut!" sagte der CHEF, "und weiter?"
"Nichts weiter!" sagte Onk Ark. "Am Strand laufen
viele Kinder rum. Wie soll ich mir sie alle einprägen?"
"Diese beiden sollten Sie sich aber einprägen!" zischte
der CHEF. "Denn sie kennen Yves Scot und interessieren sich
für Kart Orkid!"
Yves Scot?! dachte Onk Ark entsetzt. Hatte er nicht selbst den Kindern
den Namen des Journalisten verraten? Und wusste der CHEF bereits,
dass er die Kinder auf Scot angesetzt hatte? Falls ja, dann ...
"Endlich scheinen Sie den Ernst der Lage zu begreifen!"
sagte der CHEF, während er weiterhin aufmerksam das Gesicht
des Moks studierte. "Besser Sie erzählen jetzt alles,
was sie wissen. Sonst ..."
Onk Ark erschauderte. Er wusste, was dieses "sonst" bedeutete.
Der CHEF hatte es ihm schon beim ersten Mal erklärt: Sonst
hieß, dass sie ihn ins Waisenhaus zurück bringen würden,
ihn ein paar Tage später auf dem Dachboden aufhängen und
seinen plötzlichen Tod als Selbstmord deklarieren würden!
Er hatte also keine Wahl. Er musste erzählen, wo er Tom und
Jenny getroffen und dass er mit ihnen gesprochen hatte. Dass er
die Kinder auf Yves Scot gehetzt hatte, würde er trotzdem für
sich behalten. Er konnte nur hoffen, dass der CHEF davon noch nichts
wusste. Sonst ...
"Die Kinder haben am Strand gesehen, dass Ihre beiden Mitarbeiter
mich in das Fischerhäuschen gebracht haben", presste Onk
Ark hervor.
"Sehr unangenehm", sagte der CHEF und warf seinen Mitarbeitern
einen bösen Blick zu. "Weiter!"
"Als Ihre Mitarbeiter weg waren, kamen die Kinder und fragten
mich über Kart Orkid aus", setzte Onk Ark seine Geschichte
fort. "Ich konnte ihnen aber nicht mehr erzählen, als
dass er ein stinkendes Weichei ist, das die Dunkelheit liebt. Die
Kinder erzählten mir dann, dass er nicht mehr im Waisenhaus
ist. Das war das Ende der Diskussion!"
"Unglaubliche Geschichte!" sagte der CHEF. "Warum
haben Sie sich zum Beispiel nicht befreien lassen?"
"Was hätte mir das gebracht?" fragte Onk Ark. "Ich
möchte nicht auf der Seite der Kinder oder der Moks stehen,
sondern auf Ihrer Seite!"
Der CHEF sah Onk Ark nachdenklich an.
"Was haben Sie den Kindern erzählt, wer sie gefesselt
hat?"
"Ich habe gesagt, dass das meine Auftraggeber waren",
sagte Onk Ark wahrheitsgemäß.
"Und wer sind Ihre Auftraggeber?" fragte der CHEF.
"Das habe ich den beiden natürlich nicht gesagt",
sagte Onk Ark. "Ich habe ihnen nur gesagt, dass mir meine Auftraggeber
eine Lektion erteilen wollten. Warum habe ich ihnen natürlich
nicht gesagt."
"Und damit waren die beiden zufrieden und sind dann fröhlich
wieder weg spaziert?" fragte der CHEF spöttisch.
"Es sind Kinder!" sagte Onk Ark mit Nachdruck. "Ich
verstehe ja schon nicht, warum Sie so an der Höhle interessiert
sind. Wie sollten das dann zwei Kinder tun?"
"Hoffen wir, dass es stimmt, was Sie sagen", sagte der
CHEF. "Sonst ..."
Er erhob sich aus seinem Sessel und machte ein paar Schritte auf
die Tür zu. "Übrigens beobachten wir die Kinde, seit
sie Kart Orkid im Gefängnis besucht haben", sagte der
CHEF beiläufig. "Wir sind gespannt, was sie als nächstes
unternehmen werden. Wenn sie dann für unsere Pläne zu
gefährlich werden, werden wir zugreifen und sie verhören.
Beten Sie schon einmal, dass alles stimmt, was Sie über Ihr
gemütliches Zusammensein in dem Fischerhäuschen erzählt
haben! Sonst ..."
Er nickte Onk Ark zu, winkte seinen Männern und verließ
mit einem leisen Klicken der Tür das Appartement.
Ende Teil 7
Die Fortsetzung des Romans könnt ihr
in der nächsten
Rossipotti-Ausgabe
No. 25 lesen!
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