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Das geheime Buch

Reise ins Ungewisse

von

Heiko Bacher

Fortsetzung: Teil 6

Wer nicht alles mitbekommen hat und nicht nur die kurze Zusammenfassung lesen möchte, geht ganz an den Anfang der Geschichte zur 18. Ausgabe zurück oder zum letzten Kapitel der letzten Rossipotti-Ausgabe

Was bisher geschah:

Der dreizehnjährige Tom wird von Kart Orkid, einem Agenten des unbekannten Volkstammes Mok, gebeten, sein Volk vor der Entdeckung und Zerstörung zu retten. Tom verspricht zu helfen und in den Sommerferien nach Frankreich zu den Moks zu fahren. Doch nicht nur er, sondern auch die zwölfjährige Jenny soll den Moks helfen. Denn in dem uralten "Buch des Tuns" der Moks steht geschrieben, dass nur die beiden Kinder den Moks helfen können.
Jenny glaubt Kart Orkid kein Wort und denkt nicht daran, nach Frankreich zu fahren. Auch nicht, als Kart Orkid auf rätselhafte Weise verschwindet und das Oberhaupt der Moks Tom einen hilferufenden Brief schreibt. Doch Tom lockt Jenny mit einer fingierten Entführung in die Auvergne und überredet sie, dort mit ihr nach den Moks zu suchen. Ein paar Schwierigkeiten und getrennte Wege später entdecken sie, wo die Moks leben: In einer großen, viel verzweigten Höhle.
Der Mok Lurk führt die Kinder durch die Höhle zur Hauptversammlung der Moks vor deren Oberhaupt, Pok Alk. Dort erfahren sie, was der Gründer des Mokstamms den Moks prophezeit hat: Zwei Kinder, To-Am und Jen-Yi, werden kommen und die Moks vor gelbem Hagel und dem Untergang ihres Stammes retten. - Nach der Versammlung werden Jenny und Tom zu einer Mokfamilie (den Eltern Lenka und Enk und der Tochter Kala) gebracht, die die beiden Kinder in einer Art Schnellkurs in die Sitten und Gebräuche einführen soll. Am nächsten Morgen zeigt Kala den beiden Kindern zuerst die Bibliothek. Dort sollen sich Tom und Jenny mit der Kultur der Moks beschäftigen. Sie erfahren, dass die Moks zu dem kleinwüchsigen, afrikanischen Volksstamm der Pygmäen gehören und als indigenes Volk von den großwüchsigen Menschen in Europa vor langer Zeit bedroht und versklavt wurden. Aus dem Grund verstecken sie sich seit vielen Jahrhunderten in der Höhle.
Doch weil Onk Ark, ein Mitglied ihres Volksstamms, nun aus der Höhle geflohen und Kart Orkid immer noch verschwunden ist, haben die Moks große Angst, von den großen Menschen entdeckt und wieder verfolgt zu werden. Sie trauen sich nicht mehr aus der Höhle, um mit den wenigen, befreundeten Bauern Waren und Essen zu tauschen und befinden sich in einer Art Ausnahmezustand.
Tom und Jenny sollen die Moks aus dieser misslichen Situation befreien und die Prophezeiung erfüllen. Aber wie den beiden das gelingen solll, weiß niemand. Bevor die beiden Kinder aufbrechen, werden sie von Kala und ihren Freunden heimlich im Gralsbecken getauft, um ihnen Stärke und Schutz zu verleihen.
Am anderen Morgen reisen sie nach Rochefort am französischen Atlantik, weil die Stadt in der Prophezeiung genannt wurde. Dort erfahren sie, dass Kart Orkid bei seiner Suche nach Onk Ark in ein Waisenhaus gesteckt wurde und dort nach kurzer Zeit von irgendwelchen Männern abgeholt wurde.
Außerdem finden sie den abtrünnigen, plötzlich reich gewordenen, aber sehr schweigsamen Onk Ark in der Umgebung von Kriminellen. Leider erfahren Tom und Jenny aber von ihm nichts weiter, als dass ein Journalist namens Yves Scot von den Kriminellen gesucht wird. Unter dem Vorwand, für die Schule Ferien-Interviews mit Einheimischen aus dem Urlaub zu sammeln, verabreden sie sich mit Yves Scot ...

Der Bogen des Schatzes

Am anderen Morgen standen Tom und Jenny viel zu früh vor dem Haus, in dem Yves Scot wohnte, und warteten ungeduldig darauf, dass es endlich neun Uhr werden würde. Jenny starrte auf die angegraute, blassgelbe Fassade und wunderte sich, dass Scot nicht in einem chiceren Haus in einer chiceren Gegend wohnte. Waren Journalisten denn nicht reich? Zumindest im Fernsehen trugen sie immer teure Kleider und sahen so aus, als ob sie sich nur von Shrimps und Sekt ernährten. Nun, Scot kam wahrscheinlich nie im Fernsehen. Wie viele hier, wohnte er einfach in einem der zwei- oder dreistöckigen, fast schmucklosen Mehrfamilienhäuser, die sich als ganze Zeilen an die Straßen von Rochefort schmiegten und die Stadt mindestens ebenso prägten wie der kleine Hafen und die anderen Sehenswürdigkeiten.
Tom und Jenny hatten beide schlecht geschlafen und waren wegen des "Interviews" ziemlich nervös. Was, wenn sie von Yves Scot nichts Neues erfuhren? Was, wenn er durchschaute, dass sie wegen etwas ganz anderem gekommen waren und sie zur Rede stellte?
Aber blieb ihnen außer des "Interviews" denn etwas anderes übrig? Wohl kaum! Scot war im Moment ihre einzige Spur. - Abgesehen von Onk Ark. Aber seit sie gesehen hatten, mit welchen Leuten er sich umgab, würden sie keine zehn Pferde mehr zu ihm bringen. Schließlich waren Tom und sie keine Helden! Sie blieben eben nicht cool, wenn ihnen Kriminelle eine Knarre vors Gesicht hielten. Ihnen zitterten schon die Knie, wenn sie einen Journalisten anlogen und sich unter Vortäuschung falscher Tatsachen Zutritt in sein Wohnzimmer verschafften!
"Selbst, wenn er merkt, dass wir ihn angelogen haben, kann uns nichts passieren", sagte Tom. "Wegen einer Lüge ist noch niemand ins Gefängnis gekommen."
"Kommt auf die Lüge an", meinte Jenny. "Wenn man so lügt, dass man dem anderen Schaden zufügt, schon."
"Unsere Lüge schadet Scot aber nicht!"
"Ich habe ja gar nichts gegen unsere Lüge", sagte Jenny. "Aber ich habe etwas dagegen, bei anderen Leuten herum zu schnüffeln und sie wie mögliche Verbrecher zu behandeln."
"Wir behandeln Yves Scot doch gar nicht wie einen Verbrecher!" sagte Tom. "Im Gegenteil. Wir glauben sogar, dass er zu den Guten gehört!"
"Ach", schnaubte Jenna. "Und warum fragen wir ihn dann nicht einfach, ob er irgendetwas mit den Moks zu tun hat?"
"Weil wir die Moks an niemanden verraten dürfen."
"Eben!" sagte Jenny. "Und genau deshalb sind alle anderen, die die Moks nicht kennen, unsere Feinde. Also fast alle!"
"Es war doch deine Idee, zu Yves Scot zu gehen", erinnerte Tom Jenny.
"Weil uns nichts anderes übrig bleibt!" sagte Jenny. "Aber das heißt doch noch lange nicht, dass ich es wirklich gut finde! Am liebsten würde ich die Moks Moks sein lassen und wieder nach Hause fahren. Ich hasse es, fremd bestimmt zu sein. Und dann auch noch von so einer dämlichen Prophezeiung! Warum mache ich das überhaupt? ..."
"Es ist neun!" unterbrach Tom Jenny.
Jenny grunzte wütend und Tom drückte auf den Klingelknopf. Keine zwei Sekunden später hörten sie den Türsummer und Scots Stimme, der ihnen sagte, dass er im zweiten Stock wohnte.
"Er muss schon neben der Tür gewartet haben", vermutete Tom verwundert.
"Oder er hat uns die ganze Zeit beobachtet", sagte Jenny und zeigte auf die Kamera, die sie in dem Moment über ihren Köpfen entdeckte. "Warum ist die uns vorhin nicht aufgefallen?"
"Weil wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt waren", antwortete Tom und trat in das dunkle Treppenhaus. "Wir sind eben keine Detektive, die alles überall wahrnehmen."
"Glaubst du, dass er uns über die Kamera auch hören kann?" flüsterte Jenny.
"Bin ich Hersteller von Überwachungskameras oder ein Agent?" meinte Tom gereizt. "Woher soll ich das denn wissen?"
'Tom ist mindestens ebenso angespannt wie ich', dachte Jenny, während sie hinter Tom die Treppe hoch stolperte. 'Hat er mir nicht erst gestern gesagt, dass er längst nicht mehr so begeistert über unsere Mission ist wie am Anfang? Ich sollte besser aufhören, auf ihm rumzuhacken. Tom ist schließlich nicht schuld daran, dass wir beide in der Prophezeiung der Moks stehen! Tom ist nur hilfsbereiter und phantasiebegabter als ich. Deshalb war er gleich von Anfang an dazu bereit, den Moks zu helfen. Während ich lieber mit meinen Freundinnen schwimmen gehe und Eis esse. Fragt sich nur: Was ist davon eigentlich besser?'
Während Jenny neben Tom vor der Wohnungstür auf Scot wartete, nahm sie sich fest vor, in Zukunft netter zu Tom zu sein. Sie saßen im selben Boot und waren in den nächsten Wochen aufeinander angewiesen! Und im Grunde konnte sie mehr als froh sein, dass in der Prophezeiung Tom und nicht der angeberische Kalle oder der verpetzte Leon für diese Aufgabe auserwählt worden war. Kaum auszudenken, wenn sie hier mit einem von ihnen hier sein müsste. Tom war dagegen richtig nett! Vor unendlich langer Zeit, wie ihr jetzt schien, war sie deshalb auch mit ihm befreundet gewesen. Eigentlich so lange, bis Kart Orkid in ihr Leben getreten war und ihre Freundschaft mit seinem Gerede über die Moks kaputt gemacht hatte.
Jetzt hörten sie Schritte hinter der Tür, dann ein Klappern und kurz darauf wurde die Tür geöffnet. Jenny schluckte. Irgendwie hatte sie sich Scot anders vorgestellt: Groß, dunkelhaarig mit sonnengegerbtem Gesicht. Eine Art Surflehrer voller Tatendrang.
Der echte Yves Scot dagegen war ein blasser, mittelgroßer Mann mit hängenden Schultern, schütterem Haar und beginnendem Bierbauch. Ein absoluter Durchschnittstyp. Sie musste ihr Bild von Journalisten unbedingt korrigieren!
"Entrez!" sagte eine helle Männerstimme. "Vous êtes a l'heure exacte."
Yves Scot trat zur Seite und ließ die Kinder in die Wohnung.
Ein würziger Geruch stieg Jenny in die Nase. War das ein starkes Aftershave, Pfeifentabak oder ein Gemisch verschiedener Ausdünstungen?
Der kleine Flur war mit einem grauen Teppich ausgelegt, die Wände waren - außer einem kleinen Garderobehaken und Jacken, die daran hingen - leer. Während sich Jenny überlegte, ob sie ihre Jacke dazu hängen und ihre Schuhe ausziehen sollte, stupste Tom Jenny.
"Was denn?"
"Ob du etwas trinken möchtest?"
"Non merci", Jenny schüttelte den Kopf und versuchte Yves Scot anzulächeln.
Hoffentlich hatte er nicht bemerkt, dass sie über sein Aussehen enttäuscht gewesen war?!
Yves Scot schien erfreut, dass er beide nicht bewirten musste und dirigierte sie in ein kleines, helles Wohnzimmer. An der Wand neben der Tür stand ein langes Regal, vollgestopft mit Büchern. Daneben ein brauner, in die Jahre gekommener Ledersessel und eine Stehlampe. Außerdem standen in dem Raum noch ein heller, kleiner Arbeitstisch, den Jenny bereits von ihrem Vater kannte und der offensichtlich aus einem bekannten Möbelhaus stammte, und ein großer, dunkel gebeizter Esstisch mit mehreren einfachen Holzstühlen. Auf dem Arbeitstisch stapelten sich neben dem Computer Zeitungen, Ordner und irgendwelche Papiere. Die Wand daneben war mit einer großen Frankreichkarte und vielen Fotos zugehängt. Der Esstisch war außer einem Aschenbecher leer.
Scot bot ihnen zwei Stühle am Esstisch an und setzte sich ihnen gegenüber.
"Alors, qu'est que vous voulez savoir?" Er steckte sich eine Zigarillo an und blies ihnen den Qualm ins Gesicht.
Jenny hielt die Luft an. War Scot einfach nur unsensibel oder qualmte er sie mit Absicht voll?
Tom holte aus seiner Tasche den Fragezettel, einen Notizblock und einen Stift und fing an, seine erste Frage zu stottern.
Scot nickte, zog wieder an seiner Zigarillo, beschrieb mit einem Arm einen großen Bogen und antwortete ... etwas, das Jenny nach dem ersten Wort "écoutez!" schon nicht mehr verstand. Viel mehr verschwammen ihr die französischen Wörter zu einer schönen, aber bedeutungslosen Melodie.
Das allerdings hatte den Vorteil, dass sie sich ganz auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren konnte. Und die war, sich während des Gesprächs möglichst heimlich im Raum umzusehen und auf Dinge zu achten, die Tom wegen der angestrengten Unterhaltung mit Soct wahrscheinlich durch die Lappen gehen würden.
So war zumindest der Plan, den sie sich gestern zusammen ausgedacht hatten. Aber das war eben nur ein Plan. In Wirklichkeit konnte sie von dem Platz aus, den ihr Scot angeboten hatte, nur auf einen altmodisch gemusterten Vorhang, das Fenster und eine ausladende Topfpflanze sehen. Ach ja, und auf die gegenüberliegende Häuserfassade mit einem geöffnetem Fenster. Dort kämmte sich eine Frau gerade ihre langen, schwarzen Haare. Neben oder unter ihr stand ein kleines Kind und riss an ihrem Kleid.
Jenny überlegte nervös, wie sie eine bessere Sicht auf Scots Innenraum bekommen konnte?!
In dem Moment zog Scot wieder an der Zigarillo und blies ihr seinen stinkigen Atem direkt ins Gesicht. Noch während Jenny den Atem anhielt, kam ihr eine Idee: Theatralisch wedelte sie den Rauch vom Gesicht weg und drehte dabei gleichzeitig ihren Stuhl etwa um 90 Grad zur Seite. Tom bemerkte ihren Plan und grinste sie kurz an.
Scot selbst tat so, als ob er nichts bemerkt hätte und fragte Tom irgend etwas.
Doch leider hatte die Drehung des Stuhls nicht allzu viel bewirkt. Zwar konnte Jenny jetzt Scots Arbeitstisch und einen Teil der Wand neben dem Arbeitstisch sehen. Aber die Fotos waren zu weit weg, um irgendetwas darauf entdecken zu können, und der ganze, ebenso mit Postern und Fotos zugehängte Rest der Wand und das vollgestellte Buchregal waren immer noch nicht in ihrem Blickfeld.
Mist! Wenn sie die Auswahl der Fotos, Poster und Bücher genauer betrachten könnte, könnte sie sicher einiges über Scot Arbeit und Interessen erfahren. Aber so?
Jenny überlegte, ob sie Scot nicht einfach fragen sollte, ob sie sich seine Bücher ansehen durfte? Aber ging das denn? Empfand er sie nicht ohnehin schon als ein störendes Anhängsel von Tom? Hatte er Tom vorhin nicht gefragt, warum sie überhaupt mitgekommen war, wenn sie offensichtlich kein Französisch konnte? Und hatte Tom darauf nicht geantwortet, dass sie genau deshalb Angst hätte, alleine in einer fremden Stadt zu bleiben? Wenn sie es richtig verstanden hatte, hatte Scot darauf irgendetwas wie: "Frauen! Mit ihnen hat man nur Probleme!" gebrabbelt.
Scot konnte sie hundertprozentig nicht leiden, und deshalb wollte sie auf keinen Fall die Aufmerksamkeit auf sich lenken und das Gespräch mit Tom stören.
Mit Tom schien sich Scot dagegen nach den ersten Anlaufschwierigkeiten richtig gut zu unterhalten. Immer wieder lachte er und fand einige Einwürfe Toms "très intéressantes!" Auch Tom schien sich mit Scot wohl zu fühlen.
Eigentlich komisch, nachdem das Telefonat gestern so kühl und abweisend verlaufen war. War Scot so gut gelaunt, weil er auch endlich einmal interviewt wurde? Schmeichelte es ihm, dass ihn zwei Kinder für seinen Beruf als Lokaljournalisten bewunderten?
Wie auch immer. Die für das Interview verabredete halbe Stunde war längst um und Scot schien trotzdem kein Interesse daran zu haben, es zu beenden.
Nach einer Weile öffnete er sogar eine Tischschublade, zog Kekse daraus hervor und bot sie ihnen an. Tom nahm gleich fünf Kekse auf einmal und schob sie hungrig in den Mund. Jenny gab ihm unter dem Tisch einen Tritt, aber Tom schaute sie nur verständnislos an. Hatte er vergessen, warum sie überhaupt hier waren? Zum Kekse Essen auf jeden Fall nicht! Seine Fragen hatte Tom sicher längst gefragt, und so wie sie die Lage einschätzte, hatte Scot trotz der entspannten Atmosphäre keine Neuigkeiten rausgerückt. Für sie war es Zeit, zu verschwinden.
"Warum schaut deine Freundin denn so mürrisch?" fragte Scot Tom.
"Das ist ihre Art!" sagte Tom und kassierte von Jenny einen weiteren Tritt unter dem Tisch.
"Ich muss auf die Toilette!" kramte Jenny ein paar Französisch-Kenntnisse zusammen. "Deshalb würde ich jetzt gerne gehen."
"Ach, das ist es, was dir die Laune verdirbt!" sagte Scot. "Aber du kannst doch auch hier aufs Klo. Raus in den Flur, erste Tür links!"
Jenny stöhnte innerlich auf und fragte sich, wie lange sich Scot eigentlich noch mit Tom unterhalten wollte? Was war nur in Tom gefahren? Merkte er nicht, dass es Zeit war, zu gehen?
Um den Schein zu wahren, stand Jenny auf und ging zur Toilette. Als sie die Tür hinter sich verschloss, atmete sie zuerst einmal tief durch. Es war anstrengend, eine falsche Rolle spielen zu müssen. Noch dazu, wenn so viel davon abhing. Sie ging zum Waschbecken und schaute sich in dem darüber hängenden Spiegelschrank zum ersten Mal seit Tagen wieder im Spiegel an.
Hilfe, wer war das denn?! Die Person, die ihr dort entgegenstarrte war ja um Jahre gealtert! Ihr weicher Kindermund hatte einen strengen Zug bekommen, ihre eigentlich vollen, braunen Haare hingen in klebrigen Strähnen auf die Schultern und ihre Augen schauten sie ernst und zugeknöpft an!
Und was war das?! Wuchs da etwa ein grauenerregender Pickel auf ihrer kleinen, eigentlich ganz hübschen Nase? Jenny machte die Schranktür auf, um den Spiegel näher an ihren Pickel heran zu bekommen. Immerhin war es kein Eiterpickel. Während Jenny mit der einen Hand ihren Pickel untersuchte, bemerkte sie mit der anderen Hand ein glattes Papier an der Hinterseite der Spiegeltür. Ein Foto?! Warum klebte Scot ein Foto hinter die Schranktür? Zum Verstecken?
Der Pickel war sofort vergessen. Jenny riss die Tür weiter auf und sah sich neugierig das Foto an. Sie sah vier, etwa 10-12jährige Kinder auf einer Parkbank. Nein, halt! Sie sah drei, etwa 10-12 jährige Kinder auf einer Parkbank. Das vierte Kind dagegen war eindeutig ein Mok! Jenny kannte die Moks inzwischen gut genug, um zu sehen, dass die kindliche Person mit der blassen Haut, dem erwachsenen Blick und dem langen, dunklen Mantel ein Mok war! Und Jenny konnte sich auch sehr gut denken, welcher Mok das war: Kart Orkid! Wer sonst?
Was aber machte dieses Foto in Yves Scots Badezimmerschrank? Jennys Gedanken rasten. Auf jeden Fall bewies das Foto, dass Yves Scot hinter den Moks her war. Sehr wahrscheinlich wollte Scot die Moks mit einem Artikel groß rausbringen oder sie laut Prophezeiung "für die Augen der Öffentlichkeit aufhängen". Wenn Scot aber hinter Kart Orkid und den Moks her war, waren Onk Arks kriminelle Freunde sicher auch wegen den Moks hinter Yves Scot her! Aber warum? Wollten sie etwa verhindern, dass die Moks entdeckt wurden? Und falls ja, waren sie dann etwa Freunde der Moks? Und war Yves Scot entgegen ihrer bisherigen Überlegungen doch ein Feind der Moks?
"Jenny?" Tom klopfte an die Badezimmertür.
Jenny erschrak, klappte reflexartig die Schranktür zu und drückte schnell die Klospülung.
"Ich komme!" Hoffentlich hatte Scot das Klappern des Schranks nicht gehört.
Zum Schein drehte sie den Wasserhahn auf und wusch sich die Hände.
Mit klopfendem Herzen schloss sie die Tür auf.
"Monsieur Scot hat einen Termin, weshalb wir leider gehen müssen", sagte Tom.
Jenny nickte und holte aus dem Wohnzimmer schnell ihre Tasche und ihre Jacke.
"Merci beaucoup!" sagte Tom zu dem Journalisten. "Et à bientôt!"
'Bis bald?' dachte Jenny. 'Wieso das denn?'
"Au revoir!" presste Jenny zwischen den Lippen hervor, schüttelte Scot kurz die Hand und stürzte dann zur Wohnungstür hinaus, schnell die Treppen hinunter. Bloß weg von hier!
"Was ist denn los?" rief Tom hinter ihr her. "Warte doch mal!"
Sobald sie draußen waren und in sicherer Entfernung vom Haus, sagte Jenny: "Stell dir vor: Scot kennt Kart Orkid! Er hat ein Foto von ihm im Badezimmerschrank versteckt! Onk Arks kriminelle Freunde suchen Scot also doch wegen der Moks! Vielleicht ist Scot schon dabei, einen Artikel über die Moks zu schreiben? Und vielleicht wollen Onk Arks Freunde das nur verhindern? Vielleicht ist Scot unser Feind und Onk Ark unser Freund!"
"Vielleicht", sagte Tom. "Aber ich glaube trotzdem kaum, dass Onk Arks Freunde gute Absichten haben. Denn warum fesseln und bedrohen sie ihn dann? Übrigens schreibt Scot bisher noch nicht an dem Artikel über die Moks, weil er noch zu wenig Informationen dafür hat. Er hofft aber, in spätestens zwei Wochen seine Story über die Moks veröffentlichen zu können."
"Hä?!" Jenny klappte den Mund auf. "Woher weißt du das alles?"
Sie hatte gedacht, dass sie mit dem Foto eine einmalige Entdeckung gemacht hatte und jetzt schien Tom schon mehr zu wissen als sie! Aber woher? Scot hatte kein einziges Mal das Wort "Mok" ausgesprochen, das hätte sie sicher bemerkt.
"Wenn du nicht so lange auf dem Klo gewesen wärst, hättest du mitbekommen, dass Scot mit uns zusammen arbeiten will! Er möchte mit einem Artikel über die Moks groß rauskommen. Der Entdecker der Moks oder so ähnlich."
"Was?!" rief Jenny. "Scot kennt also die Moks? Womöglich von dir? Hast du ihm etwa etwas von den Moks erzählt? Bist du denn plötzlich übergeschnappt? Und warum sollten wir mit Scot zusammen arbieten?! "
"Sei doch still!" sagte Tom und sah sich ängstlich um. "Natürlich habe ich ihm nichts von den Moks erzählt. Er selbst fragte mich, ob ich ihm in einer 'sehr speziellen Sache' helfen könne."
"Er hat die Moks also gar nicht erwähnt?" fragte Jenny erleichtert.
"Nicht direkt", meinte Tom. "Aber er sagte, dass er einer ganz heißen Sache auf der Spur wäre. Und dass es mit den merkwürdigen kleinen Kindern zu tun habe, die wie aus dem Nichts aufgetaucht und wieder verschwunden wären."
"Onk Ark und Kart Orkid ...", vermutete Jenny. "Auf dem Foto im Bad saß Kart Orkid inmitten von Kindern auf einer Parkbank."
"Richtig", sagte Tom. "Auf dem Foto war er sicher noch im Waisenhaus. Denn Scot hat mir erzählt, dass er versucht hat, mit einem der Kinder im Waisenhaus zu sprechen. Der andere war vor seiner Recherche schon aus dem Waisenhaus getürmt. Allerdings schien der fremde Junge Erwachsene nicht ausstehen zu können und unterhielt sich nur mit Kindern. Trotzdem hat er ein, - zweimal ein paar Sätze mit ihm gewechselt und durfte ihn auch einmal sogar fotografieren. Doch bevor Scot noch mehr Vertrauen zu dem Jungen aufbauen konnte, verschwand er von einem Tag auf den anderen. Allerdings nicht wie Onk Ark als reicher Erwachsener in Portes-des-Barques, sondern im Gefängnis!"
"Im Gefängnis?" rief Jenny verblüfft. "Warum das denn?"
"Laut Scots Informationen hat Kart Orkid irgend etwas verbrochen", erklärte Tom. "Aber Scot glaubt die Geschichte nicht. Allerdings hat er mir auch nicht verraten, was er dann eigentlich glaubt. Auf jeden Fall hat er mich gefragt, ob wir beide nicht zwischen dem merkwürdigen Jungen im Gefängnis und ihm vermitteln und ihn zu einem Gespräch umstimmen könnten."
"Und, was hast du ihm geantwortet?" Jenny kniff die Augen zusammen.
"Natürlich, dass wir ihm helfen!"
"Sag mal, spinnst du?" schnaubte Jenny. "Wir helfen ihm doch nicht, Kart Orkid und die Moks mit einem Zeitungs-Artikel an die Öffentlichkeit zu zerren?!"
Tom sah sich um und zog Jenny zur nächsten Bushaltestelle.
"Lass uns erst mal ein paar Kilometer zwischen uns und Scot bringen", sagte Tom. "Nicht, dass wir ihm gleich wieder auf der Straße begegnen, wenn er zu seinem Termin geht."

Als der Bus sie ein paar Stationen später in der Innenstadt an der Avenue Lafayette ausspuckte, fragte Jenny: "Was ist denn jetzt mit Yves Scot und unserer Zusammenarbeit?"
"Ich habe Scot nur zugestimmt, dass wir Kart Orkid im Gefängnis besuchen", sagte Tom. "Und das habe ich nur deshalb gemacht, weil wir genauso davon profitieren können!"
"Wie denn das?" fragte Jenny. "Wenn wir ins Gefängnis gehen, müssen wir Scot danach über das Treffen informieren. Also kann Scot umso schneller seinen Artikel schreiben."
"Wir helfen ihm doch nur zum Schein", sagte Tom.
"Zum Schein?" fragte Jenny.
"Schon mal was von einem Agenten gehört?"
"Du meinst wir spielen weiter unsere Schülerrolle, tun so, als ob uns Scots Artikel gar nicht interessiert und versuchen an ihm vorbei an Informationen zu kommen?"
Tom nickte.
"Es wird den Moks nicht gefallen, wenn sie erfahren, dass wir mit Scot zusammen arbeiten", überlegte Jenny. "Schon die Nähe zu Scot werden sie als Verrat empfinden."
"Deshalb sind wir nicht nur Agenten, sondern Doppelagenten!"
Jenny rollte mit den Augen. Tom und seine blöden Romane!
"Ich weiß, was du jetzt denkst", Tom grinste. "Aber nicht alles, was in meinen Büchern steht, ist Quatsch. Doppelagenten gibt es wirklich. Wir erzählen weder Scot noch den Moks, was wir eigentlich machen."
"Das funktioniert nie!" sagte Jenny. "Scot wird irgend etwas wissen wollen. Und was erzählen wir ihm dann?"
"Wir erfinden etwas", schlug Tom vor.
"Und was ist, wenn Scot heraus bekommt, dass wir ihn angelogen haben?" fragte Jenny. "Dann haben wir nicht nur ein, sondern gleich zwei Probleme am Hals!"
"Scot will uns immerhin eine Besuchszeit bei Kart Orkid besorgen!" versuchte Tom Jenny zu ködern. "Das ist eine einmalige Chance mit Kart Orkid zu sprechen."
"Das Besuchsrecht können wir uns auch allein besorgen, wenn wir erst mal wissen, in welchem Gefängnis er ist!"
"So?!" Tom lachte bitter. "Du glaubst, zwei zwölfjährige Kinder bekommen eine Besuchsgenehmigung im Gefängnis?"
"Von wegen Kind!" sagte Jenny. "Siehst du nicht, dass ich Pickel und fettige Haare habe? Ich bin eine Jugendliche! Dann darf ich ja wohl auch meinen jugendlichen Freund im Gefängnis besuchen!"
"Pickel und fettige Haare?" Tom schaute ehrlich verwundert. "Wo denn? Außerdem habe ich Yves Scot schon zugesagt. Er lädt uns heute Abend ins Restaurant ein! Da will er uns sagen, wie es weiter geht!"
"Na toll!" sagte Jenny. "Jetzt lässt du dich schon mit der Aussicht auf eine leckere Mahlzeit bestechen! Wahrscheinlich hat er bemerkt, dass du die Kekse so gierig hinunter geschlungen hast! Und welche Rolle spiele eigentlich ich in deinem Plan? Eine Requisite, die fast keine Bedeutung hat?"
Jenny beschleunigte ihre Schritte. Zwar hatte sie sich erst vor wenigen Stunden vorgenommen, nett zu Tom zu sein. Aber musste sie denn nicht wütend werden, wenn er sie so überging und sich diesem fettbauchigen Journalisten an den Hals warf? Sollte jetzt etwa Yves Scot bestimmen, was sie tun und lassen sollten?
Sie bog in die Avenue Charles-de-Gaulles ab, ohne sich nach Tom umzusehen. Sollte der doch bleiben, wo der Pfeffer wächst!
Oh!
Die Straße war ja schon wieder voller Marktstände! War hier nicht erst vorgestern Markttag gewesen? Tom und sie hatten damals einen großen Bogen um den Markt gemacht, zu verführerisch hatten die Waren ausgesehen.
Auch heute lockten sie die Gemüse-, Obst-, Käse, Fisch- und Fleischstände. Im Unterschied zu Tom hatte sie sich bei Scot den Bauch nicht mit Keksen voll gestopft. Sie hatte seit Tagen unterschwellig Hunger und im Moment überhaupt keine Lust, sich wieder einmal zurück zu halten!
Trotzig schlenderte sie deshalb auf die bunten Marktstände zu. Hier probierte sie ein Stück Melone, da kostete sie vom Käse, dort ließ sie sich von einer netten Verkäuferin ein Keks schenken. Schließlich kaufte sie zwei Tüten voll Wurst, Käse, Obst und Gemüse ein. Als sie sich an einen Stand anstellte, der Brot und kleine Kuchen anbot, bemerkte sie plötzlich Tom hinter sich.
"Es wird Zeit, dass wir wieder normal essen!" knurrte Jenny Tom an und drückte ihm eine Plastiktüte mit Obst in die Hand. "Der Hunger scheint dir schon den Verstand zu benebeln!"
"Im Gegenteil", sagte Tom. "Die Moknahrung schärft mir die Sinne. Weißt du, was ich glaube? Du bist sauer, weil ich bei Scot mehr heraus bekommen habe als du!"
"Dafür habe ich mich nicht von ihm einlullen lassen", stellte Jenny fest.
Sie nahm die Brottüte, die ihr der Verkäufer entgegen streckte, bezahlte und quetschte sich an Tom und dem Marktstand vorbei auf den Gehweg. Zielstrebig schlug sie den Weg Richtung Place Colbert ein. Dort wollte sie mit den Leckereien ein kleines Picknick machen. Trotzdem holte sie sich jetzt schon ein kleines Orangentörtchen aus der Tüte. 'Hm, lecker', dachte sie, als sie hineinbiss. 'Zwar sündhaft teuer, aber auch wirklich lecker!'
"Hey", sagte Tom und rannte hinter Jenny her. "Sei doch nicht immer gleich eingeschnappt. Du kannst zwar nicht so gut französisch wie ich, hast aber dafür öfters die besseren Ideen! Onk Ark hätten wir ohne dich in Portes-des-Barques nicht verfolgt und auch Yves Scot hätten wir ohne deine Initiative nie kennen gelernt. Das Treffen mit Kart Orkid in den nächsten Tagen haben wir zum Großteil dir zu verdanken!"
"Kann schon sein", sagte Jenny mit vollem Mund und verlangsamte ihre Schritte. "Aber im Gegensatz zu dir, weihe ich dich vorher in meine Pläne ein und stelle dich nicht immer vor vollendete Tatsachen. Außerdem bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob meine Ideen wirklich gut waren! Auf die Begegnung mit dem gefesselten Onk Ark hätte ich zum Beispiel gut verzichten können. Und was haben wir bei Yves Scot erreicht? Dass er mit unserer Hilfe die Moks ans Messer liefern will! Wirklich toll!"
"Das hätte er auch ohne uns gemacht", wandte Tom ein. "Jetzt haben wir dagegen den Vorteil, dass wir ihn beeinflussen oder sogar auf eine falsche Fährte setzen können."
"Möglich", überlegte Jenny. "Aber vielleicht weiß er bereits mehr als wir denken. Findest du zum Beispiel nicht merkwürdig, dass er gestern von uns nichts wissen wollte und heute auf einmal gemeinsame Sache mit uns machen möchte? Vielleicht hat er inzwischen heraus bekommen, dass wir nicht nur irgendwelche Schüler aus Deutschland sind?"
Tom nahm sich Jennys Brottüte, brach sich einen Kanten von einem Baguette ab, holte aus einer anderen Tüte ein Stück Käse und sagte: "Ich glaube nicht, dass er etwas von unserem Auftrag ahnt. Woher auch? Ich hatte den Eindruck, dass er erst durch das Gespräch mit mir auf die Idee gekommen ist, dass wir ihm vielleicht nützlich sein könnten. Ist dir nicht aufgefallen, dass er anfangs froh zu sein schien, dass wir nichts zu trinken haben wollten? Und dann bietet er uns plötzlich Kekse an! Ich denke, das war genau dann, als ihm der Gedanke gekommen ist, dass er uns gebrauchen könnte."
"Das mit den Keksen fand ich auch merkwürdig", sagte Jenny. "Und plötzlich fand er auch alles so auffallend lustig und 'très intéressante', was du gesagt hast."
"Stimmt. Aber wir haben uns einfach auch gut unterhalten", sagte Tom und steckte sich ein das Käsebrot in den Mund. "Und genau deshalb dachte er wahrscheinlich, dass ich oder besser gesagt wir ihm von Nutzen sein könnten."
"Findest du ihn nicht eklig?" fragte Jenny. "Ich finde, er sieht schleimig aus mit seinen schütteren Haaren, seinem Bierbauch und seinem weißen, aufgeschwemmten Gesicht."
"Jetzt übertreibst du aber!" sagte Tom mit vollem Mund. "Er sieht aus wie viele anderen auch."
"Und wenn schon", sagte Jenny. "Zusammen arbeiten möchte ich trotzdem nicht mit ihm."
"Dann gehe ich heute Abend eben alleine mit ihm zum Essen."
"Damit er dich noch weiter einschleimt und du ihm alles über die Moks erzählst?" sagte Jenny. "Darauf kannst du lange warten! Ich komme auf jeden Fall mit."
Jenny lief wieder schneller, überquerte hastig eine Straße und wurde dabei fast von einem Auto angefahren. Der Autofahrer hupte und Tom rannte zu Jenny auf die andere Straßenseite.
"Bist du in Ordnung?"
"Ja!" sagte Jenny. "Mit mir ist alles in Ordnung."
"Du bist immer so launisch", meinte Tom. "Warum bist du nicht einfach froh, dass wir über Yves Scot die riesige Chance haben, mit Kart Orkid zu sprechen?"
"Weil es uns nichts bringt", sagte Jenny. "Wenn Scot uns im Nacken sitzt und jeden unserer Schritte beobachtet, können wir uns doch gar nicht normal mit Kart Orkid unterhalten!"
"Scot wird ganz sicher nicht mit in den Besuchsraum kommen", sagte Tom überzeugt. "Sonst hätte er uns ja gar nicht als Vermittler einschalten müssen."
"Ja, aber was ist nach unserem Besuch?" sagte Jenny. "Da will Scot sicher mit Kart Orkid selbst reden! Da Kart Orkid aber gar nichts von unserer Vermittlerrolle weiß, wird er Scot immer noch nicht an sich ranlassen. Und was sagen wir Scot dann?"
"Das ist tatsächlich ein Problem ...", sagte Tom. "Wohin rennst du eigentlich die ganze Zeit?"
"Zum Place Colbert", sagte Jenny. "Ich wollte dort eine Art Picknick machen."
"Kann ich mitkommen?" fragte Tom. "Oder ist das alles für dich, und ich muss heute Moknahrung essen?"
"Quatsch!" sagte Jenny. "Übrigens haben wir die Moknahrung bald hinter uns. Mehr als ein paar trockene Algenkräcker und ein geräucherter Fisch sind nicht mehr im Beutel."

Auf dem Place Colbert ergatterten Jenny und Tom eine Parkbank mit Blick auf ein Wasserbecken. Dort breiteten sie ihre Leckereien aus, aßen zum ersten Mal seit Tagen nach Herzenslust und beobachteten das Treiben auf dem Platz. Mehrere Kinder planschten mit den Händen oder Füßen im Wasserbecken, eine Gruppe junger Mädchen kam kichernd aus einer Parfümerie und sprühten sich gegenseitig mit Probefläschchen ein, Touristen fotografierten die stattlichen, weißen Geschäftshäuser, die den Platz säumten, die geometrisch geschnittenen Bäume oder die Skulpturen auf einem Torbogen. Eine alte Frau fütterte Tauben und eine Großfamilie konnte sich nicht entscheiden, in welches der vielen Cafés sie gehen sollte.
"Eigentlich ist Rochefort eine nette Stadt", sagte Tom.
"Warum nur eigentlich?" fragte Jenny. Sie war davor noch nie in Frankreich gewesen und hielt deshalb alles, was sie hier sah, für typisch französisch.
"Weil es in Frankreich sicher schönere oder aufregendere Städte gibt", sagte Tom. "Rochefort hat eher eine stille und unaufdringliche Schönheit."
"Also ich finde Rochefort auf jeden Fall schöner als viele deutsche Städte", sagte Jenny und biss in eine Nektarine. "Heller, freundlicher, charmanter. In Deutschland wirken viele Städte so kleinkariert, ordentlich und unpersönlich. Hier gibt es viel mehr alte Häuser und die Stadt hat insgesamt so ein entspanntes Flair!"
"In Deutschland wurde im zweiten Weltkrieg eben viel zerbombt und dann billig wieder aufgebaut", meinte Tom. "Aber abgesehen davon finde ich auch, dass viele deutschen Städte hässlich sind."
"A propos Deutschland, ich muss dringend mal wieder meine Mutter anrufen!" meinte Jenny und klopfte sich die Brotkrümel von der Hose. "Wie sieht es mit deinen Eltern aus?"
"Stimmt", meinte Tom. "Wenn wir schon keine Karten aus dem Ferienlager schreiben können, sollten wir uns wenigstens telefonisch melden. Am besten gleich."
Jenny nickte und packte die Lebensmittel wieder in die Tüten zurück. Sie fischte ihr Handy aus dem Rucksack und lief ein paar Meter abseits.
Tom blieb auf der Bank sitzen und telefonierte hier mit seinen Eltern.

Weder Jennys Mutter noch Toms Eltern schöpften irgendeinen Verdacht, dass ihre Kinder nicht wie verabredet im Ferienlager city kids waren. Wie schön, dass man Eltern hatte, die ihren Kindern so sehr vertrauten!
Schweigsam machten sie sich zurück auf den Weg zur Jugendherberge.
Dort angekommen ging Jenny gleich auf ihr Zimmer. Nach über einer Woche wollte sie endlich mal wieder längere Zeit allein sein. Zum Glück waren die Mädchen, mit denen sie das Zimmer teilte, nicht da. So konnte sie ungestört im Bett liegen und ihren Gedanken freien Lauf lassen.
Sie schloss die Augen und dachte an ihre Mutter, die es wahrscheinlich genoss, jetzt mit ihrem Freund Klaus eine sturmfreie Bude zu haben. Der Gedanke an Klaus gab Jenny einen kleinen Stich. Obwohl sie wusste, dass es nicht Klaus war, der ihr ihre Mutter wegnahm. Es war ihre Mutter selbst, die in ihrer Freizeit immer etwas erleben und Spaß haben wollte. Und es war nicht Klaus, sondern ihre Mutter, die nicht zu Hause mit ihrer Tochter sitzen wollte. Sicher, wenn sich Tochter und Spaß verbinden ließen, war es ihrer Mutter mehr als recht. Aber falls nicht, entschied sie sich fast immer für den Spaß und fast nie für sie, Jenny.
Jenny seufzte. Obwohl ihre Mutter schon immer so gewesen war, sehnte sie sich manchmal nach einer Mutter, die sich von morgens bis abends nur um sie kümmerte. Ihre Freundin Hella war der Meinung, dass es solche Mütter gar nicht gab. Aber Jenny wusste, dass das nicht stimmte. Im Kindergarten hatte sie zum Beispiel eine Freundin gehabt, deren Mutter immer da war. Die nur darauf gewartet hat, dass ihre Tochter nach Hause kam, um mit ihr Kuchen zu backen, auf den Spielplatz zu gehen oder zu baden.
Klar, solche Mütter konnten einem auch ganz schön auf die Nerven gehen. Mit solch einer Mutter hätte sie niemals heimlich nach Frankreich reisen können. So eine Mutter rief wahrscheinlich drei Mal am Tag im Ferienlager an, um zu fragen, ob es ihrem Schätzchen gut ging.
Aber: Wäre nicht genau das herrlich? Wäre es nicht toll, wenn ihre Mutter gleich nach Frankreich gereist wäre und sie aus den Klauen Toms und der Moks befreit hätte? In dem Fall wäre sie jetzt schon längst wieder zu Hause und würde mit Hella, Kim und Lea im Garten sitzen. Diese andere Mutter würde ihnen eine eisgekühlte Cola servieren und sie fragen, ob sie sonst noch Wünsche hätten ...
Statt dessen lag sie hier in einer stinkigen Bude und erwartete ein unangenehmes Abendessen mit einem schleimigen Journalisten. Morgen würde sie sich mit Algenkräckern durch den Tag hungern, um dann übermorgen so richtig fit ins Gefängnis gehen zu können, um dort wiederum mit dem Angehörigen eines Volksstamms zu reden, den es offiziell gar nicht gab! Wie bescheuert war das denn?!
Jenny drehte sich auf die Seite und schniefte. Am liebsten würde sie jetzt hemmungslos heulen. Ihren ganzen Ärger über ihre Mutter, Tom, Yves Scot und die Moks ablassen. Aber wie heulte man eigentlich? Ihr hatte schon so lange niemand mehr beim Heulen zugehört, dass sie es schließlich verlernt hatte.
Jenny versuchte erfolglos eine Träne heraus zu drücken und seufzte. Offensichtlich tat es ihr nicht gut, alleine im Zimmer zu sein. Sie stand deshalb auf, kramte aus ihrem Reiserucksack ihren Waschbeutel, ein Handtuch und frische Kleider und ging in den Duschraum.
Der kräftige, erfrischende Duschstrahl tat ihr gut und lenkte sie von ihren trübseligen Gedanken ab. Als sie frisch angezogen wieder in ihr Zimmer zurück ging, hatte sie ihren Kummer fast vergessen.
Sie machte das Fenster weit auf und lies die warme Luft ins Zimmer strömen. Wonach roch es hier eigentlich immer? Wahrscheinlich war es irgendeine Pflanze, die überall ihren süßlich-herben Duft verströmte.
Da der einzige Stuhl im Zimmer von Kleidern und Reiseutensilien beschlagnahmt war, blieb Jenny nichts anderes übrig, als sich wieder ins Bett zu legen. Vom Bad müde und entspannt, schloss sie die Augen und schlief nach wenigen Minuten ein.

"Jenny?"
Tom klopfte bereits zum dritten Mal, ohne ein Lebenszeichen von Jenny zu hören. Vorsichtig machte er die Tür auf und war erleichtert, dass außer Jenny niemand im Raum war. Jenny lag im Bett und schlief. Tom hatte vorhin selbst ein wenig geschlafen und verstand Jenny sehr gut.
Sollte er sie gleich aufwecken oder lieber noch zehn Minuten schlafen lassen?
Unschlüssig setzte sich Tom auf Jennys Bett. Schlafend sah sie so verletzlich, zart, aber auch zufrieden aus, dass er keine Lust hatte, sie zu wecken. Statt dessen beobachtete er lieber, wie sich das einfallende Abendlicht auf ihren rotbraunen Haaren spiegelte, wie sich die Nasenflügel leicht hoben und senkten und die kleine Hand immer wieder zuckte.
Nach fast fünfzehn Minuten seufzte er und berührte Jenny leicht an der Schulter. "Jenny! Wir müssen los!"
Jenny fuhr hoch und schaute Tom entsetzt an: "Was machst du denn hier?"
"Ich wecke dich, weil wir bald mit Yves Scot verabredet sind. In zehn Minuten fährt unser Bus!"
"Was? Jetzt schon?" sagte Jenny und schälte sich mühsam aus dem Bett. Sie schlüpfte in ihre Turnschuhe, holte ihre Tasche und ihren Zimmerschlüssel und sagte: "Na, dann mal los. Hören wir uns an, was dieser Scot zu sagen hat."

Das Restaurant war ziemlich voll und sah aus wie ein typisches Touristenrestaurant. Die Wände aus Backstein waren mit Weinranken und Traubenimitaten geschmacklos dekoriert und in den Fensternischen standen kleine, römische Statuen. Aus den Lautsprechern tönte irgendein italienischer Schlager.
Warum hatte Yves Scot sie in eine italienische Pizzeria bestellt? Waren sie vielleicht unter den vielen Touristen und dem Krach ungestörter als in einem Lokal für Einheimische? Oder hatte er gedacht, dass Kinder nur Pizza und Spaghetti aßen?
Obwohl sie pünktlich waren, war Yves Scot bereits da. Er saß an einem Tisch, der etwas abseits stand und hatte ein Glas Rotwein vor sich stehen. Offensichtlich war ihm der Termin wichtig.
Als sie sich zwischen den dicht besetzten Stühlen aus schwarzem, geflochtenem Plastik zu ihm durch gekämpft hatten, stand er auf und gab Tom flüchtig zwei Küsschen auf die Wange. Als er sich zu Jenny drehte, ließ sie sich schnell auf einen Stuhl plumpsen und versenkte sich in der Speisekarte.
Yves Scot tat so, als ob er Jennys Unhöflichkeit nicht bemerkt hätte, setzte sich wieder auf seinen Stuhl und sagte: "Ich habe gute Neuigkeiten: Ihr könnt den Jungen schon Montag Vormittag besuchen! Die Gefängnisleitung hatte tatsächlich nichts dagegen, dass ihr ihn besucht! Wahrscheinlich geht sie davon aus, dass Kinder dem Jungen nicht schaden können. Montag passt euch doch, oder?"
Tom nickte.
"Was hat er gesagt?" fragte Jenny Tom.
"Wir können den Jungen schon am Montag besuchen."
"Welchen Jungen?" fragte Jenny begriffsstutzig.
Tom schaute sie bedeutungsvoll an und Jenny verstand. Der "Junge" war natürlich Kart Orkid! Scot durfte natürlich nicht erfahren, dass "der Junge" Kart Orkid hieß.
"Was möchtet ihr essen?" fragte Yves Scot. "Pizza oder Pasta?"
"Ich nehme eine Pizza Pescatore", sagte Jenny ohne zu überlegen.
Das war der Vorteil, dass sie in einer Pizzeria waren. Man wusste gleich, dass eine Pizza Pescatore eine Pizza mit Meeresfrüchten war. Zumindest, wenn man wie Jenny oft in einer Pizzeria aß. Jenny dachte an die häufigen Pizzabesuche mit ihrem Vater und seufzte.
"Und was nimmst du?" fragte Scot Tom.
"Einfach nur eine Pizza Bolognesa."
"Ich würde noch gerne einen Salat und ein Tiramisu bestellen", sagte Jenny. "Und eine große Cola."
Jetzt war es ausnahmsweise einmal Tom, der sie unter dem Tisch ans Bein trat. Aber das war ihr egal. Scot wollte etwas von ihnen und hatte sie eingeladen. Dann sollte er auch für sie bezahlen. Außerdem war es eine einmalige Gelegenheit, etwas Leckeres zu essen zu bekommen.
Erstaunlicherweise schien Scot sogar erfreut zu sein, dass sie sich so viel bestellte. Als der Kellner kam, bestellte er für sich selbst und Tom auch ein Tiramisu.
"Mademoiselle kann ja doch ein wenig französisch", stellte Scot fest als der Kellner mit der Bestellung wieder gegangen war. "Zumindest, wenn es ums Essen geht!"
"In Deutschland ist es eine Beleidigung, wenn man Fräulein sagt!" sagte Jenny zu Tom. "Übersetze das!"
Tom schüttelte den Kopf und Scot fragte interessiert: "Was hat sie gesagt?"
Tom grinste verlegen, sagte aber nichts.
"On ne dit pas mademoiselle en Allemagne!" Jenny kramte mit Mühe ein paar Fetzen Französisch heraus.
"Oh pardon!" sagte Scot, "mais maitenant, on est en France, n'est pas?"
Dann zog er einen Notizblock aus der Tasche, schob ihn den Kindern zu und sagte: "Ich habe euch bereits ein paar Fragen aufgeschrieben, die ihr dem Jungen unbedingt stellen sollt. Damit ihr sie überhaupt versteht, versuche ich euch jetzt die wichtigsten Hintergründe in dem Fall zu erläutern: Also, der Junge, der jetzt im Gefängnis sitzt, kam kurz nach einem anderen Jungen, der mit einem lächerlichen Pappausweis seine Identität beweisen wollte. Beide Jungen sind wie aus dem Nichts aufgetaucht, haben seltsame Dinge geredet und wurden, weil ihre Eltern nicht gefunden werden konnten, ins Waisenhaus gesteckt. Soweit die Fakten ..."
"Was stand eigentlich auf dem Pappeausweis?" unterbrach Tom.
"Irgend so ein kindischer erfundener Name", sagte Yves Scot. "Onka Rak oder so ähnlich. Aus dem Stamm der Mok. Geboren im Jahr 1982! Besonders komisch war, dass er sich auf dem gemalten Passfoto genau so gemalt hat, wie er auch in echt aussieht! Denn warum malt er nicht einen Erwachsenen auf den Pass, wenn er einen spielt? Oder habt ihr dafür eine Erklärung?"
"Warum interessieren Sie sich eigentlich für den Fall?" platzte Jenny dazwischen. Sie hatte einige Minuten an dem Satz gebastelt, bevor sie ihn nun Scot an den Kopf schleuderte.
Scot schaute sie amüsiert an: "Ich bin Journalist! Da interessiert man sich für besondere Fälle."
"Jenny fragt wahrscheinlich deshalb, weil Ihr Spezialgebiet eher Tiere sind", versuchte Tom zu vermitteln.
"Sind Kinder nicht so etwas Ähnliches wie Tiere?" Scot lachte.
Als er bemerkte, dass sein Witz bei Tom und Jenny nicht gut ankam, wischte er seine letzte Bemerkung einfach mit der Hand weg und sagte: "Über Tiere berichte ich nur, so lange es nicht Spannenderes gibt. Aber jetzt sind mir ja zum Glück diese eigenartigen Kinder über den Weg gelaufen und ich ahne, dass ich eine riesige Story daraus machen kann."
"Bisher hat sich die Story noch nicht so spannend angehört", sagte Tom betont lässig. "Kommt es nicht jeden Tag vor, dass Jugendliche verschwinden oder in Gefängnissen landen?"
"Sicher", sagte Scott. "Aber normalerweise haben diese Jugendliche Eltern, die sie als vermisst melden oder sie im Gefängnis besuchen. Unsere beiden Kinder kamen aber, wie gesagt, aus dem Nichts! Die Polizei hatte dafür zwar schnell eine Erklärung bereit: Nämlich, dass es einfach Kinder sind, die von Schlepperbanden aus dem Osten nach Frankreich gebracht wurden und hier in irgendwelchen dunklen Kanälen leben und arbeiten müssen. Aber diese Theorie halte ich für sehr oberflächlich und falsch. Denn sie erklärt nicht, warum diese beiden Kinder einerseits fließend französisch sprechen, sie andererseits aber einen so kehligen Dialekt haben, wie es ihn weltweit überhaupt nicht gibt! Und es erklärt auch nicht, warum die Kinder sich insgesamt sehr seltsam verhalten und kleiden!"
Scot schaute sie triumphierend an.
"Und was schließen Sie aus Ihren Überlegungen?" fragte Tom und rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
Scot beugte sich zu ihnen vor und flüsterte: "Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder wurden sie als ganz kleine Kinder entführt, von der Zivilisation versteckt gehalten und sind jetzt irgendwie aus ihrem Versteck entkommen. Dann hätten wir zwei neue enfants sauvages oder einen aufregenden Kaspar Hauser Fall. Oder in unserer Gesellschaft lebt irgendwo versteckt eine Sekte, die sich bereits vor Jahrzehnten, wenn nicht sogar Jahrhunderten von unserer Zivilisation verabschiedet hat und jetzt auf irgendeine Weise zwei ihrer kindlichen Mitglieder verloren hat. Auch das wäre eine Riesenstory! Beides hochspannende Fälle für die Medien und die Wissenschaft!"
Jenny, die bemerkt hatte, dass Scot gerade etwas Interessantes gesagt hatte, schaute Tom fragend an, aber Tom schüttelte nur mit dem Kopf. Später, sollte das wohl heißen.
"Glauben Sie denn, Ihr Kaspar Hauser oder Abkömmling einer seltsamen Sekte möchte überhaupt, dass Sie eine riesige Story daraus machen?" Tom versuchte belustigt zu klingen, aber Jenny, die sich nicht auf die Wörter, sondern vor allem auf die Sprachmelodie konzentrierte, hörte Angst aus seiner Stimme heraus. Was besprachen die beiden nur? War Scot etwa den Moks schon dicht auf der Spur?
"Ich glaube es nicht nur, ich weiß sogar, dass zumindest der eine Junge seine Geschichte nicht in der Zeitung, im Fernsehen, Internet oder sonst wo lesen möchte", sagte Scot. "Aber das ist ja genau der Grund, weshalb ich hoffe, dass er zu euch mehr Vertrauen aufbaut. Vielleicht könnt ihr ihn so weit bringen, dass er mir seine Geschichte erzählt. Immerhin kann er mit den Interviews und der Vermarktung seiner Geschichte einen Haufen Geld verdienen und sich so überhaupt erst eine Zukunft in unserer Gesellschaft aufbauen. Was will oder kann er denn sonst tun? Zurück gehen will er ja offensichtlich nicht. Sonst hätte er ja nur zu sagen brauchen, wohin man ihn bringen soll. Wichtig ist auf jeden Fall, dass ihr ihn nicht zu direkt aushorcht, sonst macht er sofort dicht. Beim ersten Mal ist es wichtig, dass ihr einfach nur plaudert. Wenn ihr dann das Vertrauen gewonnen habt, könnt ihr ihn das nächste Mal hoffentlich mehr aushorchen."
"Was heißt denn das nächste Mal?" fragte Tom irritiert. "Ich dachte, wir gehen nur einmal ins Gefängnis und danach gehen Sie!"
"Einmal reicht für euch sicher nicht, um den Jungen zum Reden zu bringen", sagte Scot. "Und ich glaube auch nicht, dass ihr ihn schon nach einem Mal so weit habt, dass er mit mir redet."
"Aber das war anders abgesprochen", sagte Tom.
"Was ist?" fragte Jenny, die Verärgerung aus Toms Stimme heraus gehört hatte.
Tom übersetzte ihr, was Scot ihr gerade eröffnet hatte.
"Wir lassen uns doch nicht wochenlang von Scot instrumentalisieren?!" sagte Jenny entrüstet. "Warum auch? Kannst du ihn das bitte fragen?"
"Jenny, er hat uns ein Interview gegeben!" sagte Tom. "Er hat uns geholfen. Dann kann ich doch jetzt nicht gleich 'nein' sagen."
"Es ist ja wohl etwas anderes, als Erwachsener zwei harmlosen Kindern ein paar Fragen zu beantworten, als als Kinder in ein Gefängnis zu gehen und einen Verbrecher zum Reden zu stellen. Und dann auch noch mehrmals."
"Jenny, du weißt, dass es nicht so ist."
"Aber in seinen Augen ist das so!" erinnerte Jenny Tom an ihre gespielte Rolle als Schüler.
"Nein", sagte Tom. "Er glaubt nicht, dass er ein Verbrecher ist. Er glaubt, dass der Junge jemand ist, der sein Leben lang isoliert von unserer Gesellschaft gelebt hat.
"Wenn er das bereits glaubt, umso schlimmer", stellte Jenny fest. "Dann helfen wir ihm doch nicht auch noch, mehr Informationen zu bekommen! Warum sitzt der Junge eigentlich seiner Meinung nach im Gefängnis?"
"Was ist denn los?" mischte sich Scot interessiert ein.
"Jenny wundert sich, warum Sie glauben, dass wir mehrmals für Sie ins Gefängnis gehen und uns mit einem Verbrecher unterhalten", sagte Tom. "Und ehrlich gesagt, wundere ich mich das auch."
"Verbrecher!" Scot lachte. "Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht glaube, dass er ein Verbrecher ist. Der hat höchstens eine Banane aus der Waisenhausküche geklaut, aber sicher nicht mehr. Ich weiß nicht, warum sie ihn ins Gefängnis gesteckt haben, aber ich habe den Verdacht, dass er aus irgendeinem wichtigen Grund aus dem Verkehr gezogen werden sollte. Niemand konnte mir sagen, warum der Junge ins Gefängnis kam. Höchste Geheimhaltungsstufe!"
"Das hört sich auch nicht harmloser an", stellte Tom fest. "Eher unheimlicher. Warum sollten wir uns von Ihnen in eine solche Geschichte hinein ziehen lassen?"
"Wolltet ihr nicht eine spannende Geschichte für eure Schülerzeitung haben?" fragte Scot. "Das ist sicher zehnmal so interessant wie einen beliebigen Journalisten zu interviewen."
"Oder so spannend, dass es uns eh niemand glaubt", sagte Tom. "Außerdem ist es Ihnen doch sicher nicht recht, wenn wir Ihnen die Geschichte sozusagen vor der Nase wegschnappen?"
"Bis ihr wieder Schule habt, steht mein Artikel schon lange in allen Zeitungen", sagte Scot.
"Womit unser eigener Artikel so schlecht wie alter Kaffee werden würde", antwortete Tom schlagfertig. "Wir haben in unseren Ferien sicher andere Dinge zu tun, als uns in Gefängnissen herum zu treiben."
"Was denn zum Beispiel?" fragte Scot interessiert. "Rochefort ist nicht gerade Bordeaux oder Nantes. Und es liegt ja nicht mal direkt am Atlantik."
War das bloße Neugier oder ein versteckter Hinweis darauf, dass Scot ihnen ihre harmlose Schüler-Geschichte nicht abnahm? Tom war sich nicht sicher.
"Aus dem Grund wollten wir am nächsten Mittwoch auch wieder abfahren", erfand Tom aus dem Stehgreif, um Scot von ihrem Aufenthalt in Rochefort abzulenken. "Vielleicht nach Bordeaux, vielleicht nach Nantes, vielleicht aber auch wo ganz anders hin."
"Ach ja?" sagte Scot. "Davon hast du mir heute morgen gar nichts erzählt."
"Dazu bin ich wohl auch nicht verpflichtet?"
"Dann habe ich ja großes Glück, dass der Termin den Herrschaften am Montag noch passt!" sagte Scot.
Tom glaubte, einen sarkastischen Tonfall aus der Stimme heraus zu hören. "Aber wenn das so ist, müsst ihr euch am Montag mächtig ins Zeug legen, dass dieser Junge mit mir anschließend redet. Sonst ..."
"Sonst, was?" fragte Tom lauernd.
"Sonst dürft ihr ganz sicher kein Interview von mir in eurer Schülerzeitung veröffentlichen," Scot versuchte, dem Gesagten einen leichten Tonfall zu geben, seine Verärgerung über Toms indirekte Absage an weitere Treffen mit dem Gefängnis-Jungen war aber nicht zu überhören.
Tom dagegen war erleichtert. Scots Bemerkung über die Schülerzeitung zeigte, dass er die Kinder tatsächlich einfach nur für seine Zwecke einspannen wollte, ohne von deren Interesse an dem Fall irgendetwas zu ahnen. Er hielt sie, oder zumindest Tom, vielleicht für ganz klug und geschickt genug, um für ihn einen Kontakt zu dem Jungen herzustellen. Aber er hielt sie ganz sicher nicht für echte Freunde des Jungen, die bereits alle Informationen hatten, die er für seine "riesige Story" brauchte.
Der Kellner brachte das Essen und so war die Spannung, die zwischen Tom, Jennyund Yves Scot entstanden war, ganz gut auszuhalten.
Nachdem sich Scot und Tom offensichtlich nichts mehr zu sagen hatten, zog sich das Essen trotzdem unangenehm lange hin. Jetzt bereute es Jenny, dass sie sich davor noch ein Tiramisu bestellt hatte. Zum Glück dauerte es nicht lange, bis es serviert wurde.
Die drei schaufelten schweigend, aber schnell die kühle, cremige Mascarpone-Bisquit-Masse in sich hinein und waren froh, als die Schüsseln leer waren.
Als Scot die Rechnung bezahlt hatte, schob er den Kindern den Notizblock hin und sagte: "Bei Tom habe ich ja schon gesehen, dass er gute Interviews führen kann. Aber der Junge wird sicher nicht so leicht zu knacken sein wie ich. Ihr müsst also besonders viel Fingerspitzengefühl haben. Und Jenny sollte sich ihre pampigen Bemerkungen sparen."
Bei dem Wort "Jenny" horchte Jenny auf, aber Tom hatte keine Lust, ihr zu übersetzen, was Scot gerade gesagt hatte. Er gab Jenny den Block, sie stopfte ihn in ihre Tasche und alle drei verließen das Lokal.
"Merci beaucoup!" sagten Tom und Jenny gleichzeitig, als sie vor der Tür standen. "Das Essen hat lecker geschmeckt!"
"Ich hole euch am Montag um neun vor der Jugendherberge ab!" sagte Scot knapp. "Au revoir!"

"Puh!" sagte Tom, als Scot außer Sichtweite war. "Ich hätte Scot beinahe vergrault, als ich ihn gefragt habe, warum er glaubt, dass wir für ihn mehrmals ins Gefängnis gehen würden."
"Was hat er denn gesagt?"
"Dass es hier in Rochefort doch nichts Spannenderes gäbe als in Gefängnissen herumzuschnüffeln."
"Oh!" sagte Jenny. "Heißt das, er ahnt, dass wir in Rochefort gar nicht wirklich Urlaub machen?"
"Ich glaube, er ahnt nichts", sagte Tom. "Aber er ist auf jeden Fall misstrauisch. Aber wahrscheinlich ist es nur das gesunde Misstrauen eines Journalisten. Zur Sicherheit habe ich ihm auf jeden Fall überdeutlich zu verstehen gegeben, dass wir eigentlich an seinem Jungen und seiner Story nicht interessiert sind."
"Was heißt überdeutlich?"
"Ich habe behauptet, dass wir am Mittwoch aus Rochefort wegfahren", sagte Tom, "weil es hier für uns angeblich nichts mehr zu tun gäbe."
"Stimmt doch eigentlich auch!" sagte Jenny. "Hier haben wir alle Spuren verfolgt."
"Wahrscheinlich", meinte Tom. "Das Dumme ist nur, dass ich uns so die Chance verbaut habe, uns mehrmals mit Kart Orkid zu treffen!"
"So eine Agentenrolle ist eben nichts für uns!" sagte Jenny. "Wir fangen gerade erst damit an und schon stolpern wir darüber."
"Und dann sind wir auch noch Doppelagenten", meinte Tom.
"Vielleicht sollten wir Kart Orkid deshalb lieber doch in unsere Scot-Agentenrolle einweihen?" überlegte Jenny. "Wenn es ihm nicht passt, kann er im Gefängnis wenig dagegen unternehmen."
"Aber wahrscheinlich vertraut er uns dann nicht mehr", meinte Tom. "Vielleicht hätte er ja wichtige Informationen für uns, die er uns nicht mehr gibt, weil er Angst hat, dass sie zwei Tage später in der Zeitung stehen?"
"Und was, wenn Scot ihm später sagt, dass er uns ins Gefängnis geschickt hat?" fragte Jenny. "Dann vertraut Kart Orkid uns überhaupt nicht mehr! Und das zu Recht. Weil wir ihm gegenüber keine Geheimnisse haben sollten, was die Belange der Moks angeht! Und wenn wir Kart Orkid gegen uns haben, haben wir auch die ganzen Moks gegen uns, sobald Kart Orkid aus dem Gefängnis entlassen wird."
"Das kann dir ja nur recht sein!" sagte Tom. "Dann kannst du wieder nach Hause fahren und mit Hella und Kim ins Freibad sitzen."
"Du bist gemein!" sagte Jenny. "Habe ich dir nicht erst gestern gesagt, dass ich den Moks jetzt auch helfen will?"
"Ja, entschuldige", sagte Tom. "Aber das Risiko mit Kart Orkid müssen wir eingehen. Und bis Kart Orkid aus dem Gefängnis kommt und die anderen Moks über unsere Doppelrolle aufklären kann, können Jahre ins Land gehen. Bis dahin sind wir schon längst wieder in Deutschland und haben nichts mehr zu fürchten."
"Oder wir sind längst vom gelben Hagel erschlagen oder durch Flamme, Feuer und Hunger zu Tode gekommen."
"Das ist nicht witzig!" sagte Tom.
"Das sollte auch kein Witz sein", sagte Jenny trocken. "Das war ein Zitat aus der Prophezeiung."
"Der Bus kommt!" sagte Tom.
Er rannte die letzten Meter zur Bushaltestelle. Jenny lief ihm hinterher und winkte dem Busfahrer mit der Hand. Der Bus hielt an, Tom bezahlte die Tickets und die beiden setzten sich in die letzte Reihe des Busses.
Jenny holte Scots Notizblock aus ihrem Rucksack und versuchte im Kopf, die Fragen zu übersetzen:
"1.Frage: Wie heißt der Junge wirklich?"
In Klammer dahinter stand, dass Scot überall nach dem bei der Polizei angegebenen Namen Dompnik Swilerkerus recherchiert hatte, aber nirgends einen Hinweis entdecken konnte. Scot hielt den Namen deshalb für falsch. 'Was heißt schon überall?' dachte Jenny. 'Hat Scot etwa alle Jugendämter nach Geburtsanzeigen durchforstet? Wohl kaum! Es gibt so vieles, was man weder im Internet noch in anderen öffentlichen Datenbanken nachlesen kann. Andererseits ist Dompnik Swilerkerus ja tatsächlich nicht der echte Name von Kart Orkid. Aber Kart Orkid hätte Scot bei seiner Recherche sicher auch nicht gefunden. Insofern hätte sich Kart Orkid eigentlich gar keinen Decknamen zu geben brauchen.'
Jenny stöhnte und dachte, dass der Fall immer verwickelter wurde.
"2. Frage: Kennen sich die beiden Jungen wirklich? Falls ja, weiß er oder hat er eine Ahnung, wo der andere Junge ist?"
"3. Frage: Woher kommt er? Wie ist er nach Rochefort gekommen?
'Nichts leichter heraus zu bekommen als das!' dachte Jenny. 'Denkt Scot wirklich, dass Kart Orkid uns gleich alles auf die Nase binden wird?'
"Komische Fragen", riss Tom sie aus ihren Gedanken und tippte auf Frage 9 und 10: "Hat er vor irgendjemandem Angst?" und "Wäre er bereit, gegen denjenigen, vor dem er Angst hat, anonym auszusagen?"
"Der spinnt doch!" sagte Jenny. "Er selber findet fast nichts heraus, aber wir sollen während einer einzigen Besuchszeit alle Arbeit für ihn machen!"
"Das meine ich nicht", meinte Tom. "In der Frage steckt plötzlich eine neue Theorie, von der Scot mir nichts gesagt hat. Wenn Scot wirklich nicht glaubt, dass die Jungen vor einer Schlepperbande davon gelaufen sind, sondern Kaspar Hauser Kinder oder Kinder einer geheimen Sekte sind, vor wem sollten sie dann Angst haben?"
"Wahrscheinlich vor Scot persönlich!" spöttelte Jenny.
"Ich glaube, Scot weiß etwas, das er uns nicht verraten hat", sagte Tom, ohne auf Jennys Witz zu achten.
"Warum denn?" sagte Jenny. "Die Jungen können doch auch vor demjenigen Angst haben, der sie von der Zivilisation abgesondert hat? Seiner Theorie nach können sie abgehauen oder ausgebrochen sein und jetzt Angst davor haben, wieder zurück gebracht zu werden?"
"Vielleicht", sagte Tom. "Aber welches Interesse hat Scot daran, dass Kart Orkid gegen irgendjemanden aussagt? Kann es nicht sein, dass er Kart Orkid als Zeugen für ein Verbrechen braucht? Und ist es nicht möglich, dass Kart Orkid von diesen Verbrechern ins Gefängnis gesteckt wurde, um keinen Schaden anrichten zu können? Immerhin meinte Scot zwei Mal, dass er nicht glaubt, dass Kart Orkids Gefangenschaft mit rechten Dingen zugeht."
"Das wird mir allmählich alles zu kompliziert", sagte Jenny. "Wenn wir nicht aufpassen, verzetteln wir uns mit unserer Agentenrolle so, dass wir keinerlei Durchblick mehr haben. Und du kommst mir jetzt schon paranoid vor. Wieso sollten ihn Verbrecher ins Gefängnis gesteckt haben? Glaubst du etwa, dass die Polizei mit den Verbrechern unter einer Decke steckt? Das ist doch verkehrte Welt! Lass uns lieber aus dem Bus aussteigen und die letzten Meter zur Jugendherberge an der frischen Luft gehen."
Tom hatte nichts dagegen und so stiegen sie zwei Stationen vor der eigentlichen Bushaltestelle aus.
Die Luft war angenehm lau, es roch verführerisch nach Sommer und Jenny war froh, dass Tom auf dem Heimweg kein Wort mehr über Kart Orkid, Yves Scot oder die Moks sprach. Statt dessen zeigte er ihr am fast sternklaren Himmel ein paar Sternbilder und erzählte ihr, welche Geschichten er sich als kleiner Junge dazu immer ausgedacht hatte. Zum Beispiel, dass die Sterne nur deshalb am Himmel waren, weil der erste Mensch in seiner Wut, dass er allein auf der Welt war, riesige Steinbrocken ins Weltall geschleudert hat. Oder dass er selbst gerne die schönsten Steine aus seiner Steinsammlung an den Himmel werfen würde. Dann gäbe es nicht mehr nur weiße, sondern auch grüne, blaue, rote und bunt gemaserte Sterne!
Jenny schaute in den Himmel und war eigentlich ganz froh, dass die Sterne einfarbig weiß waren. Ihrer Meinung nach reichte es schon, dass sich gelbe Lichter von Flugzeugen und Satelliten durch den Himmel pflügten. Aber Toms Idee war trotzdem ganz witzig. Jenny fühlte sich so entspannt und leicht wie seit Tagen nicht mehr. Beinahe hatte sie vergessen, dass das Leben eines Volksstammes von ihrem und Toms Handeln abhing. Beinahe hätte sie glauben können, dass sie in Rochefort nur mit einem netten Jungen einen harmlosen Sommerurlaub verbrachte.
Gut gelaunt verabschiedete sie sich in der Jugendherberge von Tom und ging auf ihr Zimmer. Nach einem kurzem, belanglosen Informationsaustausch mit ihren Zimmernachbarinnen, wer woher kam und wer wann wohin ging, putzte sie sich die Zähne und ging ins Bett.

Wie verabredet holte Yves Scot die Kinder am Montag Vormittag ab, um mit ihnen ins Gefängnis zu fahren. Scot hatte einen alten, verbeulten Renault, den er offensichtlich weder außen noch innen besonders pflegte. Die Sitze waren verkrümelt und mit Papierstapeln zugedeckt. Jenny grinste. Das Auto erinnerte sie sehr an das ihrer Mutter und machte ihr Scot ein klein wenig sympathischer. Scot schob einen Stapel beiseite, klopfte die Krümel auf den Boden und bat Jenny, Platz zu nehmen. Tom setzte sich vorne neben Scot ins Auto.
"In welchem Gefängnis sitzt der Junge eigentlich?" fragte Jenny.
"In dem Maison Centrale auf der Insel Saint-Martin-de-Ré", antwortete Tom. Offensichtlich hatte er mit Scot schon darüber gesprochen. "Die liegt einige Kilometer nord-westlich von hier im Atlantik."
"Gibt es in Rochefort denn kein Gefängnis?" fragte Jenny.
"Nur ein Untersuchungsgefängnis", sagte Tom. "Zumindest habe ich es so verstanden."
"Das heißt, der Fall des Jungen wird nicht weiter untersucht und ist bereits abgeschlossen?" fragte Jenny.
"Qu'est qu'elle demandes?" mischte sich Scot in ihr Gespräch ein.
"Jenny fragt, warum der Junge nicht mehr im Untersuchungsgefängnis sitzt, sondern in Saint-Martin-de-Ré?" übersetzte Tom.
"Gute Frage", sagte Scot. "Vor allem frage ich mich, was er ausgerechnet in dem Gefängnis auf der Insel zu suchen hat? Dort sitzen eigentlich nur gefährlichsten Verbrecher Frankreichs und ganz sicher keine Kinder oder Jugendliche! Was also macht ein Junge wie du in einem Hochsicherheitsgefängnis?"
Tom zuckte mit den Schultern und fragte sich, warum Kart Orkid überhaupt in einem Gefängnis saß? Wer hatte warum ein Interesse daran? Dass Kart Orkid wirklich etwas verbrochen hatte, war für Tom unvorstellbar. Oder war das falsch? Hatte Kart Orkid womöglich jemanden ermordet, der das Geheimnis der Moks lüften wollte? - Nun, in weniger als zwei Stunden, würde ihnen Kart sagen können, warum er im Gefängnis saß.
"Ich sage euch, die Sache stinkt gewaltig zum Himmel", sagte Scot.
Er bremste abrupt, bog in einen Kreisverkehr und nahm die zweite Ausfahrt nach Saint-Laurent-de-La Prée.
"Und ausgerechnet zwei deutsche Kinder sollen frische Luft in den Fall bringen?" sagte Tom.
"Gerade, weil ihr Kinder seid!" sagte Scot. "Ich bin mir sicher, dass sie euch nicht so ernst nehmen. Falls euch also der Portier oder Wärter fragt, warum ihr den Jungen besuchen wollt, sagt einfach, dass ihr einen spannenden Bericht für die Schülerzeitung schreiben wollt. Das wollt ihr doch, oder?"
Tom nickte geqäult.
"Sagt, dass ihr von der Sache in Deutschland in den Zeitungen gelesen habt und euch deshalb für den Jungen interessiert."
Tom nickte wieder und drehte sich nach Jenny um. Offensichtlich hatte sie wieder einmal nicht zugehört. Statt dessen schaute sie aus dem Fenster und träumte vor sich hin. Tom folgte ihrem Blick und sah durch das linke Fenster auf das Meer. Es war gerade dabei, sich zurück zu ziehen. Ein schmaler Streifen nassen, brauen Schlicks zeigte sich bereits am Ufer. Möwen hielten Ausschau, ob sie in dem frei gelegten Meeresboden liegen gebliebene Krebse und Schnecken finden würden. Einzelne Angler standen mit Gummistiefeln im Schlick und warfen ihre Ruten aus. Der Himmel war heute bleigrau und verschmolz am Horizont mit dem Meer zu einer Einheit. Wo hörte das Meer auf und wo fing der Himmel an?
Tom seufzte. Eigentlich hatten sie in den letzten acht Tagen sehr viel heraus gefunden. Aber nützte ihnen dieses Wissen etwas?
Je mehr sie über Onk Ark und Kart Orkid wussten, umso weniger verstand Tom, was eigentlich passiert war und was inzwischen ihre Aufgabe war. Hatten die Moks ursprünglich nicht nur gewollt, dass Tom und Jenny Onk Ark und Kart Orkid suchten und verhinderten, dass die Moks entdeckt werden würden?
Falls ja, dann war ihr Auftrag eigentlich erfüllt. Sie hatten beide Moks gefunden und wussten nun, dass die Moks zumindest im Moment nicht verfolgt wurden. Wenn alle weiterhin dicht hielten, würde Scot nichts weiter über die Moks heraus bekommen und irgendwann das Interesse an den sonderbaren Jungen verlieren. Der Fall wäre damit abgeschlossen. Konnten sie also nicht einfach zu den Moks zurück gehen, ihnen die frohe Kunde überbringen und ihre restlichen Sommerferien genießen?
ABER hämmerte es in Toms Kopf. ABER warum saß Kart Orkid im Gefängnis? ABER mit wem machte Onk Ark dubiose Geschäfte?
Konnten Tom und Jenny wirklich sicher sein, dass das alles nichts mit den Moks zu tun hatte? Wohl kaum! Selbst Scot, der nichts von den Moks wusste, witterte hinter dem plötzlichen Auftauchen und Verschwinden der Jungen einen Zusammenhang. Wenn es aber einen Zusammenhang gab und Kart Orkid womöglich wegen Onk Ark und seinen kriminellen Freunden im Gefängnis saß, waren die Moks doch irgendwie in Gefahr. Und welche das war, mussten sie unbedingt heraus bekommen!
Nicht zuletzt konnten sie auch nicht sicher sein, dass Scot nicht mehr über die Moks heraus bekam. Also mussten sie allein schon wegen Scot weiter machen.
Zum Glück würden sie gleich mit Kart Orkid sprechen können. Hoffentlich konnte er ihnen sagen, was sie als nächstes tun sollten. Hoffentlich wusste wenigstens er, warum er hinter Gittern war. Und hoffentlich ahnte wenigstens er, was Onk Ark und seine Freunde vorhatten.
"Wow!" riss Jenny Tom aus seinen Gedanken. "Da ist ja eine riesige Brücke!"
"Das ist die Pont de l'île de Ré ", deutete Scot Jennys erstaunten Ausruf richtig. "Die Brücke ist fast drei Kilometer lang und verbindet die Insel mit dem Festland. Aber davor müssen wir erst noch durch La Rochelle fahren."

Nach einer halben Stunde weiterer Fahrt durch die schöne, alte Hafenstadt La Rochelle, über die luftige Meer-Brücke auf die idyllische Insel Saint-Martin-de-Ré parkten sie endlich vor dem Gefängnis. Oder eher gesagt vor der Festung. Denn das Gefängnis auf der Insel war kein modernes Gefängnis, sondern eine über 300 Jahre alte Festung. Der äußere, sternförmige Festungsring war heute eine Sehenswürdigkeit der Insel, und nur der innere Festungsbau war noch Gefängnis.
Mit bangem Gefühl stiegen Tom und Jenny aus dem Auto aus. Es war seltsam, neben den vereinzelten Touristen vor dem Gefängnis zu stehen und ganz andere Dinge im Kopf zu haben als ein paar schöne Fotos zu schießen. Wie gerne würde Jenny jetzt mit dem Mädchen tauschen, das gerade vor dem großen Tor stand und in die Kamera grinste!
Als Scot und die Kinder auf die große Eisentür des Gefängnisses zugingen, öffnete sich gleich die Tür. Ein Mann in dunkelblauer Uniform kam auf sie zu und sprach Scot an: "Sie sind Monsieur Yves Scot?"
Yves Scot nickte und der uniformierte Mann bedeutete ihnen, ihm zu folgen.
Jenny fing noch den mitleidigen Blick des fotografierten Mädchens auf, das jetzt wahrscheinlich dachte, dass sie ihren Vater oder Onkel im Gefängnis besuchen würden. Dann schloss sich die Gefängnistür hinter ihnen. Jenny bildete sich ein, den Geruch von Angst und Gewalt riechen zu können. Aber das war natürlich Schwachsinn. Es roch einfach nur muffig und abgestanden wie in einem Keller.
Tom nahm Jennys Hand und drückte sie. Aber Jenny schüttelte sie ab. Sie war kein kleines Kind mehr, das man an die Hand nehmen musste! Außerdem würden die Mauern und die bedrückende Atmosphäre davon auch nicht verschwinden.
Inzwischen waren sie beim Pförtner angekommen. Vor ihnen wurden gerade die Taschen von zwei Männern gefilzt. Wahrscheinlich waren sie wie sie selbst Besucher von einem Gefangen. Die Taschen enthielten Obst, Schokoladeriegel und ein Kastenkuchen mit Geburtstagskerzen. Das Obst und den Schokoladenriegel durften sie mitnehmen, der Kuchen musste beim Pförtner bleiben, bis die Besucher wieder nach Hause gingen. Ein Wärter nahm die beiden Besucher mit. Dann wandte sich der Pförtner Scot und den Kindern zu.
Der Gefängniswärter, der sie her gebracht hatte, flüsterte ihm etwas zu und der Pförtner starrte die Gruppe erstaunt an. Tom und Jenny starrten zurück. Auch sie mussten ihre Taschen öffnen. Der Pförtner schüttelte verärgert den Kopf und bedeutete ihnen, dass beide Taschen bei ihm bleiben mussten.
Klar, dachte Jenny, wenn man nicht einmal einen Geburtstagskuchen mitbringen durfte, waren Wasserflasche, Foto, Feuerzeug und Taschenmesser erst recht nicht angebracht. Komisch fand sie allerdings, dass sie nicht einmal den Notizblock und einen Stift mitnehmen durften. Offenbar wunderte das auch Scot, denn er diskutierte kurz mit dem Pförtner, ob es nicht doch möglich wäre?
Doch der Pförtner blieb hart und so ließen Jenny und Tom die kompletten Rucksäcke bei ihm. Scot sah sie nervös an und verabschiedete sich von ihnen. Er würde hier auf sie warten. Tom und Jenny nickten und traten hinter dem Gefängniswärter durch eine Gittertür auf einen trostlosen, völlig ausgestorbenen Hof. Auf der anderen Seite wieder hinein in die Festung. Wieder durch eine Gittertür auf einen langen, weiß gestrichenen Gang mit braun-roten Türen. In der Mitte eine Treppe. Dann wieder eine Gittertür. Langer Flur, Gittertür, Flur, Gittertür. Treppe, Gittertür. Jenny wurde es ganz schwindelig. Warum die ganzen Türen? Die Gefangenen konnten doch ohnehin nicht abhauen? Und falls doch, flohen sie dann nicht eher, indem sie ein Loch durch den Keller bohrten oder mit heimlich organisiertem Helikopter vom Dach flogen?
Aber wahrscheinlich sollten die vielen Türen vor allem auch Angst verbreiten und die Gefangenen daran erinnern, dass sie im Gefängnis waren?
Nach mindestens fünf weiteren Türen, mehreren Treppen und Fluren führte der Wärter sie endlich in einen Raum mit drei Tischen. An einem der Tische saßen die beiden Männer von vorhin und sprachen leise mit einem Gefangenen, wahrscheinlich dem Geburtstagskind. Am vergitterten Fenster stand ein weiterer Gefängniswärter und nickte dem Wärter zu, der sie her gebracht hatte.
Die beiden anderen Tische waren leer. Wo war Kart Orkid?
Der Wärter bedeutete ihnen, an einem der freien Tische Platz zu nehmen und verschloss hinter ihnen die Tür. Jenny sah sich in dem kahlen Raum um und entdeckte zwei Kameras an der Decke. Es musste schrecklich sein, den ganzen Tag beobachtet zu werden. Sie fand es schon unangenehm, auf dem Bahnhof oder in Kaufhäusern gefilmt zu werden. Aber immer? Konnten die Gefangenen eigentlich wenigstens unbemerkt aufs Klo gehen?
Die Tür wurde wieder geöffnet und der Wärter schob Kart Orkid an ihren Tisch.
Kart Orkids Augen leuchteten kurz überrascht und erfreut auf, verloren aber gleich wieder ihren Glanz. Offensichtlich wollte er sich nicht anmerken lassen, dass er wusste, wer seine Besucher waren. War er als Agent seine Stammes immer so vorsichtig oder misstraute er der Gefängnisbehörde?
"Hallo", sagte Tom auf französisch und schüttelte Kart Orkid die Hand. "Wir sind Tom und Jenny und würden uns gerne mit dir unterhalten."
Kart Orkid nickte, sagte aber nichts.
"Wie geht es dir im Gefängnis?"
"Die Dunkelheit ist erträglich", sagte Kart Orkid. "Und die Einzelhaft auch. Aber die Stunden mit den anderen Gefangenen ist eine Qual. Als kleinster habe ich keine Chance."
"Das tut mir leid", sagte Tom und dachte, dass Kart Orkid tatsächlich viel kleiner und dünner wirkte, als er ihn in Erinnerung gehabt hatte.
"Es kommen nicht viele Besucher zu mir", sagte Kart Orkid.
"Heißt das, dass du bereits Besuch hattest?" fragte Tom überrascht. "Ich dachte, du hast keine Eltern."
"Woher weißt du das?" fragte Kart.
"Es stand überall in der Zeitung."
"Dein Akzent klingt deutsch", sagte Kart. "Seid ihr aus Deutschland?"
Tom und Jenny nickten.
"Dann lasst uns auch deutsch reden", sagte Kart noch auf französisch, fuhr dann aber auf deutsch fort: "Sicher seid ihr zwei neugierige Kinder, die einmal so einen richtig bösen Gefangenen aus der Nähe sehen wollen?"
Tom und Jenny nickten, um Kart zu zeigen, dass sie verstanden hatten, dass er mit ihnen nicht offen reden konnte.
"Dann muss ich euch leider enttäuschen", fuhr Kart Orkid fort. "Denn ich bin unschuldig und weiß selbst nicht, warum ich hier bin."
"Das sagen viele Gefangene", sagte Jenny. "Aber meistens stimmt es nicht."
"Um auf eure Frage von vorhin zurück zu kommen", überhörte Kart Orkid Jennys Einwurf: "Ich habe zwei Mal Besuch von Herren in dunklen Anzügen bekommen. Ich weiß nicht, was sie von mir wollen. Vielleicht könnt ihr mir das sagen?"
"Warum das denn?" fragte Tom. "Woher sollen wir Herren in dunklen Anzügen kennen?"
"Schade", sagte Kart. "Ich hoffte, dass ihr mir etwas darüber erzählen könnt. Habt ihr nichts über sie in der Zeitung gelesen? Ich fürchte, dass sie sich seltsame Dinge ausdenken, woher ich komme. Denn sie fragen mich unerklärliche Dinge. Zum Beispiel wie tief ich in die Erde steigen kann, wie groß mein Land ist, ob es in meinem Land Wasser gibt und wie viele Einwohner es hat."
Tom sah Jenny entsetzt an und wollte etwas sagen, aber Kart blickte warnend zur Kamera und dem Gefängniswärter.
"Wir haben in der Zeitung nichts über Männer mit dunklen Anzügen gelesen", sagte Jenny. "Aber ich habe neulich einen Film im Fernsehen gesehen, in dem sich ein kleiner Junge mit Männern in dunklen Anzügen angefreundet hat."
"Das war doch nur ein Film!" sagte Tom alarmiert. Wollte Jenny Kart Orkid etwa jetzt ihre Begegnung mit Onk Arkid schildern? Das wäre sicher ein Fehler. "Jenny hat zu viel Phantasie. Sie verwechselt oft Realität und Fiktion."
"Der Film war aber nicht mit Zeichentrickfiguren, sondern mit echten Menschen", beharrte Jenny und tat auffallend naiv. "So falsch kann der gar nicht sein!"
Tom stöhnte auf und spielte den genervten Freund. Er glaubte jetzt, zu durchschauen, was Jenny mit ihrer Filmidee bezwecken wollte und ließ sie deshalb weiter reden.
"Was wurde denn in dem Film gezeigt?" fragte Kart Orkid und tat so, als ob er zwischen beiden vermittelte.
"In dem Film wurde der Junge, der keinen Vater und keine Mutter mehr hatte, von den Männern im dunklen Anzug adoptiert. Er half den Männern bei der Arbeit und durfte dann auch dunkle Anzüge tragen."
"Bei welcher Arbeit denn?" fragte Kart Orkid und presste die Lippen aufeinander.
"Keine Ahnung", plapperte Jenny betont unbeschwert. "Aber die Arbeit muss sich gelohnt haben, denn der Junge war plötzlich ganz reich."
"Hatte es etwas mit einem schwarzen Zeichen auf gelbem Grund zu tun?" sagte Kart Orkid so leise, dass sie es beinahe nicht verstanden.
Jenny schüttelte den Kopf.
"Die Farbe gelb kam in dem Film komischerweise auch vor", mischte sich Tom leise ein. "In dem Film sollte gelber Hagel fallen und zwar in ganz Europa. Aber der Film war wie gesagt ein Fantasy- oder Science Fiction-Film und hat absolut nichts mit deinen Männern zu tun. Weshalb wir eigentlich hier her gekommen sind ...".
"Schwarzes Zeichen auf gelbem Grund", flüsterte Kart Orkid und starrte ihn seltsam an. "Und vergesst nicht den Boden, der uns alle ernährt."
"Ja, ja, schon gut", sagte Tom und tat so, als ob er Kart Orkids Bemerkung als die sinnlose Phantasie eines Jungen, der bereits zu lange eingesperrt war, abtun würde. In Wirklichkeit überlegte er fieberhaft, welches schwarze Zeichen auf gelbem Grund Kart Orkid wohl meinte? Einen Smilie? Oder meinte er die Punkte des Blindenzeichens? Als Innbild dafür, dass die Moks unter der Erde wie die blinden Maulwürfe lebten? Und was sollte die Bemerkung mit dem Boden, der alle ernährt?
Während er weiter nachdachte, stellte er Kart Orkid eine belanglose Frage, die in Wirklichkeit nicht an Kart Orkid, sondern an ihre Zuhörer und Zuseher im Raum und an den Kameras gerichtet war: "Wir sind auf jeden Fall Schüler aus Deutschland und machen einen Artikel für unsere Schülerzeitung, wenn wir wieder zu Hause sind. Thema sind Menschen in Frankreich. Wir haben schon einen Wirt, eine Marktfrau und einen Journalisten befragt ..."
"Einen Journalist?" horchte Kart Orkid auf.
"Ja", sagte Tom und ärgerte sich, dass er sich gegenüber Kart Orkid offensichtlich verplappert hatte. "Ist das ein Problem für dich?"
"Nicht, wenn ich ihn nicht kennen muss!" sagte Kart Orkid. "Journalisten sind genauso gefährlich wie Menschen in dunklen Anzügen."
"Das werden wir uns merken", sagte Tom und tat belustigt. "Wir werden ihm nichts von dir erzählen. Großes Indianerehrenwort!"
"Und dass wir selbst Journalisten sind, macht dir nichts aus?" tat Jenny überrascht. "Wie gesagt, wir schreiben für die Schülerzeitung."
"Oh", sagte Kart Orkid. "Das habe ich vorhin wohl nicht richtig mitbekommen. Wenn das so ist, möchte ich das Gespräch sofort beenden."
"Aber wir haben doch noch gar nicht angefangen!" sagte Jenny, um den Schein ihres Besuchs zu wahren. "Wir haben uns so schöne Fragen überlegt!"
"Stellt eure Fragen dem Gefängniswärter oder dem Geburtstagskind da drüben, aber nicht mir!" sagte Kart Orkid. "Ich frage mich sowieso, warum mich Schüler besuchen dürfen. Ich dachte, ich wäre ein gefährlicher Verbrecher."
Er stand auf und stellte sich neben die Tür.
"Ich möchte wieder auf meine Zelle!" sagte er zu dem Gefängniswärter.
Der Gefängniswärter nickte und schloss ihm die Tür auf. Draußen wartete bereits ein anderer Wärter, der Kart Orkid weg führte.
Tom und Jenny winkten ihm zum Abschied, aber Kart Orkid drehte sich nicht mehr nach ihnen um.

Ende Teil 6

Die Fortsetzung des Romans könnt ihr in der nächsten Rossipotti-Ausgabe No. 24 lesen!

 © Rossipotti No. 23, Dez. 2010