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Das geheime Buch
Herrn Maiteufels wundersame
Reise in die Wirklichkeit
von
Annette Kautt
Fortsetzung Teil 10
Alle, die mehr als das aktuelle Kapitel lesen möchten,
gehen zurück zur letzten
Rossipotti-Ausgabe.
Was zuletzt geschah:
Herr Maiteufel und Larifari
befinden sich immer noch in der Kanalisation. Zwar haben sie einen
Ausgang entdeckt, aber bevor sie durch einen der Dolendeckel wieder
in die Stadt klettern konnten, haben Mara, Arturo, Karla, der Finder
und die anderen aus Angst vor den Hindernissen alle Dolendeckel
zubetoniert.
Ob Herr Maiteufel und Larifari jetzt doch wieder in Parbleus Garten
ohne Ausgang zurückmüssen oder sie trotz allem noch eine
Chance haben, in die Stadt zu entkommen, erfahrt ihr, wenn ihr das
nächste Kapitel lest ...
Achtzehntes Kapitel, in dem der Finder Herrn Maiteufel
auf die Spur kommt
Der Finder saß in seinem Dachzimmer und schlürfte
Tee.
Sie hatten die beiden letzten Tage bis spät in die Nacht alle
Dolen zubetoniert und waren nun ziemlich erschöpft. Deshalb
wollten sie die Suche nach dem Läufer einen Tag aussetzen und
sich ein wenig ausruhen. Die Hindernisse, oder zumindest einige
davon, waren nun ohnehin in der Kanalisation eingesperrt und konnten
nichts mehr gegen die Stadtbewohner unternehmen.
Zufrieden lehnte sich der Finder in seinem Stuhl zurück und
seufzte: Dies war seit langem der erste Tag, den er verbringen konnte,
wie er wollte.
Vielleicht sollte er mal wieder schwimmen gehen? Oder sich einen
Film im Kino ansehen? Vielleicht wollte er aber auch nur einen ruhigen
Tag zu Hause verbringen und einfach gar nichts tun?
Er stellte seine Tasse auf den Tisch und ging zum Fenster. Als er
es öffnete, strömte ihm warme Sommerluft entgegen.
"Wenn es nicht bald regnet", dachte er, "werden alle
Pflanzen vertrocknen. Und wenn es regnet, werden wir hier wegen
der verschlossenen Dolendeckel bald die schönste Überschwemmung
haben."
Der Finder seufzte: "Es ist einfach Blödsinn gewesen,
die Deckel zuzumachen. Aber hatten wir eine andere Wahl? Schließlich
müssen wir alles tun, um die Hindernisse in Schach zu halten.
Und hat Mara nicht neulich betont, dass das Wasser dort unten nicht
in einer normalen Kanalisation rauschte? Und ist es nicht naheliegend,
dass in einer unnormalen Kanalisation unnormale Hindernisse herumspazierten?"
Er ging zu seinem Schreibtisch zurück und suchte in einer Schublade
nach seinem Stadtplan. Die "unnormale Kanalisation" ließ
ihm keine Ruhe. Dabei kam ihm der Konstruktionsplan von Herrn Maiteufel
in die Hände.
"Oh! Den Herrn Maiteufel hatte ich völlig vergessen",
sagte der Finder laut. "Hoffentlich ist ihm nichts passiert!
Es wäre schrecklich, wenn ihm etwas passiert wäre, nur
weil ich ihn nicht rechtzeitig gefunden habe!"
Mit schlechtem Gewissen setzte er sich an den Tisch und legte beide
Pläne nebeneinander. Nervös verglich er sie miteinander
und fuhr mit dem Finger die Linien auf und ab.
"Wenn ich schon mal dabei bin, mir den Stadtplan wegen der
unnormalen Kanalisation genauer anzusehen," überlegte
der Finder, "dann kann ich gleich einmal nachschauen, ob ich
Herrn Maiteufel auf die Spur komme."
Der Finder tippte auf Herrn Maiteufles Stadtplan mit dem Finger
auf die Stelle, an der er die Dole vor dem Finanzamt vermutete.
Darauf fuhr er mit dem Finger die Straße hinauf, dann nach
links, wieder geradeaus ...
Plötzlich stutzte er.
Warum verlief hier auf diesem Plan eine Straße? Da war doch
eigentlich eine Tiefgarage?! Und dort, da standen keine Häuser,
sondern da war doch ein Platz? Hatten sie dort nicht erst gestern
die Dolen zugemacht?!
Verstört betrachtete der Finder den Plan, bis ihm auffiel,
dass er die ganze Zeit nicht seinen aktuellen, sondern den alten
Plan von Herrn Maiteufel studiert hatte.
Erleichtert stand er auf und suchte in der Schreibtischschublade
nach seinem eigenen Stadtplan. Dann verglich er beide Pläne
miteinander.
Lange Zeit saß er grübelnd am Schreibtisch. Manchmal
murmelte er etwas wie "da war doch was, da war doch was",
oder "ich erinnere mich dunkel daran". Oder er rief "aha!"
und "oho!". Irgendwann reckte er sich dann und sagte:
"Ja, so könnte es sein."
Er stand auf und briet sich auf dem Herd ein Spiegelei. Er schnitt
sich eine dicke Scheibe Brot, bestrich sie mit Butter und legte
das Spiegelei darauf. Genüßlich schmatzend verspeiste
er sein Brot. Danach schleckte er sich seine Finger ab, wusch das
Geschirr ab und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch.
Neben den alten Stadtplan und seinen neuen breitete er nun auch
den Konstruktionsplan aus.
"Also, hier haben wir auf beiden Plänen die Dole vom Finanzamt",
sagte der Finder zu sich selbst. "Das macht auf dem Konstruktionsplan
... hm, wenn ich doch nur mehr Ahnung von diesen technischen Apparaten
hätte. Was könnte das nur sein? Da haben wir die Pumpe,
dort die Besprenkelungsanlage, dort Wasserspeicher und Klärbecken.
Wenn ich mich nicht irre, müssen diese kleinen dreieckigen
Symbole also Ventile sein, die je nach Bedarf Wasser von dem einen
Becken ins andere oder in den Gesamtkreislauf zurücklassen.
Nehme ich also mal an, dass dieses dreieckige Teil tatsächlich
ein Ventil ist, was hat das dann mit der Dole vor dem Finanzamt
zu tun?"
Der Finder war aufgestanden und lief nervös im Zimmer auf und
ab.
Dann ging er zu seinem Bücherregal und schaute in einem Lexikon
unter dem Stichwort Ventil nach: [zu mittellat. ventile "Schleuse
eines Wasserkanals"], häufigste Form der Absperrorgane
...
"Ja!" rief der Finder erregt, "Schleuse eines Wasserkanals!
Da haben wir die unnormale Kanalisation! Da haben wir den Grund,
warum da plötzlich Wasser fließt."
Hastig packte er die Pläne zusammen, zog sich eine Jacke an
und verließ das Haus.
"So stürmisch heute?" begrüßte Mara den
Finder verwundert. "Wir wollten heute doch den Tag genießen!"
sagte Arturo ein wenig vorwurfsvoll, als Mara den Finder in den
Garten brachte. Außer Arturo saßen auch Karla und Ottokar
an einem aufgeklappten, runden Tisch. Sie aßen Erdbeerkuchen
mit Schlagsahne.
Der Finder zuckte entschuldigend mit den Achseln. "Es ist mir
etwas aufgefallen."
Karla stieß einen Seufzer aus und verdrehte die Augen.
Mara stellte ihm einen Gartenstuhl an den Tisch und holte ihm einen
Teller aus der Küche.
"Es hat doch hoffentlich nichts mit unserer Kanaldeckelaktion
zu tun?" fragte Ottokar mit drohendem Unterton.
"Ich fürchte doch", sagte der Finder unruhig.
"Solange du dir nicht überlegt hast, dass wir alle Deckel
wieder aufmachen müssen, soll es mir egal sein", sagte
Mara gnädig.
"Nun, um was geht es?" fragte Arturo.
Der Finder breitete alle drei Pläne auf der Wiese aus. Die
Enden beschwerte er jeweils mit einem Stein.
Dann erklärte er: "Maras Bemerkung, dass es sich unter
Kaprizes Dole nicht um die normale Kanalisation handelt, hat mich
stutzig gemacht. Denn ich fragte mich, um welche dann? Heute morgen
suchte ich zufällig auf dem alten Stadtplan von Herrn Maiteufel
die Lage einiger der Dolen, die wir verschlossen haben. Und denkt
euch: Einige Punkte, wo die Dolen hätten sein müssen,
fand ich nicht auf dem Plan. Umgekehrt sah ich auf dem alten Stadtplan
eine Straße, die heute nicht mehr existiert. Wie auch immer.
Durch den Vergleich fiel mir auf, dass diese unnormale' Kanalisation
ganz einfach das alte Kananlsystem sein muss. Deshalb floss dort
auch bis vorgestern kein Wasser."
Ottokar wog seinen Kopf hin und her. "Sie haben recht. Aber
darauf hätten wir auch ohne diesen Plan von Herrn Maiteufel
kommen können. Wir hätten uns nur daran erinnern müssen,
dass einer der ersten Läufer das Kanalsystem erneuern und verlegen
ließ."
Der Finder nickte. "Stimmt. Aber woher sollten denn die Hindernisse
den Plan kennen? Die Hindernisse operieren erst seit ein paar Jahren
gegen uns, da gab es aber schon lange die neue Kanalisation. Und
deshalb denke ich, dass da unten jemand sein muss, der das alte
System kennt. Und da dies hier der Plan von Herr Maiteufel ist,
bin ich mir sicher, dass das niemand anderes als Herr Maiteufel
ist!"
Mara schnappte nach Luft. "Du bist ja toll! Was sollte Friedrich
denn in der Kanalisation wollen?"
Der Finder schüttelte nachdenklich seinen Kopf. "Ich weiß
es nicht. Leider kann ich mir darauf auch gar keinen Reim machen."
"Aber deine Annahme beruht ja einzig und allein darauf, dass
die Hindernisse das alte System nicht kennen. Warum bist du dir
denn da so sicher?" meldete sich Karla zu Wort.
"Zum einen denke ich, dass, wenn die Hindernisse das alte System
kennen würden, sie wahrscheinlich schon viel früher von
unten aus operiert hätten. Zum anderen weist noch etwas anderes
darauf hin, dass Herr Maiteufel in der Kanalisation steckt: Vergleicht
man nämlich den alten Stadtplan mit dem Konstruktionsplan entdeckt
man an der Stelle von Kaprizes Dole ein Ventil! Durch dieses Ventil
muss Herr Maiteufel von dem alten System ins neue gelangt sein."
"Das ist doch absurd!" rief Ottokar aus. "Warum sollte
denn in unserer alten Kanalisation ein Ventil aus Herrn Maiteufels
Butterbrotpapiermaschine eingebaut worden sein?"
"Ich weiß es nicht", sagte der Finder leise, "aber
ich mache mir ernsthaft Sorgen um ihn."
"So ein Quatsch!" brauste Ottokar auf. "Sie beweisen
mit ihrer absonderlichen Theorie gerade mal, dass Sie nicht mehr
recht bei Trost sind. Wenn wir könnten, müssten wir Sie
spätestens jetzt von Ihrem Posten befreien."
"Jetzt reicht es aber", sagte Mara zu Ottokar. "Wir
haben es bisher immer so gehalten, dass wir allen Eventualitäten
ernsthaft nachgegangen sind."
"Nur, dass es sich hier um weniger als eine Eventualität
handelt", knurrte Ottokar und stopfte sich ein Stück Erdbeertorte
in den Mund.
Mara ließ sich von Ottokar nicht beirren und fragte den Finder:
"Was glaubst du denn, was Friedrich dort unten sucht?"
"Es ist seltsam. Aber als Motivation fallen auch mir nur die
Hindernisse ein."
"Du meinst, dass sie den Maiteufel dort unten festgehalten
haben? Aber warum denn?"
"Immerhin erkundigte er sich nach einer gewissen Brötchenfrau.
Wer weiß, was da dahintersteckt. Entweder die Brötchenfrau
gehört selber zu den Hindernissen, oder Herr Maiteufel hat
sie gesucht, und die Hindernisse kamen ihm dabei auf die Spur."
"Malte würde jetzt sagen, dass Herr Maiteufel wahrscheinlich
selbst ein Hindernis ist. Damit wäre er da unten ganz zurecht
eingesperrt", meckerte Ottokar.
"Friedrich ist nie und nimmer ein Hindernis", sagte Karla,
"dazu ist er viel zu harmlos. Allerdings glaube ich auch nicht,
dass ihn die Hindernisse festhalten. Schließlich hat er die
beiden Pläne von zu Hause mitgebracht. Er wollte hier etwas
suchen. Warum nicht in der Kanalisation? Vielleicht sollten wir
ihn dort einfach weiter suchen lassen. Wenn er sich dort so gut
auskennt, wird er schon von alleine wieder nach oben kommen."
"Wie denn, wenn wir alle Deckel zubetoniert haben?" gab
der Finder zu Bedenken. "Selbst wenn sein Verschwinden nichts
mit den Hindernissen zu tun haben sollte - was ich stark bezweifle,
da er Hals über Kopf aus dem Hotel verschwunden ist - müssen
wir die Deckel wieder öffnen!"
"Das kommt nicht in Frage!" schnaubte Ottokar.
"Wie stellst du dir das vor?" fragte Mara den Finder aufgebracht.
"Und was ist mit den Hindernissen?" rief Karla dazwischen.
"Ich verstehe euch nicht", griff Arturo in die erhitzte
Debatte ein. "Außer Ottokar sind wir uns doch einig,
dass Herr Maiteufel in der Kanalisation ist oder auf jeden Fall
dort sein könnte. Unwahrscheinlich ist es, dass Herr Maiteufel
von alleine in die Kanalisation hineingeraten ist. Denn hätte
er sonst alle seine Sachen im Hotel gelassen? Entweder ist er also
ein Opfer der Hindernisse, dann müssen wir ihm auf alle Fälle
helfen, oder er gehört zu ihnen. In diesem Fall ist es gut,
wenn wir ihn schnappen und ihn über die anderen Hindernisse
ausfragen."
"Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass Herr Maiteufel
spätestens dann nach draußen gelangen wollte, als er
das Ventil geöffnet hat", fügte der Finder hinzu.
"Wer weiß, vielleicht hat er nichts mehr zu essen, oder
er ist verletzt, oder auch nur auf der Flucht vor den Hindernissen?"
"Ein Hungertod ist besser als nichts", tuschelte Mara
in Karlas Richtung. "Besser auf jeden Fall, als hinter einer
Butterbrotpapiermaschine zu versauern."
"... ich schlage deshalb vor", sagte Arturo gerade, als
Mara und Karla wieder aufmerksam zuhörten, "dass wir nur
eine Dole öffnen. Schließlich braucht Herr Maiteufel
nur eine Dole, durch die er nach oben steigen kann. Falls dann die
Theorie vom Finder nicht stimmt, und nicht Herr Maiteufel, sondern
die Hindernisse in der Kanalisation sitzen, können sie uns
bei einer offenen Dole trotzdem nicht entkommen. Außerdem
müssen wir auch damit rechnen, dass Herr Maiteufel vor den
Hindernissen flieht und von ihnen verfolgt wird."
"Fragt sich nur, wie wir Herrn Maiteufel verständlich
machen, welche Dole wir geöffnet haben."
"Ach, das ist doch einfach", platzte Mara heraus. "Wir
schlagen einfach mit einem Metallgegenstand auf die Dole und zeigen
ihm so, wo wir sind. Hat er Lust nach oben zu kommen, wird er schon
kommen. Wenn nicht, wissen wir, dass er bei seinen Forschungen (oder
was immer er da unten macht) nicht gestört werden will, oder
vielleicht sogar als Märtyrer sterben will."
"Blödsinn" zischelte Karla.
"Märtyrer! Dass ich nicht lache", zischelte Ottokar.
Da niemand etwas gegen Maras Vorschlag einzuwenden hatte, beschlossen
sie, gleich loszugehen und Herrn Maiteufel zu befreien.
Ende Teil 10
Die Fortsetzung der Geschichte könnt ihr im Rossipotti No. 17 lesen!
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