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Das geheime Buch
Herrn Maiteufels wundersame
Reise in die Wirklichkeit
von
Annette Kautt
Fortsetzung Teil 11
Alle, die mehr als das aktuelle Kapitel lesen möchten,
gehen zurück zur letzten
Rossipotti-Ausgabe.
Was zuletzt geschah:
Herr Maiteufel und Larifari
befinden sich immer noch in der Kanalisation. Zwar haben sie einen
Ausgang entdeckt, aber bevor sie durch einen der Dolendeckel wieder
in die Stadt klettern konnten, haben Mara, Arturo, Karla, der Finder
und die anderen aus Angst vor den Hindernissen alle Dolendeckel
zubetoniert. Doch zum Glück findet der Finder noch rechtzeitig
Herrn Maiteufels alten Stadtplan und den Konstruktionsplan der Butterbrotpapiermaschine.
Er ahnt, wer sich wirklich in der Kanalisation befindet. Und obwohl
die anderen nicht so richtig an seine Idee glauben, erklären
sie sich bereit, wenigstens eine der zubetonierten Dole wieder zu
öffnen, um nachzusehen, ob nicht vielleicht doch Herr Maiteufel
unter der Stadt herumirrt. Mit einem Pfannenstiel bewaffnet und
voller Energie begeben sie sich zu einer Dole und hacken sie frei
...
Neunzehntes Kapitel, in dem jemand anderes aus der
Kanalisation steigt als allgemein erwartet wird
"Ting, ting, ting", hallte es die Straße entlang,
"ting, ting."
"Ob er es wohl hört?" fragte Mara und rieb sich den
Schweiß von der Stirn. In der Hand hielt sie einen alten,
gusseisernen Pfannenstiel, den sie von zu Hause mitgebracht hatte.
"Warten wir noch ein Weilchen", meinte der Finder. "Vielleicht
ist Herr Maiteufel seit gestern doch weiter gelaufen, als ich vermutet
habe." Der Finder hatte zum Öffnen eine Dole ausgesucht,
die nicht sehr weit von Kaprizes Dole beim Finanzamt entfernt war.
"Immerhin klopfen wir erst seit einer guten halben Stunde gegen
dieses Ding", brummte Ottokar. Er hatte sich vorhin doch noch
dazu entschlossen, mitzukommen. Schließlich wollte er nichts
versäumen, sollte Herr Maiteufel tatsächlich aus dieser
Dole steigen.
"Wer weiß, wie lange er braucht, um von einer Dole zur
anderen zu kommen", überlegte Karla. "Außerdem
kann es sein, dass es da unten sehr schwer ist, zu unterscheiden,
aus welcher Richtung der Klang kommt."
Mara nickte und schlug mit dem Pfannenstiel wieder auf die Dole:
"Ting, ting, ting, ting, ting, ting, ting ..."
"Sollten wir es nicht doch bei einer anderen Dole versuchen?"
fragte Mara.
"Kommt nicht in Frage!" rief Ottokar. "Wir haben
vereinbart, dass ein Kanaldeckel geöffnet wird. Und
dabei bleibt es. Wer weiß, ob Herr Maiteufel auch wirklich
da unten ist? Wenn nicht, machen wir uns unheimlich viel Arbeit,
mit dem Aufhacken und anschließenden wieder Zubetonieren der
Dolen."
Die anderen sagten nichts. Niemand hatte wirklich Lust, die Kanaldeckel,
die sie die letzten beiden Tage mit großer Mühe zubetoniert
hatten, heute wieder aufzuhacken.
Jetzt löste der Finder Mara ab und schlug mit dem Griff kräftig
zu:
"Ting! Ting! Ting! Ting! Ting! Ting! Ting! Ting! ..."
"Pssst!" sagte Mara "Psst!" und legte ihr Ohr
an die Dole.
"Hört ihr das? Ein leises, stumpfes 'tock, tock'?!"
Die anderen konzentrierten sich auf das Geräusch.
Tatsächlich meinten sie jetzt auch, ein leises "tock,
tock ... tock, tock" zu hören.
"Das ist er!" rief der Finder erfreut. "Das muss
er einfach sein!"
Aufgeregt schlug er mit dem Pfannenstiel zwei Mal gegen die Dole:
"Ting! Ting!"
"Tock, tock", machte es von unten, nun schon etwas lauter.
"Ting, ting, ting."
"Tock, tock, tock."
"Ting, ting ... ting, ting."
"Tock, tock ... tock, tock."
"Er versteht uns! Hört ihr nicht?! Er versteht uns!"
lachte der Finder und klopfte wieder auf den Kanaldeckel.
Mara rief aufgeregt durch die Dole: "Friedrich, hörst
du uns? Hallo! Haallo! Haaallooo!"
"Das bringt doch nichts", sagte Ottokar zu Mara, "er
ist noch zu weit entfernt, als dass er dich hören könnte."
Mara sah Ottokar wütend an, erwiderte aber nichts.
"Darf ich auch mal?" fragte sie den Finder.
"Ting ... ting, ting ... ting", machte Mara Herrn Maiteufel
Zeichen.
"Tock ... tock, tock ... tock", bekam sie als Antwort.
"Er scheint schon viel näher zu sein", sagte Arturo
aufgeregt.
Alle lauschten angespannt dem Frage- und Antwortspiel zwischen Mara
und Herrn Maiteufel.
"TOCK!"
"Ich glaube, er ist beinahe schon unter uns", stellte
Ottokar fest.
Die anderen nickten.
"Was sollen wir jetzt tun?" fragte Karla.
"Öffnen natürlich!" meinte Mara erstaunt, "weshalb
sind wir denn sonst hier?!"
"Aber wenn es die Hindernisse sind?" erinnerte Karla Mara.
Schließlich war es genauso gut möglich, dass der Zeichenbeantworter
nicht Herr Maiteufel war. Und selbst wenn er es war, konnte er immer
noch in Begleitung der Hindernisse sein!
Mara zeigte auf ihren Pfannenstiel. "Genügt dir der nicht?"
"Sobald wir sehen, dass es nicht Herr Maiteufel ist, schmeißen
wir den Kanaldeckel sofort wieder zu", schlug Ottokar vor.
"Wir brauchen ihn ja nur halb zu öffnen",.
Damit waren alle einverstanden.
Bevor sie den Deckel wegschoben, schlug der Finder noch einmal kräftig
auf die Dole: "TING!"
"TOCK!" hallte es wie ein verzerrtes Echo nach oben.
Herr Maiteufel - oder wer auch immer da unten klopfte - schien nun
wirklich direkt unter ihnen zu sein.
Mara, der Finder, Karla, Ottokar und Arturo sahen sich bedeutungsvoll
an.
Mara hielt den Pfannenstiel fest in der Hand.
Dann öffneten sie den Schacht.
Gespannt sahen alle in die Öffnung.
Und tatsächlich!
Da sahen sie Herrn Maiteufel!
Einige Meter unter ihnen stieg ein blasser Haarschopf die schmale
Kanalisationstreppe empor.
Aber war das wirklich Herr Maiteufel?
Und wer folgte ihm?
Trat hinter ihm nicht noch eine andere Person aus dem Schatten?
Mara krampfte ihre beiden Hände um den Pfannenstiel.
Ottokar hielt sich bereit, den Dolendeckel wieder zu schließen.
Jetzt waren die beiden Personen nur noch drei Meter unter ihnen.
"Mensch, ist das nicht!" rief der Finder plötzlich
völlig überrascht aus. "Seht doch! Das ist ja ..."
Seine Stimme überschlug sich und hörte sich nur noch wie
ein Quietschen an.
Trotzdem hatten die anderen längst gesehen, was der Finder
ihnen mitteilen wollte: Aus der Kanalisation stieg niemand anderes
als der Läufer!
Herr Maiteufel und Larifari kniffen die Augen zu, weil sie das
Tageslicht blendete. Dennoch hörten sie, dass es der Finder,
Mara, Arturo, Karla und Ottokar waren, die da ausgelassen um sie
herumsprangen.
Wie in einem Traum glitten einzelne Ausrufe und Gesprächsfetzen
an ihnen vorbei: "Der Läufer ist wieder da" . "Ha,
ha, ha ... der Läufer"
"Und den Herrn Maiteufel
hat er auch mitgebracht" ... "Wer hätte das alles
gedacht!" ... "Ha, ha, der Läufer in der Kanalisation"
... "Finder, Sie haben zwar fast immer im Dunkeln getappt,
aber dann doch zufällig ins Schwarze getroffen, das muss ich
mir merken, ha, ha, ha" ... "Friedrich, was hast du denn
da unten gemacht? Ich habe mir tatsächlich Sorgen um dich gemacht!"
... "Der Läufer ist gefunden!" ... "Endlich
wird sich in unsere Stadt wieder etwas bewegen" ... "Ha,
ha, ha ..."
Herrn Maiteufel wurde es ganz schwindelig. Immer wieder blinzelte
er, sah aber nur ein wildes Auf und Ab vor grellem Hintergrund.
Was riefen seine Bekannten da immer vom Läufer? Er war doch
nur mit Larifari die Kanalisation hochgestiegen? Der Läufer
habe ihn, Herrn Maiteufel, mitgebracht? Das war doch alles Unsinn!
Vorsichtig öffnete er wieder ein Stück die Augen: Er sah
Larifari mit blinzelnden Augen neben Mara und dem Finder stehen.
Mit stolzgeschwellter Brust schien er ihnen zu erzählen, wie
sie den Weg nach oben gefunden haben.
"Aber das ist doch nicht möglich!" dachte Herr Maiteufel.
Und endlich verstand er, was der Läufer mit Larifari zu tun
hatte: Larifari war der Läufer!
"Das haben Sie wirklich toll gemacht!" sagte der Finder
zu Herrn Maiteufel.
Herr Maiteufel strengte sich an, die Augen ganz zu öffnen.
Fragend sah er den Finder an.
"Der Läufer hat uns gerade erzählt, wie Sie ihm wesentlich
dabei geholfen haben, aus dem Garten hierher zu gelangen!"
erklärte der Finder. "Sie brauchen gar nicht so bescheiden
zu sein. Sicher sind Sie doch nur in den Garten gegangen, um den
Läufer zu finden?! Es war wirklich pfiffig von Ihnen, ihn durch
die Kanalisation wieder zurück auf seine Position zu bringen.
Oder warum hatten Sie sonst die Pläne dabei? Wieso haben Sie
denn nicht zugegeben, dass Sie unser Problem schon kannten? Als
Sie bei mir waren, haben Sie so getan, als hätten sie davon
keine Ahnung!"
Herr Maiteufel schüttelte verwundert den Kopf. "Ich bin
sicher nicht wegen Larifari in den Garten gekommen. Wegen dem Läufer
vielleicht, aber nicht wegen Larifari. Auch wenn Sie es mir nicht
glauben: Ich habe eben erst erfahren, dass Larifari der verschwundene
Läufer ist. Er selbst hat mir nichts davon gesagt."
Nun schaute der Finder Herrn Maiteufel verblüfft an. "Und
warum sind Sie dann in dem Garten festgehalten worden? Der Läufer
sagte mir eben, dass einen dort die Hindernisse auf unbestimmte
Zeit gefangen halten. Welches Interesse hatten die Hindernisse denn
an Ihnen?"
"Welche Hindernisse?" fragte Herr Maiteufel erschöpft.
Hier schien alles viel komplizierter als im Garten zu sein. "Ich
habe in dem Garten keine Hindernisse gesehen. Es war sehr schön
dort."
Larifari und die anderen waren zu ihnen getreten.
Der Läufer erklärte dem Finder: "Ohne mein ständiges
Insistieren hätte Herr Maiteufel nie aus dem Garten gefunden.
Ihm hat es dort viel zu gut gefallen."
"Aber warum denn?" rief Mara betroffen aus, "Friedrich,
du scheinst doch so ein erfinderischer Mensch zu sein! Da musst
du dich doch nicht von den Hindernissen einwickeln lassen. Die hätten
dich nie mehr losgelassen! Dort wärst du verloren gewesen!"
Alle nickten und sahen Herrn Maiteufel eindringlich an.
Aber Herr Maiteufel drehte sich traurig von ihnen weg: So hatte
er sich den Empfang hier oben nicht vorgestellt!
Warum konnten sie sich nicht einfach nur freuen, dass er einen Weg
nach oben gefunden hatte? Warum mussten sie den Garten und seine
Bewohner schlecht machen? Was wussten diese Leute schon von dem
Garten?
In seiner Hosentasche fühlte er den Stein.
Den tiefblauen Stein mit dem gelben Auge aus Parbleus Garten. Er
war warm und brannte beinahe in seiner Hand.
Da wusste er, was er zu tun hatte.
Entschlossen wandte er sich den anderen zu und sagte: "Ich
muss noch einmal in den Garten. Ich habe dort etwas zu erledigen."
Dann ging er auf die Dole zu.
Die anderen sahen erst sich, dann Herrn Maiteufel entgeistert an.
"Verstehst du denn nicht, Friedrich!" schrie Mara mit
spitzer Stimme und hielt ihn am Arm fest, "wenn du jetzt noch
einmal da hingehst, kommst du nie wieder zurück. Ein zweites
Mal werden dich die Hindernisse nie und nimmer gehen lassen!"
"Bedenken Sie doch, Herr Maiteufel, dass Sie nur durch mich
wieder nach draußen wollten", gab auch Larifari zu Bedenken.
"Wenn Sie jetzt dort hin zurückgehen, werden Sie wieder
alles vergessen. Aber dann wird dort niemand sein, der sich um Sie
kümmert!"
Herr Maiteufel lächelte Larifari wie aus weiter Ferne an und
dachte an das dünne Männchen im Bett, dem ein Speichelfanden
an den Lippen klebte.
Dann stieg er eine Stufe hinab, und noch eine. Es ging ganz leicht.
"Hiergeblieben!" brüllte Ottokar und hielt Herrn
Maiteufel gerade noch am Kragen fest. "Denken Sie, wir holen
Sie da raus, um Sie dann keine Stunde später wieder dahin zurück
zu lassen? Das wäre ja fahrlässige Tötung!"
Ottokar stand gebückt über der Dole und sah Herrn Maiteufel
drohend in die Augen.
"Lassen Sie ihn", sagte der Finder mit ruhiger Stimme.
"Er wird schon wissen, was er tut. Immerhin wissen wir dann,
dass er freiwillig in diesem Garten ist, dass er nicht mehr gesucht
werden muss."
Ottokar ließ Herrn Maiteufels Kragen widerwillig los und richtete
sich schwerfällig auf.
Herr Maiteufel sah den Finder dankbar an.
Als er die Treppe hinabstieg, sah er noch, wie der Finder ihm zunickte,
Mara Arturo am Arm rüttelte und rief: "So tu doch was,
so tu doch was!", und Karla dem Finder einen erbosten Blick
zuwarf. Dann war er in der Kanalisation verschwunden.
"Wie konnten Sie ihn nur gehen lassen?" fragte Karla den
Finder aufgebracht .
"Wir können ihm die Entscheidung nicht abnehmen",
sagte der Finder matt.
"Schade um ihn", sagte der Läufer. "Außerdem
hätte ich ihm gerne gezeigt, was ich alles in der Stadt verändern
werde. Endlich kann ich das umsetzen, wovon ich schon immer geträumt
habe!"
Der Läufer blickte selbstgefällig in die Runde.
"Was haben Sie denn alles vor?" fragte Ottokar interessiert.
"Oh, zum Beispiel habe ich da an eine Versammlung gedacht,
die über das ausschließliche Tragen von Schnallenschuhen
beraten soll ..."
"Und Sie denken wirklich, dass das nun erste Priorität
haben soll?" fragte Ottokar skeptisch.
"Unbedingt!" erwiderte Larifari. "Bedenken Sie nur,
welche ästhetischen Auswirkungen dies auf die Bevölkerung
haben wird. Die Kinder werden nur noch tänzelnd ..."
"Sie waren lange Zeit weg!" unterbrach ihn Ottokar. "Inzwischen
haben wir eine Menge dringendere Probleme zu lösen."
"Alles zu seiner Zeit!" sagte der Läufer und schüttelte
wiehernd den Kopf. "Aber oberste Priorität hat auf jeden
Fall ..."
"Können wir das nicht in unserem Garten bei einem Stück
Erdbeerkuchen besprechen?" wiegelte Mara die Unterhaltung von
Ottokar und dem Läufer ab.
"Aber gern", pflichtete ihr der Läufer bei und machte
mit den Armen eine theatralische Geste: "Auf in die Bohnengasse!"
Herr Maiteufel war die Gänge zurückgehastet und bald
wieder durch den kleinen Teich in den Garten gelangt.
Nun stand er halb verdeckt hinter einem Strauch und beobachtete
mit angehaltenem Atem das Geschehen.
Vom Pavillon drang das Gelächter von Zeber und Xander herüber.
Die Alabaster-Schönheit hielt gerade Pistazie und Melle dazu
an, Beeren für einen Kuchen zu sammeln. Minze und Annemone
pflückten sich kleine Blumen und knüpften sie zu bunten
Armreifen zusammen.
Und Meringue ... Meringue saß auf einer der Gräserterassen
und zwirbelte sich selbstvergessen das Haar! Sie schien ein Lied
vor sich hin zu summen.
Herrn Maiteufels Herz klopfte stark.
Vorsichtig schlich er sich von hinten an Meringue heran und hielt
ihr mit seinen Händen die Augen zu.
"Zeber!" rief Meringue.
"Nnhnn", verneinte Herr Maiteufel.
"Minze? - Oder Pistazie?"
Herr Maiteufel schwieg.
"Ah, dann weiß ich es: Melle!"
"Nein!" sagte Herr Maiteufel und nahm die Hände von
Meringues Augen. "Ich bin es."
Meringue dreht sich um, und stieß einen kleinen, erfreuten
Schrei aus: "Du bist es! Wo warst du denn? Verschwindest einfach,
ohne mir ein Wort zu sagen. Ist das etwa rücksichtsvoll?"
Meringue zog einen Schmollmund.
Herr Maiteufel lächelte. "Es tut mir leid. Nächstes
Mal sage ich es dir vorher."
"Was heißt hier nächstes Mal?" fragte Meringue
entrüstet. "Bleibst du diesmal etwa nicht für immer?"
Traurig schüttelte Herr Maiteufel seinen Kopf. "Es geht
nicht, Meringue. Ich bin nur gekommen, um dir das hier zu geben."
Herr Maiteufel gab Meringue den Stein.
Meringue sagte: "Er ist warm."
Langsam rollte Herrn Maiteufel eine Träne über die Backe.
Meringue tauchte ihren Finger in die Träne und steckte ihn
in den Mund.
"Ich werde dich besuchen kommen", sagte Meringue, "bestimmt!"
Herr Maiteufel nickte.
Dann sagte er. "Also, ich gehe dann."
Steif stand er auf und ging zum Teich.
Meringue blickte ihm traurig nach.
"Es freut mich, dass Sie den Stein doch noch hergeben konnten",
sagte Parbleu.
Erschrocken drehte sich Herr Maiteufel um.
"Ich hatte Sie gar nicht bemerkt", sagte er ängstlich.
"Das macht doch nichts", sagte Parbleu freundlich. "Sie
möchten uns wirklich verlassen?"
Parbleu sah Herrn Maiteufel durchdringend an.
Herr Maiteufel zögerte.
Dann sagte er mit fester Stimme: "Ja!"
"Möchten Sie in diesem Fall nicht den bequemeren Weg durch
die Tür benutzen?"
Herr Maiteufel stutzte. Ließ sich die Tür also doch ganz
einfach öffnen?
"Kommen Sie, mein Lieber, ich zeige Ihnen den Weg."
Parbleu ging voraus durch den Garten über den Glaspavillon
zum Korridor.
Dann standen sie vor der Tür.
"Ich hoffe, es hat Ihnen bei uns gefallen", sagte Parbleu
und lächelte verschmitzt.
"Danke, sehr", sagte Herr Maiteufel mit erstickter Stimme.
Er gab Parbleu zum Abschied die Hand.
Parbleu drückte sie sanft und nickte ihm zu.
Herr Maiteufel öffnete die Tür und trat ins Freie.
Zwanzigstes Kapitel, in dem alles sein glückliches Ende finden
sollte
Herr Maiteufel stand in seinem Zimmer in Oberfischen und bereitete
sich darauf vor, in seine Maschine zu steigen.
Nun, da der Läufer wieder gefunden war und seinen Posten einnehmen
konnte, würde seine Maschine sicher wieder funktionieren.
Zuerst wechselte Herr Maiteufel noch das undichte Ventil eines der
Blattanfeuchtbehälter aus, das er in der Kanalisation entdeckt
hatte. Dann ging er in Gedanken ein letztes Mal die Bedienungsanleitung
durch und überlegte sich nochmals, was er tun müsse, wenn
er die Maschine zwischendrin stoppen wollte.
Dann war er bereit.
Mit mulmigem Gefühl im Bauch und zittrigen Händen setzte
er sich auf das Sitzpolster und drückte auf den Anknopf.
Die Maschine fing zu surren und zu arbeiten an.
Herr Maiteufel stieß einen kleinen erregten Schrei aus:
Endlich war es ihm gelungen, die Maschine in Gang zu bringen! Seine
Maschine funktionierte tatsächlich und er würde so oft
Waldfrühlingsgefühle haben können wie er wollte!
Aufgeregt suchte er eine bequemere Sitzposition, damit er sich ganz
ungestört der Maschine und dem Waldfrühlingsgefühl
hingeben konnte.
Die Maschine begann leise zu rauschen und blies ihm sachte warme
Luft ins Gesicht.
Herr Maiteufel schloss die Augen und sah eine von Bäumen umsäumte
Wiese vor sich. Er atmete tief durch und schien wirklich den süßlichen
Duft der Blumen und das Harzige der Baumrinden zu riechen!
Dann spürte er auf seiner Haut einen feinen Nieselregen, der
die warme Luft angenehm erfrischte und ihn mit anderen Bildern spielen
ließ. Er sah einen kleinen Teich vor sich. Nicht weit davon
stand ein blühender Kirschbaum, auf dem ein Vogel "tschieppiepp,
tschieppiep" sang.
Entspannt lehnte sich Herr Maiteufel zurück und stieß
einen Seufzer aus.
Es war einfach zu schön: Er hörte Blätterrauschen
und naives Vogelgetschilpe, und wenn er tief einatmete roch er den
Geruch von ... von ... wie hieß die Frucht doch gleich? Diese
gelb-grüne ovale Frucht? Hm ... Ja! Mango! Hier roch es intensiv
nach reifer Mango!
Herr Maiteufel setzte sich auf und öffnete die Augen:
Meringue.
Wie es ihr wohl ging? Ob sie ihn inzwischen schon vergessen hatte?
Wahrscheinlich dachte sie sich im Augenblick mit Melle oder Pistazie
irgendwelche Geschichten aus oder saß mit den anderen im Pavillon
und aß einen der ausgezeichneten Krapfen von der Alabaster-Schönheit.
Vielleicht lag sie aber auch einfach nur im Gras und ließ
sich von Zeber an der Nase kitzeln?
Herr Maiteufel seufzte.
Ob es richtig gewesen war, mit Larifari einen Ausgang aus dem Garten
zu suchen? Für Larifari bestimmt. Aber für ihn?
Was Larifari jetzt wohl in der Stadt bewegte? Herr Maiteufel schmunzelte
ein bisschen. Vermutlich waren die Baumkronen der Stadt schon mit
Watte behangen? Und alle Stadtbewohner mussten Larifaris Möglichkeitenkatalog
auswendig lernen? Sicher ließ er aber jede Woche eine Großversammlung
einberufen, die die Einwohner über Larifaris neueste Möglichkeiten
informierte.
Ob Mara, Arturo, Karla und die anderen über die Rückkehr
des Läufers wirklich froh waren? Immerhin wird er unter ihrem
speziellen Schutz stehen. Denn irgendwie waren sie doch auch ein
bisschen dafür verantwortlich, dass er wieder auf seinem Platz
war.
Was würde er, Herr Maiteufel, wohl ändern, wenn er in
der Position des Läufers wäre?
Auf jeden Fall würde er weniger arbeiten wollen, um mehr Zeit
für die wirklichen Dinge im Leben zu haben. Dann könnte
er vielleicht sogar ein paar Mal die Gartengesellschaft und Meringue
besuchen gehen.
Oder er würde irgend etwas mit Odette unternehmen. Wenn er
recht überlegte, war es schon lange her, dass er sich für
seine Schwester Zeit genommen hat. Er wusste nicht einmal, was Odette
immer machte, wenn sie sich Dienstags mit ihrer Freundin traf. Gingen
sie schwimmen? Oder Eisessen? Oder tratschten sie einfach nur miteinander?
Er war früher einfach zu sehr mit seiner Arbeit und mit seiner
Maschine beschäftigt gewesen.
Odette dagegen wusste immer ganz genau, was er gerade machte oder
was ihn berührte. Deshalb war sie auch so besorgt gewesen,
weil er sich die ganze Zeit, als er in seiner Heimatstadt war, nicht
gemeldet hatte. So etwas kannte sie von ihm nicht. Doch obwohl sie
sich so viele Sorgen gemacht hatte, war sie glücklicherweise
nicht zur Polizei gegangen. Schließlich sei Friedrich ja ein
erwachsener Mensch, habe sie sich immer wieder gesagt ...
Herr Maiteufel drehte sich um, bückte sich und drückte
auf den kleinen grünen Aus-Knopf. Die Maschine ruckelte ein
wenig und war dann still. Er setzte sich wieder auf das Polster
und hängte seinen vorigen Gedanken nach.
Seltsamerweise hatte ausgerechnet Herr Knobel seine Schwester in
ihrer Meinung (wegen Herrn Maiteufels Verschwinden nichts zu unternehmen)
unterstützt. Als sie ihn nämlich bei seinem Chef für
sein Fernbleiben entschuldigen wollte, und ihm sagte, dass sie schon
länger nichts von Friedrich gehört habe und deshalb nicht
wisse, wann er wiederkomme, habe Herr Knobel gelacht und gesagt,
dass sie sich mal keine Sorgen um ihn machen solle. Herr Maiteufel
wolle einfach einmal etwas anderes sehen als seine Butterbrotpapiermaschine.
Nach Odettes Meinung hatte sich Herr Knobel aufrichtig über
sein Fernbleiben gefreut. Er hatte ihr sogar angedeutet, dass er
ihren Bruder nach seiner Rückkehr eine halbe Stunde früher
nach Hause gehen lassen werde, damit er mal "ein bisschen Luft
schnappen" könne!
Herr Maiteufel wusste nicht, was er davon halten sollte. Vielleicht
machte sich Herr Knobel einfach nur über ihn lustig? - Nun
ja, er würde es morgen sehen, wenn er wieder in die Fabrik
gehen würde ...
"Friedrich?" Odette war ins Zimmer getreten und sah
ihren Bruder neugierig an. "Hat es geklappt mit deiner Maschine?
Wie war es denn?"
Herr Maiteufel sah sie erstaunt an: "Hm? Die Maschine? Ach,
die habe ich beinahe vergessen. Mir war so warm, da habe ich sie
ausgeschaltet. Ja, denk dir, sie funktioniert tatsächlich.
Wenn du möchtest, kannst du sie gleich ausprobieren."
Odette schüttelte den Kopf. "Ein anderes Mal vielleicht.
Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du mit mir in den Stadtwald
gehen möchtest? Ich kenne da eine Stelle, wo es reife Brombeeren
gibt."
"Gerne!" sagte Herr Maiteufel. "Ich komme gleich."
Odette nickte erfreut mit dem Kopf und ging aus dem Zimmer.
Herr Maiteufel stieg aus seiner Maschine, streckte ausgiebig seinen
Körper und zog sich die Schuhe an. Am Klatschen der Türe
hörte er, dass Odette schon vorausgegangen sein musste.
Fröhlich lief er ihr hinterher: Der Himmel war blau, die Luft
war warm und roch nach frischgemähtem Gras.
Das Wichtigste aber war, dass der Finder ihm versprochen hatte,
ihn mit Meringue besuchen zu kommen.
Dann hatte Herr Maiteufel Odette eingeholt.
* * *
Ende der Geschichte "Herrn
Maiteufels wundersame Reise in die Wirklichkeit"!
Ob Palmina noch ein drittes Geheimes Buch
auf dem Dachboden, im Keller oder in Rossipottis
verstecktem Winkel findet, erfahrt ihr im nächsten Rossipotti
im Juni 2008!
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