Der Blaue Diamant
Dunkelheit.
Wärme.
Der Geruch von Blut.
Ein roter Schimmer durch die geschwollenen Lider.
‚Wir sind im Kesselberg!’, durchfuhr es Betrüger-Schorschi.
Sein Gesang blieb ihm in der Kehle stecken, und er schmeckte das dick gewordene Blut als dampfenden Niederschlag auf seiner Zunge.
Aber wo war das Pochen des Herzens geblieben? Er hörte kein Pochen! Waren sie etwa zu spät gekommen?
„Das Herz schlägt ... schlägt noch ...“, sagte die Flupppuppe.
Tatsächlich!
Jetzt hörte auch Betrüger-Schorschi das entfernte Pochen des Herzens. Aber seltsam! Es wurde nicht lauter, obwohl sie ihm immer näher kamen.
‚Herz, schlage doch! Schlage doch lauter!’, dachte Betrüger-Schorschi. ‚Schlage, so laut du kannst!’
Aber das Herz schlug nicht lauter. Nur ein ganz leises Bumm ... Bumm ... Bumm drang zu ihnen.
„Blaues Licht“, rief eine matte Stimme ein paar Meter unter ihnen. „Meine sterbenden Augen sehen den Blauen Diamanten!“
„Der Fisch stinkt vom Kopf her“, sagte die Flupppuppe. „Und der Druide vom Fuß.“
„Recht hast du, Flupppuppe“, sagte der Druide. „Meine Füße sind schon aus Papier, aber mein Kopf ist noch in Ordnung! Hört ihr es?! Das Herz schlägt nur noch ganz leise. Und aus der Wunde tritt kaum noch Blut. Auch das Blut im Kessel trocknet langsam ein! Seht: Nur noch dreißig Zentimeter tief ist die Blutsuppe. Aber jetzt seid ihr da! Wenn alles gut geht, schließt der Diamant die Wunde, und das Herz wird wieder gesund! Schnell, Betrüger-Schorschi: Gib mir den Blauen Diamanten!“
Betrüger-Schorschi warf den Diamanten nach unten in die Richtung, aus der der Druide gesprochen hatte. Doch weil er nicht sah, wo der Druide stand, und außerdem nicht daran gedacht hatte, dass der Druide mit seinen Papierfüßen nicht gehen konnte, fiel der Blaue Diamant in den Blutkessel!
„Du Narr!“, rief der Druide entsetzt. „Siehst du nicht, was du getan hast? Der Blaue Diamant ist ins Herzblut gefallen! Jetzt müssen wir alle sterben!“
„Wie spät ist es denn?“, fragte Betrüger-Schorschi.
„Wie spät?“, rief der Druide verzweifelt. „Es ist die Stunde meines Todes! Halb drei Uhr nachmittags!“
„Dann haben wir noch dreißig Minuten Zeit, den Diamanten zu finden!“
„Woher weißt du das?“
„Die Üpsiolaner haben es mir gesagt.“
„Worauf wartest du dann noch?“, rief der Druide. „Spring in den Kessel und hol den Diamanten!“
Betrüger-Schorschi überlegte nicht lange. Natürlich ekelte er sich vor dem dicken, immer zäher werdenden Blut. Aber es durfte nicht sein, dass alle seine Mühen umsonst gewesen waren! Er stieg von der Flupppuppe ab und tastete sich zum Becken vor. Er zog seine Kleider aus und stieg in den Kessel.
Oh!
Tat das gut!
Das Blut war angenehm warm! Und so entspannend! Beinahe wie ein kräftigendes Vollbad! Seine Hornissenstiche taten plötzlich nicht mehr weh. Schnell tauchte er seine geschwollenen Hände in das Blut ein. Dann schöpfte er mit beiden Händen Blut und wusch sein Gesicht damit. Seine Lider schienen ihm mit einem Mal nicht mehr so dick und schwer zu sein. Und jetzt konnte er sie sogar schon einige Millimeter weit öffnen!
„Beeile dich!“, hörte Betrüger-Schorschi den Druiden sagen. „Meine Beine werden schon zu Papier. Ich glaube kaum, dass ich noch dreißig Minuten durchhalte.“
Betrüger-Schorschi kroch durch das Blut und versuchte den Diamanten mit Füßen und Händen zu spüren.
Aber das Blut war inzwischen ziemlich dick geworden, und so kam er nur langsam vorwärts.
Kurz dachte er, den Stein gefunden zu haben. Aber dann war es nur ein fester Blutklumpen, den er in den Händen hielt. Zehn Minuten vergingen, und noch einmal fünf.
Der Druide war schon bis zum Hals zu Papier geworden. Zum Glück konnte er seine Augen wieder ganz öffnen, und sich dadurch im Becken besser orientieren
„Wie viel Zeit habe ich noch?“, fragte Betrüger-Schorschi.
„Noch fünfzehn Minuten“, sagte der Druide mit erstickter Stimme.
„Zeit genug, um den Diamanten zu finden“, sagte Betrüger-Schorschi beruhigend. „Ich habe bald im ganzen Becken gesucht. Irgendwo muss er ja sein.“
Hektisch tastete er Zentimeter für Zentimeter ab. Aber es war wie verhext: Der Diamant schien wie vom Erdboden verschluckt!
„Flupppuppe“, flüsterte der Druide, als er sein Ende kommen sah. „Obwohl es uns Druiden strengstens verboten ist, sein Wissen Dritten weiter zu geben, werde ich dir jetzt trotzdem das Geheimnis des Herzbluts anvertrauen. Du bist die Puppe mit dem fremden Herzen. Bei dir weiß ich mein Geheimnis gut aufgehoben.“
Die Flupppuppe flog dicht zum Druiden heran und lauschte seinen geflüsterten Worten. Es war die Lebens-Formel der Bewohner des Blauen Gebirges, die der Druide ihr weiter gab. Wort für Wort flüsterte er der Flupppuppe diese Formel ins Ohr.
Als er sie am Ende nochmals wiederholen wollte, waren auch seine Lippen zu Papier geworden. Die fünfzehn Minuten waren noch nicht vorbei, und die Flupppuppe konnte die Verwunderung in den Augen des Druiden lesen. Hatten die Üpsiolaner die Zeit falsch vorausgesagt, oder hatte Betrüger-Schorschi sich verrechnet?
„Ich habe ihn!“, schrie Betrüger-Schorschi und riss seinen Arm mit dem Diamanten in die Höhe. „Ich habe es doch noch rechtzeitig geschafft, den Blauen Diamanten zu finden! Druide, du wirst die Wunde heilen können und alles wird gut werden.“
Betrüger-Schorschi drehte sich zum Druiden um und erstarrte: Der Druide war vollständig zu Papier geworden! Doch das war noch nicht alles. Denn neben dem Druiden standen, wie plötzlich aus dem Boden gewachsen, drei riesige Pitbulls mit Stachelhalsband! Mit aufgerissenen Mäulern und bildschirmgroßen Augen starrten sie den Druiden hasserfüllt an.