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Abenteuer mit der Flupppuppe

Vorwärts

Sprich Wörter

„Dem Älteren gebührt das Recht“, sagte einer der Pitbulls. Er stand links, am weitesten entfernt vom Druiden. Sein Fell glänzte, und er sah am kräftigsten und jüngsten von den Hunden aus.

„Unrecht geht die Welt zu Grunde“, sagte der Pitbull, der in der Mitte stand. Er knurrte gefährlich.

„Bellende Hunde beißen nicht“, bellte der Hund, der am ältesten aussah und am nächsten zum Druiden stand.

„Und schlafende Hunde soll man nicht wecken“, sagte der mittlere.

„Wenn du den Druiden nicht sofort beißt, zerreiße ich dich in tausend Stücke“, sagte der jüngste Pitbull und schnappte mit dem Maul nach dem ältesten.

Die Muskeln traten unter seiner straffen Haut hervor, und beim Reden knackten die starken Kieferknochen: „Umsonst ist nicht einmal der Tod, er kostet das Leben.“

„Ich werde mich hüten“, sagte der älteste Hund. „Den Letzten beißen die Hunde!“

„Ich weiß, ich weiß“, sagte der jüngste. „Und genau deshalb wirst du jetzt den Druiden beißen! Denn wer weiß, was mit dem Hund passiert, der den Letzten beißt. Das steht leider nirgendwo geschrieben. Und ich selbst habe keine Lust, das heraus zu finden.“

„Einer allein reicht nicht“, versuchte sich der ältere aus der Affäre zu stehlen. „Es müssen mindestens zwei Hunde sein.“

„Sehr gut“, sagte der jüngste Pitbull. „Dann wirst du und der mittlere Hund den Druiden beißen!“

„Ich habe keine Angst vor dir“, sagte der mittlere Hund. „Ich werde den Druiden sicher nicht beißen!“

„Das werden wir ja sehen“, sagte der jüngste. Er schob seinen Oberkörper nach vorne und knurrte. „GRRRRR!“

„Ich habe keine Angst vor dir“, wiederholte der mittlere Hund. „Ich fürchte nur das Ungewisse des letzten Bisses!“

„Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.“

...

„Psst“, machte die Flupppuppe hinter Betrüger-Schorschi.

Betrüger-Schorschi war so in den Streit zwischen den Hunden vertieft gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, dass die Puppe zu ihm geflogen war.

„Gib mir den Blauen Diamanten!“, sagte sie leise. „Wir haben drei Minuten Zeit! Während ich mich um die Herz-Wunde kümmere, musst du auf jeden Fall verhindern, dass die Hunde den Druiden beißen! Sonst wird es für ihn aus seinem Papierschlaf kein Erwachen mehr geben. Sprich Wörter! Dann werden sie den Druiden in Ruhe lassen.“

Betrüger-Schorschi gab der Flupppuppe schnell den Diamanten. Sie wünschte Betrüger-Schorschi „Viel Glück“ und flog so schnell sie konnte dem Kraterausgang entgegen.

Ob es ihr wohl gelingen würde, in wenigen Minuten die Wunde des Herzens zu schließen? Wenn nicht, schlug das Herz sehr bald das allerletzte Mal!

Und diese kostbaren Minuten musste er die Hunde davon abhalten, den Druiden zu beißen. Die Flupppuppe hatte Recht. Wenn einer der Hunde den Druiden beißen würde, wäre er mit Sicherheit zerfetzt. Selbst wenn der Hund ihn nur mit dem halben Maul erwischen würde.

„Übermut tut selten gut“, sagte gerade der ältere Pitbull.

„Totgesagte leben länger“, sagte der mittlere Pitbull.

Der jüngste Pitbull sagte gar nichts. Er setzte zum Sprung an und landete auf dem älteren Pitbull.

Bevor Betrüger-Schorschi irgendwie eingreifen konnte, hatte der Hund seine scharfen Zähne in den Nacken des älteren geschlagen und schleifte ihn zum Druiden. Der älteste Hund versuchte sich zu wehren und schlug nach dem jüngsten aus. Aber der hatte ihn fest im Griff und dachte gar nicht daran loszulassen. Mit den Vorderpfoten drückte er den ältesten auf den Papier-Druiden und knurrte durch die Zähne: „Beiß!“

Der älteste Hund hechelte: „Ich gebe dir alles, was du willst! Wie wäre es mit meiner Nichte Pitty? Die hat dir doch immer so gut gefallen?!“

„Beiß!“

Der jüngste Hund bohrte seine Zähne in den Nacken des ältesten Pittbulls, und Betrüger-Schorschi sah, dass Blut über seine Zähne lief.

Der älteste Hund jaulte auf, beugte sich über den Druiden und wollte ihm gerade seine Zähne in den Bauch rammen, als Betrüger-Schorschi rief:

„Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage!“

Der jüngste Pitbull ließ reflexartig vom älteren ab und drehte sich um.

„Wer bist du?“, knurrte er.

Der älteste Pitbull keuchte und leckte sich seinen blutenden Nacken. Dann sah auch er zu Betrüger-Schorschi. Erschrocken fuhr er zusammen.

„Ich erkenne dich wieder!“, sagte er. „Du bist der Große Zeichner!“

„Der Große Zeichner?“, sagte der jüngste Pitbull misstrauisch. „Woher weißt du das? Hast du den Großen Zeichner schon einmal gesehen?“

„Er spricht die Sprache, mit der er uns ins Leben gerufen hat“, stimmte der mittlere Hund dem ältesten zu.

„Gut“, knurrte der jüngste Pitbull. „Ich gebe dem Großen Zeichner eine Chance!“

Mit einem einzigen Satz sprang er vor die Füße von Betrüger-Schorschi und baute sich vor ihm auf.

„Sprich die richtigen Wörter!“, bellte er. „Aber wenn du nicht die richtigen Wörter sprichst, reiße ich dich in tausend Stücke!“

Dann drehte er sich zu den anderen Hunden um.

„Und glaubt ja nicht, dass ihr in der Zwischenzeit verschwinden könnt!“

Der älteste und der mittlere Hund gingen ängstlich in die Knie. Aus irgendeinem Grund kam es ihnen nicht in den Sinn, sich gemeinsam gegen den jüngsten Hund zu verbünden. Statt dessen zitterten sie und sahen ängstlich zu Betrüger-Schorschi.

„Sprich endlich die Wörter!“, sagte der jüngste Pitbull. „Oder ich zerreiße dich sofort!“

Nach all den Abenteuern hätte Betrüger-Schorschi nicht gedacht, dass er noch in eine Situation kommen würde, die noch gefährlicher war, als alles, was er bis dahin durchgestanden hatte.

Der riesige Hund stand meterhoch vor ihm und glotzte ihn aus seinen großen, glanzlosen Augen an. Aus seinem Maul triefte Speichel, und Betrüger-Schorschi zweifelte keine Sekunde daran, dass der Hund hielt, was er versprach.

Fieberhaft dachte Betrüger-Schorschi nach, was er sagen konnte. Welche Wörter konnten ihm das Leben retten? Was wollte der Hund hören? Wann kam die Flupppuppe endlich wieder? Waren die drei Minuten nicht längst um?

‚Sprich Wörter’, hatte die Flupppuppe ihm gesagt. ‚Sprich Wörter’, sagte ihm der Hund.

Sowohl die Hunde als auch die Flupppuppe sprachen die meiste Zeit in Sprichwörtern. War das des Rätsels Lösung?

Und war die Flupppuppe vielleicht der Große Zeichner? Quatsch!

Verliere jetzt nicht vor lauter Angst den Verstand, Betrüger-Schorschi!

Aber Betrüger-Schorschi hatte Angst. So sehr, dass er sicher schon längst in die Hose gemacht hätte, wenn er nicht so lange nichts mehr getrunken hätte ...

„Ich zähle auf drei!“, sagte der Pittbull ungeduldig und zeigte seine scharfen Zähne. „Eins, zwei ...“

„Selbst die größten Könige gehen zu Fuß aufs Klo!“, stieß Betrüger-Schorschi hervor und zog schnell seinen Kopf ein, damit der Hund ihm nicht als erstes den Kopf abbiss.

Aber oh Wunder! Der Pitbull dachte nicht daran, ihn zu zerreißen! Ganz im Gegenteil! Er drehte sich zu den anderen Pitbulls um und sagte: „Habt ihr das gehört? Selbst die größten Könige gehen zu Fuß aufs Klo! Das ist also der Gipfel unserer Weisheit! Ich muss sagen, diese Weisheit leuchtet mir ein. Das Wort ist schlicht und deutlich, das ist ganz nach meinem Geschmack! Ich war noch nie ein Anhänger der Theorie, dass die Wahrheit des Großen Zeichners so kompliziert und verschlüsselt sei, dass man sie in Millionen Jahren nicht verstehen könnte. Schreibt euch also diese klare, unmissverständliche Wahrheit hinter eure jämmerlichen Ohren! Und erzählt sie euren Kindern und Kindeskindern weiter, damit niemand mehr auf eine andere Idee kommt. Und jetzt kümmern wir uns um den Druiden! Den letzten müssen immer noch die Hunde beißen!“

Die beiden Pitbulls auf der anderen Seite jaulten entsetzt auf. Der jüngste setzte zum Sprung an und flog auf sie zu. Doch mitten im Sprung wurde der Hund von einem blauen Blitz durchbohrt und im Bruchteil einer Sekunde verbrannt! Als krosser Braten fiel er neben dem Herzkessel auf den Boden.

Unterdessen war der Blitz zu einer gleißenden Lichtsäule angewachsen und tauchte das Herz in blaues Licht.

Betrüger-Schorschi hielt sich die Hände vors Gesicht, um die Helligkeit besser ertragen zu können. Durch die Schlitze seiner Finger konnte er sehen, dass sich im Zentrum der Lichtsäule ein besonders heller Strahl bildete, der sich auf die Wunde des Herzens richtete.

Es zischte, und plötzlich roch es stark nach verbranntem Fleisch. Aber Betrüger-Schorschi war sich nicht sicher, ob er nicht nur das verbrannte Fleisch des Hundes roch.

Dann bäumte sich das Herz auf und fiel kurz darauf laut pochend in seinen Kessel zurück.

Bumm, Bumm, Bumm.

„Das Herz!“, bellten die beiden Pitbulls. „Es schlägt wieder! Es schlägt wie es schlagen muss!“

Bumm, Bumm, Bumm.

‚Die Flupppuppe’, dachte Betrüger-Schorschi. ‚Wo ist die Flupppuppe? Ihr ist doch hoffentlich nichts passiert? Und der Druide? Warum ist er immer noch aus Papier?“

„Großer Zeichner!“, rief der ältere Pitbull zu ihm hinüber. „Du musst die Wörter sprechen!“

„Ein geheiltes Herz reicht nicht aus, die Bewohner wieder zu beleben!“, sagte der mittlere Pitbull.

„Sprich schnell die Wörter“, wiederholte der ältere. „Man muss der Zeit ihr Recht tun.“

„Kommt Zeit, kommt Rat“, sagte Betrüger-Schorschi und hoffte, die Hunde damit ablenken zu können.

Er war sich nicht sicher, ob ausgerechnet jetzt ein günstiger Zeitpunkt war, den Hunden zu erklären, dass er gar nicht der Große Zeichner war. Selbst wenn sie nicht so gefährlich wie der jüngste Pitbull waren, harmlos sahen auch sie nicht aus. Die Antwort schien die Hunde einigermaßen zu beruhigen. Sie setzten sich auf ihre Hinterläufen und sahen ihn erwartungsvoll an.

Warum brauchte die Flupppuppe so lange?

Betrüger-Schorschi schaute nach oben zu der Krateröffnung und sah um die blaue Lichtsäule viele schwarze Schatten fliegen. Waren das die Geier, die wieder nach Hause flogen?

Jetzt drang ein überirdischer, hoher Gesang zu ihnen, und eine helle Gestalt flog um die blaue Lichtsäule.

Die Hunde stellten die Ohren auf und lauschten angespannt dem Gesang.

„Oklabor“, sagte der ältere Pitbull.

„Das ist nicht unsere Sprache“, sagte der mittlere Pitbull. „Obwohl sie schön klingt.“

„Still!“, sagte der ältere Pitbull.

Er spitzte seine Ohren und sprach laut nach, was er von dem Lied aufschnappte:

„Sose benrenki
sose bluotrenki
sose lidirenki
ben bena
bluat bluoda
lid geliden
sose gelimida sin.”

„Da!“, rief der mittlere Pitbull aufgeregt. „Der Druide! Er erwacht! Die Worte haben den Druiden wieder erweckt!“

Es stimmte! Dem Druiden lief Vers für Vers das Blut in die Adern zurück. Langsam, aber sicher wurde aus dem Papier wieder ein Mensch aus Fleisch und Blut!

Als die Hunde sahen, dass der Druide nicht der Letzte sein würde, den sie beißen mussten, verabschiedeten sie sich mit einem kurzen Kopfnicken von ihrem Großen Zeichner und verschwanden so plötzlich wie sie gekommen waren.

Unterdessen richtete sich der Druide langsam auf. Dankbar schaute er nach oben. Doch da war nun nichts mehr zu sehen und zu hören. Kein Gesang, keine Säule aus blauem, gleißenden Licht, keine helle Gestalt und auch keine Flupppuppe.

Die Krateröffnung sah aus wie immer.

Der Spuk war vorbei.

Das Herz war geheilt! Und der Druide wieder am Leben!

Aber wie ging es den anderen Bewohnern des Blauen Gebirges?

Waren auch sie gerettet?

Wo war Emily?

Und vor allem: Wo war die Flupppuppe?

„Mach dir keine Sorgen“, sagte der Druide.

Offensichtlich hatte er den beunruhigten Blick Betrüger-Schorschis bemerkt. „Es wird sich alles finden! Wichtig ist, dass das Herz wieder pulsiert. Sieh doch, wie sich der Kessel mit frischem Blut füllt!“

Betrüger-Schorschi schaute für einen kurzen Moment dem sprudelnden Blut zu, als ihm einfiel, dass er selbst von Kopf bis Fuß blutverschmiert sein musste.

„So gefällst du mir beinahe“, hörte er Emilys Stimme von oben.

Betrüger-Schorschi drehte sich um und sah Emilys schmale Gestalt die Treppen hinunter kommen.

„Emily!“, sagte Betrüger-Schorschi.

Sie stand tatsächlich leibhaftig vor ihm und riskierte schon wieder eine dicke Lippe! Betrüger-Schorschi dachte gerührt, dass aus seinem Andenken-Poster nun wohl doch nichts werden würde.

Als Emily unten bei ihnen war, ging er auf sie zu, um sie zu umarmen. Doch Emily sagte: „Du stinkst! Und Rot ist zwar eine nette Farbe, aber nicht auf meinem schwarzen Kleid.“

Dann streckte sie Betrüger-Schorschi ihre weißen, durchscheinenden Hände entgegen und sagte: „Siehst du, was du angerichtet hast? An der rechten Hand hast du mir zwei Fingerkuppen abgerissen und an der linken Hand fehlt mir ein Stück Haut!“

Betrüger-Schorschi nahm ihre Hände in seine und sah, dass Emily nicht übertrieben hatte.

„Das tut mir sehr, sehr leid, Emily!“, sagte Betrüger-Schorschi und wunderte sich, dass er dabei nicht einmal lügen musste. „Aber in der Wüste war es so heiß und ich dachte, ich müsste den Diamanten mit deinen Händen halten!“

„Ich hasse es, wenn du sentimental wirst“, sagte Emily. „Mit der richtigen Medizin wird die Haut schon wieder nachwachsen.“

Sie ging zu dem Kessel und tauchte ihre Hand in das frische Herzblut. An ihrem Gesicht konnte Betrüger-Schorschi ablesen, dass sie keine Schmerzen mehr hatte.

Bald würde ihre Haut wahrscheinlich wieder aussehen wie vor dem PLOPP.

Alles würde wieder aussehen wie vor dem PLOPP.

Der Druide würde den Herzblutkessel bewachen, der Torwart würde auf die Leute von drüben schimpfen. Herr Rossi würde in seinem kleinen Gärtchen seine Karotten groß ziehen und vielleicht irgendwann die verlorene Pfeife finden, mit der er nach Hause zurück kehren konnte. Dr. Slump würde mit Arale und seiner Frau Midori Spazierfahrten mit seinem Flugauto machen, und die Leute in Urban, Entenhausen und sonst wo würden ihren vorherigen Geschäften nachgehen. 

Und er? Was würde er beginnen?

Zuerst würde er alles Blut von sich abwaschen. Danach würde er sich ausruhen und für die Flupppuppe die versprochene Suppe kochen. Und dann ... ja, was sollte er dann eigentlich machen? Sollte er den Bewohnern wirklich ihre Diamanten stehlen? Nach all dem, was er für sie getan hatte?

Nein, das schien ihm undenkbar. Aber was sollte er dann machen? Er konnte doch nicht nach Hause fliegen und wieder bei Null anfangen?

„Danke“, sagte der Druide, als er sah, wie nachdenklich Betrüger-Schorschi geworden war. „Du hast uns zwar das Leben genommen, aber auch wieder gegeben!“

„So gesehen hast du echt deinen Mann gestanden“, sagte Emily und grinste.

„Echt?“, fragte Betrüger-Schorschi.

„Voll echt!“, sagte Emily.

Der Druide brachte ihm eine große Wasserschale und ein Handtuch. Nachdem Betrüger-Schorschi daraus getrunken, sich gewaschen und wieder seine Kleider angezogen hatte, fühlte er sich seit Tagen zum ersten Mal wirklich wohl.

Emily hatte Recht, er war ein sentimentaler Waschlappen gewesen. Dabei hatte er das gar nicht nötig. Denn was hatte er nicht alles erreicht?! Er hatte das Baby vertrieben, den Blauen Diamanten geholt, die Zukunft überlistet, die Hunde mit Wörtern beschwichtigt und dadurch dem Druiden das Leben sozusagen ein zweites Mal das Leben gerettet. Und plötzlich fühlte sich Betrüger-Schorschi unglaublich müde. Die ganze Last und Verantwortung der letzten Tage fiel von ihm ab, und er wurde sich bewusst, dass er seit über drei Tagen fast nicht geschlafen hatte.

Ohne zu bemerken, dass Emily ihn etwas fragte und der Druide ihm seine Holzflasche hinhielt, ließ er sich auf den Boden fallen und schloss die Augen. Keine zwei Minuten später war er eingeschlafen.