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Kulturtasche

 

Schwarze Schatten oder doch nur die Gardine im Nachtwind?

von Helma Hörath

Sicherlich ist dir das auch schon einmal passiert:
Du hast eine Krimi-Geschichte gelesen, die dich so fesselte, dass du das Buch nicht mehr aus der Hand legen konntest, dass du, in der Nacht von irgendeinem Geräusch geweckt, auf einmal schwarze Schatten über die Wand gegenüber deinem Bett huschen sahst.
Doch als du am nächsten Morgen deiner großen Schwester oder deinem großen Bruder von der Angst einflößenden Handlung erzählen wolltest, da sagten die: "Ach, hör schon auf! Das ist doch alles Pippikram!"
Oder: Du hattest dir ganz allein ein Video angeschaut, das war so spannend und so gruselig, dass dir noch Stunden später kalte Schauer über den Rücken jagten. Als du deinem Freund oder deiner Freundin davon berichten wolltest, da winkten die ab und meinten: "Das ist doch nichts. Aber die Fortsetzung mit der ägyptischen Mumie, das musst du sehen." Den Film hattest du allerdings schon gesehen und den fandest du zwar ganz schön, aber so toll nun auch wieder nicht.

Was den Einen aufregt, lässt den anderen kalt.
Auch wenn jeder menschliche Körper bei großem Stress, bei Angst gleich reagiert (erhöhter Herzschlag, schnellere Atmung, angespannte Muskeln, trotzdem weiche Knie, aufgestellte Härchen an Armen und Beinen, Schweißausbruch), so empfindet jeder Mensch eine Gefahr unterschiedlich stark. Und das sogar, wenn von solch einer Situation nur erzählt wird.
Darum ruft der jüngste Sohn in einem Märchen der Gebrüder Grimm: "Ach, wenn's mir doch gruselte!" Obwohl alle anderen vor Angst schlotterten, zuckte er nur mit den Schultern und wünschte sich, endlich das Gruseln zu lernen.
Auch in der Bibel im Buch Hiob (4,13-15) heißt es an einer Stelle: "Im Grübeln und in Nachtgesichten, wenn tiefer Schlaf die Menschen überfällt, kam Furcht und Zittern über mich und ließ erschaudern alle meine Glieder. Ein Geist schwebt an meinem Gesicht vorüber, die Haare meines Leibes sträuben sich. Er steht, ich kann sein Aussehen nicht erkennen, als eine Gestalt nur vor meinen Augen ..."

 


Bild, das mit einer Laterna Magica an die Wand geworfen wurde

Mit Berichten über Mord und Totschlag, mit Horrorgeschichten, mit Geister- und Gruselerzählungen sowie den Abenteuern, gegen solche Wesen aus einer anderen Welt zu bestehen, haben sich die Menschen schon vor vielen Jahrhunderten und in allen Regionen der Erde unterhalten.
Davon zeugen an erster Stelle die Volksmärchen sowie die Sagen und Legenden, die in früheren Zeiten mündlich weitergegeben wurden. Sie wurden erzählt, natürlich in der Familie, aber auch an Orten, an denen viele Leute aufeinander trafen, am Brunnen beim Wasser holen oder auch in der Spinnstube, in der sich die Frauen des Dorfes zum gemeinsamen Arbeiten an ihren Spinnrädern vor allem im Winter zusammen fanden. Auch Wirtshäuser waren solche Treffpunkte.
Wenn du dir jetzt vorstellst, dass du mit der Zeitmaschine ins Mittelalter springst, gerade im Kreis um solch einen Geschichtenerzähler sitzt und dann aber aus der Schankstube raus in die dunkle Nacht musst, kannst du dir ganz sicher vorstellen, was dir da für Ängste durch deinen Kopf sausen können!

Das geht uns Menschen im 21.Jahrhundert auch nicht viel anders. Aber wir haben heute Möglichkeiten, in Büchern nachzuschlagen, um uns seltsame Erscheinungen in der Natur erklären zu können. Trotzdem, auch uns gruselt es manchmal. Auch wir wissen manchmal nicht: War das jetzt ein dunkler Schatten an der Wand, kam jemand leise ins Zimmer geschlichen oder war es nur die Gardine, die sich im Nachtwind bewegte?

Damit du dann vielleicht einordnen kannst, wen du gerade im Nebel glaubst getroffen zu haben, könntest du dir mal das Große Gespensterlexikon von Peter Haining ansehen. Der Autor beginnt mit dem Stichwort Afrit (das soll in der arabischen Kultur der Geist eines Menschen sein, der ermordet wurde und zurückkehrt, um sich am Mörder zu rächen) und endet mit einem südafrikanischen Zululand-Geist. Von A bis Z findest du in diesem Lexikon Geister, Gespenster, Spukgeschichten aufgeführt und wer sie das erste Mal aufgeschrieben sowie in Geschichten, Theaterstücken, Filmen oder auch Hörspielen verarbeitet hat. Allerdings war Peter Haining (1940-2007) ein britischer Journalist und hat sich fast ausschließlich mit der englischen Literatur auf diesem Gebiet beschäftigt. Und er hat sein Buch für Erwachsene geschrieben. Also, es reicht, wenn du das Gespensterlexikon in der Bibliothek mal durchblätterst, um zu sehen, was die Menschen vor uns so von diesen unheimlichen Mächten dachten.
Ganz schrecklich schön und passend für dieses Thema finde ich, dass die 133 Illustrationen alle nur in Schwarzweiß abgebildet sind. Das unterstreicht den Einblick in diese unheimlichen Welten.

Peter Haining: Das grosse Gespenster Lexikon - Geister, Medien und Autoren. Gondrom Verlag. 1996.

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Für uns unvorstellbar, für andere normal

Weißt du eigentlich, dass nur die weißhäutigen Menschen die Farbe Schwarz zum Gruseln finden? Bei den Menschen, deren Haut dunkel ist, spielt die Farbe Weiß die gleiche Rolle.
Auch die Symbole, die in uns Angst und Schrecken auslösen können oder Gefahr signalisieren, werden von anderen Kulturen anders gesehen und oft auch anders gebraucht. Davon berichtet das Buch Feste in fernen Ländern - für Kinder erzählt. Schon der Buchtitel sieht ziemlich schaurig aus. Und doch geht es hier nur um Feste, wie sie in fernen Ländern begangen werden, wie sich die Menschen dabei kleiden und welche Tänze sie dabei veranstalten.
Das alles zeigen Charles und Josette Lénars in beeindruckenden Fotos. Die beiden Fotoreporter sind durch viele Länder gereist. Sie waren in China, in Kanada und an einem 1.November in Mexiko. Dort dekoriert man an diesem Tag Kuchen mit Totenköpfen und gedenkt so den verstorbenen Familienangehörigen. Um sie zu ehren, trifft man sich nicht nur an ihren Grabstellen, sondern isst gemeinsam an und auf ihren Gräbern diese Torte und andere Speisen, die extra dafür gebraut oder gekocht wurden.

Charles Lénars, Josette Lénars und Elisabeth Dumont- Le Cornec: Feste in fernen Ländern - für Kinder erzählt. Knesebeck Verlag. 2007.

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Wunderliche Laternen aus dem Mittelalter

Etwas, was wir nicht richtig einordnen können, weil wir es nicht kennen, kann uns Angst machen. So etwas Unbekanntes ist die Welt, in der die Toten sich aufhalten sollen, nachdem sie uns und unser Leben verlassen haben. Unsere Ahnen nannten dieses Totenreich das Jenseits. Bei allen Völkern und in allen Zeiten machten sich die Menschen Gedanken darüber, wie es ihren Toten in der von den Lebenden nicht erreichbaren Welt gehen würde. Immer wieder suchten sie nach Wegen, um mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Manchmal meinten sie, den Schlüssel zum Öffnen des Eingangstores in das Jenseits gefunden zu haben. Schon über die Schatten, die die Körper hinter dem Feuer an die Höhlenwand warfen, meinten sie, Kontakt mit Toten, mit Geistern und Göttern aufnehmen zu können.


Seit dem Mittelalter - also vor mehr als 500 Jahren - versuchten findige Köpfe, mit einfachen Lampen besondere Lichteffekte zu erzielen. Sie durchlöcherten ein Blech, bogen es dann zu einen Zylinder. Ein Zylinder ist so etwas wie ein dickes, kurzes Rohr. In diesen Zylinder stellten sie eine brennende Kerze. Außen befestigten sie ein mit Figuren bemaltes, durchsichtiges Papier: Rätselhafte Lichtschimmer und Schatten waren dann an den Wänden zu erkennen. Giovanni da Fontana (1395 - 1455), ein Gelehrter aus Venedig, berichtete schon 1420 über eine Wunderlampe, die Bilder an die Wand "werfen" konnte.
In all diesen Wunderlampen gab es eine Lichtquelle (je nach ihrer Größe eine Kerze, eine Öllampe oder eine Fackel), eine Linse (Linsen sind geschliffene runde Glasscheiben, die das Licht bündeln können. Ein Fotoapparat hat eine Linse, auch ein Fernglas oder ein Mikroskop und einen Spiegel, der die Helligkeit verstärkte.
Von wirklichen Bildern, wie wir sie von unseren heutigen Fotos oder Dias kennen, war man damit natürlich noch ganz, ganz weit entfernt. Aber etwas Entscheidendes wird deutlich:
Seit jeher wurden die Menschen angezogen vom Feuer, seiner Wärme, seinem Licht sowie den erschreckenden und doch so faszinierenden Bildern, die die Flammen "zeichneten". Die Menschen experimentierten mit Licht und Schatten. Sie dachten sich Geräte aus, um Licht und Schatten unabhängig vom Feuer erzeugen zu können. Sie wollten die Vorgänge dahinter ergründen. Aber sie wollten sich damit auch unterhalten und sei es mit Grusel, Schauer und Schrecken.

Aus der Wunderlampe Skelette an die Wand gezaubert

Den ersten glaubwürdigen Beleg für die Projektion, das Erzeugen von Bildern mit einem Gerät, mit einer Zauberlaterne, einer Laterna Magica, gibt es für das Jahr 1659. Da berichtete der holländische Mathematiker und Astronom Christiaan Huygens (1629-1695) über seine Versuche, vergrößerte Bilder auf eine Wand zu bringen. Wie seine Zauberlaterne genau ausgesehen hatte, weiß man zwar nicht, weil er das nicht aufgezeichnet hatte. Dafür gibt er eine Beschreibung der Bilder: Es handelte sich um Skelette. Es waren Motive aus dem berühmten Bilderzyklus Der Totentanz des deutschen Malers Hans Holbeins d.J. (1497-1543).


Wie das auf die Menschen des 15. Jahrhunderts gewirkt haben mag, können wir uns heute wohl kaum noch vorstellen. Für sie war das sehr wahrscheinlich Zauberei, Magie, wenn im Dunkeln plötzlich große Bilder aus einem kleinen Kasten an die Wand geworfen wurden. Oder wurden sie vielleicht gar von Geisterhand gezeichnet?
Und doch waren es nur optische Tricks. (Die Optik ist ein Bereich der Physik, der sich mit der Ausbreitung von Licht und vor allem mit optischen Abbildungen beschäftigt. Optik wird daher auch als die Lehre vom Licht bezeichnet.)
Die Bilder wurden auf die Linsen der Laterna Magica oder auf rechteckige Glasscheiben gemalt. Diese Glasscheiben wurden wie bei den heutigen Diaprojektoren zwischen Linse und Lichtquelle durchgeschoben. Ihre Malereien wurden dann an einer Wand übergroß sichtbar.

Was die Menschen vor 500 Jahren erlebt haben müssen, welchen Schrecken, welche Angst, welches Erstaunen die Resultate ihrer Licht-Bild-Experimente erzeugt haben müssen, das kannst du vielleicht ein wenig nachempfinden, wenn du dich selbst mit der praktischen Umsetzung von Aufgaben der Physik beschäftigst. In diesem Bereich gibt es viele Bücher. Schau mal in deiner Kinderbibliothek, was dich besonders interessieren würde!
Ich habe zwei Tipps für dich, einmal ein Experimentierbuch und einmal eine "physikalische" Geschichte.

Erstaunliche Experimente: Natur, Optik, Mechanik, Elektrizität.
Bassemann-Verlag. 2010.

Anna M. Jokl: Die wirklichen Wunder des Basilius Knox. Ein Roman über die Physik für Kinder von 10 bis 70 Jahren. Insel Verlag. 1997.

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Zwischen Magie und Wissenschaft


Das, was für uns heute Alltag und alltägliches Wissen ist, war vor 500 Jahren eine Mischung von Wissenschaft und Wunderglauben, von Erschrecken und Wissen.
Aber dort liegt der Anfang unserer heutigen Foto- und Filmtechnik und dort beginnt die Zukunft der optischen Technik.
Um 1670-1680 häuften sich die schriftlichen Berichte über Zauberlaternen. Eine besonders interessante Darstellung von Zauberlaternen zeigt dabei der Würzburger Mönch Johann Zahn. Er veröffentlichte 1685 verschiedene Zeichnungen von Zauberlaternen. Bei ihm sieht man sowohl eine Zauberlaterne zum Durchschieben rechteckiger Glasbilder als auch eine solche für runde Glasscheiben zum Drehen, bei denen sechs verschiedene Motive aufgemalt waren.

Mit der Zauberlaterne durch die Welt

Die Optik und deren praktische Anwendungen beschränkten sich aber nicht nur auf den kleinen Kreis der Gelehrten. Schausteller fanden mit der Zauberlaterne ein neues Mittel für die Belustigung des Volkes.
Es war eine relativ einfache und nicht so kostspielige Technik. Mit ihr ließ sich das tägliche Brot verdienen. Denn eine Zauberlaterne bildete die Existenzgrundlage dieser Schausteller. Ihr Auskommen und somit ihr Überleben hing von der Attraktivität ihrer Vorstellung und vom Reiz ihrer Glasbilder ab. Meist stammten die Vorführer aus ärmeren Schichten. Sie zogen wandernd von einem Jahrmarkt zum anderen, von einem europäischen Land zum anderen.
Oft zogen sie zu zweit umher. Die erste Person bediente die Zauberlaterne, die zweite sorgte für die musikalische Ankündigung und für die akustische Umrahmung des Spektakels. Denn wie bei der heutigen Filmmusik waren sich unsere Ahnen sehr wohl über die Wirkung von zu den Bildern passenden Tönen und Geräuschen bewusst .
Durch die wandernden Schaustellern wurde die Zauberlaterne in ganz Europa bekannt. Mit ihren Glasbildern brachten sie Eindrücke und Geschichten aus aller Welt in den noch so entlegensten Winkel. Vor allem brachten sie Unterhaltung und Abwechslung, Staunen und Schrecken über die farbig und groß an eine Wand oder auf ein weißes Tuch projizierten Fantasiefiguren oder unheimlichen Erscheinungen. Aus ihren Zauberlaternen flimmerten Zauberbilder, die Jung und Alt, Arm und Reich fesselten. Hier zwei Beispiele von solchen Laterna-Magica-Bildern:

 

Und wenn du dich jetzt fragst, was daran denn so gruselig sein soll, dann bedenke: Keiner der Zuschauer hatte vorher bewegliche Bilder gesehen. Entweder liefen Menschen aus Fleisch und Blut über eine Bühne und spielten ihre Rolle oder die Figuren - wie auf den Altären in den Kirchen oder auf Gemälden - verharrten an einer Stelle. Unsere heutige Welt ist überfüllt mit farbigen, grellen und sich immerzu verändernden Bilder. Aber für die Menschen vor ein paar hundert Jahren war die Vorführung einer solchen Zauberlaterne eine Sensation, die sie ihr Leben lang nicht mehr vergaßen.
Leider habe ich kein Kinderbuch über die Technik der Laterna Magica gefunden. Aber es gibt immer wieder Ausstellungen in Museen, die auch Kataloge dazu heraus bringen. Die sind dann aber für Erwachsene geschrieben. Trotzdem möchte ich dir empfehlen, dir solch ein Katalogbuch mal anzusehen. Denn die Apparate hatten die unterschiedlichsten Formen. Mal waren sie einfach nur so aus Metall gearbeitet, manchmal waren sie als Figuren gestaltet.

Deac Rossell: Laterna Magica - Magic Lantern (Sprache Deutsch und Englisch). Georg u. Ulrike Maria Füsslin. 2008.

Detlev und Almut Junker: Laterna Magica - Lichtbilder aus Menschenwelt und Götterwelt. Verlag Frölich & Kaufmann. 1982.

 


Kannst du dir denken, warum an dem Bauch solch einer Laterne immer auch ein Schornstein war? Richtig, der brennende Docht der Kerze brachte nicht nur Wärme, sondern auch Rauch hervor.
Und wenn ich jetzt dein Interesse geweckt haben sollte und du vielleicht selbst gern solch eine Zauberlaterne haben wolltest, dann kannst du dir eine bauen. Ich fand einen Bausatz, mit dem du dir eine Laterna Magica aus Karton herstellen kannst. Aber wenn du nicht darin geübt bist, solche Modelle zu basteln, dann solltest du dir Hilfe bei einem Erwachsenen holen.

Klaus Hünig: Die Laterna Magica. Kartonbausatz für eine voll funktionstüchtige, batteriebetriebene Laterna Magica.Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat. 2001.

Eine Licht-Bild-Zauber-Geister-Vorführung

Wenn du deine Laterna magica fertig gebaut hast, dann kannst du daran gehen, eine Licht-Bild-Zauber-Geister-Vorführung zu planen. Auch dafür kannst oder solltest du von den "Alten" lernen.
Ein wahrer Meister der Schaustellkunst - des Showbusiness, wie man heute sagen würde - war der Franzose Etienne-Gaspard Robert (1763-1837). Er war ein Meister unter jenen Projektionskünstlern, die mit neuen optischen Effekten das Publikum begeisterten oder genauer gesagt, es in Angst und Schrecken versetzten.
Zu seinen Entwicklungen gehörte um 1798 das sogenannte "fantascope". Dies war eine perfektionierte Zauberlaterne auf Rädern. In dem er sie vor- und rückwärts bewegte, konnte er das Bild vergrößern und verkleinern. Das Problem dabei war nur, das Bild in jeder Position scharf zu halten. Roberts Erfindung bestand nun darin, dass er eine Optik erfand, die der heutigen Zoomtechnik entspricht. Er verwendete dafür zwei verstellbare Linsen und eine Blende. Während er seine Laterne bewegte, veränderte er laufend die Stellung der beiden Linsen, damit die Bilder scharf blieben.

Zwiesprache mit dem Jenseits

Robertson - unter diesem Pseudonym trat der Franzose auf - begnügte sich nicht einfach damit, dem Pariser Publikum die Illusion von Gestalten auf einer Leinwand zu geben. Seine "Geister" bewegten sich mitten im Raum. Er spannte zu diesem Zweck im Vorführraum eine künstliche Wand aus Musselin, einem ganz feinem Stoff. Beim Eintreten des Publikums war diese Stoffwand durch einen Vorhang verdeckt. Kaum war es im Raum dunkel, wurde der Vorhang entfernt. Nun projizierte Robertson von hinten - vom Publikum unerkannt - seine Geisterbilder auf diesen transparenten Stoff.
Nicht nur, dass sich die Geister, Hexen, Teufel oder verstorbene Zeitgenossen mitten im Raum "befanden", durch die Bewegung der Laterne wurden diese Gestalten immer größer. So entstand der Eindruck, dass sie sich auf die Zuschauer zubewegten. Mit dröhnender Stimme forderte der unsichtbare Robertson seine Zuschauer zum Dialog mit den im Raum schwebenden Geistern auf. Akustisch wurden diese Projektionen untermalt mit künstlichem Donnergrollen und anderen lauten Geräuschen.
Man kann sich leicht vorstellen, wie die Gesichter der Anwesenden kreidebleich wurden, wie ihre Herzen vor Aufregung pochten. Und wohl mehr als einmal dürfte der eine oder die andere vor Schreck auch in Ohnmacht gefallen sein.

Schaurige Bilder im Nebel

Die Veränderung eines Bildes mit Hilfe der Überblendung durch ein zweites Bild war eine andere Methode, dem Publikum ein prickelndes Kribbeln auf der Haut zu erzeugen. Diese Technik kam von England, verbreitete sich relativ schnell in ganz Europa und wurde auch von Robertson mit Erfolg aufgegriffen.
Zwei Zauberlaternen werden hier so aneinander gekoppelt, dass sich ihre Lichtkreise auf der Leinwand genau decken. Eine besondere Vorrichtung regelt die Lichtstärke beider Laternen. Je stärker das Licht auf der einen Laterne scheint, desto schwächer wird es auf der anderen. Mit der ersten Laterne wird ein Bild projiziert, dann wird der Lichtstrahl mittels eines Katzenauges oder eines anderen technischen Hilfsmittels allmählich abgeblendet und unscharf gemacht. Gleichzeitig beginnt das zweite Bild zu erscheinen, die Konturen und Farben beider Bilder vermischen sich, bis dann das zweite Bild stärker hervortritt und zuletzt klar und deutlich zu erkennen ist.


Auf eine Glasplatte gemalte Skelette (1860),
die mit einer Laterna Magica an die Wand projiziert wurden

Mit dieser Methode oder allein durch die Regulierung der Helligkeit zweier Objektive kann man auch eine blühende Sommerlandschaft allmählich in eine weiße Winterlandschaft verwandeln, ein kahles Astgerippe in einen blühenden Baum oder einen kraftstrotzenden Menschen in ein dürres Skelett ...
Besonders Furcht erregend erschienen diese sich verändernden Geisterbilder, wenn sie auf künstlichen Nebel oder Rauch projiziert wurden.
Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sind Laterna Magicas in den Familien zu finden. Etwa ab 1890 gehören sie schließlich nur noch zur Spielzeugwelt der Kinder. Bis Anfang der 1950er Jahre wurden von der Zauberlaterne abgewandelte Geräte hergestellt, nun aber betrieben mit elektrischem Strom und einer Glühbirne als Lichtquelle. Mit diesen einfachen Dia-Projektoren durften die Kinder alleine und ohne Beaufsichtigung der Eltern spielen.

Alles schon einmal da gewesen?
Ja und nein.
Ja, aus der Laterna Magica entwickelte sich der heutige Film mit seinen bewegten Bildern sowie die Kinos als Orte der Vorführung. Ja, dort im 15.Jahrhundert liegen die Wurzeln unserer heutigen Abenteuer- und Fantasy-Filme.
Nein, weil sich die Technik des 21.Jahrhunderts natürlich nicht mit diesen uralten Anfängen vergleichen lässt. Ja, weil wir Menschen uns noch immer über unheimliche Bilder gut unterhalten lassen.
Also, dann wünsche ich dir und deinem Publikum einen wunderschönen gruseligen Laterna-Magica-Abend!

Helma

 © Rossipotti No. 25, März 2012