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Salon Albert
Albert: Hallo Kinder!
Toll, dass ihr gekommen seid! Habt ihr schon eine Idee, was wir
tun sollen?
Fionn: Warum wir?
Albert: Warum ich?
Elli: Gut. Dann habe ich eine prima Idee: Faulenzen!
Jonas: Fußball spielen.
Kathrin: Rollenspiel!
Fionn: Computer-Games.
Max: Ich dachte, hier spricht man über Bücher? Stimmt
das gar nicht?
Albert: Ich hoffe doch.
Palmina: Meinst du damit, dass wir uns selbst ein Buch aussuchen
sollen?
Albert: Ja, wenn ihr wollt.
Jonas: Cool, dann suche ich mir Fenster zur Nacht aus.
Elli: Ihhh! Ein Horrorbuch! Über so was will ich mich auf
keinen Fall unterhalten. Wie wär's dagegen mit Polly auf
der Pferdefarm?
Jonas: Spinnst du? Das ist was für kleine Mädchen!
Elli: Von wegen! Auf dem Buchrücken steht, dass es erst ab
10 ist.
Fionn: Ein weiterer Beweis dafür, dass Mädchen Jungs
geistig fünf Jahre hinterher hinken.
Elli: Dass ich nicht lache! Das Umgekehrte ist der Fall.
Fionn: Ich sagte geistig, nicht körperlich.
Elli: Idiot!
Fionn: Geistige Tiefladefläche!
Elli springt auf und haut Fionn ins Gesicht. Fionn schlägt
Elli in den Bauch. Elli kreischt und macht mit ihren Nägeln
lange Kratzer in Fionns Arm.
Max: Muss das sein?
Kathrin: Könnt ihr mal aufhören?
Palmina: Albert, tu doch etwas!
Fionn hat Ellis Kopf unter den Arm geklemmt und zählt: 10,
9, 8, ...
Bei Null gibt er Elli frei und setzt sich triumphierend auf seinen
Stuhl. Elli schnieft, setzt sich aber auch wieder hin.
Albert: Tolle Vorstellung!
Fionn schüttelt den Kopf: Die hat doch angefangen.
Elli: Von wegen. Jonas! Der hat dieses dumme Horrorbuch
vorgeschlagen.
Jonas: Lieber Horror lesen als Horror verbreiten!
Palmina: Hört endlich auf!
Max: Können wir nicht endlich anfangen?
Albert: Womit?
Max: Na, mit dem Thema des heutigen Salons!
Albert: Wir stecken doch bereits mitten drin! Unser aktuelles Thema
ist Was sollen wir tun? und ihr habt bereits viele Antworten
darauf gegeben: Sport machen, spielen, faulenzen oder lesen. Der
Vorschlag mit dem Streit hat mir allerdings am besten gefallen.
Palmina und Max: Wieso das denn?
Albert: Weil er tiefer geht als die anderen Vorschläge. Während
Sport, Spaß und Spiel nur Freizeitbeschäftigungen sind,
fordert Streit die Frage nach gut funktionierenden Regeln unserer
menschlichen Zivilisation heraus.
Fionn: Nach was?
Albert: Nach dem, wie wir uns gegenseitig verhalten sollen.
Fionn: Ach so! Das ist doch ganz einfach: Der Stärkere überlebt.
Elli ballt die Faust: Nachher gibt's Revanche!
Palmina: Wenn Fionn Recht hätte, wären viele von uns
gar nie geboren worden.
Fionn feixt: Toller Gedanke!
Palmina: Bloß weil du gerade stärker warst als Elli,
heißt das noch lange nicht, dass du insgesamt zu den Starken
gehörst.
Max: Die Regel mit dem Stärkeren finde ich auch blöd.
Das mag für Tiere stimmen. Aber wir Menschen haben die Möglichkeit,
Schwächere zu unterstützen.
Fionn: Warum sollten wir das denn tun? Die sind doch nur ein Klotz
am Bein!
Jonas: Pass auf, was du sagst! Meine Schwester hat das Down-Syndrom.
Fionn: Das was?
Jonas: Trisomie 21. Das ist eine genetische Besonderheit. Menschen
mit Trisomie haben ein Chromosom zu viel.
Fionn: Sind das die mit den Schlitzaugen?
Fionn zieht mit den Fingern Schlitzaugen und brabbelt wie ein Baby.
Jonas stürzt sich auf ihn: Du Schwachkopf!
Fionn lacht: Das kannst du deiner Schwester sagen.
Er schubst Jonas weg.
Jonas wirft Fionn um, setzt sich auf ihn und schlägt ihm mit
den Fäusten in den Bauch. Er ruft: Und wer ist jetzt der Stärkere?
Fionn stöhnt: Mensch, das tut echt weh. Helft mir doch mal!
Die anderen haben keine Lust zu helfen. Jonas hält Fionn fest
und zählt rückwärts:
10, 9, 8, ...
Bei Null steht er auf und setzt sich mit rotem Kopf auf den Stuhl.
Fionn: Du bist vielleicht blöd! Dabei habe ich dir vorhin
bei Elli Schützenhilfe gegeben.
Jonas: Auf deine Hilfe kann ich verzichten.
Fionn: So einen wie dich würde ich nie zum Freund haben wollen.
Du bist ja voll neben der Spur.
Jonas: Und du erst!
Albert: Hat jemand einen anderen Vorschlag, nach welcher Grundregel
wir leben sollten?
Elli: Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Palmina: Der Spruch aus dem Alten Testament?! Und der soll uns
heute noch was bringen?
Elli: Wie du siehst, ist er immer noch gültig.
Palmina: Aber nicht gerade als Vorbild. Eine gute Regel müsste
verhindern, dass man sich die Köpfe einschlägt. Sie sollte
von Toleranz und Respekt für den anderen handeln.
Elli: Ihhh Respekt! Das kenne ich aus der Grundschule. Immer
musste ich die Erwachsenen respektieren. Aber haben die mich respektiert?
Nie!
Palmina: Dann lief das bei euch offensichtlich falsch. Aber das
heißt nicht, dass Respekt insgesamt schlecht ist. Wenn man
jemanden respektiert, auch wenn man ihn oder seine Meinung nicht
gut findet, stürzt man sich nicht gleich auf ihn. Aber natürlich
müsste jeder jeden gleich respektieren. Überhaupt sollte
jeder die gleichen Rechte haben.
Kathrin: Respekt kann schon ganz gut sein. Aber er sollte einen
auch nicht zu sehr einengen. Meine Meinung will ich schon noch frei
sagen dürfen.
Max: Freiheit, Gleicheit, Brüderlichkeit. War das nicht der
Wahlspruch der französischen Revolution?
Kathrin: Echt?! Der hört sich ja viel besser an als unser
"Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland".
Bei Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit steht wenigstens
der einzelne Mensch im Vordergrund und nicht das Vaterland.
Palmina: Bei den Deutschen steht dafür aber auch das Recht
an vorderster Stelle. Dann kann man immerhin hoffen, dass es einigermaßen
gerecht zugeht.
Jonas: Von wegen. Im Grundgesetz steht
zum Beispiel, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und
niemand benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Und trifft das
etwa zu? Behinderte werden weggesperrt, Ausländer mit Füßen
getreten, Menschen mit anderem Glauben als mögliche Terroristen
überwacht. Und Frauen bekommen meistens immer noch weniger
Gehalt als Männer, obwohl sie den gleichen Job haben.
Albert: Das Grundgesetz! Guter Einwurf. Denn eigentlich ist das
genau der richtige Stoff für unsere Diskussion. In Deutschland
ist es vor allem das Grundgesetz, das unser gesellschaftliches Zusammenleben
regelt und uns sagt, was wir tun sollen.
Wie wär's, wenn wir mal gemeinsam einen Blick ins Grundgesetz
werfen?
Fionn: Muss das sein?
Max: Immerhin ist das Grundgesetz ein Buch! Und eigentlich wollten
wir uns hier von Anfang an über Bücher unterhalten.
Fionn: Also ich sicher nicht. Ich musste hier her
kommen, weil meine Mutter meinte, dass ich mich mal mit anderen
Dingen als mit Games beschäftigen sollte. Von Wollen
kann bei mir keine Rede sein.
Albert schlägt trotzdem das Grundgesetz
auf, ein kleines Buch mit knapp 100 Seiten. Er überblättert
das Inhaltsverzeichnis und die vielen Vorwörter der letzten
Bundespräsidenten und liest dann:
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
vom 23. Mai 1949
Elli: Was, so alt ist das Grundgesetz schon? Da war meine
Oma ja noch ein Baby.
Albert: Für eine Verfassung ist das Grundgesetz eigentlich
noch ganz jung. Es gibt Länder, deren Verfassung mehrere hundert
Jahre alt ist.
Albert trinkt einen Schluck Wasser und liest dann weiter:
Der Parlamentarische Rat hat am 23. Mai 1949
in Bonn a. Rh. in öffentlicher Sitzung festgestellt, dass am
8. Mai des Jahres 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossene Grundgesetz
für die Bundesrebpublik Deutschland in der Woche vom 16. bis
22. Mai 1949 durch die Volksvertretungen von mehr als zwei Dritteln
der beteiligten deutschen Länder angenommen worden ist ..."
Max: Warum haben denn nicht alle Bundesländer für das
Grundgesetz gestimmt?
Jonas: Da waren damals doch noch lauter Nazis dabei. Die wollten
wahrscheinlich eine neue, menschenwürdige Verfassung verhindern.
Palmina: Oder die Bayern wollten wieder mal eine Extrawurst.
Albert: Soweit ich weiß, ging es vor allem um die Teilung
Deutschlands. Sobald Westdeutschland eine eigene Verfassung haben
würde, war festgeschrieben, dass es für längere Zeit
von Ostdeutschland getrennt sein würde.
Elli: Was denn für eine Teilung Deutschlands?
Kathrin: Weißt du das nicht? Erst letztes Jahr war doch das
20-jährige Jubiläum vom Mauerfall! Davor waren die Ost-
und die Westdeutschen jahrzehntelang durch eine Mauer und viel Stacheldraht
voneinander getrennt.
Elli: Ach, das meinst du. Darüber haben wir in der Schule
gesprochen. Aber ich habe überhaupt nicht verstanden, was das
Ganze soll. Wenn niemand aus der Bevölkerung die Mauer und
den Stacheldraht wollte, warum haben sie ihn dann nicht weggemacht?
Max genervt: Müssen wir jetzt hier über den Untergang
der DDR reden?! Kann Albert nicht weiter vorlesen?
Albert: Gern:
Präambel
Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen von
dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren
und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden
der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk in den Ländern Baden,
Bayern, ..."
Palmina: Was hat Gott denn im Grundgesetz zu suchen?
Elli: Stimmt. Den gibt's doch gar nicht.
Albert: Gott war damals eben noch eine wesentliche Größe.
Übrigens haben die CDU und die CSU das Christliche auch heute
noch im Namen und betonen immer wieder die christlichen Grundwerte
Deutschlands.
Fionn: Krass!
Kathrin: Sooo wenige glauben heute nun auch wieder nicht an Gott.
Da gibt es schon noch eine ganze Menge. In meiner Gemeinde ist die
Kirche an Sonntagen sogar oft voll.
Elli: Du gehst in die Kirche?
Jonas: Mich wundert viel mehr der Satz mit dem
Frieden. Ich wusste gar nicht, dass die Deutschen per Gesetz
dem Frieden der Welt dienen
sollen! - Warum ist es dann nicht strafbar, Waffen zu verkaufen?
Palmina: Und wie kann es sein, dass Deutschland nach den USA und
Russland am meisten Waffen ins Ausland verkauft?
Albert: Da bin ich überfragt. Schließlich bin ich kein
Jurist. Vielleicht werden die Waffenlieferungen als Friedensleistung
ausgegeben? Unabhängig davon kann ich nur sagen, dass noch
einige andere Artikel des Grundgesetzes nicht eingehalten werden.
Palmina: Welche denn?
Albert: Zum Beispiel Artikel 3 über
die Gleichheit vor dem Gesetz, der bestimmt, dass niemand
benachteiligt werden darf und den Jonas vorhin erwähnt hat.
Oder Artikel 4, der jedem die ungestörte
Religionsausübung gewährleistet. Oder Artikel
5 über die Meinungsfreiheit: Jeder
hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern
und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen
ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit
der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewähleistet.
Eine Zensur findet nicht statt [...]
Palmina unterbricht: Was offensichtlich nicht stimmt. Erst neulich
habe ich wieder von einer polizeilichen Hausdurchsuchung bei einem
Journalisten gelesen, weil er etwas geschrieben hat, was der Regierung
nicht gepasst hat.
Max: Ganz zu schweigen von der Schere im Kopf.
Elli: Was denn für eine Schere?
Max: Die gedachte Schere, die jemandem schon im Kopf unangenehme
oder kritische Gedanken wegschneidet. Jemand, der eine Schere im
Kopf hat, zensiert sich schon, bevor jemand anderes es für
ihn tun könnte.
Jonas: Manchmal muss Zensur einfach sein. Stell dir vor, jeder
darf den anderen öffentlich beleidigen, Kriege verherrlichen
oder gewalttätige Bilder veröffentlichen. Fändet
ihr das etwa gut?
Palmina: Natürlich nicht. Aber solche Beiträge müssten
von vorneherein verboten sein, dann müsste man auch im Nachhinein
nicht gegen das Gesetz der freien Meinungsäußerung verstoßen.
Albert: Tatsächlich steht so eine Einschränkung der freien
Meinungsäußerung bereits im Grundgesetz. Weil du mich
vorhin unterbrochen hast, konnte ich den zweiten
Absatz von Artikel 5 nicht vorlesen.
Da steht nämlich: Diese Rechte finden
ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den
gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht
der persönlichen Ehre.
Übrigens steht auch gleich am Anfang vom Grundgesetz, im Artikel
2, dass alle anderen Gesetze nur insofern gültig sind,
als sie die Rechte der anderen Menschen nicht verletzen oder gegen
andere Gesetze verstoßen.
Palmina: Toll! Genau das habe ich vorhin mit Respekt gemeint.
Kathrin: Und genau das habe ich vorhin mit Freiheit gemeint, die
unbedingt beibehalten werden muss. Wenn man aber nur so frei ist,
wie man die Rechte der anderen nicht verletzt, kann man Artikel
2 ja je nach Fall so hinbiegen, dass jeder einzelne gar nichts mehr
tun darf. Wenn ich zum Beispiel sage: Mir stinkt es gewaltig, wenn
du im Park Würstchen brätst, kann ich womöglich bewirken,
dass du keine Würstchen mehr braten darfst. Oder wenn jemand
anderes sagt: Ich fühle mich in meiner Sicherheit durch mögliche
Übeltäter bedroht, kann es sein, dass man überall
Kameras aufstellt und überwacht wird, usw.. Wo hört also
die Freiheit des einzelnen auf und wo fängt die Freiheit des
anderen an?
Palmina: Keine Ahnung, wie weit man das Gesetz dehnen kann. Für
mich selbst heißt gegenseitiges Respektieren aber, dass man
den anderen so behandelt, wie man es selbst auch von anderen sich
selbst gegenüber erwartet.
Jonas: Du meinst die goldene Regel: Was du nicht willst,
das man dir tu, das füg auch keinem andren zu.
Kathrin: So ähnlich steht das schon in der Bibel bei Matthäus
7, Vers 12: "Alles, was ihr also von anderen erwartet, das
tut auch ihnen."
Albert: Oder wieder etwas anders findet man es beim bekannten deutschen
Philosoph Immanuel Kant und seinem kategorischen Imperativ: "Handle
so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip
einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne."
Kathrin: O.K. Die Sprüche hören sich ja alle ganz vernünftig
an. Aber heißt das auch, dass ich ansonsten frei bin und niemand
mein Handeln einschränkt?
Palmina: Was sagt denn das Grundgesetz dazu?
Max blättert im Grundgesetz: Einiges! Zum Beispiel Artikel
12, Absatz 2: Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen
werden [...], oder Artikel 10, Absatz
1: Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind
unverletzlich. Oder Artikel 8: Alle
Deutschen haben das Recht, auch ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich
und ohne Waffen zu versammeln.
Schon der erste Artikel schützt die persönliche Freiheit
und ist eigentlich nicht zu toppen: Die Würde
des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen
ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Hört sich das alles nicht paradiesisch an?
Albert: Zumindest genau so unrealistisch. Denn bei Lichte betrachtet
wird ständig dagegen verstoßen. Das fängt bei der
Erlaubnis für schlechte, die Menschen verletzenden Fernsehshows
an und geht über menschenunwürdige Arbeitsbedingungen
bis hin zur Abschiebung von Flüchtlingen. Das Briefgeheimnis
ist mittlerweile durchlöchert und die Versammlungsfreiheit
ohne Anmeldung steht auch nur auf dem Papier.
Palmina: Und warum stehen die Artikel dann im Grundgesetz?
Kathrin: Wahrscheinlich als Idee eines optimalen Staates oder als
idealer Leitfaden, an dem man sich orientieren soll?
Jonas: Oder als Ermahnung, sich nie wieder wie in der Zeit des
Nationalsozialismus zu verhalten?
Max liest immer noch im Grundgesetz: Ich wusste gar nicht, dass
das Grundgesetz so ein spannendes Buch ist! Voller toller Ideen!
Palmina: Ich verstehe das alles nicht. Wir reden hier doch von
Gesetzen, an die sich jeder, der in Deutschland lebt, zu halten
hat. Und nicht von Wunschvorstellungen oder Utopien. Wenn ich gegen
das Gesetz verstoße, komme ich ins Gefängnis. Warum darf
der Staat dann das Grundgesetz nur als Leitfaden nehmen und gegen
die Gesetze verstoßen?
Jonas: Weil es den Staat gar nicht gibt. Zumindest nicht als Person,
die ins Gefängnis kommen kann.
Palmina: Aber es gibt eine Regierung, die aus Menschen besteht.
Und wenn sich die Regierung nicht an die Gesetze des Grundgesetzes
hält, müssten sie doch zur Rechenschaft gezogen werden?
Jonas: Von wem denn? Von der Polizei etwa? Die untersteht doch
selbst der Regierung.
Palmina: Dann eben von den Richtern.
Albert: Richter pfeifen die Regierung tatsächlich öfters
zurück. Gerade in den letzten Jahren haben Richter immer wieder
Gesetze und Bestimmungen der Politiker gekippt. Trotzdem wirst du
keinen Richter finden, der der Regierung verbietet, Kampflugzeuge
ins Ausland zu verkaufen. Außerdem kann der Bundestag mit
einer zwei Drittel Mehrheit selbst das Grundgesetz ändern.
Das kann dann auch kein Richter mehr ändern.
Palmina: Heißt das, dass die Regierung im Zweifel von niemandem
im Zaum gehalten werden kann?
Max: Doch, von uns! Seht mal, was im Artikel
20 steht: (2) Alle Staatsgewalt geht
vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und
durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt
und der Rechtsprechung ausgeübt. (3) Die Gesetzgebung ist an
die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt
und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
Und jetzt kommt das, was uns gerade interessiert: (4)
Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben
alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht
möglich ist.
Elli: Und was bedeutet das jetzt?
Palmina: Dass wir diejenigen sind, die die Regierung im
Auge behalten sollen. Wir sollen aufpassen, ob sie noch im Sinne
des Volkes und unserer demokratischen Ordnung und unserem Rechtsstaat
handelt. Und wenn sie das nicht mehr tut, müssen wir Widerstand
leisten!
Kathrin: Und wie sollen wir das tun?
Fionn: Na, es mal so richtig krachen lassen! Den oberen die Köpfe
wegpusten.
Kathrin: Dann machst du dich doch selber strafbar.
Fionn: Wenn die sich nicht mehr an die Gesetze halten, brauche
ich das auch nicht.
Max: Umgekehrt: Wenn du dich nicht an die Gesetze halten willst,
brauchst du auch nicht für die Gesetze zu kämpfen. Dann
kannst du deine Munition gleich zu Hause lassen.
Fionn: Kapier ich nicht.
Palmina: Max meint, dass wir mit deiner Aktion nichts zu tun haben
wollen! So kämpfst du nicht für das Grundgesetz, sondern
dagegen.
Fionn: Ach, und wie wollt ihr dann fürs Grundgesetz kämpfen,
wenn sich die Regierung nicht mehr an die demokratische Ordnung
hält? Etwa mit Blümchen und Lichtern?
Kathrin: Keine schlechte Idee! Wie wär's außerdem mit
Streiken, Demonstrieren, Menschenketten bilden ...
Max: Bürgerinitiativen gründen ...
Palmina: Unterschriften für Volksabstimmungen sammeln ...
Jonas: Menschenrechtsbewegungen beitreten ...
Fionn: Träumt schön weiter, ich geh dann mal. Vielleicht
treffen wir uns ja in ein paar Jahren wieder. Ihr mit Peace-Aufklebern
hinterm Stachelzaun und ich davor mit Knarre und geändertem,
schlagkräftigerem Grundgesetz in der Hand!
* * *
Die blau markierte Textstellen sind Auszüge aus dem:
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland.
Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 2009.
online auch zu finden unter:
http://www.bpb.de/wissen/Q01ETK,0,0,Das_Grundgesetz_für_die_Bundesrepublik_Deutschland.html
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