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Kulturtasche

 

Interview mit Micha Labbé, Herausgeber von zzzebra Netz

Zeichnung: Micha Labbé

Micha Labbé ist der Herausgeber des Internetangebots zzzebra Netz. zzzebra Netz richtet sich an Kinder und besteht in erster Linie aus sechs Unterseiten, die Spiele, Geschichten und Lieder, Lerntipps, Gesprächsforen und Bastel-, Kunst- und Experitmentiertipps anbieten.
Herzstück von zzzebra Netz ist zzzebra.de, eine riesige Datenbank voller Ideen
(Ideenbank), die Kinder in der realen Welt - also nicht vor dem Bildschirm - verwirklichen können.
zzzebra Netz ist eine freie Zone für Kinder im Netz - ohne Werbung und ohne den Anspruch, von hier aus überall hin zu kommen. zzzebra Netz wurde 2009 mit dem Grimme Online Award in der Kategorie "Wissen und Bildung" ausgezeichnet.

Kulturtasche: Lieber Micha, nachdem ich mich intensiv mit dem Familienunternehmen Labbé auseinander gesetzt habe, bin ich erst mal ganz geplättet - oder vor Ehrfurcht fast erstarrt. Ich war ja schon oft auf den zzzebra-Netz Seiten, habe sie mir aber noch nie so genau und systematisch angesehen. Jetzt bin ich erstaunt, dass in den letzten Jahren ja ein richtiger Kosmos Labbé entstanden ist!
Da Du so nett warst, trotz Bedenken gegen ein Interview doch zuzusagen, habe ich mir jetzt ein paar Fragen überlegt:
Auf Deinen zzzebra-Netz-Seiten hast du unglaublich viele Ideen gesammelt wie man Feste, Jahreszeiten, aber auch seinen Alltag gestalten kann. Auf zzzebra.de kann man eigentlich alles von Bastel- und Maltipps über Rätsel, Witze bis hin zu Wahrsagen und Zaubertricks finden. Woher hast Du alle diese Ideen?

Ideen für Kinder zu haben ist mein Beruf. Ich mache das schon seit über 40 Jahren - jeden Tag. Durch eine Art Osmose eigne ich mir Ideen an: Ich bekomme von außen andauernd irgendwelche Impulse, die ich sofort zu neuen Ideen verarbeiten muss.
Das ist mein eigener Mechanismus, sonst platze ich auf wie eine Brühwurst, die ins kochende Wasser geworfen wird. Mir ist klar, dass das zwanghaft ist. Sehr wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass ich Autodidakt bin - alles, was ich heute mache, habe ich mir irgendwann selbst beibringen müssen.

Hast Du die Ideen ganz alleine gesammelt?

Ja. Ich habe sehr früh angefangen, Ideen zu sammeln. Mit den Jahren ist ein riesiges Ideen-Archiv zum Thema Kreativität, Lernen und Selbermachen zusammengekommen. Als Kind habe ich wie besessen Briefmarken, Steine, Muscheln und Klicker gesammelt - Ideen sammeln ist das Gleiche. Bei uns zu Hause wurde prinzipiell alles selbst gemacht: Möbel, Kleider, einfach alles. Anfangs geschah dies aus einer Notwendigkeit, denn in der Nachkriegszeit fehlte vieles. Mit der Zeit wurde es jedoch zu einer Art Marotte. Mein Vater hatte nämlich ein Idol: Robinson Crusoe, der einsame Mann, der alles selber macht und auf Grund seines Organisationstalents und seiner Kreativität auf der einsamen Insel überlebt.

Was ist die Idee hinter den vielen Ideen? Oder anders gefragt: Warum machst Du zzzebra Netz?

Viele meiner Projekte sind aus einer Art Unzufriedenheit entstanden. Kreative Menschen sind oft unzufrieden, sie wollen etwas Neues machen, etwas ändern, weil ihnen das Eine oder Andere nicht passt. Wenn du zufrieden bist, hast du ja keinen Grund etwas zu ändern oder es neu machen zu wollen.

Manche Projekte sind auch ein stiller Protest über Machtlosigkeit, Dummheit, Arroganz und so weiter, vor allem, weil ich gesehen habe, wie schlecht es vielen Kindern geht oder wie sie um ihre Kindheit betrogen werden, auf die sie ja ein Recht haben.

Eine "Idee" zu haben, hat auf der zzzebra Seite ja einen sehr hohen Stellenwert. Was zeichnet eine gute Idee aus?

Ich glaube, dass gute Ideen in erster Linie nützlich sein sollten. Und die genialsten Ideen sind die, wenn du aus Nichts etwas machst. Dann hast du wirklich etwas Neues geschaffen. Selber etwas zu machen, ist immer eine gute Idee. Und deshalb können Zzzebra-Ideen nur in der realen Welt - also nicht vor dem Bildschirm mit einem Mausklick - verwirklicht werden. Hier musst du wirklich alles mit den Händen schaffen, andere Kinder von Angesicht zu Angesicht treffen, nach draußen gehen, Natur beobachten, über Wissenschaft nachdenken und so weiter ...

Wir brauchen heute ganz viele wirklich gute Ideen - davon hängt unsere Zukunft ab. Die vielen Probleme, die wir auf unserem Planeten haben, können wir nur lösen, wenn wir gute Ideen haben.

Über jeder zzzebra-Seite steht "100% kreativ". Was verstehst du unter Kreativität?

Kreativität ist uns allen angeboren und ist nicht zufällig. Kreativität und Phantasie sind meiner Meinung nach Urtalente. Wir brauchen sie nicht nur als Mittel zum Überleben, sie sind auch wichtige Tools für die soziale und kulturelle Entwicklung. Diese Begabungen werden aber leider oft schon sehr früh vernachlässigt.

Kinder sind viel kreativer als Erwachsene. Denk nur einmal daran, welche phantastischen Spiele du früher als Kind allein in deiner Vorstellungskraft spielen konntest, oder wie oft du stundenlang gemalt hast. Mit zzzebra möchten wir Kindern das Vertrauen in die eigene Kraft geben, denn Kinder, die was können, sind starke Kinder und starke Kinder haben's leichter, oder? Eine wichtige Voraussetzung für Kreativität ist, dass man sich selbst zutraut, etwas zu machen. Wenn man von vornherein Zweifel hat, entsteht kaum etwas.

Kreativität hat auch etwas mit Interesse zu tun. Wenn du interessiert bist, lebst du auf und du bekommst Lust, alles zu erforschen und zu untersuchen. Du wirst wach, aufmerksam und alle deine Sinne sind geschärft. Interesse beflügelt dich, lässt dich optimistisch sein, regt dich an. Mit dem Interesse wächst also auch dein Engagement und deine Zielstrebigkeit. Neugier und Interesse sind die Voraussetzungen für Motivation.

Wir suchen immer etwas, das unser Interesse wecken kann - wir sind von Natur aus neugierig. Neugier ist die Voraussetzung für das Streben nach Neuem und Unbekanntem. Neugier bei Kindern ist etwas völlig Normales und Notwendiges, und hat damit zu tun, dass vieles für Kinder im Leben neu ist.

Neugier und Interesse haben auch etwas mit Phantasie zu tun. Kinder, deren Phantasie nicht stimuliert wird, können sich kaum für etwas interessieren. Aber wie entsteht Interesse? Und kann man sich beibringen, wie man interessiert wird, und wenn ja, wie denn? Yes, das geht - wenn man eben Zugang zu vielen guten Idee hat. Und das ist es, was zzzebra bietet.

Weiter finde ich, dass Kreativität auch etwas Bildung und Wissen voraussetzt. Der Südseehäuptling Tuiavii aus Tiavea meint:

Bildung heißt: seinen Kopf bis zum äußeren Rande mit Wissen füllen. Der Gebildete weiß die Länge der Palme, das Gewicht der Kokosnuss, die Namen aller seiner großen Häuptlinge und die Zeit ihrer Kriege. Er weiß die Größe des Mondes, der Sterne und aller Länder. Er kennt jeden Fluss beim Namen, jedes Tier und jede Pflanze. Er weiß alles, alles.

In diesem Zusammenhang ist es interessant zu wissen, dass wir 2009 den Internet-Oscar, den Grimme Online Award, in der Kategorie "Bildung und Wissen" und eben nicht für "Unterhaltung" erhalten haben.

An dieser Stelle von uns nochmals ganz offiziell herzlichen Glückwunsch zum Award! Und wieder zurück zum Thema: Warum sollen Kinder überhaupt kreativ sein? Reicht es nicht, wenn sie den ganzen Tag zufrieden vor dem Computer oder dem Fernseher sitzen?

Du hast bestimmt schon davon gehört, dass man heute die elektrische Aktivität des Gehirns mit dem EEG messen kann. Als Couch-Kartoffel, die stundenlang vor dem Bildschirm sitzt, hast du eine Wellenfrequenz, die normale Menschen kurz vor dem Einschlafen haben. Man vermutet sogar, dass es einen Zusammenhang zwischen Fernsehen und der Krankheit Alzheimer gibt. Wir sind nicht dafür geschaffen, nichts zu tun.

Der Bildschirm hat heute das Monopol der Aufmerksamkeit. Das, was wir Aufmerksamkeit nennen, ist für unsere Lebensqualität und für ein gutes Leben im Allgemeinen ausschlaggebend. Wir brauchen die Aufmerksamkeit, um anderen - oder auch uns selbst - zuzuhören und wir brauchen sie beim Lernen und beim Lieben. Liebe ohne Aufmerksamkeit geht nicht! Unsere Gehirne können aber innerhalb 24 Stunden nur eine begrenzte Menge Aufmerksamkeit erzeugen. Heute gibt es eine ganze Industrie, die sich darauf spezialisiert hat, dir deine Aufmerksamkeitsreserven streitig zu machen. Die größten Räuber der Aufmerksamkeit sind die Informations-, Werbe- und Unterhaltungsindustrien. Dazu gehört auch das Internet, das sich von vornherein als die "economy of attention" (Ökonomie der Aufmerksamkeit) definiert.

Mit unseren vielen Ideen möchten wir Kinder von den Bildschirmen locken, wobei wir die Technik des Internets nur zum Übertragen von Ideen, Bildung und Wissen verwenden. Deshalb haben wir auch ganz bewusst keine Internet-Spiele oder Links zu anderen Seiten.

Schraube des Schreckens







Wie dieser Trick genau funktioniert, erklärt dir zzzebra.de

Wenn ich es richtig verstanden habe, möchtest Du Kinder mit Deinen Seiten motivieren, eigene Ideen zu entwickeln oder mit Hilfe Deiner Ideen auszuführen. Warum müssen Kinder überhaupt motiviert werden?

Motivation merkt man Kindern an: Sie wollen bestimmte Sachen machen und dabei Spaß haben, sie haben Pläne für den nächsten Tag und für die nächste Woche, sie sagen häufiger "Ja" als "Nein". Motivation macht sie zufrieden. Wir wissen, dass Kinder begeisterungsfähig sind. Für Motivation gibt es aber leider keine Wundermittel. Wir, die Erwachsenen, können lediglich gute Idee anbieten, die Begeisterung und Neugierde wecken. Dieser Funke muss auf die Kinder überspringen - das Feuer müssen sie selber in Gang halten.

Aber wie motiviert man Kinder? Mit diesem Problem schlagen sich fast alle Erwachsene, die täglich mit Kindern zu tun haben, herum. Ich denke, ob Kinder dran bleiben und sich sagen, "... das möchte ich auch machen!" oder "... darüber möchte ich mehr erfahren!" oder "... darin möchte ich besser werden!" hat viel damit zu tun, ob Kinder etwas spannend und interessant finden.

Haben Kinder denn keine eigenen Ideen?

Klar haben Kinder eigene Ideen! Aber in unserer Entwicklung ist etwas passiert, was die meisten bisher noch nicht richtig wahrgenommen haben: Seitdem es Kinder gibt, gibt es eine kindereigene Kultur mit einem unerschöpflichen Wissen. Dieses "Kinderwissen" - das können Spiele, Lieder, Reime, Rätsel, Tricks, Kinderstreiche, Geschichten, Märchen und so weiter sein - wurden von einer Kindergeneration zur nächsten mündlich weitergegeben. Ohne es zu ahnen, spielen Kinder auf der ganzen Welt heute Spiele, die schon in der Steinzeit gespielt wurden. Bei zzzebra haben wir einige Spiel-Ideen mit Steinen, Kreide, Blätter, Wasser und so weiter, von denen wir annehmen können, dass sie schon von den Höhlenkindern gespielt wurden. Wir haben Murmelspiele, die Kinder in Mesopotamien, Ägypten oder in Rom kannten. Wenn es dem Kaiser Augustus im Senat zu langweilig wurde, ging er auf die Straße und spielte einige Klicker-Runden mit den Kindern.

Dieses buntgescheckte "Kinderwissen" verstand sich immer von selbst und wurde von der Erwachsenengeneration oft als Kinderkram belächelt. Im Augenblick sieht es aber so aus, als ob ein großer Teil dieses "Kinderwissens" in Vergessenheit gerät. Was passiert, wenn zwei Kindergenerationen hintereinander dieses Wissen nicht weitergeben? Niemand kann das so richtig vorhersagen. Das werden erst die, die nach uns kommen, feststellen müssen.

Auf Mellvil können sich Kinder unter der Rubrik "Mobbing Schluss damit" zum Thema Mobbing informieren und ihre eigene Erfahrungen mit Mobbing schildern. Warum hast Du Dir aus den vielen Problemen, mit denen Kindern konfrontiert sein können (zum Beispiel Missbrauch, Gewalt von Erwachsenen, Drogen), gerade Mobbing herausgegriffen?

Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Seit Menschengedenken sind Erwachsene Kindern gegenüber gewalttätig. Kinder sind klein und schwach - Erwachsene sind groß und stark. Immer wenn die Erwachsenen Mist bauen, leiden die Kinder am meisten darunter. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Scheidung handelt oder um Krieg, immer kriegen die Kinder das Meiste ab.

Während ich dir deine Fragen beantworte, trillert folgender Beitrag (den wir natürlich nicht durchgelassen haben) in unser Mellvil-Kinderforum ein:

*supergrrl* (M 14)
Hey leutzz! Ich will abhauen (NRW, Niedersachsen, Bremen oder Hamburg). Hat jemand Interesse mit abzuhauen? Allein trau ich mich nicht :(

Welche Bosheit und Ungerechtigkeit muss diesem Mädchen wohl zu Hause widerfahren sein? Als Unbeteiligter kann ich leider sehr wenig gegen Gewalt, die von Erwachsenen ausgeht, unternehmen. Beim Mobbing sieht die Sache allerdings anders aus - hier geht Gewalt von den Kindern aus. Mobbing ist eher eine Frage der Lernkultur, ein Problem, das man pädagogisch lösen kann. Genauso wie wir Kindern im Kindergarten beibringen, dass sie sich vor dem Essen die Hände waschen sollen, können wir ihnen auch beibringen, nicht zu mobben.

Erfahrungen zeigen, dass allein das Wissen über Mobbing schon ein guter erster Schritt gegen Mobbing ist. Je mehr Kinder über Mobbing Bescheid wissen, desto besser. Aber Kinderseiten können nur aufklären, informieren, sensibilisieren - mehr nicht. Danach müssen andere Kräfte ran und Strategien gegen Mobbing entwickeln, denn alle Kinder haben das Recht, ohne Angst in die Schule zu gehen.

Wenn man sich bei zzzebra Netz umsieht, braucht es einem eigentlich nie mehr langweilig zu werden. Wie aber kann man auf eigene Ideen kommen, wenn man zzzebra gerade nicht zur Hand hat?

Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass man Kreativität lernen kann und dass man sie wie jede andere Fertigkeit auch verfeinern kann. Wenn du neue Gedanken und neue Ideen bekommst, sind sie empfindlich wie kleine Pflanzen. Du musst sie sehr vorsichtig und liebevoll behandeln. Ein möglicher Trick wäre, sie am Anfang nicht zu beurteilen oder zu bewerten. "Das ist schlecht" oder "Was werden die anderen sagen?" sind große Bremsklötze. Leg einfach los, ohne die anderen (und dich) lange zu fragen. Fang an, jetzt in diesem Augenblick, hier! Nur die Phantasie darf dir Grenzen setzen.

Hast Du eine Lieblingsidee?

Mein Traum wäre, eine tolle Seite zu entwickeln, die Kindern auch beim Lernen von Mathematik, Deutsch und Englisch hilft. Es müsste aber eine Seite sein, die wirklich, wirklich, wirklich Spaß macht - denn ich finde, dass Lernen den Sinn des Lebens ausmacht. Das meint übrigens auch der große Zauberer Merlin:

"Das beste Mittel gegen Traurigkeit ist etwas zu lernen. Das ist das Einzige, was einen nie im Stich lässt. Du kannst alt werden und zittrig und klapprig, du kannst nachts wach liegen und dem Durcheinander deiner Adern, dem wirren Gefühl deiner Gedanken lauschen, du kannst dich nach der großen Liebe verzehren, du kannst zusehen müssen, wie die Welt um dich her von bösartigen Irren verheert und verwüstet wird, oder wissen, dass kleine Geister deine Ehre in den Schmutz treten. Da gibt's nur eins: Lernen.

Lernen, weshalb die Welt wackelt und was sie wackeln macht. Das ist das einzig Unerschöpfliche. Nie kann's dich quälen, niemals dir Angst einjagen oder Misstrauen einflößen, und niemals wirst du's bereuen. Lernen musst du, nichts anderes. Überleg doch mal, was es alles zu lernen gibt - Wissenschaft, Naturgeschichte, Literatur. Und wenn du Milliarden Leben mit Biologie und Medizin zugebracht hast, mit Geografie und Geschichte - nun, dann kannst du anfangen zu lernen, wie man aus dem richtigen Holz einen Wagenrad macht, oder fünfzig Jahre lang lernen, wie man lernt, seinen Gegner beim Fechten zu besiegen. Danach kannst du wieder mit der Mathematik beginnen, bis es Zeit ist, Pflügen zu lernen." (Aus: Terence H. White. Der König von Camelot)

Lieber Micha, dann wünsche ich dir, dass es dir tatsächlich gelingt, eine Lernseite zu zaubern, die Kinder glücklich macht. Vielen Dank für das schöne Gespräch!

 © Rossipotti No. 22, Mai 2010