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Rossipottis Leibspeise
und andere Lieblingsbücher

 

Rossipottis Leibspeise

Lieblingsbuch

vorgestellt von Helma Hörath

* * *

Galopp!

"Weißt du, was ich wirklich gerne wissen würde?" fragt Rossipotti und wedelt mit einem kleinen dicken Pappbuch vor meinem Maul.

"Was denn?" frage ich.

"Wie diese Scanimations funktionieren!"

"Was für Kännimeischn?" frage ich irritiert. Ich habe das Wort noch nie gehört.

"Scanimations" wiederholt Rossipotti und klemmt mir das Buch zwischen die Flossen.

Ich schlage es auf und fahre entsetzt zurück.
Hilfe, was ist das denn?! Ein Pferd rennt im Galopp auf mich zu!
Schnell umblättern!
Puh! Hier stolziert zum Glück nur ein Hahn übers Papier.
Und auf der anderen Seite?
Gebannt sehe ich zu, wie sich ein Affe von Liane zu Liane hangelt.
"Wie ist das möglich?" frage ich erstaunt. "Wie können sich in einem Buch Figuren bewegen?"

"Das frage ich mich auch", sagt Rossipotti. "Wackelbilder mit zwei verschiedenen Perspektiven kennt man ja. Oder auch Holographien, die einem einen dreidimensionalen Raum vorgaukeln. Aber dass es möglich ist, ganze Bewegungsabläufe auf einem Papier zum Bewegen zu bringen, ist mir neu."

"Hast du schon mal in einem Lexikon nachgeschaut, wie das funktioniert?" frage ich, von einem plötzlichen Wissensdurst gepackt.

"Ja", sagt Rossipotti. "Aber unter dem Stichwort Scanimation habe nichts gefunden. Vielleicht ist es ein erfundenes Wort. Immerhin steht auf der Titelseite hinter dem Wort ein ® für registriertes Warenzeichen."

Ich schaue mir das Wort auf dem Titelbild an und bin erstaunt, wie es geschrieben wird: Scanimation.
"In dem Wort stecken ja die Begriffe Scan und Animation", sage ich erstaunt.

"Möglich", sagt Rossipotti. "Aber selbst wenn: Wie diese gescannte Animation funktionieren soll, wissen wir deshalb trotzdem nicht."

"Gehn wir ins Internet", schlage ich vor. "Da finden wir sicher etwas dazu."

Ich fahre meinen Rechner hoch und gebe in einer Suchmaschine "Scanimation" ein.
"Mehr als 200.000 Einträge!" sage ich erschlagen. "Da können wir lange suchen."

"Kommt darauf an!" sagt Rossipotti. "Geh mal zu Wikipedia und such da in der Linkliste nach vernünftigen Links."

"Hm", mache ich, "der Begriff kommt leider nur auf der englischen Wikipedia-Ausgabe. Und ich kann kein Englisch."

"Zeig mal", sagt Rossipotti und schiebt sich vor den Bildschirm.
"Auf jeden Fall hat Scanimation nichts mit Scannen zu tun, sondern ist eine analoge Computertechnik, um Bilder bewegen zu lassen. Anscheinend wurde das schon in den 1970ern entwickelt."

"Und sonst?" frage ich gespannt.

"Sonst steht darüber nichts von Belang!" sagt Rossipotti.

"Du meinst wohl, dass du den Rest nicht verstehst", sage ich.

"Von wegen!" sagt Rossipotti. "Das bisschen Englisch packe ich mit links!"

Ich ziehe es vor, zu schweigen und schaue in der Suchmaschine, ob es nicht eine deutsche Seite gibt, die mir erklärt, wie Scanimations funktionieren.

"Hier auf der deutschen Verlags-Seite des Buchs steht etwas von 6 Phasen-Animation", sage ich nach einer Weile.

"Na und?" sagt Rossipotti. "Das erklärt noch lange nicht, wie die 6 Phasen in Bewegung kommen.- Aber mir kommt da gerade eine Idee!"

Rossipotti öffnet mein Postfach (?!) und schreibt eine Mail an seinen Freund Juan:
Lieber Juan,
der Fisch und ich rätseln gerade wie sich die Tiere in dem Scanimations-Buch "Galopp!" so echt bewegen können. Wir haben weder im Lexikon noch im Internet kurze brauchbare Informationen gefunden. Wie der Verlag schreibt, sind die bewegten Bilder aus sechs Phasen zusammengesetzt. Kannst du uns vielleicht erklären, wie Scanimations funktionieren? Das wäre toll! Vielen Dank schon mal und wissensdurstige Grüße nach Brasilien!
Dein Rossipotti"

Während wir auf eine Antwort warten, zieht Rossipotti noch ein anderes Scanimation-Buch aus der Ritze seines Sofas hervor. Tempo! steht auf dem blauen Cover und darunter rennt ein Junge um sein Leben.
Ich setze mich neben Rossipotti und gemeinsam bewundern wir das Buch.

"Galopp gefällt mir besser!" sagt Rossipotti und beißt eine Ecke vom Tempo!-Buch ab. "Hmpf!" macht Rossipotti. "Habe ich mir doch gedacht: Das Buch schmeckt ein wenig altertümlich. Die Figuren hopsen wie bei Turnvater Jahn um die Wette."

Mein Computer hupt und ich sehe in meinem Posteingang nach.

"Juan hat geantwortet!" sage ich und öffne die Mail.

"Und?" fragt Rossipotti neugierig. "Weiß er wie Scanimations funktionieren?"

"Offensichtlich", sage ich erstaunt und schiebe Rossipotti den Bildschirm hin:

Lieber Rossipotti,

ich habe es momentan sehr eilig. Ich mache deshalb nur eine kurze Skizze, wie Scanimations funktionieren. Viel Spaß beim Ausprobieren.

Viele Grüße, Juan

Rufus Butler Seder: GALOPP! Ein Scanimation Buch. Boje Verlag. Köln 2008.

* * *

Die Geschichte einer Stadt

"Scanimations sind toll", sage ich, "aber es müssen nicht bewegte Bilder sein, um ein Buch spannend zu machen."

"Stimmt!" sagt Rossipotti. "Texte können noch spannender sein."

"Ich denke eigentlich eher an das Geschichts-Bilderbuch, das ich neulich entdeckt habe", sage ich. "Das war wirklich spannend! In dem Buch wird eine Stadt in England über 3000 Jahre begleitet. Zuerst besteht die Stadt am Fluss nur aus ein paar einfachen Hütten innerhalb einer Wallanlage aus Holz. 1000 Jahre später sieht man in dem Buch, wie die Römer, die England inzwischen erobert hatten, in der Stadt Amphitheatern, Thermen und Tempeln gebaut haben. Wieder einige hundert Jahre später sind die römischen Gebäude verfallen. Statt der üppigen Steinhäuser sieht man nur noch einfache Bauernhäuser mit Strohdächern auf der Wiese. 250 Jahre darauf machen sich auf derselben Wiese die dänischen Wikinger breit, weil sie die Stelle am Fluss als Hafen für ihre Schiffe brauchten. Achthundert Jahre später ist aus der kleinen Siedlung wiederum eine prächtige Stadt mit Kathedralen, Theater, Apotheken und einer mächtigen Stadtmauer geworden. Leider wird die Stadt durch ein Feuer zerstört, aber 500 Jahre später ..."

"Hör auf, hör auf!" sagt Rossipotti und hält sich die Ohren zu. "Wenn du so weiter machst, sind auch wir bald nur noch Asche und Staub!"

"Das ist doch nur ein Geschichts-Buch!" sage ich. "Es kann in die Vergangenheit zurück gehen, aber nicht deine Zukunft vorhersagen."

"Na und", sagt Rossipotti trotzig. "Geschichtsbücher sind trotzdem grausam! Mit wenigen Federstrichen können sie Kriege führen, Brände entfachen und ganze Geschlechter vernichten."

"Darum geht es doch gar nicht", sage ich.

"Ach, und worum geht es dann?"

"Um aus den Fehlern der Geschichte zu lernen", sage ich.

"So ein Quatsch!" grunzt Rossipotti. "Ich kann dieses bekannte, furchtbar betuliche Argument nicht mehr hören! Die Geschichte selbst beweist doch das genaue Gegenteil! Seit Jahrtausenden beschäftigen sich die Menschen mit ihren Vorfahren und trotzdem gibt es immer noch Mord und Totschlag. Ich behaupte sogar, dass die selbst gemachten Gefahren nicht weniger, sondern mit der atomaren Bedrohung und der Klimakatastrophe sogar mehr geworden sind."

"Und woher weißt du das?" frage ich vorwitzig. "Aus der Beschäftigung mit der Geschichte!"

"Pah!" wiegelt Rossipotti ab. "Das einzig Interessante, was man aus Geschichtsbüchern lernen kann, ist, dass Menschen die Welt verändern können. Jedem, der sagt: 'Das ist eben so, daran lässt sich nichts ändern' sollte man ein Geschichtsbuch unter die Nase halten. Und dann sollte man rausgehen und versuchen, seine Ideale in die Realität umzusetzen."

Rossipotti scheint heute ja wieder mächtig in Fahrt zu sein.
Da bleibe ich lieber stumm auf meinem Stuhl sitzen. Denn euch kann ich auch so mitteilen, dass das Buch "Die Geschichte einer Stadt" zwar keine Revolution auslösen, aber euch dafür umso mehr Spaß machen wird, einen Streifzug durch die bebilderte Stadtgeschichte zu machen!

Nicholas Harris: Geschichte einer Stadt. Meyers Lexikonverlag. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2003.

* * *

Ich weiß, dass ich nichts weiß

"Was du brauchst, ist ein philosophisches Wissen!" sagt Rossipotti. "In unseren Gesprächen merke ich immer wieder, dass dir die Liebe zur Wahrheit fehlt!"

"Es reicht schon, wenn du die Weisheit mit Löffeln gefressen hast!" sage ich frech.

"Danke für das Kompliment", sagt Rossipotti, "aber auch dir würde ein bisschen mehr Weisheit gut tun. Und deshalb nehme ich dich hiermit feierlich als meinen ersten Schüler auf!"

"Untersteh dich!" sage ich. Allein bei dem Gedanken daran läuft mir ein Schauer durch die Gräten.

"Zuerst werden wir über drei philosophische Fragen diskutieren", sagt Rossipotti ungerührt. "Dann wirst du unser Gespräch aufschreiben. Und nach meinem Tod wirst du es als Rossipottis Gespräche veröffentlichen!"

"Bist du krank?" frage ich.

"Fragen sind gut", sagt Rossipotti in erhabenem Tonfall. "Aber kluge Fragen sind besser. Lass uns deshalb nicht über Nebensächlichkeiten plaudern, sondern kluge Fragen stellen. Meine erste Frage lautet: Was sollen wir tun?"

"Das nächste Buch vorstellen!" sage ich praktisch denkend. "Wie wäre es mit dem Buch Alles, was ich wissen muss?"

"Du stellst die falschen Fragen!" jammert Rossipotti. "Bevor wir diskutieren können, was wir alles wissen müssen, müssen wir uns erst die zweite unserer Fragen stellen, nämlich, was wir alles wissen können!"

"Eine ganze Menge", sage ich unbekümmert. "Zum Beispiel, dass wir hier den Kindern eigentlich Bücher vorstellen und nicht philosophische Gespräche führen wollen."

"Womit habe ich einen Schüler wie dich verdient?" seufzt Rossipotti. "Ein guter Schüler lässt sich auf die Reden seines Lehrers ein und gibt kluge Antworten! Ich gebe dir jetzt noch eine Chance, deine Ehre als mein Schüler zu verteidigen. Versuchen wir es mit der dritten und letzten Frage: "Was sind wir?"

"Du bist ein Krokodil und ich bin ein Fisch", antworte ich und hoffe, dass Rossipotti damit wieder auf den Teppich kommt und wir endlich mit den Buchvorstellungen weiter machen können.

"Krokodil und Fisch!" ruft Rossipotti ärgerlich. "Mehr fällt dir dazu nicht ein? Und was unterscheidet uns dann von anderen Krokodilen und Fischen? Was macht uns zu dem, was wir sind? Was ist der Grund unserer Existenz? Vielleicht gefällt es dir ja tatsächlich, nur aus fünf Buchstaben zu bestehen. Ich für meinen Teil möchte mehr!"

"Sieben Buchstaben?" sage ich und komme mir ziemlich witzig dabei vor.

"Ach was, Buchstaben!" faucht Rossipotti. "Ich möchte mehr sein als ein Krokodil. Was ist schon ein Krokodil?"

Allmählich frage ich mich, was Rossipotti eigentlich von mir will. Eine Gruppentherapie?

"Um die dritte Frage nach unserer Existenz beantworten zu können, müssen wir nochmals zur zweiten zurück gehen", doziert Rossipotti hartnäckig weiter. "Also: Was können wir wissen?"

"Keine Ahnung!" stöhne ich und hoffe, dass Rossipottis Fragerei endlich ein Ende hat.

"Endlich!" sagt Rossipotti. "Endlich fängst du an, philosophisch zu denken!"

"Warum?" frage ich erstaunt. "Heißt das etwa, dass man als Philosoph keine Ahnung von etwas hat?"

"Nein, ganz im Gegenteil!" meint Rossipotti. "Das heißt, dass Philosophen zuerst die Möglichkeit unseres Wissen prüfen, bevor sie Aussagen treffen."

"Und welche Möglichkeit gibt es?" frage ich.

"Das hängt vom jeweiligen Philosophen ab", sagt Rossipotti. "In der Geschichte der Philosophie gibt es viele unterschiedliche Meinungen darüber, was man überhaupt wissen kann."

"Wenn das stimmt", überlege ich, "dann ist Wissen Geschmackssache oder Glaube. Und wenn das wiederum stimmt, dann gibt es überhaupt kein echtes Wissen."

"Oder wie Sokrates gesagt hat: 'Ich weiß, dass ich nichts weiß'."

"Heißt so nicht der Titel des Buchs, das du vorhin in der Hand hattest?" frage ich.

Rossipotti nickt.

"Und, hast du es gelesen?" frage ich.

"Warum?" sagt Rossipotti. "Ich führe lieber mit meinem Schüler philosophische Gespräche, als mir von Arnulf Zitelmann etwas über Sokrates, Platon, Diogenes oder Aristoteles erzählen zu lassen."

"Aber ich nicht!" sage ich und schnappe mir das Buch von Arnulf Zitelmann. "Vielleicht kann mir Zitelmann die Philosophie näher bringen. Du hast es auf jeden Fall nicht geschafft!"

Während ich mich ins erste Kapitel vertiefe, höre ich Rossipotti hinter mir seufzen:
"Jetzt habe ich zwar einen Schüler verloren, aber dafür einen Leser gewonnen!"

Arnulf Zitelmann: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Die vier großen Philosophen der Antike. Beltz Verlag. Weinheim/Basel 2007.

* * *

Nathan und seine Kinder

"Philosophische Fragestellungen sind eigentlich ähnlich wie religiöse", sage ich, nachdem ich zwei Kapitel in Zitelmanns Buch Ich weiß, dass ich nichts weiß gelesen habe. "Im Grunde genommen, geht es darum, nach den Wurzeln unserer Existenz zu fragen und das Leben zwischen den Menschen zu organisieren."

"Ich habe eigentlich keine Lust mehr auf philosophische Gespräche", grunzt Rossipotti. "Aber früher gingen Philosophie und Religion tatsächlich oft Hand in Hand. Spätestens seit der Aufklärung haben sie sich allerdings auseinander gelebt. Und heute will die Philosophie mit der Religion gar nichts mehr zu tun haben."

"Kein Wunder", sage ich. "Von Religion will heute insgesamt niemand mehr etwas wissen."

"Von wegen", sagt Rossipotti. "Vielleicht interessieren sich die Christen hier nicht mehr für ihre Religion. Aber Menschen anderer Religionen sind immer noch mit Feuereifer bei der Sache. Denke nur an die Kriege zwischen Juden und Muslimen im Gazastreifen oder die jahrezehnte langen Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Hindus an der Grenze zwischen Pakistan und Indien."

"Ich verstehe nicht, wie man sich für die Religion so ins Zeug legen kann", sage ich. "Das ist doch nur eine Glaubenssache."

"Eben!" sagt Rossipotti. "Gerade der Glaube ist es doch, der Berge versetzen kann. Der Glaube kann uns sehr stark oder sehr schwach machen. "

Ich sehe Rossipotti befremdet an und überlege mir, ob er womöglich auch an einen Gott glaubt.

"Im Grund geht es in den Streitereien zwischen den Religionen immer darum, welcher Gott der Stärkere ist, wer sein Volk besser beschützt und wer das bessere Los gezogen hat", fährt Rossipotti fort. "Jeder will natürlich auf der stärkeren Seite stehen und deshalb kämpft jeder für seinen Gott."

"Aber dann ist ja nur dann ein Ende der Gewalt in Sicht, wenn sich alle Menschen auf einen Gott einigen können", überlege ich.

"Oder die religiösen Menschen akzeptieren, dass es neben ihnen Menschen gibt, die an andere Götter glauben", sagt Rossipotti.

"Das geht nicht", widerspreche ich. "Denn sobald jemand die Götter der anderen toleriert, verrät er doch seinen eigenen Gott."

"Nicht, wenn er vernünftig ist", sagt Rossipotti. "Die Vernunft könnte einem sagen, dass zwar der eigene Gott der einzig Wahre ist, dass die anderen aber ruhig an einen falschen Gott glauben können."

"Unter Vernunft stelle ich mir etwas anderes vor", sage ich. "Ein vernünftiger Mensch würde viel eher sagen, dass es so etwas wie Götter überhaupt nicht gibt. Vernunft und Glaube lässt sich meiner Meinung nach gar nicht vereinen."

"Kennst du Lessings Theaterstück Nathan der Weise?" fragt Rossipotti.

Ich schüttle den Kopf und hoffe, dass mir Rossipotti jetzt keinen langen Vortrag hält.

"In Lessings Stück ist Nathan der Weise ein Jude, der während der Kreuzüge in Jerusalem lebt", erklärt Rossipotti. "Eines Tages lädt ihn der muslimische Sultan ein, um ihn zu fragen, wer die bessere Religion habe: Die Christen, die Juden oder die Muslime. Nathan gibt dem Sultan mit einer kleinen Geschichte, der bekannten Ringparabel, eine sehr vernünftige Antwort ..."

"Ringparabel!" stöhne ich dazwischen. "Was für ein langweiliger Begriff. Und außerdem lese ich keine Theaterstücke. Schon gar keine von Lessing! Der hat so eine gestelzte, altertümlicher Sprache."

"Dann lies Mirjam Presslers Geschichte Nathan und seine Kinder", sagt Rossippotti. "Das ist kein Theaterstück, sondern ein Roman. Die Autorin schildert die Geschichte aus der Perspektive der Nebenfiguren und schafft dadurch eine viel größere Intensität als das Theaterstück. An einigen Stellen weicht sie allerdings von dem Original ab. Aber der Hauptgedanke und die Ringparabel bleiben gleich."

"Ich frage mich, warum es überhaupt Autoren gibt, die Theaterstücke schreiben", lenke ich von der Ringparabel ab. "Romane sind doch viel spannender und haben eine viel größere Aussagekraft."

"Reine Geschmackssache", sagt Rossipotti. "Im achtzehnten, neunzehnten Jahrhundert sind die Leute reihenweise umgefallen, weil sie von Theaterstücken so begeistert waren."

"Die wussten eben nicht, was gut ist!" sage ich überzeugt. "Zum Glück wissen wir heute, dass der Roman die bessere Textform ist."

"Das glaubst auch nur du!" sagt Rossipotti und schlägt demonstrativ Lessings Theaterstück auf.

"Schau dir doch mal die Regale in einer Buchhandlung an", sage ich. "Da stehen fast nur Romane und so gut wie keine Theaterstücke."

"Du gehst eben in schlecht sortierte Buchläden!" sagt Rossipotti.

"Von wegen", sage ich verärgert. "Außerdem weiß ich ganz genau, dass du Theaterstücke auch langweilig findest!"

"Finde ich gar nicht", sagt Rossipotti und beißt in Nathan der Weise. "Hm, lecker!"

"Du bist das verlogenste Krokodil, das ich kenne!" sage ich und merke, wie mir die Wut langsam von der Flosse über die Gräten bis in den Kopf steigt. "Du verrätst den Roman, nur weil du zu feige bist, für ihn öffentlich einzutreten!"

Rossipotti reagiert nicht, sondern verspeist seelenruhig sein Theaterstück!

"Wenn du jetzt nicht gleich zugibst, dass du den Roman viel toller als das Theaterstück findest ...", quetsche ich zwischen meinen zitternden Lippen durch. "Dann ..."

"Dann?" fragt Rossipotti interessiert.

"Dann nehme ich diesen Bildband hier und schleudere ihn dir an den Kopf!"

Und bevor ich merke, was ich tue, hole ich mit meinen Flossen weit aus und schleudere das dicke Buch Richtung Rossipotti. Rossipotti kippt um und fällt ohnmächtig auf den Boden.
Oh!
Was habe ich getan?
Ich springe zu ihm und entdecke in seinem Maul einen Fetzen Papier. Die Ringparabel!
Vorsichtig ziehe ich ihm das Papier aus dem Maul und streiche es glatt:

Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten,/Der einen Ring von unschätzbarem Wert/Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein/Opal, der hundert schöne Farben spielte/ Und hatte die geheime Kraft, vor Gott/Und Menschen angenehm zu machen, wer/In dieser Zuversicht ihn trug ...

In dem Moment schlägt Rossipotti zum Glück wieder die Augen auf!
Während er sich aufrichtet und vom Schlag erholt, lese ich die spannende Geschichte um den erfolgreich machenden Ring weiter und Nathans gewitzten Vorschlag, wie man zur gleichen Zeit gläubig und tolerant sein kann.

Mirjam Pressler: Nathan und seine Kinder. Beltz & Gelberg. Weinheim/Basel 2009.

* * *

Die Tagesschau erklärt die Welt

"Halten wir uns von jetzt an lieber an Fakten", sagt Rossipotti und reibt sich seine Beule am Kopf. "Alles andere ist mir zu schmerzhaft."

"Wie wäre es mit einem Lexikon?" frage ich diensteifrig.
Wie ich inzwischen eingesehen habe, war es falsch, Rossipotti den Bildband an den Kopf zu werfen. "In Lexika stehen so viele Fakten wie nirgendwo sonst."

"Von Lexika habe ich erst einmal genug", sagt Rossipotti. "Außerdem kümmert sich Klops bereits darum. Gibt es nichts anderes?"

"Wie wäre es mit der Kinder-Uni? Oder dem Kinder-Fragen-Buch Warum ist der Himmel blau?"

"Diese Sorte Buch kann ich nicht ausstehen", sagt Rossipotti. "Wer interessiert sich schon für Schablonen-Fragen?"

"Schablonen-Fragen?" frage ich erstaunt. "Was meinst du damit?"

"Diese ausgestanzten Fragen eben, die irgendwelche Kinder irgendwem gestellt haben sollen", sagt Rossipotti. "So ein Blödsinn! Kinder interessieren sich nicht für vorgefertigte Fragen und Antworten, sondern wollen selber Fragen stellen und darauf dann eine Antwort bekommen. Insofern kann man Bücher wie die Kinder-Uni nicht nur Schablonen-Frage-Bücher, sondern auch Neugier-Abtöt-Bücher nennen."

"Aha", sage ich unsicher. "Und was ist deiner Meinung nach dann wissenswert?"

"Alles und nichts", sagt Rossipotti. "Das Problem ist, dass es heute zu allem und jedem eine Spezialwissenschaft gibt und man überhaupt nicht mehr weiß, was wirklich wichtig ist. Hinter jedem Begriff kann sich ein kleines Universum öffnen und Leute geben, die sich damit auseinandersetzen. Bis gestern wusste ich zum Beispiel nicht, dass es den Begriff 'Pictoplasma' gibt. Heute bin ich schon ein Fan davon und in ein paar Tagen gehe ich sogar auf eine Konferenz der Pictoplasma-Freunde."

"Was ist denn Pictoplasma?"

"Vergiss es", sagt Rossipotti. "Ich wollte mit dem Beispiel nur sagen, dass das, was Wissenswert ist, heute nicht mehr überschaubar ist. Oder anders ausgedrückt: Es gibt keine Verständigung mehr darüber, was sich zu wissen lohnt."

"Finde ich schon", sage ich. "Jeden Abend sitzen Millionen von Zuschauern vor dem Bildschirm und gucken sich die Tagesschau an."

"Um eine Minute danach alles wieder zu vergessen", grunzt Rossipotti.

"Immerhin ist das Wissen der Tageschau noch ein Wissen, das die Zuschauer untereinander verbindet", sage ich gereizt. "Aber du kannst ja gerne ein Buch über Pictoplasma vorstellen!"

"Ich bin krank geschrieben!" sagt Rossipotti. "Aber von mir aus kannst du gerne Die Tagesschau erklärt die Welt vorstellen. Das Buch ist immerhin flott geschrieben, verbreitet ein demokratisches Grundverständnis und gibt einem das aberwitzige Gefühl, man müsse nur die Tagesschau ansehen, um die Welt zu vertehen. Und man kann es Kindern in die Hand geben, ohne Angst haben zu müssen, dass sie einem danach aus Verzweiflung über ihre Orientierungslosigkeit einen Bildband an den Kopf werfen!"
Rossipotti reibt beziehungsvoll seine Beule, streckt sich auf dem Sofa aus und klappt unvermittelt die Augen zu.

Na prima!
Rossipotti schläft einfach ein und lässt mich mit dem Buch allein.
Es ist noch gar nicht lange her, da habe ich es genossen, alleine Bücher vorstellen zu können. Aber in den letzten beiden Ausgaben habe ich mich so an Rossipottis Kommentare gewöhnt, dass ich gar nicht mehr weiß, wie ich ohne ihn auskommen soll.
Womit soll ich anfangen?
Was wollt ihr wissen?
Vielleicht, dass das Buch "Die Tagesschau erklärt die Welt" keine Zusammenfassung der Beiträge der Tagesschau ist, sondern ein eigenständiges Sachbuch, das in Zusammenarbeit mit der Tagesschau-Redaktion Auskunft über die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Ereignisse der letzten sechzig Jahre gibt?
Oder interessiert ihr euch mehr für die im Buch erklärten Stichwörter, die von Asyl und Aufbau Ost über Migration und Exportweltmeister bis Hartz IV, Nobelpreis und Klimawandel reichen?
Oder interessiert ihr euch am meisten dafür, dass das Buch von Aljoscha Blau mit etwas hölzernen, aber eindrücklichen Bildern illustriert wurde?
Ich weiß es nicht. Und deshalb lese ich euch jetzt lieber einen Satz vor, der hinten auf dem Klappentext des Buchs steht:
"Oft ist es nicht leicht, die größeren Zusammenhänge zu begreifen. Die Tagesschau erklärt die Welt gibt Antworten auf solche Fragen und hilft dabei, sich in unserer Gegenwart zurecht zu finden."
Hoffen wir, dass es stimmt und dass ihr nach dem Lesen des Buchs wirklich wisst, wofür ihr euch einsetzen wollt.

Sylke Tempel: Die Tagesschau erklärt die Welt. Das Wissensbuch. Mit Bildern von Aljoscha Blau. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Hamburg 2007.

* * *

Konzert für junge Leute

"Wusstest du eigentlich schon, dass ich ein völlig unmusikalisches Krokodil bin?" fragt Rossipotti nach seinem Schläfchen und streckt seine Glieder.

"Eigentlich nicht", lüge ich. Ich möchte Rossipotti nicht zu nahe treten.

"Gut so!" sagt Rossipotti. "Das soll nämlich auch niemand wissen. Außerdem ändert sich das bald. Ich mache nämlich gerade eine Spritzkur gegen meine Unmusikalität!"

"Eine Spritzkur gegen die Unmusikalität?" widerhole ich ungläubig. "So was gibt's doch gar nicht."

"Natürlich gibt's das!" sagt Rossipotti. "Hier sieh mal!"

Rossipotti zeigt mir ein quietschgelbes Taschenbuch mit einem weißen Schiff auf blauen Wellen. "Von dem Buch hier spritze ich mir zur Zeit jeden Tag ein Kapitel unter die Haut. Und wenn ich damit fertig bin, kenne ich mich nicht nur mit harmonischen und disharmonischen Klängen aus, sondern ich weiß vor allem, was Musik bedeutet!"

"Und das funktioniert?" frage ich skeptisch.

"Probiers mal aus", sagt Rossipotti, "Singe einen Ton und ich sage dir, was es für einer ist."

"Hnnn", singe ich in unbestimmter Tonhöhe.

"Das ist ein 'h'!" sagt Rossipotti. "Nochmal"

"Hnnn", singe ich, ungefähr eine Terz tiefer.

"G!" sagt Rossipotti überzeugt.

"Möglich", sage ich und überlege mir, ob ich auch eine Spritzkur nötig hätte.

"Siehst du, es klappt!" sagt Rossipotti euphorisch.

"Und warum machst du deine Kur ausgerechnet mit diesem Buch?" frage ich. "Es gibt doch unzählige Einführungen in die Musik."

"Dieses Buch ist von Leonard Bernstein", sagt Rossipotti, als ob das schon alles erklären würde.

Nachdem ich nicht reagiere, schwärmt er weiter:

"Leonard Bernstein war kein Musikpädagoge oder Musikkritiker, sondern ein echter Musiker! Für ihn bedeutete Musik die Welt, und er konnte sich ein Leben ohne Musik gar nicht vorstellen. Das Buch ist deshalb getextete Hingabe und jede Spritze meiner Kur das Extrakt davon!"

"Hört sich irgendwie anstrengend an", sage ich.

"Nicht die Spur", sagt Rossipotti. "Das Buch ist mit leichter Hand geschrieben, und auch wenn ich nicht alles davon verstehe, fühle ich mich doch plötzlich einer Welt verbunden, die mir davor völlig fremd war. Weißt du, was ich denke: Mit der Musik kann man nicht nur vier, sondern fünf Dimensionen wahrnehmen!"

"Du musst deine Kur sofort abbrechen", sage ich, von einer plötzlichen Angst gepackt. "Ich fürchte, sonst frisst du bald keine Bücher mehr, sondern nur noch Noten!"

"Bücher?" fragt Rossipotti und sieht mich mit entrücktem Blick an. "Was sind denn Bücher?"

Leonard Bernstein: Konzert für junge Leute. Die Welt der Musik in 15 Kapiteln. OMNIBUS Verlag. München 2006.

Lieblingsbuch

vorgestellt von Helma Hörath

Abrakadabra und Toi, Toi, Toi

Da hatte ich alle Bücher, die ich dir jetzt gleich zum Thema "Wissen" vorstellen will, gelesen. Mein "Fahrplan" (welches Buch zuerst, welches zuletzt) war in meinem Kopf zurechtgelegt und ich begann mit dem Schreiben.
Aber auf einmal wurde mir das mit Freitag, dem 13., bewusst und ich beschloss, daran nicht stillschweigend vorbeigehen zu können. Nur alle paar Monate fällt der 13. Tag auf einen Freitag. Und diesmal war es wieder so weit. Dann verursachen die Zahl und Wochentag entweder Bauchschmerzen oder Glücksgefühle. Warum das eigentlich so ist, las ich nicht im Internet nach, sondern in einem Buch, das ich mir schon im Dezember gekauft und dann auf den ständig wachsenden Stapel neben meinem Bett gelegt hatte. Ich zog es vor und erfuhr auf 160 Seiten viel Interessantes über abergläubische Sprüche und Bräuche. Jetzt weiß ich wirklich mehr, auch über Freitag, den 13.
Es ist kein Kinderbuch. Trotzdem kannst du es zur Handnehmen. Wenn du etwas nicht verstehst, dann frage deine Eltern oder auch Oma und Opa. Vielleicht kannst du auch gleich gemeinsam mit ihnen nach den Hintergründen von Redewendungen, von Glücks- und Unglücksbringern suchen.

Dorothea Steinbacher: Abrakadabra und Toi, Toi, Toi - Abergläubische Sprüche und Bräuche und was dahinter steckt. Wilhelm Heyne Verlag. München, 2007.

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101 Dinge, die du gern selber erfunden hättest

Beim Wühlen in den Büchern, die ich mir für späte Stunden reserviert habe, fand ich auch eine handliche Broschüre mit einem hervorstechenden gelben Deckel. Mit diesem Buch kannst du richtig arbeiten. Es ist nicht nur für Kinder geschrieben worden, sondern es fordert dich dazu auf, über genau beschriebene Experimente und Gedankenanleitungen zur Lösung von Rätseln zu kommen und selbst die Antworten auf solche Fragen zu finden:
Wie funktioniert ein Lügendetektor?
Seit wann gibt es Toilettenpapier?
Wer hat den Regenschirm erdacht?
Ja, die Welt ist voll von Erfindungen. Keiner kann sie alle kennen. Aber zum Glück gibt es ja dieses Buch mit den 101 interessantesten, merkwürdigsten und witzigsten Dingen, die dem menschlichen Gehirn "entsprungen" sind. Da geht es u.a. um Mobiltelefone, Heißluftballons, geschnittenes Brot, einer Hausaufgabenmaschine, um Flip-Flops, Klebeband und ein Zimmer 101.

Richard Horne/Tracey Turner: 101 Dinge, die du gern selber erfunden hättest - und einige, auf die besser nie jemand gekommen wäre. Berlin Verlag. Berlin 2008.

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Tatort Forschung: Der gestohlene Geigenkasten

Alle lieben Rätsel. Ich auch. Wie ist es mit dir? Meist gibt uns das Rätsel Fragen mit auf den Lösungsweg. Schon im alten Griechenland galt es bei den Philosophen als eine Art Sport, verblüffend einfache Fragen zu stellen, um sich dann wochenlang daran die Köpfe heiß zu diskutieren. Denn nicht zuletzt sind Rätsel eine spielerische Anleitung zum Philosophieren, zum Nachdenken über die Welt, über das Leben in der Natur und der menschlichen Gesellschaft: Ist Schnee weiß? Was ist Liebe? Ist Zeit umkehrbar? Was ist Gerechtigkeit?

"Denken heißt, sich über etwas wundern."
Diesen Satz schnappte ich auf, als ich gestern Abend mein Radio einschaltete. Irgendwie ging er mir dann nicht mehr aus dem Kopf. Gesagt haben soll ihn der weltbekannte Physiker Albert Einstein. Auch wenn du noch nichts über Einstein gehört haben solltest, dann hast du ihn bestimmt schon irgendwann und irgendwo gesehen. Es gibt ein Plakat, auf dem ein Mann mit weißen, wirr abstehenden Haaren abgebildet ist, dich direkt anblickt und dir seine Zunge entgegen streckt. Das ist der große Wissenschaftler Albert Einstein. Er lebte von 1879 bis 1955.
Er hatte nicht nur Humor, sondern immer ein Büchlein in der Jackentasche. Dort schrieb er alles auf, was ihm seltsam erschien, was ihm Rätsel aufgab. Diese Notizen bestanden meist aus Fragen. Wenn man anfängt, sich über etwas zu wundern, dann beginnt man, darüber nachzudenken. Ja, so ist es. Und mit dem Denken tauchen die Fragen auf, die wir lösen möchten oder auch müssen, weil wir nicht mehr von ihnen loskommen, weil alle unsere Gedanken immer wieder und immer wieder um diese Fragen kreisen.
In der Kinderbuchreihe "Tatort Forschung" fand ich einen Titel, in dem auch Albert Einstein, vor allem aber sein Geigenkasten und seine dort abgelegten Notizen eine große Rolle spielen. Denn die Geige und ihr Kasten werden gestohlen. Am Anfang fragen sich nur die Geschwister Jakob und Hannah, wer wohl ein Interesse an den Aufzeichnungen haben könnte. Sie untersuchen den Fall, können am Ende die Frage beantworten und die Diebe überführen.
Mit diesem Buch hältst du nicht nur einen Krimi in der Hand, sondern erfährst auf den letzten Seiten etwas über das Leben von Albert Einstein, über seine Relativitätstheorie und seine berühmteste Formel, die mit einfachen Worten und gut verständlich erklärt wird. Und am Ende habe ich sogar verstanden, dass für den Raumfahrer in seiner fliegenden Rakete eine Sekunde verstreicht, wogegen für seine auf der Erde zurück gebliebenen Frau 22 Sekunden vergehen.
Gleichzeitig zeigt dir die Geschichte, wie eine jüdische Familie in Berlin 1920 gelebt hat. Ich hoffe, dass du dir an den verschiedensten Stellen des Buches fragst, was das eine oder andere Wort bedeuten könnte. In einem Glossar, einer Liste mit unbekannten Wörtern (in dem Falle vor allem mit jüdischen Wörtern), kannst du die Bedeutung zum Beispiel von Kiddusch, Menora und Tscholent nachlesen.

Bellinda: Tatort Forschung. Der gestohlene Geigenkasten. Ein Ratekrimi um Albert Einstein. Mit Illustrationen von Johann Brandstetter. Loewe Verlag. Bindlach 2006.

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Tausend Sterne sind ein Dom

Als ich heute Nacht einfach nicht schlafen konnte, zog ich den Vorhang in meinem Zimmer zurück, öffnete das Fenster und schaute in die Dunkelheit. Ich lauschte eine Weile dem lauten Gesang der Nachtigall. Der Himmel war grau. Aber auf einmal sah ich hier einen Stern leuchten, dort noch einen und dort und dort und … Der Himmel wurde immer heller und weiter. Tausend Sterne sind ein Dom.
Ja, ja, es stimmt: Das ist der Anfang eines Weihnachtsliedes. Und Weihnachten liegt schon lange hinter uns. (Oder schon wieder vor uns.) Aber es ist eine sehr, sehr schöne Melodie. Vielleicht kennst du sie auch und stimmst in meinen Gesang mit ein. Dieses Weihnachtslied ist etwa 60 Jahre alt und damit als Erkennungszeichen für diesen uralten Festanlass der Menschen ganz jung. Wie du sicher weißt, soll vor mehr als 2000 Jahren um den 24. Dezember herum Jesus von Nazareth geboren worden sein. Auch in dieser Nacht leuchteten die Sterne über Maria und Josef, über den Heiligen drei Königen und den anderen Menschen. Also müssen die Himmelskörper noch älter sein als diese Legende. Wann sind sie geboren, die Sterne, die sich in Nächten mit klaren, wolkenlosen Himmeln schon mit den bloßen Augen gut beobachten lassen? Was ist ein Stern, was ist ein Mond, was ist ein Planet?
Ach, hätte ich doch nur während meiner Schulzeit besser aufgepasst! Dann könnte ich dir vielleicht eine Antwort auf all diese Fragen geben. Allerdings, wenn ich ganz ehrlich bin, dann muss ich dir gestehen, dass ich mich in dem Unterrichtsfach Astronomie ziemlich langweilte. Vielleicht lag es am Lehrer, vielleicht lag es an mir, vielleicht lag es auch an den Lehrbüchern, die viel Text und nur wenige Bilder hatten, in Schwarzweiß, natürlich, denn die Farbfotografie und der Farbdruck waren noch zu teuer.
Doch die Sterne schickten ihre Strahlen bis in mein Kinderzimmer und heute bis auf meinen Schreibtisch. Seit Jahren war es eines meiner immerwährenden und nie vollendeten Vorhaben: Beschäftigung mit dem Leben im Himmel! Heute wüsste ich gern mehr über die Milchstraße, über Sterne, Planeten, Monde, Sonnen, Kometen, Asteroiden ... Wenn es dir auch so gehen sollte, dann wirst du besonders in diesem Jahr zahlreiche Angebote für die Beschäftigung mit dem Kosmos finden. Denn 2009 ist das Jahr der Astronomie.
Gestern schaute ich in der nahen Buchhandlung nach dem gegenwärtigen Angebot von Büchern, die sich dem Kosmos verschrieben haben. Es gibt viele. Ich habe dir hier nur einige wenige herausgesucht:

Sterne beobachten - Astronomie für Kinder

Sterne beobachten, das kannst du überall
Natürlich griff ich zuerst nach einem Sachbuch und war richtig fasziniert von den tollen Abbildungen. Das Buch "Astronomie für Kinder" wurde von dem Laien-Astronom Harry Ford geschrieben.
Das Wort "Laie" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Buchautor zwar ein leidenschaftlicher Astronom ist, dieses Fach aber nicht studiert hat. Er übt einen anderen Beruf aus. Die Astronomie betreibt er als sein Hobby nach der Arbeit. Er beobachtet die Sterne und Planeten mit einem Fernrohr, das in seinem Garten steht. Angefangen hat er mit diesen Himmelsbeobachtungen, als er ein Junge von zehn Jahren war.
Vieles von seinem Wissen, das sich Harry Ford in den vielen zurückliegenden Jahren angelesen und angeeignet hat, packte er in dieses Buch. Du hast verschiedene Möglichkeiten, es zu benutzen. Du kannst es von Anfang bis Ende hintereinander lesen. Du kannst es aber auch wie ein Lexikon benutzen und zuerst die Unterthemen lesen, die dich gerade am meisten interessieren. Um nicht auf allen Seiten danach suchen zu müssen, gibt es auf der vorletzten Seite ein alphabetisches Register, das dir hilft, die entsprechende Seite schneller zu finden.
Ganz besonders gut hat mir gefallen, dass auch Experimente von jungen Hobby-Astronomen gezeigt und so erklärt werden, dass du die Hilfsmittel selbst bauen und damit die beschriebenen experimentellen Beobachtungen alleine oder mit Freunden nachvollziehen kannst.
In diesem Buch findest du natürlich auch die Erklärung der benutzten Fachausdrücke und sogar Adressen von Planetarien in Berlin, Hamburg, Kassel, Frankfurt/Main, München, Zürich und Wien. Eine vollständige Liste von Sternwarten, die auch meist über das ganze Jahr Veranstaltungen für Kinder und manchmal auch ständige Arbeitsgemeinschaften anbieten, findest du unter www.astronomie.org/gad (GAD = German Astronomical Directory).

Harry Ford: Sterne beobachten - Astronomie für Kinder. Dorling Kindersley Verlag GmbH. Starnberg 2006.

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Sterne und Planeten

In einem anderen Sach- und Mitmachbuch laden dich Marie und Jakob zu einem gemeinsamen Besuch bei Professor Orbit ein. In dem DIN A4-Heft mit dem Titel "Sterne und Planeten" werden viele interessante Dinge erklärt, knifflige Aufgaben und Rätsel gestellt, die du auch im Familien- und Freundeskreis lösen kannst.
Wenn du dich allein mit dem Buch beschäftigen willst, dann solltest du möglichst nicht ganz unbeleckt vom Kosmos und seinen Geheimnissen sein. Einige Fragen fand ich ganz schön schwierig, auch wenn es immer farbige Lösungshilfen in den Texten gibt. Aber wenn du dich durch alle 24 Seiten durchgekämpft hast (übrigens, bevor du das Buch in die Ecke wirfst: es gibt auch eine Lösungsseite), dann weißt du ganz sicher, was ein Gasriese ist und welcher Mond wie eine Pizza aussieht.

Hildegard Müller: Sterne und Planeten. Carlsen Verlag GmbH. Hamburg 2005.

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Der geheime Schlüssel zum Universum

Aber wenn du die ganze Sache etwas langsamer und vielleicht auch poetischer angehen willst, dann empfehle ich dir zur Einstimmung in das Thema unserer himmlischen Umwelt, der Kosmologie, das Hörbuch "Der geheime Schlüssel zum Universum" von Lucy und Stephen Hawking.
Mit dem Wort Universum, das seine Wurzeln in der lateinischen Sprache hat und die Gesamtheit aller Dinge bezeichnet, ist hier das Weltall gemeint. Es ist also eine andere Benennung als Kosmos. Das Wort Weltall stellt eine Übertragung des Begriffes ins Deutsche dar.
Vielleicht hast du den Familiennamen Hawking schon einmal gehört. Stephen Hawking ist ein bekannter Astrophysiker, der im Rollstuhl sitzt und durch eine Krankheit die Fähigkeit zum Sprechen verlor, aber nicht zum Denken. Wenn er sich mit anderen Menschen unterhalten will, muss er einen Sprachcomputer benutzen. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Werke veröffentlicht. "Der geheime Schlüssel zum Universum" ist sein erstes Kinderbuch, das er gemeinsam mit seiner Tochter, einer Journalistin, verfasste.
2007 hat Rufus Beck, ein studierter Philosoph und bekannter Schauspieler, diese Geschichte als Hörbuch für die deutschen Kinder inszeniert. Er ist auch der Sprecher. Eine sehr schöne, einfühlsame Musik von Martin Stock bietet dir zwischen den Kapiteln die Zeit, über das Gehörte nachzusinnen. Es sind 300 Minuten pure und doch spannende Wissensvermittlung. Es geht vor allem um ungewöhnliche, unwahrscheinliche und doch wahrscheinlich irgendwann mögliche Abenteuer im Kosmos und auf der Erde.

Alles begann mit einem Schwein auf Abwegen.
Die unglaublichen Reisen in das Weltall unternehmen der Junge George - etwa so in deinem Alter -, der Wissenschaftler Eric und dessen Tochter Annie. Kennengelernt hatte George die beiden, als er auf der Suche nach seinem Schwein Freddy durch den Zaun in den Garten des Nachbarhauses gekrochen war. Das Schwein stand als rosiges Ferkel zu Heiligen Abend, gut verpackt in einer Kiste, vor seiner Tür. Es war ein Geschenk seiner Oma. Sein sehnlichster Wunsch war aber ein Computer gewesen. Das wollten aber seine Eltern nicht.
An dem Tag, an dem das kosmologische Abenteuer begann, hatte Freddy die offene Stalltür genutzt, sich ein Loch unter dem Zaun gebuddelt und war in den verwilderten Nachbargarten entwischt. Als George ihn endlich in der Küche der Nachbarn entdeckte, stand das Schwein mit den Vorderbeinen in einer Schüssel mit irgendeiner seltsamen lila Brühe und grunzte ihn mit lila Schnauze an. George war entsetzt. Dann tauchte ein Mädchen in einem Ballettrock auf und behauptete, Primaballerina zu sein. Natürlich glaubte George ihr das keinesfalls. Er zog Freddy endlich aus der Schüssel und wollte nur noch mit seinem Schwein das Haus verlassen.
Aber Freddy hatte seinen eigenen Kopf, raste durch mehrere Zimmer und brachte dabei einen riesigen Bücherstapel zum Einsturz. Zu allem Unglück tauchte nun auch noch der Vater von dem Mädchen auf. George stammelte wegen der Unordnung, den sein Schwein angerichtet hatte, eine Entschuldigung. Aber der Mann bedankte sich überglücklich, denn er hatte ein Buch, das er schon als verloren glaubte, durch den Bücherumsturz wieder gefunden. Und dann kam der Junge aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn er wird der Begleiter von Eric und Annie auf ihren Reisen durch Zeit und Raum mit.
Aber das alles wäre nicht ohne Cosmos möglich, diesem superintelligenten Computer. Nur er vermag es, den drei Abenteurern die Tür ins Universum zu zeigen und sie so zu öffnen, dass sie nicht nur einen Blick in den Himmel werfen, sondern mit dem Schritt über die Türschwelle in die Welt außerhalb der Erde gelangen können. Mit der Hilfe von Cosmos bereisen Eric, Annie und George das All, reiten auf Kometen, umkreisen den Planeten Saturn und beobachten ein Schwarzes Loch. Aber dann scheint alles außer Kontrolle zu geraten. Der skrupellose Wissenschaftler Reeper will die Fähigkeiten von Cosmos für seine Zwecke nutzen. Wie das ausgeht? Ja, das musst die selbst auf den vier CDs hören.
Neben dieser spannenden Geschichte gibt es ein zehnseitiges Begleitheftchen, auch Glossar genannt, das die wichtigsten astronomischen Begriffe ausführlich erklärt.

Lucy und Stephen Hawking: Der geheime Schlüssel zum Universum. Gelesen von Rufus Beck. Random House Audio. München 2007.

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Guitar-Leas Zeitreisen: Lea trifft Galileo Galilei

Schon vor zwei Jahren hatte Italien bei der UNESCO den Vorschlag eingereicht, 2009 als Jahr der Astronomie zu begehen. Im Dezember 2007 fasste dazu dann die 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen den offiziellen Beschluss. Nun ist es so, und viele Veranstaltungen rund um den Erdball werden sich mit der ältesten Naturwissenschaft befassen.
Fragst du dich vielleicht, warum Italien den Vorschlag eingereicht hat und warum ausgerechnet 2009 das Jahr der Astronomie sein sollte?
Also, ich habe mich auch gewundert, aber nur kurz. Denn als ich hörte, dass ein italienischer Mathematiker, Physiker und Philosoph 1609 das erste Mal ein Fernrohr zum Himmel richtete, erklärte sich mir beides sofort.
Dieser italienische Wissenschaftler hieß Galileo Galilei. Erfunden wurde die Technik aber nicht von ihm, sondern von einem jungen Holländer. Aber in seinem eigenen Land fand die Erfindung von Hans Lipperhey keine Anerkennung. Als Galileo dagegen von dem "holländischen Perspektivglas" hörte, war er wie elektrisiert, denn er wollte damit den Nachthimmel betrachten. Staunend fand der Professor in der italienischen Universitätsstadt Padua mit dem Fernrohr für das bloße Auge unsichtbare Berge und Krater auf dem Erdbegleiter, unserem Mond, sowie bisher nicht bekannte Sterne und sogar Monde des Planeten Jupiter.
Im selben Jahr, also auch 1609, veröffentlichte der deutsche Wissenschaftler Johannes Kepler, zu dem Zeitpunkt Kaiserlicher Hofmathematiker in Prag, ein Buch mit dem Titel "Astronomia Nova", in dem er die Grundlagen der Planetenbewegung aufzeigte.
Alles Denken der Wissenschaftler änderte sich seither, denn bis dahin meinte man, dass sich alles im Himmel um die Erde drehen würde. Heute wissen wir, dass diese Annahme falsch war. Aber welche Bedeutung diese damaligen Beobachtungen und Erkenntnissen bis in unser heutiges Leben haben werden, das konnten sich die Menschen vor 400 Jahren nicht vorstellen. Und doch wirken diese damals erkannten Naturgesetze noch heute. Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, mit welch primitiven Mitteln diese Entdeckungen gemacht wurden und wie der Alltag der Menschen damals ablief.
Wenn du auch wie ich die Lust hättest, dich mal mit Galileo Galilei unterhalten zu können, dann empfehle ich dir das Audiobook Lea trifft Galileo Galilei.
Lea, die das erste Mal in ihrem Leben mit dem Flugzeug fliegen wird, erfährt von ihrem Bruder, dass das Ferienziel der Familie nicht nur weit weg von ihrem Zuhause sein wird, sondern dass dort, wo es hingehen soll, die Uhren eine andere Zeit anzeigen würden. Dort wäre eine andere Zeitzone und das hätte mit der Sonne zu tun, erklärte Leas großer Bruder Joe, und damit, dass sich die Erde nicht nur um die Sonne, sondern auch um sich selbst drehen würde. Und dann wird es nicht nur eine Reise in eine andere Zeitzone, sondern in eine längst untergegangene Welt! Dort trifft Lea Galileo, beobachtet mit ihm den Nachthimmel und knobelt mit ihm gemeinsam an der Erddrehung.

Step Laube: Guitar-Leas Zeitreisen. Lea trifft Galileo Galilei. Komplett-Media. Grünwald bei München 2007.

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Hier will ich meine Buchtipps für heute abschließen. Vielleicht schreibst du mir mal die Fragen, die dich beschäftigen. Vielleicht könnte daraus sogar mal ein Thema bei Rossipotti werden. Denn Ideen sind wie Sterne, die uns den Weg vom 1. Januar bis zum 31. Dezember beleuchten. Das wünscht sich und euch
Helma

 

 
 © Rossipotti No. 20, April 2009