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Kulturtasche
Interview mit Christoph Biemann, Autor
und Regisseur der Maus-Sachgeschichten und Buchautor
Foto: WDR
Vita
Christoph Biemann wurde 1952 in Ludwigslust
(Mecklenburg) geboren. Vor seinem Abitur war er ein Jahr lang
in den USA. Danach studierte er von 1970 -1974 in München
und Cambridge Film und machte anschließend ein Praktikum
beim Kinder- und Jugendprogramm des Norwegischen Fernsehen und
im ARD Studio Rom und WDR-Kinderfernsehen. Von 1975 an war Biemann
freier Mitarbeiter bei den Sendungen "Hier ist Köln"
und "Die Sendung mit der Maus". Ab 1978 bis 1988 war
er bei der Flash-Filmproduktion
festangestellt und produzierte dort über 150 Filme für
die "Maus". Seit 1989 produziert er die Sachgeschichten
selbständig mit seiner Firma Delta TV. Außerdem produziert
er Industriefilme. Sei 1990 ist er nicht nur Produzent der Sachgeschichten,
sondern auch der An- und Absager der gesamten Sendung.
Christoph Biemann ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt
in Köln.
Foto: WDR
Kulturtasche: Lieber Herr Biemann, Sie sind seit 37 Jahren einer
der wichtigsten Mitarbeiter der "Sendung mit der Maus"
und damit wahrscheinlich auch einer der größten Fans
des Sendeformats. Wie hat es die Maus geschafft, dass Sie so lange
bei ihr geblieben sind?
Die Maus ernährt mich nicht nur, sie macht mir auch Spaß.
Denn immer wieder muss ich mich in neue Themen hineindenken, darf,
ja muss sogar neugierig sein, kann meinen Spieltrieb ausleben. Dass
ich das so lange in einer Sendung tun kann, die immer weiter entwickelt
wird, ist ein absoluter Glücksfall. Einmalig in der Fernsehlandschaft.
Die Sendung mit der Maus ist eine Wissenssendung für Kinder.
Was ist eigentlich wissenswert?
Was wert ist, gewusst zu werden, müssen wir bei der Maus Gott
sei Dank nicht entscheiden. Wir wollen unsere Zuschauer nämlich
unterhalten und nicht belehren. Wenn jemand etwas weiß, das
er vor ein paar Minuten nicht gewusst hat, macht das Spaß
und Lust. Und wenn man sich nicht nur unterhalten, sondern auch
noch bereichert fühlt, umso besser.
In den Sachgeschichten der Maus wird vor allem erklärt,
wie Maschinen oder technische Abläufe funktionieren. Warum
gibt es keine Sachgeschichten über literarische oder philosophische
Fragestellungen?
In der Sendung mit der Maus gibt es ja nicht nur die Sachgeschichten,
sondern auch Bildergeschichten und Lieder. Da geht es oft um Themen
wie Liebe, Tod, den Sinn des Lebens. Auch Gedichte von Jandl bis
Goethe wurden als Bildergeschichten gezeigt.
Entscheiden Sie mit, welche Bildergeschichten gezeigt werden
oder sind Sie "nur" für die Sachgeschichten verantwortlich?
Natürlich schaue ich jeden Sonntag die "Maus" und
spreche mit den Kollegen über die Sendung. Aber zuständig
bin ich nur für meine Sachgeschichten.
Ein Gesamtkonzept für die Sendung gibt es nicht. Eine hohe
Latte, was die Qualität angeht, schon. Es ist einfach sehr
schwierig zu erklären, was "mauslike" ist und was
nicht. Aber die Zuschauer wissen es ganz genau und merken, wenn
ein Beitrag nicht so richtig in die Sendung passt.
Wer entscheidet denn dann, welche Bildergeschichten zwischen
den Sachgeschichten gezeigt werden?
Die Sendung wird in der WDR-Redaktion zusammengestellt. Da wird
dann entschieden, welche Sachgeschichte zu welcher Lachgeschichte
passt. Dabei spielen viele Gesichtspunkte eine Rolle. Die Längen
zum Beispiel, oder ob die Filme in die Jahreszeit passen.
Zurück zu den Sachgeschichten: Was ist Ihnen an der Wissensvermittlung
besonders wichtig?
Eigentlich nur eines: Es lohnt sich, neugierig zu sein. Es bringt
Spaß und Freude, Augen und Ohren und alle anderen Sinne zu
öffnen. Man kommt auch gut durchs Leben, ohne zu wissen, wie
ein Ball gemacht wird. Aber zu ahnen, dass hinter dem Ball eine
Geschichte stecken kann, Geheimnisse und Tricks, Menschen, die ihn
herstellen, das ist wichtig.
Fühlen Sie sich als ein Erzähler von Geschichten?
Tatsächlich bin ich etwa 60% der Zeit, in der ich Sachgeschichten
produziere, Autor und recherchiere, denke nach, wie man Geschichten
erzählen kann. 20 % bin ich Regisseur, wobei ich natürlich
weniger Zeit brauche, weil ich mir den Film ja schon als Autor ausgedacht
hatte.
Mit den Dingen, die ein Produzent tun muss, z.B. sich um Geld kümmern,
bin ich noch einmal 25% meiner Zeit beschäftigt. Eigentlich
bräuchte ich weniger als 5% meiner Zeit als Darsteller. Aber
zum Beispiel dieses Interview gebe ich sicher nur, weil man mich
vom Bildschirm her kennt.
Aber mir helfen auch einige wichtige Menschen: Meine Frau, die auch
Autorin und Regisseurin ist, die Cutterin, die auch recherchiert
und organisiert, der Kameramann und etliche, die ab und an bei den
Dreharbeiten helfen. Und natürlich all die, die uns ihre Türen
öffnen und unsere Neugierde ertragen.
Bei Armin Maiwald ist es übrigens ganz ähnlich wie bei
mir. Ralph Caspers steht mehr vor der Kamera. Vor allem bei seiner
Sendung "Wissen macht Ah", wo er auch als Autor prägend
ist.
Illustration: Lotta (7 Jahre)
Was gefällt Ihnen an der Arbeit besonders, was weniger?
Meine Arbeit macht mir einfach Spaß. Mit allem, was dazu
gehört.
Warum sprechen Sie nicht während eines Films?
Ach, im Fernsehen wird so viel geredet.
Kam es schon vor, dass sich eine Erklärung später
als falsch herausgestellt hat?
Ja, das gibt es, selten zwar, aber es kommt vor. Manchmal ist das
Rechercheergebnis einfach zu platt, wie zum Beispiel auf die Frage
"Warum spucken Fußballer?"
Das machen die eben, ohne besonderen Grund. Das ist dann keine Geschichte.
Manche Sachen sind einfach schwer zu erklären. Wenn man zum
Beispiel erklären will, wie Klebstoff funktioniert, und zwar
so gründlich, wie man das von der "Maus" gewohnt
ist, dann kommt man in die Welt der Moleküle, in der man nichts
mehr sehen kann und die sehr unsinnlich ist. Auch Fehler kommen
natürlich vor. Neulich habe ich einen Radlader als Raupe bezeichnet.
Da kam vielleicht Post ...
Illustration: Lotta (7 Jahre)
Woher
wissen Sie, dass eine Idee so spannend ist, dass es außer
Ihnen und Ihren Mitarbeitern auch viele andere interessiert?
Wenn ich auf eine Sache neugierig bin, kann ich meistens einen
guten Film darüber machen. Ich brauche nur meine Spannung auf
den Film zu übertragen, ganz einfach. Eigentlich mache ich
die Filme für mich und meine Freunde und freue mich, wenn Millionen
auch Spaß daran haben.
Interessieren sich eher Jungen oder Mädchen für die
Maus?
Auf jeden Fall schreiben mehr Mädchen der Maus. Aber ich glaube
unter den Zuschauern sind auch viele Jungen. Bei manchen Themen,
zum Beispiel, wenn es um Containerschiffe und Riesenkräne geht,
denken wir, das ist mehr was für die Jungs. Eine Geschichte
wie "warum malen wir das Herz anders als es im Körper
aussieht" wird vielleicht eher was für Mädchen sein.
Aber wir wissen das nicht wirklich.
Die Maus gibt es seit 1971. Sie sind also fast von Anfang an
dabei. Was hat sich in den vielen Jahren verändert?
Vor
zwanzig Jahren haben mich Kolleginnen von der BBC angesprochen,
die meinten, die Maus sei ja zwar eine typisch deutsche, sehr rechtschaffende
Sendung, aber ja wohl doch schon etwas altmodisch. Tatsächlich
hat es nie eine Komplettrenovierung der Sendung gegeben. Denn alle
Veränderungen sind leise, Stück für Stück geschehen.
Das liegt daran, dass unsere Zuschauer sehr konservativ sind. Sie
wollen das finden, was sie von der "Maus" erwarten. Dazu
gehört auch, überrascht zu werden. Trotzdem: Wenn wir
heute alte Sendung anschauen, sind die schon sehr langsam und wirklich
aus der Vergangenheit.
Übrigens: Die Sendungen der BBC von damals gibt es alle nicht
mehr.
Wie kam es zu dem Sendeformat "Frag doch mal die Maus"?
War das die Idee der Maus-Macher oder völlig unabhängig
davon?
Vor vier Jahren haben wir im Sommer eine Aktion gestartet: "Frag
doch mal die Maus", in der wir um Fragen an die Maus gebeten
haben. Daraufhin kamen über 70.000 Fragen, mehr als 60% nur
ein Mal gestellt. Ein wahrer Schatz, auf den auch die Unterhaltungsabteilung
aufmerksam wurde. Daraus wurde dann eine Samstagabendshow für
die ganze Familie, in diesem Jahr dreimal auf dem Bildschirm.
Vor ein paar Jahren haben Sie mit großem Erfolg das Buch
"Christophs Experimente" veröffentlicht. Erscheint
bald ein neues Buch von Ihnen?
Ja, ich schreibe gerade an einem Buch über Entdecker, das
wahrscheinlich im Herbst die Bestsellerlisten erobern wird.
Zum Schluss noch eine Frage von einer siebenjährigen Rossipotti-Leserin,
die die einmalige Gelegenheit, von Christoph vielleicht etwas erklärt
zu bekommen, nicht verstreichen lassen wollte: "Warum gibt
es das Universum?"
Bitte grüßen Sie die Leserin herzlich von mir und sagen
ihr, dass es Fragen gibt, die selbst der Christoph von der Maus
nicht beantworten kann.
Lieber Herr Biemann, wir wünschen Ihnen weiterhin viel
Spaß mit der Maus und beim Entdecken toller Geschichten! Vielen
Dank für das Gespräch!
Illustration: Caroline (9 Jahre)
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