[Diese
Seite drucken]
Rossipottis Leibspeise
und andere Lieblingsbücher
Rossipottis Leibspeise
Lieblingsbuch
vorgestellt von Helma Hörath
* * *
treffpunkt tatort: der einzelgänger
"Wir müssen sofort den 'einzelgänger' von K.P. Wolf
vorstellen."
Rossipotti hält ein knallgrünes Buch mit gelbem Rücken
in der Hand. "Los schreib auf: Ein Junge stürzt sich vom
Schuldach und seine Mitschüler schauen tatenlos dabei zu ..."
"Warum die Hektik?" unterbreche ich Rossipotti. "War
das Buch so gut?"
"Hä?" macht Rossipotti. "Wenn wir nicht gleich
loslegen, vergesse ich den Inhalt."
"Dann war der Krimi also extrem langweilig?"
"Seit wann stellen wir hier langweilig Bücher vor?"
fragt Rossipotti ungeduldig. "Ich kann mir Krimis generell
nicht merken! Wozu auch? Krimis sollen mich im Augenblick unterhalten
und danach in Ruhe lassen."
"Das funktioniert doch nur bei belanglosen Texten!" beharre
ich. "Gute Krimis gehen unter die Haut und stoßen dir
auch noch am nächsten Tag auf."
"Ach, das meinst du!" sagt Rossipotti. "Aber der
Magensaft reicht doch nicht bis zum Kopf! Warum sollte ich mir auch
merken, welcher Mörder welches Opfer umbringt? Und was bringt
es mir für mich persönlich, wenn ich weiß, welche
Indizien der Kommissar gesammelt hat, um den Mörder zu überführen?
Nichts! Ich merke mir bei Büchern grundsätzlich nur das,
was mich in meinem persönlichen Leben inspiriert oder mich
um Erfahrungen reicher macht."
"Es könnte dich auch erfahrener machen, zu sehen, wie
Kinder dabei zusehen, wie ihr Klassenkamerad vom Dach stürzt."
"Theoretisch schon", gibt Rossipotti zu. "Aber praktisch
nicht. Wann komme ich selbst schon mal in so eine Situation? Das
ist reines Gedankenspiel, das hat nichts mit mir zu tun."
"Mit dir vielleicht nicht", gebe ich zu Bedenken. "Aber
mit anderen schon."
"Gut möglich", sagt Rossipotti. "Das ist auch
einer der Gründe, warum ich das Buch ausgesucht habe. Außerdem
wollte ich unbedingt eine Krimi-Reihe für Kinder vorstellen.
Reihen haben den Vorteil, dass man sich immer wieder in die gleiche
Umgebung beamen kann. Aber leider sind die meisten Krimi-Reihen
zu billig, zu bekannt oder haben eben gar nichts mit dem Erleben
der Kinder zu tun."
"Und 'der einzelgänger' ist weder billig noch bekannt?"
"Nich zu billig, nicht zu bekannt", formuliert
Rossipotti vorsichtig. "Ich würde sagen, er ist handwerklich
solide gestrickt und einigermaßen spannend."
"Das ist alles?"
"Na und?" sagt Rossipotti. "Den 'Tatort' schauen
sich doch auch jeden Sonntag einige Millionen Leute an. 'treffpunkt
tatort' ist dasselbe für Kinder und Jugendliche. Aber jetzt
möchte ich endlich anfangen! Ich weiß ja jetzt schon
nicht mehr, wie der Junge hieß, der sich vom Dach gestürzt
hat."
"Kai Lichte", lese ich vom Klappentext des Buchs ab.
"Und die Mitschüler Jan, Doro, Tim und Lina nehmen anscheinend
die Ermittlungen auf."
"Ja, ich erinnere mich!" sagt Rossipotti und runzelt
die Stirn. "Also: Schreib auf: Nachdem Jan, Doro, Tim und Lina
bei Kais Sturz tatenlos zugesehen haben, packt sie das schlechte
Gewissen und sie ermitteln gegen den Willen der Polizei auf eigene
Faust. Stürzte sich Kai selbst vom Dach oder wurde er von jemandem
anderen gestoßen? Zwar ist Kai ein Einzelgänger, aber
bringt man sich deshalb gleich um? Noch während die Kinder
dem Verbrechen auf der Spur sind, wird Tim plötzlich selbst
der Tat verdächtigt! Von einer Sekunde zur nächsten ändert
sich das Blatt und ..."
"Und?" frage ich, nachdem Rossipotti mitten im Satz aufhört.
"Und du", fährt Rossipotti fort, "hast anscheinend
noch nie gehört, dass Krimis langweilig werden, wenn man ihren
Ausgang schon kennt?"
K.P. Wolf: treffpunkt tatort: der einzelgänger.
arsEdition GmbH. München 2007.
* * *
Fletcher Moon
"Bernstein sagt: Niemand ist je auf Grund von Vermutungen
veruteilt worden."
"Schön wär's", sage ich. "Aber leider
ist das nur idealistisches Geschwätz!"
"Von wegen!" sagt Rossipotti und klappert wichtig mit
den Augendeckeln. "Bob Bernstein, der legendäre FBI-Agent,
ist durch und durch Realist! Und dann wurde er auch noch
Privatdetektiv und gründete in Washington die Bernstein-Akademie,
um angehende Detektive in dem knallharten Gewerbe auszubilden ..."
"In deinem Buch vielleicht!" kontere ich. "Aber
in echt sind schon viel zu viele Menschen nur auf Grund von Vermutungen
verurteilt worden!"
"Ach, wer denn?" fragt Rossipotti angriffslustig. Offensichtlich
empfindet er große Sympathie für seinen fiktiven FBI-Agenten
und Privatdetektiv.
"Zum Beispiel alle Verurteilten im 18. Jahrhundert",
sage ich etwas pauschal und klopfe mit meiner Schwanzflosse auf
ein vergilbtes, sehr zerfleddertes, in braunes Papier eingebundenes
Buch mit dem Titel Merkwürdige Kriminal-Rechtsfälle.
"Damals war man nämlich der Auffassung, dass man Verbrechen
nie mit mathematischer Genauigkeit nachweisen könne. Also waren
alle Angeklagten nur wahrscheinlich oder vermutlich
Täter eines Verbrechens, aber nicht sicher!"
"Das ist doch alter Kaffee!" wiegelt Rossipotti ab. "Heute
hat man einen ganz anderen Leitspruch: 'Im Zweifel für den
Angeklagten'. Der Rest muss eindeutig bewiesen werden."
"Interessant", sage ich. "Und was sagst du dann
zum Beispiel zur kürzlich eingeführten Vorbeugehaft?"
"Pah!" macht Rossipotti. "Muskelspiele des Innenministers!
Mit dem müsste Bernstein nur mal ein ernstes Wörtchen
reden!"
"Klar, Bernstein! Wie konnte ich ihn nur vergessen",
sage ich mit ironischem Unterton. "Was aber, wenn er gerade
dienstlich verhindert ist?"
"Dann muss man eben eine andere Ermittlerregel Bernsteins
beherzigen: Bleib unsichtbar. Setz die Puzzleteile zusammen,
aber werde nie selbst ein Teil des Puzzles."
"Klingt gut!" sage ich und bin wirklich ein wenig beeindruckt.
"Ich werde es gleich einmal versuchen."
Ich drücke auf einen versteckten Knopf in meinem Bilderrahmen.
Fast lautlos öffnet sich die Tapeten-Tür in der Wand und
in wenigen Sekunden bin ich auf der andreren Seite verschwunden.
"Halt!" ruft Rossipotti mir nach. "Hiergeblieben!
Ich habe dir doch noch gar nicht alles über Bernstein und Fletcher
Moon erzählt!"
Aber der Fisch bleibt verschwunden. Man hört nur noch einen
leisen Dreiklang, dann ist alles ruhig.
"Seltsam!" sagt Rossipotti, als seine Leibspeise auch
nach fünf Minuten nicht wieder gekommen ist. "Ich hätte
ihm gar nicht so viel Zivilcourage zugetraut. Egal, dann stelle
ich Eoin Colfers Detektivroman "Fletcher Moon" eben alleine
vor. Das mache ich ausnahmsweise sogar einmal gerne."
Rossipotti setzt sich vor den Laptop seiner Leispeise und tippt
mit konzentriertem Blick auf die Tastatur in seinen Computer:
"Bob Bernstein, FBI-Agent und Gründer der Detektiv-Akademie
ist zwar ein genialer Kopf, doch nichts gegen seinen ehemaligen
Schüler, den zwölfjährigen Fletcher Moon, stolzen
Besitzer der Akademie-Dienstmarke. Fletcher Moon knackt jeden Fall,
kennt jeden Trick und ist sich nicht zu schade, mit Gangstern und
hartgekochten Verbrechern zu kooperieren. Mit dem allgemeingefährlichen
Red verschafft er sich Zugang zur ortsansässigen Mafia, entlarvt
ihre grausamen Machenschaften und entdeckt, dass die eigentlichen
Verbrechen im Zentrum der Macht zu finden sind. Mit Red zusammen,
der ihm durch die Ermittlungen zum treuen Freund wird, will er in
Zukunft mit einem gemeinsamen Detektivbüro gegen Unterdrückung
und für Gerechtigkeit kämpfen ..."
Rossipotti grunzt zufrieden und liest, was er bis dahin geschrieben
hat.
Doch, was ist das?
Der Text, den er jetzt auf seinem Bildschirm liest, hat fast nichts
mehr mit dem zu tun, den er eben geschrieben hat. Statt Fletcher
Moon, ist da plötzlich von einem schmächtigen Jungen namens
"Halfmoon" die Rede. Und anstatt Verbrecher zu jagen,
kümmert sich Fletcher, alias Halfmoon, nur noch um geplünderte
Frühstücksdosen, Hausaufgabenfälscher und geklaute
Lollis!
Die größte Frechheit ist aber der Satz, der behauptet,
dass sich Fletcher mit dämlichen Barbies und gestohlenen Mädchen-Locken
abgeben soll:
"Seinen bisher ersten großen Fall
bekommt Halfmoon von April Devereux, der Ober-Barbie aus der Highscool.
Angeblich hat ihr jemand die stinkteure Locke ihres Liebling-Popstars
Shona Biederbeck gestohlen ..."
Rossipotti will schon den ganzen fremden Text markieren und auf
"entfernen" drücken, als sich vor seinen Augen wie
von Geisterhand geschrieben weiter ein Satz nach dem anderen aufbaut.
Gebannt starrt Rossipotti auf den Schirm:
"... Fletcher
will diesen lächerlichen Auftrag ablehnen, doch Shona überzeugt
ihn, dass es nicht nur um die Locke, sondern um die Überführung
eines kriminiellen Hehlerrings geht. Fletcher stimmt zu und steckt
bald bis zum Hals in Schwierigkeiten. Er wird hinterrücks mit
einem Baseball-Schläger niedergeschlagen, seine Eltern verbieten
ihm, weiter an dem Fall zu arbeiten, er wird beschuldigt, bei den
Devereuxs ein Feuer gelegt zu haben und die Rektorin der Schule
ist sich sicher, dass Fletcher endgültig auf die schiefe Bahn
geraten ist. Wäre da nicht Red Sharkey aus der berüchtigten
Kriminellen-Familie, für Fletcher würde es ziemlich schlecht
aussehen ..."
Rossipotti ist so in das Lesen des Textes vertieft, dass er vor
Schreck fast vom Stuhl fällt, als ihm jemand von hinten mit
einer kalten Flosse auf den Kopf klatscht.
"Und wie war mein Einsatz?" fragt der Fisch stolz. "War
ich nicht ein toller unsichtbarer Text-Puzzle-Hacker?"
Eoin Colfer: Fletcher Moon. Aus dem Englischen
von Catrin Fischer. Carlsen Verlag. Hamburg 2006.
* * *
Kiki Strike
"Mach das nie wieder!" schnaubt Rossipotti und funkelt
wütend mit den Augen. "Wusstest du nicht, dass man an
Schock sterben kann?"
"Ach, ein bisschen sollte man schon aushalten können,
wenn man von morgens bis abends Krimis liest!" sage ich überzeugt.
Der kleine Klatscher auf den Hinterkopf schadet Rossipotti sicher
nichts. Außerdem freue ich mich, dass ich Rossipotti mit meiner
Computer-Hacker-Aktion beeindrucken konnte. Auch wenn er es nie
zugeben würde.
"Einen Krimi zu lesen ist etwas ganz anderes, als in einem
Krimi zu sein!"
"Wirklich?" ziehe ich ihn auf. "Nein im Ernst: Ich
würde gerne mal in einem mitspielen."
"Als Opfer?" fragt Rossipotti und leckt sich das Maul.
"Quatsch!" sage ich, "als eine der Detektivinnen
bei Kiki Strike. Vorhin hinter der Tapetentür habe ich gedacht,
wie aufregend es wäre, jetzt zu Kiki Strike, Luz Lopez und
den anderen unter New York in die Schattenstadt zu klettern. Aber
unser Keller endet ja leider nur in der Gerümpelkammer, anstatt
mit Falltüren in eine unterirdische Stadt zu führen."
"Und du würdest in dem Roman wahrscheinlich die Ich-Erzählerin
Ananka Fishbein abgeben?" lästert Rossipotti. "Ich
kann es mir prima vorstellen: Mit Designer-Brille und einer schicken
Frisur würdest du bald schon alle Mitschüler beeindrucken.
Nur würdest du leider bei der ersten Monsterratte, die dir
da unten begenet, das Weite suchen."
"Nicht wenn ich den erstklassigen Anzug von Betty Bent anhätte
und den Rattenschreck von Ananka Fishbeins Urgroßvater!"
"Und was würdest du da unten überhaupt wollen?"
fragt Rossipott. "Besonders spannend war es da wirklich nicht.
Ein paar alte Salons und Lagerhäuser. Das kannst du auch hier
oben haben."
"Du vergisst die Skelette und den Schatz."
"Der mittlerweile gehoben ist."
"Spielverderber!"
"Aufschneider!"
"Langweiler!"
"Lügner!"
"Im Gegensatz zu dir weiß ich wenigstens, was mich hier
hinter der Tapetentür erwartet, du traust dich ja nicht einmal
einen Meter ins Dunkel."
"Dass ich nicht lache!" sagt Rossipotti. "Ich gehe
dort nur nicht hin, weil ich diese mickrigen Ratten nicht erschrecken
will. Was denkst du, wie viele ich mit einem einzigen Schwanzschlag
erwischen würde?"
"Trotzdem!" sage ich. "Dir hat das Buch doch auch
gefallen! Immerhin hast du es in einem Satz durchgelesen."
"Es war nicht schlecht", lenkt Rossipotti ein. "Vor
allem war es mal etwas ganz anderes. Mir hat vor allem die comicartige
Beschreibung der Szenen und Personen gefallen. Man merkt, dass die
Autorin in einer Werbeagentur arbeitet und das bringt mal einen
frischen Wind in die verstaubte Buchwelt. Von der unterirdischen
Schattenstadt und den Verwicklungen mit der Gangster-Welt New Yorks
habe ich mir allerdings mehr versprochen."
"Aber die zwölfjährige Kiki Strike mit ihren eisblauen
Augen und weißen Haaren war doch klasse?"
"Geht so", sagt Rossipotti. "Zuerst wurde ein großes
Geheimnis um sie aufgebaut, um dann am Schluss mit irgendeiner belanglosen
Erklärung daherzukommen. Mich zumindest hat die Auflösung
nicht vom Hocker gerissen."
"Angeber!"
"Banause!"
"Verräter!"
"..."
Kirsten Miller: Kiki Strike. Die Schattenstadt.
Bloomsbury. Berlin 2006.
* * *
Der Unsichtbare
"Jetzt brauchen wir mal einen richtig guten Thriller",
sagt Rossipotti und reibt sich vor Vorfreude die Hände. "Einen,
der von Anfang bis Ende spannend bleibt. Einer, bei dem man nicht
weiß, wo man steht, und bei dem man mit dem gefährdeten
Opfer bis zum Schluss mitzittert."
"Mats Wahl", sage ich. "Du brauchst
Mats Wahl."
"Ziemlich gut", nickt Rossipotti. "Aber
was ist zum Beispiel mit Monika Feth oder Ulrike Bliefert? Deren
Bücher sollen doch auch so spannend sein."
"Was?!" sage ich erstaunt. "Die Bücher
sind langatmig, zum Teil abgekupfert, außerdem durchschaubar,
klischeehaft, brigittehaft, suche dir ein Adjektiv davon aus."
"Also das Gegenteil von Mats Wahl?"
"Wenn du mal außer acht lässt, dass
seine Bücher stark an Henning Mankell erinnern, ja!" sage
ich.
"Dann lass uns seinen ersten Jugendkrimi 'Der
Unsichtbare' vorstellen", entscheidet Rossipotti. "Der
fängt gleich so irritierend gut an, dass einem schwindlig werden
kann."
"Du meinst jenen 'ersten Tag im Mai, als Hilmer
Eriksson entdeckte, dass er unsichtbar geworden war'?"
Rossipotti nickt.
"Ich habe tatsächlich auch einige Zeit gebraucht,
bis ich verstanden habe, auf welche Weise Hilmer unsichtbar geworden
ist", sage ich.
"Geradezu unheimlich", sagt Rossipotti.
"So etwas habe ich noch nie zuvor in einem Krimi gelesen. Aber
gerade, weil man bis zum Schluss nicht weiß, woran man mit
dem Unsichtbaren eigentlich ist, und ob es Hoffnung für das
Opfer gibt, ist das Buch ja so spannend."
"Willst du nicht endlich die Katze aus dem Sack
lassen und sagen, was es mit dem Unsichtbaren auf sich hat?"
"Auf keinen Fall!" sagt Rossipotti. "Wir
können höchstens noch verraten, dass es in dem Buch außerdem
um Freundschaft, Solidarität und eine rechtsradikale Szene
geht, die von der Gemeinde und dem Schuldirektor fast bis zum Schluss
unter den Teppich gekehrt wird."
"Und um Kommissar Fors, der noch in einigen anderen
Krimis von Mats Wahl komplizierte Fälle löst."
"Von mir aus: Und um Kommissar Fors, der noch
in einigen anderen Krimis von Mats Wahl komplizierte Fälle
löst."
Mats Wahl: Der Unsichtbare. Aus
dem Schwedischen von Angelika Kutsch. Deutscher Taschenbuch Verlag.
München 2003.
* * *
Detektiv John Chatterton
"Wie wäre es zum Schluss mit einem Titel für die
jüngeren Leser?" fragt Rossipotti. "Vielleicht gibt
es ja einige, die schon mit sieben Jahren das Gruseln lernen wollen?"
"Denkst du an Kalle Blomquist?" frage ich. "In Ordnung.
Die Bücher sind zwar etwas altmodisch, und die beiden verfeindeten
Kinderbanden haben aus heutiger Sicht einen merkwürdigen Ehrenkodex,
aber die Trilogie ist sehr spannend. Und Astrid Lindgren ist immer
gut."
"Vor allem der zweite Band hat es in sich", meint Rossipotti.
"Als Lotta alleine mit dem Mörder in dem verfallenen Haus
ist, hat sogar mir der Atem gestockt. Aber erzählen wir den
Kindern wirklich etwas Neues, wenn wir über Kalle Blomquist
reden?"
Ich zucke mit den Schultern und schlage dann einen der vielen Rätselkrimis
vor.
"Rätselkrimis sind zwar schön und gut", sagt
Rossipotti, "aber wir kämen doch auch nicht auf die Idee,
Sudoku-Bücher vorzustellen? Nein, ich glaube, ich habe da eine
bessere Idee."
Rossipotti steht auf und geht zu einem der unübersichtlichen
Bücherhaufen in der Ecke, in der er offensichtlich seine Krimis,
Thriller und Detektivgeschichten sammelt. Er wühlt ein bisschen
in dem Haufen und sagt dann:
"Bei den Unmengen von Krimibüchern, die es gibt, sieht
man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Und deshalb lasse ich
jetzt den Zufall entscheiden, welches Buch wir als letztes vorstellen."
Rossipotti schließt die Augen und zieht dann das Buch "Franz
Ratte taucht unter" aus dem Stapel.
"Oh", sagt Rossipotti. "Ich habe mich wohl vergriffen.
Bei dem Buch bin ich keine zwanzig Seiten weit gekommen."
Rossipotti legt das Buch zurück und greift nochmals hinein.
"'Salamander im Netz' von Elisabeth Honey", stellt Rossipotti
fest, als er die Augen öffnet. "Nicht schlecht, durchaus
lesenswert. Aber irgendwie habe ich mir etwas anderes erwartet.
Etwas Einmaligeres, Frischeres, Witzigeres. Etwas, das nicht nur
die jüngeren Leser vom Hocker reißt, sondern das man
immer lesen kann."
Er legt das Buch zurück und wühlt jetzt mit geschlossenen
Augen am unteren Ende des Haufens. Wenn ich es von meinem Platz
richtig sehe, blinzelt Rossipotti immer wieder ein wenig.
Er wühlt auffallend lange, doch endlich fischt er ein schmales
DIN A5 Bändchen im Querformat aus dem Haufen. Auf dem Umschlag
sieht man einen comicartig gezeichneten schwarzen Kater mit Schlips
und Trenchcoat, der mit entsetzten Augen auf eine rote Kindersandalette
starrt.
"Wow!" ruft Rossipotti erregt. "Das kann kein Zufall,
das muss Schicksal sein! Sieh mal, was ich hier herausgezogen habe:
'Detektiv John Chatterton' von Yvan Pommaux. Genau das, was ich
gesucht habe! Nach den ganzen Krimis ist das endlich mal eine richtige
Detektivgeschichte! Eine Geschichte, in der der coole Kater John
Chatterton wie Philipp Marlowe eins und eins zusammen zählt
und der bezaubernden Madame aus gutem Hause ihr geraubtes Töchterchen
wieder bringt ..."
"Ich denke, man soll nie den Schluss eines Krimis verraten?"
weise ich Rossipotti auf seinen Fauxpas hin.
"Ach was!" sagt Rossipotti. "In diesem Buch geht
es doch nicht um den Schluss des Buchs. Spätestens seit Rotkäppchen
weiß man, dass die Geschichten mit dem roten Mädchen
gut ausgeht. Hier geht es um die tollen Zeichnungen, die knappen
Szenen mit ihren unerwarteten Perspektiven und die Zitate aus Film-
und Märchenwelt."
"Und was ist das wirklich Herausragende daran?" bohre
ich weiter.
Rossipotti sieht mich befremdet an. Dann grinst er:
"Dass ich die Bilder auch nach fünf Jahren noch nicht
vergessen habe!"
Yvan Pommaux: Detektiv John Chatterfield. Moritz
Verlag. Frankfurt am Main 1994.
* * *
Lieblingsbuch
vorgestellt von Helma Hörath
Nick Nase & Co
Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber wenn
ich an Kriminal- oder Detektivgeschichten denke, dann fällt
mir sofort Emil ein und wie er mit Hilfe von Berliner Kindern
den Dieb seines Geldes nicht nur in die Enge trieb, sondern ihn
auch noch beweiskräftig überführte. So konnte,
nein, so musste die Polizei den Mann verhaften. Emil bekam sein
Geld zurück und wurde zum Held des Tages und des Kinderbuches
von Erich Kästner.
"Emil und die Detektive", "Kalle Blomquist"
von Astrid Lindgren, "Kommt ein Löwe geflogen"
von Max Kruse und "Detektiv Pinky" von Gert Prokop -
um nur einige Titel aus dem ständig großen Angebot
von Büchern dieser Thematik im Handel zu nennen - gehören
schon lange zu den Kinderliteraturklassikern.
Als Klassiker bezeichnet man Bücher, die nicht nur in der
Erinnerung Einzelner leben, sondern die immer wieder von den Verlagen
herausgebracht werden müssen, weil eine Generation nach der
anderen gerade diese Geschichte neu entdeckt. Es gibt Bücher
und Schriftsteller, die in einer bestimmten Zeit sehr bekannt
oder sogar berühmt sind, weil sie das darstellen, was die
Menschen gerade erleben, weil sie genau das sagen, was die Menschen
in dem Jahrzehnt, in dem Jahrhundert denken und fühlen bzw.
weil sie den Geschmack aufgreifen, der gerade modern ist. Aber
durch die Veränderungen des täglichen Lebens stirbt
mit dem Autoren das öffentliche Interesse an diesen Werken.
Sie geraten in Vergessenheit und sind manchmal nur noch den Literaturwissenschaftlern
und den Sammlern von Kinderbüchern ein Begriff. Klassiker
aber sind immer aktuell. Sie sind zeitlos. Sie werden rund um
den Erdball unabhängig von Zeit und Ort immer von Kindern
und Erwachsenen gelesen.
Nick und seine Fälle
In die Reihe der Kinderbuchklassiker kann auch Nick
Nase eingeordnet werden. Bereits 1978 wurde Nick von seiner amerikanischen
Schöpferin Marjorie Weinman Sharmat auf die Saurierspur geschickt.
"Ich bin Nick Nase, der berühmte Detektiv. Mein Hund
heißt Schnuffel und ist auch Detektiv." So oder ähnlich
beginnt Nick jeden Bericht über seinen letzten Fall. Und
damit weißt du natürlich gleich, dass es vor diesem
letzten einen vorletzten, einen vorvorletzten, eben viele Fälle
davor gegeben haben muss. So zum Beispiel: "Nick Nase stellt
eine Falle", "Nick Nase und die verschwundene Weihnachtskarte".
Ich empfehle dir heute die CD "Nick Nase und die Geister".
Besonders gefällt mir, dass alle Kinderfiguren auch von Kindern
gesprochen werden. Du kannst dir diese CD gemeinsam mit deinen
jüngeren Geschwistern anhören, denn die Geschichten
von Nick sind für Kinder ab 5 Jahren geeignet. Ach, rümpf
deswegen nicht die Nase! Du kannst ja versuchen, die Lösung
vor Nick zu finden.
Übrigens, ist dir schon einmal aufgefallen, dass oftmals
unser Riechorgan, die Nase, herangezogen wird, wenn knifflige
und geheimnisvolle Rätsel gelöst werden müssen?
Bei Nick Nase verstehen wir mit seinem Namen sofort, dass das
ein kluger, pfiffiger Junge sein muss. Wahrscheinlich sind wir
Menschen so beeindruckt davon, dass viele Tiere eine Spur mit
der Nase finden können. Und mit dieser Witterung in ihrer
Nase verfolgen sie die richtige Spur bis sie ihre Beute stellen
können. Mit solch einem besonderen Spürsinn ausgerüstet,
ist meist auch ein guter Detektiv oder eine gute Kommissarin.
Tiere spielen als Begleiter der Kinderdetektive eine sehr wichtige
Rolle. Sie sind ihre Gefährten und sie helfen den Kindern,
indem sie sie manchmal sozusagen mit der Nase auf eine Sache stoßen.
|
Marjorie Weinman Sharmat:
Nick Nase und die Geister. Igel Records. Dortmund 2005.
|
* * *
Kommt ein Löwe geflogen
Der Löwe Totokatapi und seine Freunde fliegen
auf einem fliegenden Teppich in die kleine Stadt Irgendwo. Dort
hat Totokatapi ein Kaufhaus geerbt. Aber Mister Knister hat ihn
übers Ohr gehauen, sich das Erbe unter den Nagel gerissen
und hat finstere Pläne ausgeheckt ...
Auch dieses Buch ist etwas für die ganze Familie. Deine Eltern
werden sich an ihre Kinderlesezeit und die Augsburger Puppenkiste
mit den liebenswerten Verfilmungen der Löwe-Geschichten von
Max Kruse erinnern. Deine kleineren Geschwister können schmökern.
Du allerdings kannst dich an den Computer setzen und die zum Buch
gehörende CD-Rom erkunden.
|
Max Kruse: Kommt ein
Löwe geflogen. Mit Bildern von Horst Lemke. Thienemann
Verlag. Stuttgart 1995.
|
* * *
Detektiv Pinky
Bei der Durchsicht der zahlreichen Krimis für
Kinder stellte ich fest, dass viele in England oder in den USA
spielen. Warum das so ist? Ich weiß es nicht. Vielleicht
klingen die englischen Namen interessanter als die deutschen,
vielleicht lässt sich durch die andere Umgebung ein besseres
Spannungsfeld aufbauen ... Vielleicht aber hängt es auch
damit zusammen, dass die allererste richtige Kriminalgeschichte
der Weltliteratur von dem amerikanischen Schriftsteller Edgar
Allan Poe geschrieben wurde. Es ist "Der Mord in der Rue
Morgue".
Aber der berühmteste Detektiv Amerikas ist ganz sicher Allan
Pinkerton, der 1850 seine Agentur eröffnete und spektakuläre
Fälle aufklärte bzw. verhinderte, wie ein Mordkomplott
auf den damaligen US-Präsidenten Abraham Lincoln.
In Detektiv Pinky geht es nicht um diesen berühmten Pinkerton,
sondern um einen Jungen, den alle Welt nur Pinky nennt, weil er
schon als Kind ein gefragter Ermittler wird, der sogar von Erwachsenen
beauftragte wird, Kriminalfälle zu klären.
Bei der Figur von Pinky tritt alles das in Erscheinung, wodurch
sich die Kinderdetektive in der Literatur auszeichnen. Sie sind
klug, interessiert, selbstbewusst und sie können gut kombinieren.
Sie nutzen in der Regel die Überheblichkeit der Erwachsene
"Das ist doch nur ein Kind!" aus und kommen so fast
unbemerkt an Fakten, mit denen sie die Wahrheit finden. So geht
es Pinky. Er kommt groß raus und bleibt trotzdem ein guter
Freund, ein liebenswerter Junge. Und das seit über 20 Jahren.
Diese spannende Detektivgeschichte erschien das erste Mal 1982.
|
Gert Prokop: Detektiv Pinky. Illustrationen
von Klaus Vonderwerth. Kinderbuchverlag. Berlin 2007.
|
* * *
Krimi-Reihen
Wie im Fernsehen so gibt es auch bei Büchern
ganze Reihen, die immer mit den gleichen handelnden Personen sich
neue kriminalistische Glanzstücke leisten. Diese Krimi-Reihen
haben den Vorteil, dass man als Leser sofort Bekanntes und Vertrautes
entdeckt, dass die einzelnen Geschichten nicht zu lang sind und
trotzdem einen Schluss haben und dass die Bücher im Buchhandel
relativ preiswert sind. Du musst in der Regel zwischen vier und
sieben Euro einplanen. Ich habe Bücher gelesen aus den Reihen:
"Die drei ???", "Keine Spur zu heiß",
"Lesefix Wissensdetektive".
Letzteres sind immer spannende historische Krimis für Kinder
ab 8 Jahren. Eingebaut in die Handlung sind kniffelige Ratefragen.
Im Anhang werden Sachinformationen vermittelt.
Empfehlen kann ich dir außerdem "Das Geheimnis des
schwarzen Pharaos" in der Reihe "Ein Fall für 3".
Es ist eine richtig spannende Abenteuergeschichte mit allem, was
dazu gehört, mit rätselhaft Fremdem aus der Pharaonenkultur,
mit Dieben, mit Entführung und mit der Freundschaft zwischen
Emma, Anne und Paul.
Außerdem haben mir noch die anderen beiden Bücher gefallen,
zu denen ich einfach nur aus Platzgründen nichts weiter sagen
will.
-
Andrea
Jähnel: Die Geheimakten der Superdetektive. Keine Spur
zu heiß. Ravensburger Buchverlag. Ravensburg 2007.
-
Andrea
Jähnel. Ein Fall für 3. Das Geheimnis der schwarzen
Pharaos. Ravensburger Verlag. Ravensburg 2003.
- André Marx: Die
doppelte Täuschung. Kosmos Verlag. Stuttgart 2005.
- Sabine
Streufert: Verrat im Indianerdorf. Lesefix Wissensdetektive. Gondrom
Verlag. Bindlach 2007.
*
* *
Bilderräuber. Die größten Kunstdiebstähle
Die Seiten dieses Buches sind sozusagen noch druckfrisch,
denn es ist gerade Ende September 2007 neu auf den Büchermarkt
gekommen. Es ist ein Sachbuch mit vielen großen Abbildungen
und wenig Text. Darum kündigt der Berliner Aufbauverlag seine
Neuerscheinung wohl auch in seinem Verzeichnis der Bilderbücher
an. Mario Giordano erzählt von den spektakulärsten Kunstdiebstählen
der Welt und wirft dabei u.a. die Fragen auf: Welcher war der
größte Kunstraub? Welche Bilder wurden am häufigsten
gestohlen? Wie gehen Bilderräuber vor, um an ihre Beute zu
kommen?
Abbildungen von allen diesen Bildern kannst du dir in diesem Buch
anschauen. Gleichzeitig erfährst du etwas über den Künstler
und sein Werk. Mit einer beigelegten Suchschablone kannst du mit
deinen Augen immer neue Ausschnitte aus dem Gesamtbild "herausschneiden".
Dieses Buch fällt durch sein ungewöhnliches Format,
durch die gute Gestaltung und durch sehr gute buchbinderische
Verarbeitung auf. Auch wenn es nicht spannend wie eine Krimi-Buch
ist, hat es doch auf jeder Seite unendlich viel zu erzählen.
Vielleicht regt es dich an, einen eigenen Krimi mit einem selbst
ausgedachten Kinderdetektiv oder -detektivin zu erfinden, die
alleine oder gemeinsam zum Beispiel das noch immer verschollene
Bild "Maya mit Puppe" des berühmten Malers Pablo
Picasso aufspüren?
Dabei und natürlich auch beim Lesen wünscht
dir wie immer viele unterhaltsame Stunden Helma
|
Mario Giordano: Bilderräuber.
Die größten Kunstdiebstähle. Aufbau Verlag.
Berlin 2007.
|
|