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Das geheime Buch

Herrn Maiteufels wundersame Reise in die Wirklichkeit

von

Annette Kautt

Fortsetzung Teil 8

Wer den letzten Teil noch nicht kennt und mehr als die kurze Zusammenfassung lesen möchte, geht zurück zur letzten Rossipotti-Ausgabe. Dort findet ihr nicht nur das letzte Kapitel, sondern auch eine ausführliche Inhaltsangabe des Buchs

Was zuletzt geschah:

Herr Maiteufel fühlt sich nicht mehr wohl im Garten. Er kann sich immer weniger an die Dinge, die außerhalb des Gartens waren, erinnern. Außerdem behauptet Larifari, dass sie Gefangene im Garten wären und ihn nicht freiwillig wieder verlassen könnten. Als Larifari deshalb durch den Gartenteich in die Kanalisation steigen möchte, um auf diesem Wege vielleicht wieder in die Stadt zurück gelangen zu können, schließt Herr Maiteufel sich ihm kurz entschlossen an ...

 

Vierzehntes Kapitel, in dem Herr Maiteufel sich zu einer Gürtelschnalle hingezogen fühlt

Larifari und Herr Maiteufel waren ungefähr eine Stunde schweigend in der Kanalisation hintereinander entlang gegangen, als Larifari Herrn Maiteufel auf ein weit entferntes Geräusch aufmerksam machte.
"Hören Sie das?" flüsterte Larifari. "Halten Sie das für Autolärm oder Motorengeräusche?"
Herr Maiteufel horchte in die Stille.
"Vielleicht hinab stürzendes Wasser?"
"Möglich", meinte Larifari, "auf jeden Fall scheinen wir ganz nah an einem möglichen Ausgang zu sein."
"Kann sein", stimmte ihm Herr Maiteufel zu. "Der Schall kann aber auch so geleitet werden, dass es sich hier nur so anhört, als wären wir nah an einem Ausgang. Haben Sie eine Ahnung, wo wir uns befinden?"
Larifari zuckte mit den Schultern.
"Ich habe immer wieder versucht, mir eine Orientierung zu verschaffen. Vielleicht würde ich mich in der neuen Kanalisation besser zurecht finden. Aber die Streckenverhältnisse der Kanäle hier entsprechen absolut nicht den Straßen, die ich kenne. "
Herrn Maiteufel fröstelte es plötzlich.
Das Wort Streckenverhältnisse hatte in ihm ein undefinierbares Gefühl verursacht. Er schien irgend etwas mit diesem Wort zu verbinden.
Nur - was?
"Was ist mit Ihnen?" Larifari tippte Herrn Maiteufel an die Schulter.
Herr Maiteufel schüttelte den Kopf, lächelte Larifari unsicher an und zuckte mit den Schultern. Dann ging er den Gang entlang weiter. Mit der linken Hand stützte er sich an der Wand ab, mit der anderen hielt er die Taschenlampe.
Die Luft war kühl und trocken.
Die Gänge, die sie entlang liefen, sahen alle ähnlich aus: In ihrer Mitte war der meterbreite, tiefe Kanal, in dem vormals das Abwasser geflossen war. Links und rechts davon waren schmale Wege, gerade breit genug, um bequem darauf gehen zu können. Hin und wieder kamen sie an Kreuzungen oder kleineren Ausbuchtungen vorbei. Oft führten kleine Treppen links und rechts des Kanals nach oben. Früher dienten sie wohl als Ausstieg für die Kanalarbeiter. Heute waren sie oben alle zugemauert.
Herr Maiteufel hatte einen Kloß im Hals.
Er hatte Heimweh nach dem Garten.
Wenn Larifari nicht dagewesen wäre, würde er jetzt wahrscheinlich umkehren. Wenn Larifari nie dagewesen wäre, hätte er immer im Garten bleiben können!
Herr Maiteufel tastete nach dem Kieselstein in seiner Hosentasche und umschloss ihn fest mit seiner Hand.
Der Stein war warm.
Herr Maiteufel schloss die Augen.
Er sah Meringue.
Er hörte ihr Lachen und roch ihren Mangoduft.
"Passen Sie doch auf, wo Sie hintreten!"
Larifari packte Herrn Maiteufel schnell am Arm, damit er nicht in den Kanal fiel. Ein gebrochenes Bein konnten sie hier unten jetzt wirklich nicht gebrauchen.
"Sollen wir links abbiegen oder weiter geradeaus weiter gehen. Was meinen Sie?" Larifari sah Herrn Maiteufel durchdringend an.
Am liebsten hätte Herr Maiteufel gesagt: "Das ist mir piepsegal. Machen Sie doch, was Sie wollen. Das hat doch eh alles keinen Sinn."
Doch er traute sich nicht. Hatte er nicht selbst erst vor wenigen Stunden Larifari vorgehalten, dass er kein Durchhaltevermögen hatte?
"Vielleicht nach links?" sagte er deshalb.
Larifari nickte. "Gehen Sie wieder voraus, damit ich Sie im Auge behalten kann."
Niedergedrückt bog Herr Maiteufel in den linken Gang ab.

Obwohl sie immer auf dem gleichen Niveau zu bleiben und niemals abwärts zu gehen schienen, kam es Herrn Maiteufel so vor, als ob sie tiefer und tiefer in die Erde hinein kletterten. Das Licht seiner Taschenlampe schien ihm immer fahler und die Luft trockener zu werden. Auch die Gänge wirkten auf ihn nicht mehr wie alte Abwasserschächte, sondern wie verschlängelte Höhlenwege, die ihn direkt zum Rachen eines Ungeheuers führten.
"Wo bin ich hier nur hingeraten?" fragte sich Herr Maiteufel angsterfüllt. "Ob ich jemals wieder heraus komme? Warum wollte ich eigentlich in die Stadt zurück? Was erwartet mich dort?"
Herrn Maiteufels Herz klopfte.
Irgendetwas Schönes oder Wichtiges schien es in der Stadt zu geben, an das er sich nicht mehr erinnern konnte. Oder hätte er sonst noch vor wenigen Tagen in die Stadt gehen wollen?
Er versuchte, sich die Stadt vorzustellen. Er versuchte, sich an irgend jemanden aus der Stadt zu erinnern, den er kannte. Doch die wenigen Bilder, die ihm einfielen, konnte er nicht einordnen. Er sah ein kleines Mädchen mit wirren Zöpfen.
Hatte Meringue etwa so ausgesehen, als sie klein gewesen war?
Und was war das für ein schmales Gebäude, das ihm in den Sinn kam?
Herr Maiteufel spürte, wie er an die Grenzen seines Vorstellungsvermögens stieß. Es war ein bedrückendes Gefühl. So, wie wenn er sich an seinem eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen müsste.
"Möchten Sie auch eine Pause machen?" fragte Larifari, als sie in einer größeren Halle angelangt waren.
"Gern", seufzte Herr Maiteufel und setzte seinen Rucksack ab.
Niedergeschlagen und müde setzte er sich neben Larifari.
Larifari packte aus seinem Rucksack Wurst, Brötchen, Tee und zwei der herrlichen Krapfen, die die Alabaster-Schönheit noch am letzten Sonntag gebacken hatte.
Wehmütig nahm sich Herr Maiteufel einen Krapfen und biss hinein.
"Wissen Sie eigentlich, wie die Stadt aussieht, die wir suchen?" fragte Herr Maiteufel.
"Aber natürlich. Ich erinnere mich ganz genau."
"Erzählen Sie mir doch davon", bat Herr Maiteufel. "Vielleicht fällt mir dann auch wieder etwas ein."
Larifari seufzte.
"Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie nicht schon viel früher gewarnt habe. Aber ich hätte nie gedacht, dass Sie so schnell alles außerhalb des Gartens vergessen würden. - Hm, mit was soll ich denn beginnen? Kennen Sie vielleicht das Graue Viertel im Nordwesten der Stadt?"
Herr Maiteufel schüttelte den Kopf.
"Das Graue Viertel ist mehr oder weniger eine Armensiedlung", versuchte Larifari Herrn Maiteufel auf die Sprünge zu helfen. "Die Häuser dort sind meist klein und flach, wie in einer Schrebergartensiedlung. Nur, dass die Gärten viel kleiner und ungepflegter sind. Wenn Sie von dort Richtung Süden gehen, kommen Sie an der großen Manufaktur vorbei und unserem Tortenstück ..."
"Tortenstück?" unterbrach ihn Herr Maiteufel.
"Das ist der Spitzname des Bankgebäudes", erklärte Larifari.
"Ach, so", sagte Herr Maiteufel und überlegte, woran ihn dieser Name erinnerte.
"Ganz im Süden kommt dann das Kreiskrankenhaus", fuhr Larifari fort, "und wenn Sie dann westlich bis zu den Resten unserer Stadtmauer gehen, treffen Sie auf das Museum, dahinter auf das Finanzamt und schließlich auf die Bahnlinie ..."
"Leider kann ich mir bei Ihrer Beschreibung nur sehr wenig, oder eigentlich gar nichts vorstellen. Können Sie mir nicht ein bisschen aus Ihrem Leben in der Stadt erzählen?"
"Wie Sie wollen", sagte Larifari und zog die Mundwinkel geringschätzig nach unten, "wenn Ihre Vorstellungsgabe dermaßen eingeschränkt ist, versuche ich es eben anders. Dann erzähle ich Ihnen jetzt aus meinem gewöhnlichen Tagesablauf. Genauer gesagt davon, wie ich vor einiger Zeit in der Stadt lebte. -
Also, eigentlich bin ich Lehrer. Morgens um halb acht machte ich mich gewöhnlich auf den Weg zur Schule. Ich wohne unterhalb der Kulturhalle, das ist ganz im Zentrum der Stadt. Ich ging vorbei am Kaufhaus, durch die Bohnengasse, und da war dann auch schon meine Schule. Oder eine der drei Schulen. Sie müssen nämlich wissen, dass in unserer Stadt die drei Schulen nebeneinander oder untereinander - von Norden nach Süden - gebaut wurden. Ich war in der südlichsten, der Grundschule, Lehrer. In den ersten beiden Stunden am Montag lehrte ich Sachkunde. Das hat mir sehr viel Freude gemacht. Denn die Lehre von den Sachen ist überaus wichtig. Stundenlang konnte ich mich dort über die Wichtigkeit einer Gürtelschnalle unterhalten oder über die Wärme, die eine Glühbirne verstrahlt."
Als Larifari bemerkte, dass seine Betrachtungen keinen sonderlichen Eindruck auf Herrn Maiteufel machten, fuhr er fort: "Wie auch immer. Um halb zehn Uhr war Pause. Da ging ich meist in den nahe gelegenen Friedhof, lauschte den Vogelstimmen und dachte über die Zukunft nach. 'Bald wirst du dich auch wie ein Vogel in die Luft empor schwingen', dachte ich dann und fühlte mich leicht und frei. Doch der Pausengong riss mich gewöhnlich bald aus meinen Träumen und führte mich wieder zurück zu meinen Kindern. Doch ich muss zugeben, dass es auch sehr erfreulich war, sie beim Sport über die Balken hüpfen zu sehen oder ihnen beim Malen über die Schulter zu schauen ..."
Herr Maiteufel war längst mit seinen Gedanken abgeschweift. Immer wieder ließ er die Worte 'Bohnengasse' und 'Gürtelschnalle' in seinem Kopf nachklingen. Er versuchte, ihnen eine Bedeutung zu geben, einen Sinn, der mit ihm, mit seinem persönlichen Erleben etwas zu tun hatte.
Wieder ängstigte ihn das Bodenlose dieser Begriffe und seine Unfähigkeit, sie mit Erinnerung zu füllen. Doch je mehr Begriffe er sich intuitiv zuordnen konnte, umso mehr Halt verspürte er auch. Und je mehr Halt er verspürte, umso mehr wollte er sich an die Dinge erinnern, die er vergessen hatte.
"Haben Sie in meiner Erzählung etwas wieder erkannt, was mit ihrer Erinnerung übereinstimmt?" fragte Larifari.
Herr Maiteufel nickte zögernd. "Ich denke schon. Sagen Sie, kennen Sie jemanden, der in der Bohnengasse wohnt?"
"Aber selbstverständlich kenne ich jemanden", antwortete Larifari selbstgefällig. Ihm schien es beinahe zu gefallen, dass sich Herr Maiteufel so schlecht an die Stadt erinnern konnte. "Wissen Sie, ich kenne fast die ganz Stadt. In der Bohnengasse wohnt zum Beispiel Mara. Ihre Tochter Kaprize ist ein freches kleines Ding. Und wie hieß doch gleich ihr Mann? Irgend etwas mit 'A', so ein schmächtiges Kerlchen. Hm, Alfons vielleicht? Oder Armin? Nein, das war es nicht. Es klang irgendwie fremd."
Herr Maiteufel dachte nach. Beim Namen Mara hatte er vorhin einen Stich bekommen. Er klang irgendwie vertraut. Woher kannte er Mara?
"Nun, das ist ja auch egal", sagte Larifari. "Vielleicht sollten wir jetzt weitergehen? Je mehr wir heute absuchen, umso früher können wir wieder in den Garten zurück. Lange können wir eh nicht mehr hier unten bleiben. Unser Proviant ist bald aufgebraucht."
Ohne Herrn Maiteufels Meinung abzuwarten, packte er die Sachen in seinen Rucksack, klopfte seine Hose ab und machte sich wieder auf den Weg.
Zerstreut stand Herr Maiteufel auf, packte seinen Rucksack und ging hinter Larifari her. Immer wieder sagte er die von Larifari gehörten Begriffe vor sich hin.
'Mara' und 'Gürtelschnalle' schienen ihm besonders gut zueinander zu passen. Und der Begriff 'Bohnengasse' gefiel ihm mit jedem Mal besser. Nur bei dem Wort 'Streckenverhältnis' schien er für einen kleinen Moment die Luft anhalten zu müssen.
Einige Zeit darauf blieb Larifari stehen. Er machte Herrn Maiteufel darauf aufmerksam, dass sie sich nun in einem Raum befänden, der die gleichen Maße hatte wie der Raum, in dem sie vorhin Pause gemacht hätten.
Doch Herr Maiteufel nickte nur zerstreut und schien an etwas ganz anderes zu denken.
Als Larifari weiter ging, stieß Herr Maiteufel plötzlich einen Schrei aus.
"Arturo! Maras Mann heißt Arturo!"

 

Fünfzehntes Kapitel, in dem ein Ventil eine große Rolle spielt

Am anderen Morgen machte Herr Maiteufel eine Entdeckung.
Er machte sie, als er mit seiner Taschenlampe den Raum, in dem sie übernachtet hatten, ableuchtete.
"Wie lange wollen Sie denn noch herumstehen?" fragte Larifari gereizt. "Hatten wir nicht vor, so schnell wie möglich wieder in den Garten zurückzukehren? Hier gibt es nun mal keinen Ausgang!"
"Aha", erwiderte Herr Maiteufel. "Ich mir auf jeden Fall die Stadt ansehen. Mein Gedächtnis kehrt allmählich zurück und da wäre es doch ein Jammer ausgerechnet jetzt wieder in den Garten zu gehen!"
"Ja, ja", stöhnte Larifari gedehnt, "was glauben Sie, wie gern ich in die Stadt gehen würde. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie gern. Schließlich habe ich dort auch meine Verpflichtungen. Aber glauben Sie mir, das ist unmöglich! Oder glauben Sie etwa, dass Sie in ein paar Tagen den Ausweg finden, den ich schon seit Jahren suche?"
"Mir ist eben etwas aufgefallen. Haben Sie mich nicht gestern abend darauf hingewiesen, dass wir zwei gleich große Räume durchquert haben?"
"Doch, doch", sagte Larifari.
"Und befanden wir uns vorgestern nicht in einem tortenstückähnlichen Raum, durch den wir nur durch einen sehr feuchten Gang kriechen konnten?"
"Ja, und weiter?" erwiderte Larifari kopfschüttelnd.
"Ich habe einen Verdacht", meinte Herr Maiteufel. "Fällt Ihnen nicht auf, dass die Grundfläche dieses Raumes ein gleichschenkliges Dreieck bildet?"
"Nun spannen Sie mich doch nicht so auf die Folter", rief Larifari sichtlich aufgebracht.
"Erinnern Sie sich denn nicht?" sagte Herr Maiteufel verwundert. "Ich denke, Sie haben die Stadt noch lebendig vor Augen? - Erinnern Sie die zwei gleich großen Räume denn nicht an die Kulturhalle und das dahinterliegende Kaufhaus? Und der tortenstückähnliche Raum an das Tortenstück der Stadt? Und was glauben Sie wohl, wo wir uns hier befinden? - Unter einer der Schulen natürlich! Ich sage Ihnen, wir sind hier unter der Stadt!"
Larifari schaute Herrn Maiteufel mit großen Augen an.
"Natürlich sind wir hier unter der Stadt!" sagte er dann. "Ich glaube, Ihnen bekommt die Luft hier unten nicht. Ich bin zwar sehr erstaunt, dass Ihr Gedächtnis plötzlich zurückgekehrt ist und sie sich tatsächlich wieder an einige Gebäude der Stadt erinnern können, aber das heißt nicht, dass ich Ihre 'Entdeckung' für besonders neu halte. Es war von Anfang an klar, dass wir uns unter der Stadt befinden. Wo denn sonst?"
Herr Maiteufel schüttelte den Kopf und sah Larifari an, als sei er gerade erst aufgewacht, als könnte er sich mit seinem Gedanken nicht ganz richtig zurechtfinden.
"Hm, vielleicht haben Sie Recht", sagte er nach einer Weile. "Vielleicht begreife ich erst jetzt, dass wir unter der Stadt sind, weil ich mich über jedes neue Bild der Stadt, das ich vor meinem inneren Auge sehen kann, so freue. Trotzdem, was ich bisher leichtfertig sagen konnte, scheint mir jetzt einen tieferen Sinn zu haben.
Larifari! Kommt es Ihnen nicht seltsam vor, dass wir hier unten die Gebäude der Stadt, wenn auch mit viel kleinerem Grundriss, wieder finden? Haben Sie sich etwa so ein Kanalisationssystem vorgestellt?"
Larifari zuckte mit den Schultern.
"Es muss doch eine Bedeutung haben, dass hier unten die genau gleichen Streckenverhältnisse sind wie oben?" bohrte Herr Maiteufel weiter.
"Also, wenn ich mich auf Ihre sinnlose Idee einlasse und versuche, Ihre kruden Gedanken mitzudenken, muss ich Ihnen leider mitteilen, dass die Stadt oben und das Kanalisationssystem hier unten absolut nicht deckungsgleich sind. Denn wie Sie selbst schon feststellten, sind die Gebäude oben viel größer als die Räume hier unten. Und manche Gebäude unserer Stadt kommen hier unten überhaupt nicht vor.
Umgekehrt kann ich andere Räume mit keinem Gebäude oben gleichsetzen. Außerdem scheinen mir die Streckenverhältnisse zwischen den einzelnen Räumen, die ja nach Ihrer Theorie wohl den Straßen unserer Stadt entsprechen müssten, öfters falsch zu sein. Zum Beispiel sind wir zwischen den gleich großen Hallen, der Kulturhalle und dem Kaufhaus, wenn Sie so wollen, viel länger gegangen, als wir es oben hätten tun müssen."
Herr Maiteufel nickte. "Ich denke, dass wir einfach einen Umweg von der einen Halle zu anderen gelaufen sind. - Und kann es nicht sein, dass wir einige Gebäude deshalb hier unten noch nicht gefunden haben, weil manche Gänge zugemauert wurden? Welchen Raum konnten Sie übrigens nicht mit einem Gebäude gleichsetzen? Ich habe bisher alle identifizieren können."
"Erinnern Sie sich an den quadratischen Raum, den wir als ersten passiert haben, gleich am ersten Morgen? Das müsste ganz nordwestlich in der Stadt gewesen sein. Aber im Grauen Viertel steht kein solches Gebäude."
"Doch, natürlich", meinte Herr Maiteufel, "erinnern Sie sich nicht mehr an die Gesamtschule?"
"An welche Gesamtschule?" wunderte sich Larifari. "Meinen Sie etwa diese herunter gekommene Baracke, die sich damals Schule nannte? Die wurde doch längst abgerissen."
"Ach so", meinte Herr Maiteufel nachdenklich.
"Und haben Sie das neue Sportzentrum hier unten entdecken können? Oder das Kino an der Umgehungsstraße?" fragte Larifari.
"Wie alt sind denn diese Gebäude?" fragte Herr Maiteufel.
"Das Sportzentrum ist vielleicht fünf Jahre alt. Aber das Kino gibt es bestimmt schon seit zwanzig Jahren."
"Zwanzig Jahre", stieß Herr Maiteufel erregt hervor. "Da waren wir noch jung!"
Larifari sah ihn missbilligend an.
"Ich meine doch nur ...", erklärte sich Herr Maiteufel, "... in zwanzig Jahren kann sich hier eine Menge getan haben."
"Sicher", sagte Larifari gnädig. "In zwanzig Jahren bewegt sich was."
"Ich hab's!" rief Herr Maiteufel. "Da im Kanal kein Wasser fließt, befinden wir uns hier in der alten Kanalisation. Und zu der alten Kanalisation müssen wir uns einen alten Stadtplan denken."
"Das ist doch alles alter Kaffee!", sagte Larifari. "So kommen wir doch nicht weiter. Außerdem wollten wir heute wieder in den Garten zurück gehen."
Herr Maiteufel ging aufgeregt hin und her.
"Was aber passt zu einem alten Stadtplan?" dachte er laut. "Wenn mir das Denken doch nur nicht so schwer fallen würde! Es kommt mir so vor, als ob der richtige Gedanke zu sperrig für meinen Kopf wäre. Als ob er noch nicht die passende Form dafür hätte. Was passt denn nur zu einem alten Stadtplan?"
Larifari dachte nicht daran, Herrn Maiteufel beim Nachenken zu helfen. Er wollte in den Garten zurück, ans Licht und zu einem anständigen Frühstück.
Doch Herr Maiteufel ließ nicht locker.
Als Larifari auf seine Frage nicht antwortete, rüttelte Herr Maiteufel ihn am Arm und sagte ungeduldig: "Sagen Sie doch. Was passt außer einer alten Kanalisation zu einem alten Stadtplan?"
"Alter Käse vielleicht?" Larifari streifte Herr Maiteufels Hand ab.
Herr Maiteufel schüttelte unwillig den Kopf.
"Zu einem alten Stadtplan passt ein alter Mann, der einen alten Kopf hat, der alte Ideen hat, die ..." sagte Larifari betont gelangweilt.
"Halt, stopp!" rief Herr Maiteufel dazwischen. "Das hört sich interessant an. Ich bin zwar kein alter Mann, aber das mit dem alten Kopf und der alten Idee hat Pfiff! Finden Sie das nicht auch?"
Larifari starrte Herrn Maiteufel entsetzt an.
"Schlimm genug, hier unten nicht in die Stadt zu finden", sagte er. "Doch jetzt muss ich mich auch noch mit einem Verrückten abgeben! Es war eindeutig ein Fehler, ihn mitzunehmen."
Herr Maiteufel überhörte Larifaris Bemerkung und feuerte ihn an: "Na, los, Larifari, weiter. Was ist mit einer alten Idee und einem alten Kopf? Und wie passt das beides zu dem Stadtplan?"
"Dazu passt ein Irrer, der von seiner Idee nicht lassen kann, obwohl sie völlig sinnlos ist."
"Ha! Das ist es!" rief Herr Maiteufel. "Sie müssen sich noch häufig irren, bevor Sie sich wirklich irren können. - Gerade deshalb helfen Sie mir aber beim Denken ganz vorzüglich. Sie sagten also, dass ich oder mein alter Kopf nicht von einer alten Idee lassen könnte, obwohl sie sinnlos sei?"
"Ich denke gar nichts", sagte Larifari resigniert. "Ich denke lediglich, dass wir mit Ihren Verrücktheiten nirgends hinkommen werden."
Herr Maiteufel hatte wieder nicht hingehört. Stattdessen war ihm etwas anderes eingefallen: "Hören Sie Larifari. Erinnern Sie sich, wie sie sich mir im Garten vorgestellt haben?"
"Leider", meckerte Larifari.
"Sie erzählten mir da von Ihrem Möglichkeitenkatalog", fuhr Herr Maiteufel fort, "und plötzlich störte mich da irgend etwas ganz besonders an Ihren Ausführungen. Erinnern Sie sich daran, was das war?"
"Oh, wissen Sie", winkte Larifari lässig ab, "ich habe so viele Möglichkeiten gesammelt, woher sollte ich da wissen, welche Ihnen davon nicht gefallen hat? Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen nochmals eine Reihe davon vorstellen. Vielleicht ist Ihre darunter?"
Herr Maiteufel schüttelte energisch den Kopf.
"Wenn ich mich richtig daran erinnere, haben Sie damals speziell für mich eine Möglichkeit herausgesucht."
"Ach, wahrscheinlich etwas für Verwirrte oder Illusionisten?" Larifari schaute Herrn Maiteufel spöttisch an. Doch als Herr Maiteufel nicht reagierte, sagte er gedehnt: "Ich glaube, es war für die Sorte von zurückgezogenen Menschen. Hatte es etwas mit Frühlingsgefühlen und Waldesrauschen zu tun?"
"Still!" entfuhr es Herrn Maiteufel.
Larifari sah ihn abweisend an.
"Entschuldigung!" sagte Herr Maiteufel. "Das muss mein alter Kopf gewesen sein. Warten Sie, ich glaube mir kommt da eine Idee."
Aufgeregt ging er im Raum auf und ab und dachte nach.
Larifari setzte sich mit einem Seufzer hin und klopfte mit den Fingern ungeduldig auf den Boden. Von Zeit zu Zeit räusperte er sich laut.
Nach vielleicht zwanzig Minuten war Herrn Maiteufels Idee endlich spruchreif.
"Larifari, Sie sind ein Schatz!" rief er. "Mit Ihrer Hilfe habe ich herausbekommen, was zu einem alten Stadtplan passt: Natürlich ein Konstruktionsplan! Die beiden passen so gut zusammen, dass es mir beinahe schlecht vor Freude wird!"
Hektisch erklärte er dem ahnungslosen Larifari: "Die Grundrisse der Gebäude oben und unten sind deshalb anders groß, weil sie auch bei meinem Konstruktionsplan und meinem alten Stadtplan unterschiedlich sind. Aber es kommt vor allem auf die Streckenverhältnisse an. Und die stimmen. Und die Lage der Gebäude mit der Lage der einzelnen Maschinenteile stimmen auch genau überein. Jetzt müssen wir nur noch ein Ventil finden und uns dort hinausschleusen. So einfach ist das."
Larifari staunte Herrn Maiteufel mit offenem Mund an. Er verstand kein Wort.
Und selbst wenn er etwas verstanden hätte, hätte er es für blanken Unsinn gehalten.
"Lassen Sie uns das Ventil der Mittelschule, ah, ich meine das der mittleren Besprenkelungsanlage öffnen und uns dann die Stadt anschauen" rief Herr Maiteufel euphorisch. "Larifari! Mein Lieber, noch heute werden wir wieder das Tageslicht erblicken! Aber nicht im Garten, sondern in der Stadt! Kommen Sie, kommen Sie schnell!"
Herr Maiteufel schulterte schnell seinen Rucksack und lief, ohne auf Larifari zu warten, einen der Gänge hinunter.
Larifari brauchte eine Weile, bis er begriff, dass Herr Maiteufel offensichtlich glaubte, einen Ausgang gefunden zu haben. Dann packte auch er seinen Rucksack und rannte Herrn Maiteufel hinterher.
Larifari sah gerade noch, wie Herr Maiteufel als kleiner leuchtender Punkt in einen linken Gang einbog. Dann war es dunkel.
"Verflixt", fluchte Larifari.
Er hastete den Gang entlang und fluchte, weil Herr Maiteufel nicht auf ihn gewartet hatte. Als er dachte, die Höhe des Gangs, in den Herr Maiteufel eingebogen war, erreicht zu haben, bog auch er links ab. Er ging sehr schnell, doch als er nach zehn Minuten immer noch keinen Lichtschein in der Ferne sah, wusste er, dass er den falschen Gang genommen hatte. Ohne lange zu überlegen ging er zurück und versuchte in einem anderen Gang sein Glück.
"Warum hat Herr Maiteufel nicht auf mich gewartet?" ärgerte sich Larifari. "Warum lässt er mich ausgerechnet jetzt allein? Und was hat er vorhin gesagt? Er habe einen Konstruktionsplan, der die Kanalisation beschreibe? Man müsse nur ein Ventil öffnen? Was denn für ein Ventil? Ich habe hier noch nie ein Ventil gesehen. So ein Fantast!
Wo ist er denn nur hingerannt? Vielleicht ist er irgendwo hinuntergefallen? Wenn ich ihn gestern nicht festgehalten hätte, wäre er sicher abgestürzt. Aber hat er sich bei mir dafür bedankt? Nein! Statt dessen rennt er jetzt Hals über Kopf davon und lässt mich im Stich! Denkt sich lieber blödsinnige Ideen aus, anstatt mit mir wieder in den Garten zu gehen!
Das Beste wäre, wenn ich alleine wieder in den Garten zurück ginge. Warum eigentlich nicht? Aber kann ich ihn wirklich alleine hier unten lassen? Ohne mich bei ihm abzumelden? Andererseits - der würde sich um mich eh keine Sorgen machen!"
Solche Gedanken gingen Larifari durch den Kopf als er den Gang entlanglief, ihn dann, als er zu Ende war, wieder zurückging und in einen anderen Gang einbog.

Plötzlich riss ihn ein nahes, quietschendes Geräusch aus seinen Gedanken.
"Endlich ein Lebenszeichen von ihm!" dachte Larifari ohne daran zu zweifeln, dass das Quietschgeräusch von Herrn Maiteufel kam. "Er scheint ganz in der Nähe zu sein."
Da er schon viele Male allein in diesen Gemäuern umher geirrt war, wusste er ziemlich genau, wie er gehen musste, um zu dem Geräusch zu kommen.
Er war froh, dass er bald wieder bei Herrn Maiteufel sein würde. Denn obwohl er an das Alleinsein hier unten gewöhnt war, fand er es doch angenehmer, jemanden bei sich zu haben. Ehrlich gesagt war das auch einer der Hauptgründe gewesen, weshalb er Herrn Maiteufel gedrängt hatte, mit ihm mitzugehen. Dass sich Herr Maiteufel dann als so anstrengend erweisen sollte, hatte Larifari leider nicht vorhersehen können.
Larifari bog um eine Ecke und prallte fast mit Herrn Maitfeuel zusammen.
"Ach, da sind Sie ja endlich", sagte Herr Maiteufel. "Ich habe mir schon beinahe Sorgen gemacht. Haben Sie eigentlich die Rohrzange im Rucksack?"
Eigentlich hatte sich Larifari vorgenommen, sauer auf Herrn Maiteufel zu sein.
Eigentlich wollte er ihm mal so richtig seine Meinung über ihn sagen. Wie gemein es von ihm gewesen war, ihn einfach stehen zu lassen, und welche unsinnigen Ideen er hatte.
Aber jetzt, da Herr Maiteufel auf einem Mauervorsprung wenig unterhalb der Decke lag und an einem riesigen schraubenähnlichen Ding drehte, war Larifaris Neugier größer als sein Ärger.
"Sie haben die Rohrzange selbst", sagte er deshalb nur und starrte auf das unbekannte Ding. Warum war ihm dieses Ding bisher noch nie aufgefallen? Was war das überhaupt?
Herr Maiteufel kletterte den Vorsprung hinab, rieb sich den Schmutz von den Händen und sagte: "Hier sehen Sie das Ventil, von dem ich vorhin gesprochen habe. Wir müssen es nur noch öffnen und schon sind wir in dem neuen Kanalsystem. Von dort gelangen wir sicher leicht nach oben."
Larifari schwieg. Vielleicht hatte Herr Maiteufel mit seiner wunderlichen Idee doch ein bisschen Recht? Immerhin war vor ihnen tatsächlich ein riesiges schraubenartige Etwas, das, wenn man es nach oben drehte vielleicht tatsächlich einen Gang freigab?
"Ah, da ist sie ja," sagte Herr Maiteufel und zog die Zange aus seinem Rucksack. "Das Ventil ist ziemlich verrostet. Ich hoffe, dass ich es hiermit aufbekomme."
Er kletterte wieder auf den Vorsprung und Larifari leuchtete ihm mit seiner Lampe.
Es quietschte.
Herr Maiteufel zog die Rohrzange fest um die Schraube an.
Wieder quietschte es.
Die Schraube schien ein klein wenig nachzugeben.
Larifari sah Herrn Maiteufel erwartungsvoll an.
Herr Maiteufel versuchte, das Ventil mit der Zange nochmals ein Stück weiterzudrehen.
Und tatsächlich: Die Schraube gab wieder etwas nach!
Herr Maiteufel stöhnte.
"Soll ich mal?" fragte Larifari.
Herr Maiteufel nickte und sprang die Mauer hinunter und Larifari kletterte auf den Vorsprung. Er legte die Zange an und drehte.
Die Schraube gab einen Ruck.
Stück für Stück drehte sich das Ventil nach oben!
"Da!" rief Herr Maiteufel. "Das Ventil öffnet sich!"
Larifari hielt inne, kletterte zu Herrn Maiteufel hinab und sah: Unten an der Mauer hatte sich schon ein mausbreiter Spalt geöffnet. Das, was Larifari bisher immer für eine Mauer gehalten hatte, war offensichtlich eine mächtige, verrostete Schraube gewesen!
Larifari und Herr Maiteufel schauten sich an: Sie hatten es beinahe geschafft.
Voller Energie drehte Larifari nun das ganze Tor nach oben, oder nach Herr Maiteufels Meinung: das Ventil der Maschine auf.
"Wir können hindurch!" lachte Herr Maiteufel übermütig, "Sehen Sie! Wir können hindurch! Die Öffnung ist groß genug, dass wir hindurch passen! Wir werden zwar liegend hindurchrutschen müssen, aber immerhin!"
Herr Maiteufel warf seinen Rucksack in die Luft und stieß einen Freudensschrei aus. Und Larifari hüpfte vor Aufregung auf und ab und schrie: "Ja, ja, ja!"
Als sie sich ein bisschen beruhigt hatten, schoben sie zuerst ihre Rucksäcke durch die Ventilöffnung und zwängten sich dann selbst durch den schmalen Schlitz.
Auf der anderen Seite des Ventils schulterten sie wieder ihre Rucksäcke und rannten dann lachend und sich gegenseitig Glückwünsche zurufend den Gang entlang.

Sie waren schon eine ganze Weile übermütig gerannt, als Larifari plötzlich Herrn Maiteufel etwas zurief. Herr Maiteufel blieb stehen und schaute sich nach Larifari um. Verwundert bemerkte er, dass Larifari ein besorgtes oder gar verzweifeltes Gesicht machte.
"Aus. Es ist alles aus. Jetzt haben wir bestimmt keine Möglichkeit mehr", sagte Larifari mit erstickter Stimme.
"Wollen Sie etwa doch nicht wieder in die Stadt zurück?" fragte Herr Maiteufel teilnahmsvoll.
Larifari lachte bitter.
"Von wegen Stadt! Haben Sie nicht bemerkt, dass wir hier nicht herauskommen, dass wir immer noch im gleichen Kanalisationssystem wie vorhin sind? Wo ist denn das Wasser der neuen Kanalisation? Es hätte uns eigentlich gleich auffallen müssen. Aber wir waren viel zu begeistert, als dass wir irgend etwas hätten bemerken können."
Herr Maiteufel erschrack: "Sie haben Recht! Das Wasser fehlt! Aber das ist doch nicht möglich! Hier muss doch die Kanalisation der mittleren Schule sein."
"Wo genau befinden wir uns denn hier, Ihrer Meinung nach?" fragte Larifari mit schwacher Stimme.
"Das Ventil liegt unter dem Schulhof der mittleren Schule", sagte Herr Maiteufel. "Es kann doch nicht sein, dass die Schule keine Kanalisation mehr hat? Die Schule steht doch immer noch. Also müssten doch alte und neue Kanalisation nebeneinander liegen." Larifari überlegte: "Ich weiß nicht mehr genau, wo der alte Schulhof verlief, aber ich weiß, dass der Schulhof zum 50jährigen Jubiläum der Schule eine weitere Grünfläche hinzugewonnen hat."
Herr Maiteufel horchte auf: "War das zwischen oberer und mittlerer oder zwischen mittlerer und unterer Schule, wo der Grünstreifen hinkam?"
"Zwischen oberer und mittlerer. Der gesamte Lehrerparkplatz wurde zugunsten dieser Grünfläche nach unten verlegt. Unter dem Rasen wurde deshalb eine Tiefgarage gebaut.
"Aha!" atmete Herr Maiteufel auf. "Wenn da eine Tiefgarage gebaut wurde, ist es verständlich, dass wir nicht in das neue System gelangt sind. Die Kanalisation wurde zugunsten der Tiefgarage verlegt. In der Maschine zu meinem Konstruktionsplan gibt es aber noch mehrere Ventile. Schließlich ist es eine Butterbrotpapiermaschine mit Besprenkelungsanlage und verschiedenen Wasserbehältern. Irgendwo müssen doch Ventil und Übergang vom alten ins neue Kanalsystem übereinstimmen! Larifari, ich denke wir haben noch einmal Glück gehabt!"
"Von welchem Konstruktionsplan reden Sie eigentlich die ganze Zeit?" fragte Larifari. "Und was hat der Stadtplan mit Ihrem Konstruktionsplan zu tun?"
"Das weiß ich selbst nicht", sagte Herr Maiteufel. "Ich vermute nur sehr stark, dass beide etwas miteinander zu tun haben. Davon haben wir uns außerdem gerade selbst überzeugt. Das einzige, was ich Ihnen mit Bestimmtheit erklären kann, ist, warum ich überhaupt einen Zusammenhang vermute. Wenn Sie Lust haben, kann ich Ihnen alles gerne bei einer längeren Pause erklären."

Larifari wollte unbedingt alles über die beiden Pläne wissen und deshalb gingen sie zurück in den Raum, der dem Grundriss der mittleren Schule gleichkam. Dort packten sie ein paar der Lebensmittel, die noch übrig waren, aus, setzten sich auf ihre warme Decken und Herr Maiteufel erzählte die Geschichte seiner Maschine:
"Es hat alles damit angefangen, dass ich so gerne ein Butterbrotpapier geworden wäre."
Larifari stöhnte unglaubig auf.
"Ich weiß, wovon ich rede", versuchte Herr Maiteufel sich zu erklären: "Schließlich habe ich fünfzehn Jahre lang in Herrn Knobels Butterbrotpapierfabrik gearbeitet und dort dem verheißungsvollen Gesang der Butterbrotpapiere gelauscht. Für gewöhnlich stand ich am Ende einer großen, silbernen Maschine und sah nach, ob das Papier knitterfrei aus der Maschine kommt. Butterbrote, die in knittriges Butterbrotpapier eingepackt waren, schmecken nicht gut, so viel steht fest!
Am Anfang hat mir meine Arbeit übrigens großen Spaß gemacht. Denn anders als Sie vielleicht vermuten, war es in dem Raum, in dem ich hinter der Maschine stand und auf das Papier wartete, ganz still: Man hörte nur das sanfte Rauschen und Knistern der Papiere, die sich auf ihr großes Leben in der Welt vorbereiteten. Wenn man der Maschine genau zuhörte, konnte man sogar den feinen Stimmen der Papiere zuhören.
Ich empfand dann immer so ein Gefühl, wie ich sonst nur bei einem Waldspaziergang im Frühling hatte: Ich hörte für eine kleine Weile das erste, fröhliche Vogelgezwitscher des Jahres und roch den erwachenden Waldboden. Ich spürte die Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht und wusste in diesem Augenblick, dass jetzt alles wieder neu beginnen würde.
(Larifari grunzte.)
Doch dann war das Waldfrühlingsgefühl meist vorbei und ich wieder in meiner alten Umgebung. Auf die Dauer wurde mir dieses Waldfrühlingsgefühl deshalb unerträglich. Denn ich fand es ungerecht, dass ich tagaus tagein um 9 Uhr 20 in der Frühstückspause meine Wurstsemmeln essen, um 12 Uhr Herrn Knobel freundlich "Mahlzeit" zurufen, und den ganzen Tag hinter dieser dämlichen Maschine stehen musste. Und dass ich außerdem jeden Abend mit meiner freilich liebenswürdigen, aber doch allzu bekannten Schwester Odette im Winter alle möglichen Kohl- und im Sommer verschiedene Gurkensorten verspeisen musste. Dass aber die Butterbrotpapiere immer erwartungsfroh und fröhlich der ersten Stunde ihres Lebens entgegen fiebern durften.
War es bei solchen Gedanken nicht selbstverständlich, dass ich mir nichts sehnlicher wünschte als ein Butterbrotpapier zu sein?"
"So ein Quatsch!" rief Larifari dazwischen. "Welcher normale Mensch wünscht sich denn, ein Butterbrotpapier zu sein?"
"Sie haben noch nie dem Gesang der Papiere gelauscht", sagte Herr Maiteufel ernst. "Sie wissen nicht, was es bedeutet, ein Butterbrotpapier zu sein."
"Nein, das weiß ich nicht", gab Larifari zu. "Aber es interessiert mich auch nicht ein Bisschen! Erklären Sie mir lieber den Zusammenhang zwischen dem Konstruktionsplan und dem Stadtplan!"
"Das hängt doch alles miteinander zusammen!" sagte Herr Maiteufel. "Wollen Sie jetzt meine Geschichte hören oder nicht?"
Larifari nickte und hörte zuerst widerwillig, doch dann immer erstaunter Herrn Maiteufels wundersamer Geschichte zu ...

Ende Teil 8

Die Fortsetzung der Geschichte könnt ihr im Rossipotti No. 15 lesen!

 © Rossipotti No. 14, Feb. 2007