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Das geheime Buch

Herrn Maiteufels wundersame Reise in die Wirklichkeit

von

Annette Kautt

Fortsetzung Teil 6

Wer den letzten Teil noch nicht kennt und mehr als die kurze Zusammenfassung lesen möchte, geht zurück zur letzten Rossipotti-Ausgabe

Was bisher geschah:

Herr Maiteufel arbeitet in einer Butterbrotpapierfabrik und lauscht jeden Tag dem verheißungsvollen Gesang der Butterbrotpapiere, die sich auf ihr großes Leben in der Welt vorbereiten. Doch je länger er dem Gesang der Papiere lauscht, umso mehr sehnt er sich danach, selbst ein Butterbrotpapier zu werden! Da er ein Mensch mit Visionen ist, setzt er eines Tages seinen Wunsch in die Tat um: Er baut anhand des originalen Konstruktionsplans von Herrn Knobel, seinem Chef, eine Butterbrotpapiermaschine, in die er selbst hineinpassen und zum Butterbrotpapier werden kann! Doch aus irgendeinem Grund funktioniert die Maschine nicht. Irgendein Detail muss Herrn Maiteufel beim Bau der Maschine entgangen sein ...
Eines Tages bekommt Herr Maiteufel ein Paket. Herr Maiteufel ist fest davon überzeugt, dass ihm der Finder seiner Gasluftballonkarte, die er beim letzten Betriebsfest verschickt hat, das Paket geschickt hat. Doch leider ist es nicht von einem unbekannten Finder, sondern nur von seiner ehemligen Klassenkameradin Mara. Zuerst ist Herr Maiteufel enttäuscht darüber, weil in dem Paket nichts weiter als ein paar alte Fotografien und ein alter Stadtplan seiner Heimatstadt sind. Doch dann entdeckt er, dass die Streckenverhältnisse des Stadtplans und seines Konstruktionsplans genau gleich sind! Und das
kann für Herrn Maiteufel nur eins bedeuten: Wenn sich das fehlende Detail seiner Maschine nicht auf dem Konstruktionsplan entdecken lässt, muss es in seiner Heimatstadt zu finden sein! Kurz entschlossen packt Herr Maiteufel deshalb seine Siebensachen und reist mit dem Zug dorthin.
Doch kaum hat er seine Reise begonnen, weiß er nicht mehr, ob er nicht lieber zu Hause geblieben wäre. Im Zug bringt ihn sein Gegenüber stark in Verlegenheit, im Hotel seiner Heimatstadt verwirrt ihn eine "Brötchenfrau", und auch der eigentlich ganz harmlose Kaffeklatsch-Besuch bei seiner alten Bekannten Mara ruft bei ihm vor allem Beklemmung hervor. Zum Glück ist da auf einmal von einem Finder die Rede, und Herr Maiteufel weiß sofort, dass nur der Finder seiner Luftballonkarte gemeint sein kann! Er möchte ihn unbedingt kennenlernen und stattet ihm deshalb gleich einen Besuch ab.
Dort erfährt er, dass der Finder nicht nur seine Karte, sondern auch noch viele andere Dinge gefunden hat. Außerdem weiht ihn der Finder in die seltsamen Geschehnisse der Stadt ein:
Eine wichtige Person der Stadt, der Läufer, ist verschwunden. Und so lange der Läufer verschwunden ist, bleibt in der Stadt alles gleich und kann sich nichts mehr verändern! Der Finder ist deshalb beauftragt worden, den Läufer zu finden, hat aber bisher noch keine Spur.
Herr Maiteufel fühlt sich beim Finder wohl und möchte ihm gerne helfen. Doch nach einem merkwürdigen Traum, sieht Herr Maiteufel die Dinge plötzlich in
einem anderen Licht: Der Finder erscheint ihm gefährlich und die Brötchenfrau dagegen als ernst zu nehmende Persönlichkeit. Nur sie scheint sowohl Herrn Maiteufel bei der Suche nach seinem Detail als auch der Stadt bei der Suche nach dem Läufer wirklich helfen zu können. Er sucht deshalb die Brötchenfrau auf, erfährt aber nichts von ihr. Stattdessen schleppt sie ihn zu einer wundersamen Gartenparty mit. Und bevor er es richtig wahrnimmt, hat Herr Maiteufel das Detail seiner Maschine und den verschwundenen Läufer beinahe vergessen. Denn in dem Garten riecht es unglaublich gut, es gibt leckere Regenbogen-Getränke und vor allem Meringue. Während Herr Maiteufel sich in dem Garten immer heimischer fühlt, unternehmen Maras Familie und Freunde große Anstrengungen, den Läufer zu finden: Nachdem die Suche auf dem Erdboden bisher ergebnislos war, möchten sie jetzt den Himmel über der Stadt mit einem selbst gebastelten Ballon nach dem Läufer absuchen. Gleichzeitig entdeckt der Finder, dass Herr Maiteufel verschwunden ist. Er findet Herrn Maiteufels alten Stadtplan und glaubt zu wissen, warum Herr Maiteufel verschwunden ist: Die Hindernisse haben ihn verschleppt und halten ihn gefangen!

 

Siebtes Kapitel, in dem Herr Maiteufel etwas über Steine erfährt

"Kennen Sie das Rätsel mit dem Trommelfell?" fragte Meringue Herrn Maiteufel und ließ sich neben ihn auf die Wiese fallen.
"Nicht, dass ich wüsste", antwortete Herr Maiteufel. "Wie geht es denn?"
"Hm, da muss ich einmal überlegen. Da war irgend etwas mit einem Kamelfell und einer Verwechslung".
"Ach das", sagte Herr Maiteufel, "hat Parbleu Ihnen dieses Rätsel beigebracht?"
"Ja!" sagte Meringue erstaunt. "Kennen Sie es etwa doch schon?"
"Ich kenne nur eines, das so anfängt: Keiner irrt langsam, keiner irrt ..."
"Nein, nein", sagte Meringue schnell, "das ist es nicht. Meines ging ungefähr so: Welches Fell ohne Trommel und welche Trommel ohne Fell hat ein Kamel, wenn es im Mondschein zum Tanze aufgefordert wird?"
"Aber das ist doch völliger Unsinn", meinte Herr Maiteufel.
"Nein, das ist es nicht!" sagte Meringue und schob beleidigt ihre Unterlippe vor. "Die Antwort hat mir sehr gut gefallen".
"Wie hieß sie denn?" fragte Herr Maiteufel.
"Aber das müssen doch Sie herausbekommen", sagte Meringue ungeduldig. "Wissen Sie denn gar nicht, was ein Rätsel ist?"
"Doch, doch", meinte Herr Maiteufel beschwichtigend. "Vielleicht ist die Antwort ja ‚Trommelfell'."
"Ha!" rief Meringue erfreut. "Da habe ich Sie ganz schön an der Nase herumgeführt! Sicher haben Sie das nur deshalb geglaubt, weil ich am Anfang gesagt habe, dass es das Rätsel mit dem Trommelfell sei, nicht wahr? Aber die Antwort heißt ganz, ganz anders."
Meringue schaute Herrn Maiteufel erwartungsvoll an.
Herr Maiteufel dachte nach. Irgend etwas musste in dem Gedicht verwechselt werden, hatte Meringue gesagt.
"Hm. Vielleicht eine Kameltrommel?"
"Ein bisschen richtig", sagte Meringue, "aber auch ein bisschen falsch!"
Sie richtete sich wieder auf, neigte ihren Kopf zu Herrn Maiteufel und flüsterte ihm ziemlich laut ins Ohr: "Ein Kamel und ein TAMBURIN!"
"Das war doch wohl alles ein bisschen verdreht", mischte sich Zeber ein.
Anscheinend hatte er schon eine ganze Weile hinter ihnen gestanden und zugehört.
"So kann Herr Maiteufel ja nie herausbekommen, was die Lösung des Rätsels ist."
"Aha!" stellte Meringue zornig fest, "genau so hat es mir aber Parbleu beigebracht!"
"Etwa auch das mit dem Mondschein? Dass ich nicht lache!"
Zeber keckerte.
Meringue war wütend.
Herr Maiteufel saß hilflos daneben.
Zeber keckerte noch eine Weile, dann stellte er sich aufrecht hin, streckte seinen Kopf etwas in die Höhe und sprach in gepflegtem Ton:

Ein Fell ohne Trommel und eine Trommel ohne Fell
hat ein Kamel nicht im Ohr, hat ein Kamel nicht im Fell,
sondern hat ein K ... und ein T ..."

"Nun, was sagen Sie nun? Errät es sich so nicht viel leichter?"
Herr Maiteufel überlegte: "Das kann ich jetzt nicht mehr beurteilen, weil ich die Lösung ja schon kenne."
"Hm. Wahrscheinlich haben Sie Recht. Aber was denken Sie, wer von uns beiden das Rätsel schöner vorgetragen hat?"
Zeber schaute Herrn Maiteufel erwartungsvoll an. Aber auch Meringue schaute ihn mit flehendem Blick an.
Was sollte Herr Maiteufel nur sagen, wenn er keinem von beiden vor den Kopf stoßen wollte?
Nach einer Weile sagte er deshalb: "Beide Rätsel waren gleich schön vorgetragen! Man kann es nicht wirklich vergleichen, weil Meringue ihr Rätsel in Prosa erzählt hat, während Ihr Rätsel sich gereimt hat."
Meringue strahlte ihn an.
Dann rief sie Melle zu, der gerade aus dem Glaspavillon kam: "Melle, meines war Prosa!"
Doch Zeber schien nicht zufrieden. "Sie müssen unbedingt noch eines von mir hören."
Wieder posierte er sich wie vorhin.
Als er jedoch Melle sah, der auf sie zukam, wartete er, bis er da war und sprach dann:

 

Spinnenfinger spinnen Finger
Tunnel tiefer Tropf
Dämmerhunger dämmern Hunger
Fliegenflügelkopf
"Schilderkröten", schildern Kröten
"Fledermäuse", fleddern Mäuse
Fallen Falle Fall
Tränenfreude tränen Freude
Entenende endet Ende

 

Niemand getraute sich etwas zu sagen.
"Nun, wie fandet ihr es?" fragte Zeber ungeduldig.
"Aber das war doch gar kein Rätsel", meinte Herr Maiteufel schließlich.
"So", sagte Zeber unfreundlich, "und was dann?"
"Ein Quatschgedicht vielleicht?"
"Ein Quatschgedicht?" Zeber wurde rot im Gesicht. "Ein Quatschgedicht? Soll ich Ihnen mal ein richtiges Quatschgedicht vorstellen?"
"Besser nicht", dachte Herr Maiteufel, aber Zeber war schon wieder dabei, Haltung anzunehmen:

Es waren zwei Hasen im Gras
die aßen dort grünen Kohl
als sie keinen Hunger mehr hatten
gingen sie von dem Gras weg
und liefen in den Wald

"Und, haben Sie den Unterschied bemerkt?" fragte Zeber erregt und streckte seinen dürren Hals nach vorne. "Das war ein Quatschgedicht! Bei Quatschgedichten gibt es überhaupt nichts Rätselhaftes. Das Gedicht von den Spinnenfingern dagegen ist voller Rätsel!"
Das musste Herr Maiteufel zugeben, auch wenn er immer noch nicht verstand, was man bei diesem Rätselgedicht erraten sollte.
Da sagte Meringue: "Du hast Recht Zeber. Und ich glaube, ich kenne sogar die Lösung zu deinem Rätsel."
Zeber sah sie ungeduldig an und Meringue erklärte: "Also, das mit den Spinnenfingern ist ja ganz klar. Damit ist eine Spinne gemeint, die gerade ein Netz spinnt."
Zeber nickte erfreut und Meringue fuhr fort: "Das Ganze findet an einem unwirtlichen Ort satt. In einem Tunnel, tief unter der Erde, wo es nass und kalt ist. Die Spinne hat ziemlich Hunger und dämmert in ihrem Hunger so vor sich hin. Dann verfängt sich in ihrem Netz eine Fliege mit allem drum und dran. Die Kröten meinen, dass sich eine Schildkröte im Netz verfangen habe, und die Mäuse, dass Fledermäuse ins Netz gegangen seien. Die Kröten und die Mäuse befreien dann die Fliege, es gibt Tränenfreuden und dann ist das Rätsel zu Ende."
"Das hast du wirklich gut gemacht", lobte Zeber.
Meringue wurde rot vor Freude.
"Allerdings hast du nicht herausbekommen, wie sie die Fliege befreien."
"Bei so vielen Fallen kann man auch gar nicht wissen, wer da wem eine Falle stellt", verteidigte sich Meringue.
"Die Mäuse und Kröten stellen den Fallen der Spinne, das heißt deren Netz, eine Falle, indem sie sich auf das Netz fallen lassen und damit zerreißen", sprang ihr Melle bei.
"Ja genau!" freute sich Zeber. "Daran sieht man, dass mein Rätsel ganz ausgezeichnet sein muss. Sonst könnte man es nie so gut auflösen! "
Er schaute Herrn Maiteufel von oben herab an.
Herr Maiteufel meinte: "Meringue und Melle sind eben auch ganz ausgezeichnete Rätselherausbekommer."
"Im Vergleich zu Ihnen vielleicht", sagte Zeber. "Fest steht auf jeden Fall, dass man ein Rätsel, das nicht gut durchdacht ist, auch nicht herausbekommen kann. Also muss mein Rätsel ziemlich gut sein. Ziemlich gut durchdacht".
Zeber tätschelte sich mit einer Hand seinen Bauch.
"Und was soll das mit dem Entenende?" mischte sich ein hagerer Mann dazwischen.
Er war unbemerkt hinzugetreten und Herrn Maiteufel noch nicht namentlich bekannt. "Woher kommen denn plötzlich die Enten und was spielen sie in dem Rätsel für eine Rolle?"
Zeber machte ein betrübtes Gesicht. "Ja, da haben Sie Recht. Das mit dem Entenende ist eine schwache Stelle in meinem Gedicht, weil sie ohne Bedeutung ist. Aber ich musste doch zu einem Ende kommen?"
Meringue tröstete ihn: "Mir gefällt die Zeile trotzdem. 'Entenende endet Ende'. Das hört sich einfach gut an. Findet ihr nicht?"
Alle gaben ihr Recht.
Als nächster wollte Melle ein Rätsel vortragen. Er musste sich allerdings erst noch eines überlegen. Grübelnd lief er hin und her.
Der Mann, der mit dem Entenende nicht zufrieden gewesen war, stellte sich neben Herrn Maiteufel und fragte ihn: "Ich habe Sie noch nie gesehen. Sind Sie neu hier?"
"Sozusagen", antwortete Herr Maiteufel.
Er sah, dass sich Zeber mit Meringue unterhielt.
"Wie gefällt es Ihnen hier?"
"Oh, es gefällt mir sehr gut!" sagte Herr Maiteufel zerstreut, "hier könnte ich immer bleiben."
"Hier könnten Sie immer bleiben?" Der Mann schien sehr erstaunt, "und wenn Sie nicht können könnten?"
Zeber und Meringue lachten gerade.
"Wo kann man schon immer bleiben?" bemerkte Herr Maiteufel.
Merinque klatschte fröhlich in die Hände und Zeber hüpfte ungelenk neben ihr auf und ab.
"Und wenn Sie müssen müssten?"
Herr Maiteufel erwiderte nichts darauf.
"Wie heißen Sie denn?" fragte der Mann.
"Herr Maiteufel", sagte Herr Maiteufel reflexartig. "Und Sie?" Eigentlich interessierte es ihn überhaupt nicht, wie sein aufdringlicher Gesprächspartner hieß. Er fragte nur so aus Höflichkeit.
Der Mann schien über seine Frage erfreut zu sein. Trotzdem meinte er: "Sie werden sich über mich lustig machen, wenn Sie meinen Namen hören."
"Aber nein", versicherte ihm Herr Maiteufel.
"Und was, wenn Sie sich doch über mich lustig machen? Ich würde es nicht überleben."
"Seien Sie doch nicht so kindisch", sagte Herr Maiteufel etwas unwillig, "der Name 'Maiteufel' ist auch nicht gerade ernstzunehmen."
"Versprechen Sie, dass Sie auch nicht lachen?"
"Ich verspreche es Ihnen."
Herr Maiteufel ging das alberne, unsinnige Gerede des Mannes allmählich auf die Nerven. Viel lieber hätte er gewusst, was Zeber und Meringue miteinander zu lachen hatten.
"Larifari!" stieß der Herr leise aus.
"Ja genau, Larifari ist das", antwortete Herr Maiteufel erleichtert, weil er glaubte, der Herr empfände das Gespräch genauso lächerlich wie er selbst.
"Sie kennen meinen Namen bereits?" fragte Larifari erstaunt.
"Ihren Namen? Wieso Ihren Namen?" fragte Herr Maiteufel verblüfft.
"Na, Larifari eben."
"Oh", sagte Herr Maiteufel. Wie peinlich, dass er den Mann so missverstanden hatte. Deshalb sagte er: "Der Name ist doch gar nicht so schlecht. Sehr einprägsam!"
Larifari schaute ihn dankbar an.
Melle hatte endlich aufgehört, auf und ab zu gehen und sagte nun, dass er mit dem Rätsel beginnen würde. Inzwischen hatte sich schon eine kleine Rätselgemeinde gebildet: Pistazie, Gerlinde und sogar Dattelfuß waren noch hinzugekommen. Alle warteten gespannt, was Melle vorzutragen hatte.
"Und was haben Sie noch so alles vor?" Larifari hatte sich wieder an Herrn Maiteufel gewandt.
"Wann?" fragte Herr Maiteufel.
"Nun, so im Leben", erklärte Larifari. "Das Leben hätte so viele Möglichkeiten, wenn man nur wüsste, wie man zu ihnen stoßen könnte."
"Ja, ja", meinte Herr Maiteufel kurz angebunden. Er wollte jetzt Melles Rätsel anhören.
"Nun?" der Herr ließ nicht locker.
"Das kann man nicht in zwei Sätzen beantworten", antwortete Herr Maiteufel abweisend.
"In wie vielen dann?"
Dieser Larifari ging Herrn Maiteufel allmählich gehörig auf die Nerven! Nicht nur, weil er ihn davon abhielt, Melles Rätsel zu hören, sondern auch, weil seine Fragen so ungeheuer langweilig waren.
Aber Larifari quasselte unbekümmert weiter: "Wenn Sie mir nicht antworten wollen, könnte ich Ihnen ein bisschen behilflich sein. Ich sammle viele der Möglichkeiten, die es gibt, in meinem Kopf. Im Kopf habe ich sozusagen schon einen ganzen Katalog voller Möglichkeiten. Ich nenne es im Stillen immer meinen Möglichkeitenkatalog."
Er lächelte Herrn Maiteufel etwas unsicher an. Ein bisschen zu unsicher vielleicht. Denn Herr Maiteufel bekam deshalb Mitleid mit ihm.
"Ihre Idee hört sich ganz interessant an", sagte er aufmunternd zu Larifari. Er bereute es aber sofort, als Larifari ihm die Möglichkeiten seines Kataloges auseinandersetzte: "Wie wäre es zum Beispiel, wenn Sie die Möglichkeit hätten, in ein fernes Land zu reisen oder dem Kaiser von China zu begegnen?"
"In China gibt es keinen Kaiser mehr", sagte Herr Maiteufel gequält.
"Oh, dann reisen wir eben in die Vergangenheit oder in die Zukunft?"
Weil Herr Maiteufel nicht reagierte, redete Larifari ununterbrochen weiter: "Wie fänden Sie ein schönes großes Haus oder die Aussicht darauf, nie mehr arbeiten zu müssen? Oder Sie dürften soviel essen, wie Sie nur wollten? Oder Sie hätten ein Swimming Pool? Oder Sie wären berühmt? Oder Sie hätten soviel Macht, dass Sie die Welt retten könnten? Oder Sie könnten die Prinzessin von Saba heiraten?"
Herrn Maiteufel langweilten diese Allerweltsträume unglaublich. Außerdem ärgerte es ihn, dass er den anderen nicht mehr konzentriert beim Rätseln zuhören konnte.
"Sie sind wohl eher ein zurückgezogener Mensch?" redete Larifari weiter. "Aber warten Sie, auch dann habe ich etwas für Sie in meinem imaginären Katalog stehen. Wie Sie sehen, sprudeln die Ideen nur so aus mir heraus."
Als Herr Maiteufel wieder nicht reagierte, rückte Larifari nahe an ihn heran und flüsterte ihm ins Ohr: "Hätten Sie nicht Lust, jeden Frühlingstag im Wald spazieren zu gehen und das Flüstern der Blätter zu hören? Hätten Sie nicht Lust, ein Butterbrotpapier zu sein?"
Herr Maiteufel drehte sich abrupt zu Larifari um, sah in verdutzt an und sagte: "Hören Sie endlich mit ihrem Geschwätz auf und lassen Sie mich endlich in Ruhe!"
Die letzten Worte hatte Herr Maiteufel beinahe geschrien, und so hatten sich die Rätselrater verwundert zu dem ungleichen Paar umgedreht.
Nach einer peinlichen Pause ging Melle auf Herrn Maiteufel zu und legte seinen Arm um ihn.
"Dieser Larifari soll nicht meine Visionen in seinem Katalog herumtragen", sagte Herr Maiteufel.
Obwohl Melle nicht verstand, was Herr Maiteufel damit meinte, sagte er zu ihm: "Kommen Sie mal mit. Ich weiß etwas Schönes für Sie."
Er führte Herrn Maiteufel zu dem Teich am hinteren Teil des Gartens und zeigte ihm einen seltsam blühenden Busch, der in einer betörenden Mischung gleichzeitig nach Honig und Rosen roch. Er brach eine der kleinen lachsfarbenen Blüten ab und gab sie Herrn Maiteufel zu essen.
Kurze Zeit später lag Herr Maiteufel mit dem Bauch auf dem Gras. Einen Arm hielt er in das Teichwasser. Das Wasser war warm und umspülte ihn. Herr Maiteufel fühlte sich mit einem Mal ganz frei: Er schloss die Augen und hatte das Gefühl, mit dem ganzen Körper im Wasser zu schweben. Gleichzeitig wusste er, dass er fest und sicher auf dem Boden lag. Manchmal berührte ein Fisch seinen Arm. Zart und unabsichtlich, und doch empfand er die Berührung als Begegnung.
Herr Maiteufel blieb eine ganze Weile so liegen. Aus einiger Entfernung hörte er das Stimmengewirr der Rätsler.

Nach einer Weile stand er wieder auf und ging zu den anderen zurück.
Zeber fuchtelte gerade aufgeregt mit seinen Armen und zeigte auf Larifari. "Wenn der Herr da immer etwas an unseren Rätseln auszusetzen hat, dann soll er doch selber mal ein Rätsel vorstellen. Sicher sind seine Rätsel auch nicht besser durchdacht."
Das fanden die anderen auch.
Larifari schien unschlüssig zu sein. Herr Maiteufel hatte das Gefühl, dass sich Larifari gerne bitten ließ.
Endlich sagte Larifari: "Also gut. Aber ihr müsst mir versprechen, dass ihr nicht beleidigt mit mir seid, wenn ihr es nicht herausbekommt, weil es zu durchdacht ist?!"
Zeber machte nur "Pah!" und dann begann Larifari mit hoher Stimme sein Rätsel vorzutragen:

Wer es macht, der nennt es nicht,
wer es sucht, der kennt es nicht,
findet er's, wird's hinterdrein
nicht mehr, was es war ihm sein.

"Das Rätsel ist überhaupt nicht rätselhaft!" stellte Zeber zufrieden fest.
Meringue stimmte ihm zu: "Man kann sich dabei gar nichts vorstellen. Es ist sozusagen langweilig."
Auch Pistazie meinte: "Dieses Rätsel können Sie vielleicht in der Kneipe am Fischmarkt loswerden, aber nicht bei uns."
Niemand hatte Lust dazu, dieses Rätsel zu lösen.
Da schaute Larifari Herrn Maiteufel an: "Und was meinen Sie dazu?"
Herr Maiteufel fühlte sich unangenehm berührt. Mit Larifari wollte er nichts mehr zu tun haben. Er gab deshalb keine Antwort.
Larifari wurde traurig. Bei allen Rätseln hatten alle aufmerksam mitgeraten, während man bei seinem nicht einmal den Versuch machte, herauszubekommen, um was es sich dabei handelte. Er schaute auf den Boden, damit man nicht sehen konnte, wie traurig er war.
Da tat er den anderen leid. Zeber meinte, dass die Lösung vielleicht 'Stockfisch' sei, doch Larifari schüttelte mit dem Kopf.
Meringue meinte, dass sie es nun ja vielleicht alle noch einmal versuchen könnten.
Larifari hob den Kopf und fragte schüchtern: "Ja?"
"Ja!" sagten dann alle ganz erleichtert, weil Larifari nicht mehr ganz so traurig war.
Selbst Herr Maiteufel wollte nun mitraten.
Larifari half den anderen ein bisschen: "Was sucht man denn, ohne es zu kennen?"
Alle überlegten.
Dann sagte Meringue: "Freunde."
Larifari schaute sie verwundert an und schüttelte mit dem Kopf.
Gerlinde rief: "Steine natürlich! Die Steine haben wir gesucht, ohne dass wir die einzelnen gekannt haben."
Larifari sagte: "Ja, das stimmt zwar, aber wir müssen auch noch die anderen Zeilen des Rätsels mit berücksichtigen. Da hieß es auch noch 'Wer es macht, der nennt es nicht', und das trifft ja nicht auf die Steine zu. Oder?"
Das sahen alle ein.
Pistazie meinte: "Es muss etwas sein, das derjenige, der es macht, so belanglos findet, dass er es nicht einmal erwähnenswert findet. Also, wenn ich zum Beispiel in mein Taschentuch schneuze, erzähle ich es niemandem."
Meringue lachte: "Aber deinen Rotz suchst du doch wohl nicht?"
Pistazie sagte gelassen, dass das ja auch nur ein Beispiel gewesen sei. Alle dachten nun an etwas Belangloses, das sie trotzdem suchen würden.
"So etwas gibt es einfach gar nicht!" meinte Zeber schließlich. "Ich zumindest suche immer nur spannende oder aufregende Dinge, aber nie etwas Langweiliges!" Und leise sagte er in Meringues Ohr: "Aber dass der Larifari etwas Langweiliges sucht, das kann ich mir schon vorstellen. Nur können wir es dann nie und nimmer erraten."
Zum Glück hatte Larifari das nicht mitbekommen, sonst wäre er bestimmt wieder traurig geworden. So sagte er: "Du hast ganz Recht, Zeber. Bei diesem Rätsel handelt es sich auch um etwas Spannendes, nicht um etwas Langweiliges."
Auch Herr Maiteufel dachte nach. Etwas Spannendes, das man anderen nicht erzählte. Hm, was könnte das nur sein?
Plötzlich wusste er es!
Aufgeregt stieß er hervor: "Das muss das Geheimnis sein!"
Larifari schaute ihn erfreut an.
Dann sagte er: "Beinahe! Es ist das Rätsel."

 

Zehntes Kapitel, in dem Arturo und Lena eine Entdeckung machen

Der Gasluftballon flog nun schon den dritten Tag über der Stadt.
Kaprize saß auf dem Kirschbaum im Garten in der Bohnengasse und spuckte immer wieder einen Kirschstein ins Gras. Sie versuchte, genau in eine Mulde zu treffen, die sie davor mit einer kleinen Schaufel ausgehoben hatte. Es befanden sich bereits zehn Steine in der Mulde.
"Kaprize!" rief Arturo aus dem Haus. "Kannst du mir einen Gefallen tun? Ich habe hier einen Korb für die Jaquelines. Kannst du ihn deinen Freundinnen bringen? Sie müssen ziemlich hungrig sein. Immerhin sind sie schon seit heute früh auf den Kreuzköpfen."
Kaprize seufzte und ließ sich vom Baum herunterfallen. Langsam ging sie ins Haus.
"Warum darf ich denn nur Esskörbe hin- und hertragen, anstatt euch richtig bei der Beobachtung der Hindernisse zu helfen?" maulte sie, als sie zu Arturo in die Küche kam.
Arturo streichelte ihr über den Kopf und sagte: "Du kennst doch Mara. Wenn sie findet, dass du noch zu klein bist für solch gefährliche Dinge, bist du eben zu klein, und damit basta. Aber sei doch froh. So kannst du in den Ferien machen, was du willst."
"Kann ich eben nicht! Wenn die Jaquelines immer auf den Kreuzköpfen sind, kann ich doch mit niemandem spielen!"
Arturo nickte. "Wärst du trotzdem so lieb, und würdest den Korb auf die Kreuzköpfe tragen? Das wäre uns wirklich auch eine große Hilfe. Lena wird heute im Norden die Stadt beobachten und ich im Süden, da können wir es uns nicht leisten, unsere Position für ein paar Stunden aus den Augen zu lassen."
"Klar", meinte Kaprize und knuffte Arturo in den Bauch. "Darf ich mir auch etwas aus dem Korb nehmen?"
"Klar", sagte Arturo und zog Kaprize an der Nase.
Kaprize nahm den Korb und ging pfeifend aus dem Haus.
"Bis heute abend!" rief Arturo ihr hinterher.
Doch Kaprize stand schon auf der Gasse und hörte ihn nicht mehr.

Der Tag war heiß und drückend. Die Straßen lagen ausgestorben und teerschwer zwischen den Häusern und machten Kaprize das Gehen schwer.
Kaprize seufzte. Zu den Kreuzköpfen würde sie eine gute Stunde brauchen. Zum Glück konnte sie dabei die längste Strecke durch den Stadtwald gehen.
Kurz nach dem Vergnügungsbad konnte Kaprize bereits die Jaquelines auf den Hügelkuppen der Kreuzköpfe erkennen.
Auf jedem Hügel standen zwei Jaquelines. Die eine blickte in den Norden, die andere in den Osten. Die dritte in den Süden und die vierte in den Westen.
Angestrengt atmend kletterte Kaprize den ersten Kreuzkopf, der südlich vom anderen Kreuzkopf lag, hinauf.
"Da ist wer! Da ist wer!" kam ein unterdrückter Aufschrei von oben.
Kaprize schmunzelte. Die Jaquelines hielten sie bestimmt für ein Hindernis. Doch bevor sie sich überlegen konnte, wie sie die Jaquelines erschrecken könnte, wurde sie schon von den beiden entdeckt.
"Ach, du bist es", sagte Jaqueline beinahe etwas enttäuscht.
Kaprize lies sich mit ihrem Korb ins Gras plumpsen.
Der Himmel über ihr war blau. Nichts als blau.
Wo der Ballon wohl war?
"Wann habt ihr den Ballon zuletzt gesehen?" fragte Kaprize die Jaquelines.
"Hm, schwer zu sagen", sagte Jaqueline, während sie den Korb durchwühlte. Sie nahm sich einen Pfirsich und biss genüsslich hinein. "Wir müssen uns auf die Stadt unter uns konzentrieren. Da haben wir wenig Zeit, in die Luft zu schauen."
"Was ist denn noch alles in dem Korb?" fragte die andere Jaqueline.
"Aber ihr müsst doch trotzdem wissen, wann ihr den Ballon zum letzten Mal gesehen habt!" meinte Kaprize.
"Vielleicht gestern abend", antwortete Jaqueline etwas gelangweilt.
"Ja, ich denke auch, dass es gestern abend war. Kurz bevor wir unseren Posten hier aufgegeben haben", bestätigte Jaqueline. "Warum interssiert das dich denn so?"
Kaprize zuckte mit den Schultern.
"Und, habt ihr was entdecken können?"
"Nö", schmatzte Jaqueline. "Die Straßen sind fast menschenleer seit wir hier oben sind. Es ist beinahe unheimlich. Vielleicht braut sich da unten etwas zusammen?"
"Das Problem ist", sagte Jaqueline, "dass wir nicht in die Gebäude hineinschauen können."
"Außerdem verdecken die Bäume den ganzen Stadtwald", fügte Jaqueline hinzu. "Wer weiß, wer sich bei der Hitze dort alles versteckt."
Kaprize stand auf und packte die Lebensmittel wieder in den Korb. "Ich geh' dann mal zu den Jaquelines rüber. Wollt ihr noch was von den Sachen hier behalten?"
"Lass mal", sagte Jaqueline, "Essen stört uns nur bei unserer Aufgabe."
Kaprize nickte, nahm den Korb, sagte "bis dann", und lief den Hügel hinunter.
Als sie den zweiten Kreuzkopf hinaufstieg, überlegte sie, was sie Nachmittags machen sollte. Eigentlich war bei so einem Wetter das Vergnügungsbad ja genau das Richtige. Aber ihr gefiel es dort nicht. Schon gar nicht alleine. Vielleicht sollte sie ein bisschen am Fluss baden gehn? Allerdings hatte sie keine Badesachen dabei. Und deshalb wieder heimzugehen, hatte sie auch keine Lust. Am liebsten hätte sie Arturo beim Suchen geholfen. Aber der wollte sie einfach nicht dabei haben.
"Da bist du ja endlich!" riefen die Jaquelines. "Wir haben einen solchen Hunger."
Kaum war Kaprize oben angekommen, rissen ihr die Jaquelines den Korb aus der Hand und stürzten sich auf die Sachen.
"Hmm, wie das schmeckt! Das hat Arturo aber fein gemacht", sagte Jaqueline anerkennend.
Nun bekam auch Kaprize Appetit. Genüßlich biss sie in einen Fleischkuchen.
"Mir ist es da unten so langweilig", maulte Kaprize zwischen den einzelnen Bissen. "Könnt ihr mich hier oben wirklich nicht gebrauchen?"
"Tut uns leid", meinten die Jaquelines, "aber alle Richtungen sind bereits vergeben."
"Aber warte mal", sagte Jaqueline und kramte in ihrer Hosentasche. "Ich hab hier ein paar Murmeln. Die kannst du haben."
"Oh, danke", freute sich Kaprize. "Meine habe ich neulich im Fluss versenkt."
"Kann ich euch den Korb hierlassen?" fragte Kaprize.
"Klar. Wir bringen ihn euch heute abend vorbei."
"Danke!" freute sich Kaprize. "Dann geh ich mal wieder. Tschüß."
Sie drehte sich um und rannte den Hügel hinunter. Irgendwann schien sie zu fallen und sich den Rest hinunterkugeln zu lassen.

Als Kaprize unten ankam, schüttelte sie sich Gras und Blätter aus dem Kleidern und ging in Richtung Stadt. In ihrer Hosentasche fühlte sie Jaquelines Murmeln aneinanderstoßen. Sie holte die Murmeln heraus und betrachtete sie.
Das Glas der Kugeln war grün oder blau gefärbt. Nur eine der Kugeln war durchsichtig und hatte in der Mitte eine rotfarbene Glasspirale.
Kaprize hob die durchsichtige Murmel gegen die Sonne. Sie ließ das Glas grün schimmern und das Farbige der Murmel darin magisch einbetten.
Sie war mittlerweile beim Bahnhof angelangt. Weil sie keine Lust hatte, zu Hause alleine zu sein, schlenderte sie auf Umwegen Richtung Bohnengasse.
Im Schatten eines hohen modernen Gebäudes, dem Finanzamt der Stadt, setzte sie sich auf die Bordsteinkante.
Gedankenverloren spielte sie mit den Murmeln in ihren Händen, ließ sie über ihre nackten Beine auf die Straßen rollen, hob sie wieder auf und klemmte eine Kugel zwischen Oberlippe und Nase.
Die Murmel fiel ihr hinunter, hüpfte einmal nach oben und rollte dann die Straße entlang, bis sie schließlich in einer Kuhle einer runden Dole zu liegen kam.
Kaprize schaute auf und lief zur Murmel. Sie entdeckte ein kleines Loch in der Dole, das gerade groß genug war, die Murmel festzuhalten, aber zu klein, um sie hindurch zu lassen.
Kaprize nahm die Glaskugel und versuchte, sie in das Loch zu spielen.
Es war gar nicht so einfach. Kaprize brauchte einige Zeit, bevor eine Murmel in der Vertiefung liegen blieb. Sie übte so lange, bis sie alle Kugeln einmal in das Loch gespielt hatte. Danach versuchte sie, eine Kugel, die bereits in dem Loch lag, durch eine andere Murmel wegzustoßen, und diese dann dort zu plazieren. Das war noch viel schwieriger!
Kaprize stieß eine Kugel mit so viel Schwung weg, dass sie die Straße weit entlangrollte. Sie ging der Kugel hinterher und entdeckt eine zweite runde Dole. Diese Dole hatte im Unterschied zur ersten zwei kleine Löcher. Nach dieser Dole sah Kaprize noch eine Dole mit drei Löchern und ein paar hundert Meter weiter eine mit vier.
Kaprize wurde etwas aufgeregt. Sie dachte sich ein Spiel aus: Wenn sie in der ersten Dole alle Murmeln plazieren konnte, musste sie in der zweiten Dole zwei Murmeln, in der dritten drei und in der vierten vier Murmeln in die Öffnungen spielen. Das war sicher schwierig, weil man dann die Murmeln gegenseitig wegstieß, bevor man sie in dem jeweiligen Loch hatte. Damit das Spiel noch spannender wurde, stellte sich Kaprize mehrere Mannschaften vor. So musste sie also bei jeder Dole für drei spielen.
Sie war mit allen drei Mannschaften gerade bei der zweiten Dole angekommen, als die Kirchturmuhr sechsmal schlug.
"Schade! Gerade jetzt muss ich nach Hause", dachte Kaprize. "Gerade jetzt, da die Mannschaft von Jenny nur zwei Punkte vor meiner liegt. In der nächsten Runde hätte ich die anderen bestimmt geschlagen", dachte Kaprize und versuchte eine Murmel in eines der beiden Löcher zu spielen.
Als es ihr auch beim dritten Mal nicht gelang, gab sich Kaprize notgedrungen geschlagen, sammelte die Murmeln ein und machte sich auf den Heimweg.

"Da bist du ja endlich", rief Arturo, als Kaprize in die Küche gestürmt kam. "Ich habe mir Sorgen gemacht. Die Jaquelines haben mir schon vor einer Stunde den Korb vorbeigebracht und mir gesagt, dass sie dich seit Mittag nicht mehr gesehen hätten. Wo warst du nur?"
Doch bevor Kaprize antworten konnte, erzählte ihr Arturo schon von seinen Erlebnissen: "Lena und ich haben heute eine merkwürdige Entdeckung gemacht. Während ich heute den Südteil der Stadt beobachtete, fielen mir sechs Leute auf, die den ganzen Tag um mich herum schlichen. Als ich sie heute abend deswegen zur Rede stellte, kicherten sie nur blöd und streckten mir die Zunge heraus ..."
"Was ist denn daran merkwürdig?" unterbrach Kaprize Arturo.
"Merkwürdig daran ist, dass Lena heute in der Nordstadt genau dasselbe erlebt hat!", erklärte Arturo. "Nach Lenas Beschreibung sahen die Leute, die sie gesehen hat, genau gleich aus, wie die, die ich beobachtet habe."
Nach einer kurzen Pause fügte Arturo hinzu: "Bestimmt waren es die Hindernisse! - Deshalb habe ich mir auch Sorgen um dich gemacht."
"Was soll denn an Leuten, die nur Kichern und die Zunge herausstrecken, gefährlich sein?" fragte Kaprize erstaunt.
"Gefährlich daran ist hauptsächlich, dass sie an zwei Stellen gleichzeitig sein können! Der Finder hatte also Recht, wenn er meinte, dass die Hindernisse uns so überlisten und den Läufer verstecken. Aber er hatte leider nicht Recht damit, dass wir die Hindernisse bei ihrem Spiel ertappen können, wenn wir nur da suchen, wo der Finder nicht ist. Denn wie wir heute festgestellt haben sind die Hindernisse überall gleichzeitig!"
Arturo schaute Kaprize bedeutungsvoll an.
So bedeutungsvoll, dass Kaprize Angst bekam. Sie fühlte sich plötzlich so klein. Warum war Mara nicht da? Was wollte sie eigentlich in der Luft? War das nicht völlig unsinnig? Was, wenn es stimmte und die Hindernisse überall waren? Hielten sie dann Mara und die anderen oben gefangen? Hatte sie deshalb den Ballon heute noch nicht gesehen?
"Hast du heute den Ballon gesehen?" fragte Kaprize zaghaft.
"Ja. Heute morgen. Die Luft war heute ziemlich dunstig. Deshalb hat man ihn mittags nicht sehen können", beruhigte Arturo Kaprize.
"Glaubst du, dass die Hindernisse auch im Ballon sind?"
"Das ist sehr unwahrscheinlich", sagte Arturo. "Oder hast du außer Mara, dem Finder, Karla, Ottokar, Malte und Emili noch jemand in den Ballon steigen sehen?"
Erleichtert schüttelte Kaprize den Kopf.
"Na, dann lass uns jetzt abendessen", meinte Arturo.
Nachdem sie eine Weile schweigend gegessen hatten, fragte er: "Was hast du denn heute den ganzen Tag getrieben? "
Kaprize erzählte ihm von ihrem mühsamen Aufstieg auf die Kreuzköpfe, und dass die Jaquelines bisher nichts Auffälliges bemerkt hätten. Sie erzählte von Jaquelines Murmelgeschenk, von den Löchern in den Dolen und ihrem Wettkampf.
"Wenn ich nicht nach Hause hätte kommen müssen, hätte ich bestimmt Jenny geschlagen!" sagte Kaprize vorwurfsvoll.
"Aber dann würde ich jetzt meinen, dass die Hindernisse dich entführt hätten", gab Arturo zurück. "Außerdem kannst du morgen und übermorgen ..."
"Und überübermorgen und überüberübermorgen und überüberüberüberüber ..."
"Falsch! Ein 'über' zuviel. Nach überüberübermorgen kommt überüberüberübermorgen!"
"Das habe ich doch gesagt!"
"Hast du nicht!" meinte Arturo.
"Und was kommt nach vorvorvorvorvorvorvorgestern?" fragte Kaprize trotzig.
"Vorvorvorvorvorvorvorvorvorgestern", sagte Arturo triumphierend.
"Falsch!" quieckte Kaprize erfreut. "Ein 'vor' zuviel. Ich habe genau mitgezählt. Nach vorvorvorvorvorvorvorgestern kommt vorvorvorvorvorvorvorvorgestern."
Arturo gab sich geschlagen.
Er gab Kaprize einen Kuss, sagte ihr "Gute Nacht" und ging nach oben in sein Schlafzimmer. Der Tag war für ihn sehr anstrengend gewesen.
Kaprize blieb noch eine Weile in der Küche sitzen und spielte mit den Murmeln in ihrer Hand.

 

Elftes Kapitel, in dem die Ballonreisenden einen Kartoffelauflauf mit Speck essen

Arturo stand im Garten und schaute nach oben. Der Ballon war nur als kleiner Punkt am Himmel sichtbar. Doch allmählich verlor er an Höhe und bald konnte Arturo Korb und Ballon voneinander unterscheiden. Schon sah er einige Händepaare winken und glaubte, Mara etwas rufen zu hören.
Aufgeregt beobachtete Arturo das Sinken des Ballons. Er fragte sich, ob der Ballon das Gartengrundstück treffen und alle sicher landen würden.
Als der Ballon ungefähr die Höhe der Schuldächer erreicht hatte, warf Mara Arturo ein dickes Seil zu und rief etwas, was Arturo nicht recht verstand: "Imseil ach aum est, im och saseil machs baum fett."
Hektisch, das Seil in beiden Händen haltend, drehte sich Arturo um und schaute nach, ob ein fetter Baum oder Ähnliches im Weg stand. Doch der Kirschbaum stand ganz hinten am Gartenzaun.
"Sagt tu im baum fett, baum fett!" schrie Mara immer wieder, während der Ballon schon beinahe den Giebel ihres Hauses streifte.
Arturo schüttelte nervös den Kopf. Was wollte Mara nur von ihm? -
Anstatt sich weiter darum zu kümmern, sprang er in die hinterste Ecke des Gartens und zog so stark er konnte an dem Seil. Geschickt manövrierte er den Ballon in die Mitte des Gartens.
Die Luftreisenden sahen erschöpft aus. Vermutlich waren sie froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Arturo bemerkte, dass der Läufer nicht dabei war.
"Warum hast du denn das Seil nicht am Baum festgebunden?" fragte Mara Arturo aufgebracht.
"Wieso hätte ich es denn am Baum festbinden sollen?" fragte Arturo verwundert. "So ging es doch viel besser."
"Hast du mich denn nicht verstanden? Ich habe dir doch immer zugerufen, dass du das Seil am Baum festmachen sollst?!"
"Aber Mara", mischte sich Lena ein, die gerade aus dem Haus in den Garten gekommen war, "du bist doch eben erst zurück gekommen. Freust du dich denn gar nicht, dass du Arturo wiedersiehst? Immerhin haben wir hier auch einiges gearbeitet und entdeckt. Nicht nur ihr habt etwas zu erzählen."
"Entdeckt?" horchte Mara auf. "Was habt ihr denn entdeckt?"
"Können wir nicht erst mal aussteigen?" meldete sich Ottokar zu Wort und reichte Arturo einen Schemel nach draußen.
Arturo gab Ottokar die Hand und half ihm beim Aussteigen. Etwas steif kletterte Ottokar über den Korbrand auf den Schemel und sprang dann auf die Wiese.
"Ahh", sagte er und schaute dabei die anderen Reisenden feierlich an: "Die Erde hat mich wieder!"
Emili warf Ottokar einen giftigen Blick zu und bat dann Arturo, ihr auch beim Aussteigen zu helfen.
Nacheinander stiegen Malte, Karla, der Finder und Mara aus dem Korb. Ausgiebig streckten und dehnten sie ihre Glieder.
Als Arturo ihnen sagte, dass er im Esszimmer bereits gedeckt habe, man müsse nur noch den Auflauf aus dem Ofen holen, liefen die Ballonreisenden schnell ins Haus.
Arturo und Mara blieben alleine zurück.
"Hat es dir da oben nicht gefallen?" fragte Arturo Mara einfühlsam.
"Ach, Arturo", seufzte Mara. "Wir haben nichts herausgefunden. Wir haben nichts gesehen außer Luft, Luft und nochmals Luft."
Arturo nahm Mara in den Arm.
Mara drückte ihr Gesicht an seine schmale Brust.
Dann sagte sie weinerlich: "Es gibt nichts zu erzählen."
Arturo nickte.
"Wie wäre es mit einem großen Teller Kartoffelauflauf?"
"Mit Speck?" fragte Mara.
Arturo nickte abermals und führte Mara ins Haus.

Die anderen hatte es sich im Esszimmer bereits gemütlich gemacht.
"Dein Kartoffelauflauf schmeckt ausgezeichnet", rief Malte Arturo zu, als er und Mara sich an den Tisch setzten.
"Sie wollten einfach nicht warten", sagte Karla mit vollem Mund und zuckte entschuldigend mit ihren Schultern.
"Macht nichts", sagte Arturo und füllte Maras und seinen Teller.
Nach einer Weile unterbrach Lena die schmatzende Stille: "Offensichtlich habt ihr den Läufer nicht mitgebracht. Habt ihr denn sonst etwas von da oben aus gesehen?"
"Och", meinte Ottokar gedehnt und schielte zu Malte, "unsere Stadt sieht von oben betrachtet richtig hübsch aus. Ich hatte noch gar nicht gewusst, dass der Stadtpark beinahe gleich groß ist wie die Stadt selbst."
"Wenn man bedenkt, dass die Zuschüsse einer Stadt nach deren Einwohnerzahl berechnet werden", fügte Male hinzu, "sollte man sich vielleicht überlegen, die Grünflächen zuzubauen ..."
"Ja, ja", winkte Lena Malte ab, "aber habt ihr nicht irgend etwas Spezielles entdeckt, etwas, das mit dem Verschwinden des Läufers zu tun haben könnte?"
Malte rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. Ottokar blickte scheinbar unbeteiligt auf den Boden. Emili rieb auffällig ihre spitze Nase.
Mara schaute verwundert in die Runde. Dann sagte sie: "Hat es euch denn allen die Sprache verschlagen? Dabei müsstet ihr nur ein ganz kleines Wörtchen sagen: Nichts! Es gab nichts zu sehen. Wir haben nichts entdeckt. Wir haben den Läufer nicht gefunden. Wir hätten uns gerade so gut die paar Tage in ein Zimmer einschließen können!"
"Das hätten wir aber nicht gemacht!"
Alle drehten ihre Köpfe verwundert zum Finder, der bisher still auf seinem Stuhl gesessen war.
"Wieso hätten wir uns denn auch in ein Zimmer einsperren sollen?" fragte Mara gereizt. "Gerade du wolltest doch hier unten unbedingt die Hindernisse beobachten. Wären wir nicht im Ballon gesessen, hätten wir die Hindernisse vielleicht schon geschnappt, und der Läufer wäre endlich auf seiner Position."
"Schon möglich", gab der Finder zu. "Aber es hatte auch sein Gutes, dass wir - oder zumindest ich - viel Zeit zum Nachdenken hatten."
Ottokar grinste spöttisch: "Nachdenken, ja. Aber bloß über was?!" Lena und Arturo erklärend fügte er hinzu: "Während wir angestrengt durch das Fernglas alles unter, über und neben uns im Auge behielten und nach dem Läufer suchten, hatte der Finder nichts Besseres zu tun als über den Plänen von diesem Gürteltier zu brüten. Nur, was hat das alles mit dem Läufer zu tun?"
Ottokar hatte sich aufgesetzt und seine Brust weit nach vorn geschoben. Er blickte den Finder herausfordernd an.
Der Finder seufzte: "Ich gebe zu, dass das alles nichts mit dem Läufer zu tun hat. Aber dafür mit Herrn Maiteufel. Er ist nämlich auch verschwunden. Ihn muss ich auch suchen. Oder ist er inzwischen wieder aufgetaucht?"
Arturo schüttelte den Kopf. "Nicht, dass ich wüsste."
Der Finder nickte. "Bevor ich tagelang für nichts in den Himmel schaue, überlege ich mir lieber, wie ich ein anderes Problem lösen kann. Und insofern bin ich froh, dass ich mir die Zeit dafür nehmen konnte. Denn wären wir hier unten geblieben, wäre ich sicher die ganze Zeit durch die Suche des Läufers in Anspruch genommen worden."
Die anderen schwiegen betreten.
Sicher, Herr Maiteufel war auch nicht ganz unwichtig. Aber wie konnte der Finder bei einer so wichtigen Angelegenheit, wie der Suche nach dem Läufer, den Kopf für solch eine Nebensächlichkeit frei haben? Wenn der Finder für die Sache der Stadt so wenig Engagement zeigte, wie konnte er da überhaupt jemals den Läufer finden?
Andererseits stimmte es, dass er in dem Ballonkorb ohnehin nicht viel anderes hätte tun können ...
"Und, hast du mit den Plänen etwas anfangen können?" beendete Mara das Schweigen.
"Hm, ja, ich denke schon", antwortete der Finder. "Herr Maiteufel hat die unterschiedlichen Maße der beiden Pläne offensichtlich miteinander verglichen. Erstaunlicherweise sind die Streckenverhältnisse des Konstruktionsplans und des Stadtplans alle genau gleich! Es muss also eine tiefere Verbindung zwischen beiden Plänen geben. Mir ist nur absolut nicht klar, welche."
"Was ist denn das für ein Konstruktionsplan?" fragte Karla.
"Ich kenne mich in solchen Dingen nicht aus", erwiderte der Finder. "Aber der Plan scheint eine meterhohe Maschine mit Besprenkelungsanlage und Fön zu beschreiben."
"Sind denn auch Walzen dabei?" fragte Ottokar. Er schien sich nun doch ein wenig für Herrn Maiteufels Plan zu interessieren.
"Ja", stimmte ihm der Finder zu. "Haben Sie eine Ahnung, um welche Maschine es sich dabei handeln könnte?"
"Vielleicht", sagte Ottokar, "zeigen Sie mir mal den Plan."
Schnell stand der Finder auf und lief in den Garten, um seine Sachen aus dem Korb zu holen. Als er in den Garten kam, sah er, dass unter dem Ballon immer noch Feuer war. Er stieg in den Korb, drehte den Gashahn zu und räumte den Korb aus.
Langsam begann der Ballon einzufallen.
Der Finder ging wieder ins Haus.
"Hier, sehen Sie", sagte der Finder und gab Ottokar den Plan.
Nachdem Ottokar den Plan eine Weile studiert hatte, murmelte er: "Dachte ich es mir doch. Das ist eine Butterbrotpapiermaschine. Kommt Herr Maiteufel nicht aus Oberfischen?"
Der Finder nickte.
"Dann ist das sicher der Plan einer Butterbrotpapiermaschine. In Oberfischen steht nämlich eine Butterbrotpapierfabrik. Kennen Sie nicht den Spruch, 'Nur mit Knobels Brotpapier, schmeckt mein Butterbrot noch mir'?"
Der Finder sah ihn verständnislos an.
"Na, ist ja auch egal", meinte Ottokar. "Auf jeden Fall wissen Sie jetzt, was das für ein Plan ist. Vielleicht hilft Ihnen das ja weiter."
"Vielleicht, vielleicht auch nicht", meinte der Finder und rollte den Plan zusammen. "Auf jeden Fall scheint Herr Maiteufel hier etwas ganz Konkretes gesucht zu haben. Als er den Plan von Mara geschickt bekommen hat, muss er etwas entdeckt haben, weshalb er sofort hier her gereist ist. - Wann hast du ihm noch mal das Paket geschickt, Mara?"
"Höchstens eine Woche bevor er hier ankam", sagte Mara nachdenklich. "Wenn ihm nur nichts passiert ist!"
"Es ist schon merkwürdig, wie hier einer nach dem anderen verschwindet", meinte Emili. "Vielleicht war es doch ein Fehler von mir, hier her zu ziehen."
"Die Hindernisse sind einfach sehr gerissen", wandte Lena ein. "Sie entwerfen immer neue Taktiken, uns zu überlisten."
"Meinst du damit etwas Bestimmtes?" fragte Karla Lena gespannt.
Die ganze Gesellschaft sah Lena erwartungsvoll an.
"Arturo und ich haben herausgefunden, dass die Hindernisse über die Fähigkeit verfügen, sich zu verdoppeln oder zu verdreifachen! Wir sind darauf gekommen, weil wir an unterschiedlichen Orten zur gleichen Zeit die gleichen Menschen gesehen haben."
"Wie das?" fragte Karla.
"Während Arturo den Südteil der Stadt beobachtete, umkreisten und grinsten ihn dort genau die gleichen Gestalten höhnisch an, wie mich, als ich im Nordteil der Stadt die Position hielt", erklärte Lena.
"Aber das ist ja entsetzlich!" stieß Malte hervor und schnappte nach Luft.
"Das ist das Ende", stöhnte Ottokar.
"Die Situation ist auswegslos!" sagte Emili schrill.
"Wo sind die Jaquelines?" rief Karla in die allgemeine Unruhe hinein. "Arturo, weißt du, wo die Jaquelines sind? Wann hast du sie zum letzten Mal gesehen?"
Karla war aufgesprungen und lief hektisch im Zimmer auf und ab. "Vielleicht hätte ich doch nicht mitfliegen sollen. Es war wahrscheinlich viel zu leichtsinnig, meine Jaquelines alleine zulassen. Wie konnte ich nur so verantwortungslos sein ..."
"So beruhige dich doch", sagte Arturo. "Deinen Jaquelines ist nichts passiert. Sie sind wie immer auf den Kreuzköpfen und halten Ausschau."
"Was?" schrie Karla Arturo an. "Du hast sie noch auf die Kreuzköpfe gehen lassen, nachdem du wusstest, dass es in der ganzen Stadt von Hindernissen nur so wimmelt?"
Arturo sah hilflos Mara an.
Mara ging zu Karla und legte ihre Hand beschwichtigend auf Karlas Arm: "Karla! Arturo weiß schon, was er tut. Die Jaquelines sind groß genug, um auf sich selbst aufzupassen. Kaprize ist schließlich auch nicht da, und ich falle nicht aus allen Wolken."
Mara sah etwas ängstlich zu Arturo, doch er nickte mit dem Kopf, als wolle er sagen, dass alles in Ordnung war.
Doch Karla wütete weiter: "Dir ist Kaprize auch nicht so wichtig, wie mir die Jaquelines."
Mara spürte einen Stich in ihrer Brust: "Karla, du bist ungerecht. Am besten gehst du jetzt gleich auf die Kreuzköpfe und überzeugst dich selbst davon, dass es den Jaquelines gut geht."
Karla sah Mara giftig an: "Das mache ich auch! Hier versäume ich sowieso nichts."
Sie packte ihre Sachen zusammen und ging ohne ein Wort des Abschieds aus dem Haus.
"Können wir uns jetzt vielleicht überlegen, wie wir die Hindernissen trotz aller Umstände überlisten können?" fragte Emili mit dünner Stimme.
Arturo schluckte. "Lena und ich haben uns überlegt, dass wir uns auch vervielfältigen müssen, wenn wir eine echte Chance gegenüber den Hindernissen haben wollen."
"Sehr witzig", sagte Ottokar. "Dann gehen wir jetzt alle mal nach Hause und holen unseren Klon aus dem Schrank."
"Wir haben uns deshalb etwas anderes überlegt", fuhr Arturo fort, ohne auf Ottokars bissige Bemerkung einzugehen: "Es gibt nur eine Möglichkeit: Wir müssen selbst zu Hindernissen werden! Nur dann sind wir zahlenmäßig so stark wie sie. Sogar noch stärker. Denn sie haben nur sich. Aber wir haben sie und uns."
"Ich wusste es!" schnaubte Malte. "Früher oder später werden wir alle zu Hindernissen! Schön, sehr schön! Merkt ihr denn nicht, dass dann die Hindernisse genau das erreicht haben, was sie wollten? Sind wir erst alle zu Hindernissen geworden, wird es in der Stadt nie mehr Veränderungen geben."
"Du hast Arturo offenbar falsch verstanden", sagte Lena. "Wir werden keine Hindernisse im eigentlichen Sinne, sondern nur als Hindernisse erscheinen. Sie werden uns dann nicht mehr von sich selbst unterscheiden können. Können sie uns aber nicht mehr unterscheiden, werden sie uns auch nicht mehr beobachten und bedrängen. Außerdem können sie dann auch nicht mehr den Läufer vor uns versteckt halten."
"Ach, und wie sieht man wie ein Hindernis aus, ohne eines zu sein?" fragte Malte schnippisch. "Sieht man erst mal wie eins aus, wird man auch ganz schnell eins! Oder glaubt ihr vielleicht, dass sich die Hindernisse mit solch billigen Tricks täuschen lassen?"
"Es stimmt, dass es schwierig sein wird, die Hindernisse zu imitieren ohne selbst eines zu werden", gab Lena zu. "Aber welche Chance haben wir denn sonst, den Läufer zu finden?"
Resigniert zuckte Malte mit den Achseln.
Mara fragte den Finder, was er dazu meine.
"Ich weiß nicht", sagte er nachdenklich. "Vielleicht haben sich Lena und Arturo getäuscht und die Hindernisse können sich gar nicht nach Belieben verdoppeln? Ansonsten denke ich, dass man sich davon nicht beirren lassen sollte. Anscheinend haben sie euch nicht körperlich bedroht. Vielleicht sollte man sie einfach grinsen lassen und unbeeindruckt weiter nach dem Läufer Ausschau halten?"
"Richtig!" rief Malte, sichtlich erleichtert, dass dem Finder noch etwas anderes eingefallen war.
"Du kannst es dir vielleicht schwer vorstellen, aber es ist unheimlich schwierig, sich auf die Beobachtung der Geschehnisse in der Stadt zu konzentrieren, wenn man ständig von grinsenden Hindernissen umzingelt ist", sagte Arturo zum Finder.
"Das glaube ich dir", erwiderte der Finder. "Aber womöglich wird die Suche einfacher, wenn ich wieder daran beteiligt bin. Denn es gilt immer noch, dass der Läufer da ist, wo ich nicht bin. Ich denke, dass ihr dann genauer wisst, was oder wen ihr beobachten müsst."
Arturo schwieg.
Lena sagte: "Einen Vorteil hat der Vorschlag auf jeden Fall. Wir verlieren momentan keine weitere Zeit damit, uns zu überlegen, wie wir die Hindernisse am besten nachahmen können und wie wir uns dann mit den echten Hindernissen auseinander zu setzen haben, um nicht aufzufallen. Außerdem müssten wir uns auch eine Strategie überlegen, wie wir uns gegenseitig unter den echten Hindernissen erkennen können."
"Und an was wir die übergelaufenen Hindernissen ausmachen können", meckerte Malte.
"Wir können ja noch drei bis vier Tage versuchen, den Läufer so zu finden", schlug Mara vor. "Wenn sich aber heraus stellen sollte, dass uns die Hindernisse zu sehr behindern und wir keinerlei neue Spur bekommen, überlegen wir, wie wir als unechte Hindernisse zu verfahren haben."
Damit waren alle einverstanden.

Weil es schon später Nachmittag war und alle müde von den anstrengenden Nächten im Ballon waren, beschlossen sie, erst am nächsten Tag weiter zu suchen. So packten Malte, Emili, der Finder und Ottokar ihre Sachen zusammen, verabschiedeten sich von Mara und Arturo und gingen nach Hause.
Als Mara und Arturo das Geschirr in der Küche abwuschen, fragte Mara, wo Kaprize denn den ganzen Tag stecke, ob ihr doch hoffentlich nichts zugestoßen sei?
Arturo lächelte: "Ich glaube, da kannst du ganz unbesorgt sein. Seit ein paar Tagen spielt Kaprize wie besessen ein Murmelspiel, das sie selbst erfunden hat. Beim Finanzamt hat sie mehrere Dolen entdeckt, die kleine Löcher im Deckel haben. Dort spielt sie die Murmeln hinein. Sie hat sich mehrere Mannschaften ausgedacht, gegen die sie mit ihrer eigenen Mannschaft antritt. Ich glaube, ihre Mannschaft hat noch nie gewonnen. Sie möchte wohl mindestens so lange dort spielen, bis sie einmal gewonnen hat."
Mara schaute Arturo erleichtert an. "Vielleicht sollten wir mal einen Spaziergang zum Finanzamt machen?"
Arturo nickte und stellte das abgetrocknete Geschirr in den Schrank.
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg.

Ende Teil 6

Die Fortsetzung der Geschichte könnt ihr im Rossipotti No. 13 lesen!

 © Rossipotti No. 12, August 2006