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Rossipottis 11 Uhr Termin
* * *
Abstimmung
Wer gewinnt: Fantasy oder Phantasie?
Wenn ihr auf die Knöpfe drückt, könnt ihr zwischen
Phantasie und Fantasy abstimmen.
Ihr kennt den Unterschied zwischen Fantasy und Phantasie
nicht?
Dann lest zuerst den Fantasy-Zweig der Textkrake, den Leser
und Leserinnen von Rossipotti
geschrieben haben und die drei phantastischen Geschichten,
die erwachsene Autoren geschrieben haben, durch und entscheidet
dann, was euch besser gefallen hat.
Jeder Punkt zählt!
Fantasy
Geschichte
Kapitel 1 von Rossipotti: Lorinde und die Gefahr
Lorinde ritt auf ihrem weißen Pferd durch das Dämmerlicht
und schaute immer wieder ängstlich nach hinten. Waren die Späher
schon auf dem Hügel oder waren das nur die Bäume, die
ihre langen Schatten warfen?
"Schnell, Abalon, schnell! Reite wie der Wind in den Lichterwald!
Dort können uns die Späher nichts mehr anhaben."
Abalon wieherte und preschte den Hügel hinunter. Seine Mähne
flatterte im Wind und von seinem Hals tropfte der Schweiß.
Am Horizont konnte Lorinde die ersten Bäume des Lichterwalds
erkennen. Hoch und schlank ragten sie in den Himmel. Wenn sie den
Wald doch nur erreichen würde, bevor die Späher sie eingeholt
hatten! Im Wald würden die Späher bald ihre Fährte
verlieren. Und im Wald wartete Juventril, der mutige Juventril.
Das Mädchen sah hinter ihre Schulter und erschrak: Torben in
seinem roten Mantel galoppierte den Hügel hinab und war nur
noch wenige hundert Meter hinter ihr.
Lorindes Herz schlug bis zum Hals. Torben, der schreckliche Torben,
der ihren Bruder an Zark verraten hatte! Nie und nimmer durfte sie
ihm in die Hände geraten. Wie sollte sie dann noch ihrem Bruder
helfen können?
Lorinde presste sich an Abalons Körper und das Pferd flog beinahe
über die Wiese.
Vorsicht ein Wassergraben!
Abalon riss seinen Kopf in die Höhe und sprang auf die andere
Seite.
Der Lichterwald lag jetzt nur noch zweihundert Meter vor ihnen.
Aber auch die Späher waren nicht mehr weit. Und Torbens Pferd
war kurz vor dem Graben!
Kapitel 2 von Lilly: Verfolgungsjagd
Abalon flog über die Felder, so, dass es Lorinde fast schwindelig
wurde. Aber sie riss sich zusammen und dachte: "Ich darf jetzt
nicht aufgeben! Wenn Torben mich kriegt dann ist alles aus.Und was
wird aus Abalon?"
Plötzlich tauchte vor Lorinde eine kleine aber spitze Steinmauer
auf! Lorinde bekam Panik. Fast automatisch jedoch sprang Abalon
über das Hindernis hinweg. Schon sah Lorinde vor sich den Wald.
Sie preschte zwischen den Bäumen hindurch und bald sah sie
auch die Späher nicht mehr. Doch: Da! Auf einmal kamen von
überall Reiter heran geritten! Sie waren umzingelt! Es war
vorbei...
Kapitel 3 von Lilly: Rettung in Sicht!
Die Späher kamen immer näher auf sie zu. Lorinde hatte
schreckliche Angst, als sie von einem zum anderen blickte. Der eine
sah gefährlicher aus als der andere. Plötzlich nahm einer
Pfeil und Bogen und zielte auf sie.
Abalon erschrak so, dass er stieg und Lorinde abwarf und sich einen
Weg durch die Späher bahnte. Auf einmal ertönte ein schriller
Pfiff.Alle drehten sich in die Richtung, aus der er kam, und Lorinde
sah zwischen den Bäumen Juventrill auftauchen. Jetzt erst erkannte
sie ihre Chance. Sie schlich sich davon, und stieg auf Abalon, der
am Waldrand stehen geblieben war. Schon gallopierten sie wieder
über die Felder und Lorinde überlegte sich, wie sie ihren
Bruder retten würde.
Kapitel 4 von Lilly: Der Plan
Lorinde ritt seit Stunden über die Felder. Längst hatte
sie die Späher überwunden, aber man konnte ja nie wissen...
Als ihr Blick über das weite Land schweifte, entdeckte sie
am Horizont Rauchschwaden aufsteigen. Da war jemand! Irgendjemand
musste dort Feuer machen. Lorinde zögerte. Sollte sie hinreiten
oder nicht???
Schließlich entschloss sie sich: Langsam trabte sie mit Abalon
auf das Feuer zu. Nun erkannte sie, dass dort jemand sein Zelt aufgebaut
hatte. Juventrill!!!
Lorinde galoppierte an. Schon lag sie in Juventrill´s Armen.
Die beiden schmiedeten einen Plan...
Kapitel 5 von LILY: Fantafir
Juventril und Lorinde schmiedeten einen Plan. Dann ritten sie los.
Juventril hatte einen Freund. Der hieß Fantafir. zu diesem
Freund wollten sie reiten. Doch es war ein gefährlicher Weg,
denn er führte an der Schattenburg vorbei, wo der grausame
Nachtkönig lebte. Aber es gab keinen anderen Weg zu Fantafir.
Sie mussten es einfach schaffen!!!
Kapitel 6 von Simon: Ein zweiter Plan
Lorinde und Juventril ritten eine Nacht lang. Als die Sonne am
Horizont aufstieg, kamen Lorinde und ihr Bruder bei Fantafir an.
Lorinde klopfte an die Tür. Fantafir machte die Tür auf
und ließ sie rein. Fantafir hatte gerade einen Tee gemacht.
Sie saßen an den Tisch und erzählten alles. Dann schmiedeten
die drei einen zweiten Plan, wie sie Lorindes Bruder vor Zark verstecken
konnten. Hinter der Nachtburg hatte es einen Geheimgang. Am nächsten
Morgen war das Wetter nicht so schön, es war nass und düster.
Aber das war gut, denn Lorinde musste ihren Bruder aus dem alten
Versteck holen. So wurden sie nicht so leicht gesehen im Wald.
Kapitel 7 von Simon: Das Versteck
Lorinde hielt an einem Baum an und klopfte dreimal an den feuchten
Baumstamm. Dann stieg sie ab und zog an einer Baumwurzel. Unter
dem Baum öffnete sich eine kleine Klapptüre. Bevor Lorinde
ins Loch stieg, band sie ihr Pferd an den Baum. Das Loch war ein
altes Versteck, in dem sich eine Matratze befand. Ein Krug, ein
Becher und ein Stück Brot standen neben dem Lager. Lorindes
Bruder war am Essen. Da sah er Lorinde und sprang auf. Sie umarmten
sich und Julius fragte: "Was machst du hier?" Lorinde
antwortete: "Ich hole dich hier raus und versteck dich besser."
Sie packten alles, was sie brauchten ein und als die Nacht anbrach,
ritten sie los. Nach einer halben Stunde erreichten sie die Nachtburg...
Kapitel 8 von Katharina: Bei der Schattenburg
Julius und Lorinde ritten los. Nebelschwaden waberten über
die hügelige Landschaft, und die dunkle Schattenburg ragte
hoch in den Himmel hinauf. Ein Rabe krächzte, und die beiden
sahen sich vorsichtig um. Es war still, beinahe zu still, wie die
Ruhe vor dem Sturm...
"Was ist, wenn sie uns entdecken?", flüsterte Julius
seiner Schwester zu.
"Ich weiß es nicht, lass uns hoffen, dass wir unbehelligt
bleiben."
Nun hatten sie die Burg erreicht und ließen ihre Pferde im
langsamen Schritt an der Burgmauer herumlaufen. Man hörte sie
nicht, weil das Gras nass war und die Hufe der Tiere darin einsanken
und jedes Geräusch gedämpft wurde. Ihr Atem stieg in weißem
Dunst auf, so kalt war es.
Es schien, als käme diese Kälte dirket von der Schattenburg.
Über ihnen verdunkelte sich der Himmel und die schwarzen Wolken
wurden von einem eisigen Wind über das Himmelszelt gejagt.
Kapitel 9 von Lena: Der Nachtkönig
Jetzt hörten sie Pferdehufen über die Brücke der
Burg klappern. Es mussten mindestens vier Pferde sein! Lorinde und
Abalon rissen ihre Pferde zurück und versuchten in die Richtung
zu reiten, aus der sie gekommen waren. Aber riesige Nachtvögel
schossen plötzlich vom Himmel und ließen ihre Pferde
aufbäumen. Von der Burg hörten sie ein irres Gelächter.
"Endlich bekomme ich wieder jemand frischen für meine
Dunkelkammer!" kreischte der Nachtkönig. "Die alten
Leute sind schon ganz lahm und spielen nicht mehr mit mir!"
Lorinde lief es kalt den Rücken herunter. Sie hatte schon oft
gehört, dass der Nachtkönig alle Wesen, die er in die
Finger bekam, mit Dunkelheit und Blindheit schlug und sie so in
ein Labyrinth mit vielen Todesfallen schickte. Niemals wollte sie
von ihm gefangen werden! Welchen Sinn sollte die Befreiung ihres
Bruders haben, wenn sie nun so schrecklich endete? Aber was sollten
sie tun? Vorne die Reiter, über ihnen die grässlichen
Vögel mit ihren langen Klauen, die sie auf die Burg zu trieben.
Kapitel 10 von Kim: Licht in der Dunkelheit
"Da!" rief Julius. "Ein Licht! Wir müssen auf
das Licht zureiten"
"Vielleicht will uns der Nachtkönig in eine Falle locken?"
sagte Lorinde.
"Der Nachtkönig hasst Licht!" sagte Julius und ritt
auf das Licht zu. "Jemand will uns mit dem Licht retten!"
"Und wenn es nur Irrlichter sind?" fragte Lorinde.
Doch Julius antwortete nicht. Er war schon auf das Licht zugeritten
und in der Nacht verschwunden.
Die Vögel versuchten ihm zu folgen, aber sie waren durch einen
Bann des Nachtkönigs nicht fähig, weiter als 200 Meter
von der Burg entfernt zu fliegen.
Da gab Lorinde ihrem Pferd die Zügel und ritt Julius in der
Nacht hinterher.
Kapitel 11 von Lena: Gerettet
Julius hatte Recht gehabt. Das Licht war keine Falle des Nachtkönigs
und auch kein Irrlicht, sondern Juventril!
Er stand auf der anderen Seite eines schmalen Flusses und leuchtete
ihnen den Weg!
"Spring!" rief er Julius zu.
Aber Julius hatte Angst, sein Pferd könnte fallen und sich
den Fuß brechen. Und was dann?
Doch da kam Lorinde in der Nacht auf sie zugeritten. Sie sah nur
ihren Retter Juventril und nicht den Fluss, der beide trennte. Sie
hatte keine Angst und sprang mit Abalon ohne Probleme ans andere
Ufer.
"Juventril!" rief sie, sprang von Abalon und umarmte ihn.
Als Julius den Sprung von Abalon gesehen hatte, sprang auch er mit
seinem Pferd über den Fluss.
"Gerettet", sagte Julius und umarmte Lorinde und Juventril.
"Endlich gerettet!"
* * *
Phantastische Geschichten
Himbeeren wachsen zwischen Zäunen
von Dagmar Petrick
Himbeeren schmecken lecker, daran gibt es keinen Zweifel, und sicherlich
magst auch du jene Früchte, die so süß riechen und
aussehen, als hätte jemand blassrosa Knetkügelchen aufeinander
gesteckt.
Für Florentin aber waren Himbeeren das Köstlichste, das
auf dieser Erde wuchs. Und das will etwas heißen. Immerhin
hatte er schon eine Menge Leckereien in seinem Bubenbauch verdrückt.
Und vielleicht wäre auch alles gut und in bester Ordnung gewesen
und ich würde dir diese Geschichte nicht erzählen, wären
die Himbeeren nicht im Garten von Frau Stein gewachsen. Denn sie,
die Nachbarin, duldete es nicht, dass sich Florentins Finger durch
den Zaun schlichen und von ihren Himbeeren naschten.
"Pfoten weg!", keifte sie. "Und dass du nicht am
Zaun wackelst, ihn nicht einmal BERÜHRST!"
Es ließ sich nicht aushalten mit der alten Frau Stein, und
dabei waren die Himbeeren nur das eine. Wenn Florentin den Bagger
durch den Sandkasten schob, dass es nur so brummte und links und
rechts die Sandberge wuchsen, baute sich Frau Stein, verlässlich
wie die Sonne morgens aufgeht, am Gartenzaun auf und schrie: "Leiser!"
Wenn er die Playmobilritter des Grafen von der zusammengezogenen
Augenbraue durchs Gras marschieren ließ, um sie in die Schlacht
gegen die einäugigen Legopiraten zu schicken, brüllte
sie: "Ruhe!" Und sie fauchte: "Mach nicht so einen
Krach!", wenn er auf der Schaukel höher und höher
flog, bis er meinte, die Wolken zu berühren.
Und gewiss stand sie im Vorgarten, wenn Florentin mittags aus der
Schule kam und fuch-telte ihm mit der Gartenschere entgegen. "Schlurf
nicht mit den Schuhen!", knurrte sie und schnitt die Rosenköpfe,
dass sie dumpf ins Gras plumpsten. "Und grüß mich
gefälligst!" Und es nützte auch nichts, dass Mama
Florentin in die Arme nahm und seufzte: "Beachte sie einfach
nicht! Wir haben dich lieb."
Denn schon geschahen Dinge, die nicht geheuer waren!
Als Florentin nämlich die Playmobilritter im Gras aufmarschieren
ließ, tam, tam, tam!, und es von der anderen Seite des Gartenzauns
sogleich tönte: "Du machst einen Krach wie ein Walross!"
Erhoben da nicht die Ritter ihre Hellebarden und schwenkten die
Morgensterne? Und die einäugigen Legopiraten, die in Erwartung
der Schlacht weiter unten im Garten stocksteif gestanden hatten?
Rasselten die jetzt nicht mit den Enterhaken und brachen in Buhrufe
aus?
"Wir müssen dringend etwas unternehmen", flüsterte
der Graf von der zusammengezogenen Augenbraue und blinzelte Florentin
verschwörerisch zu.
Da stürmte Florentin ins Haus. Vielleicht wusste Mama einen
Rat?
Mama stand in der Küche und mischte Kuchenteig. "Alte
Leute sind wirklich schrecklich!", fauchte Florentin und knallte
mit der Tür, weil das so schön aufgeregt klang.
"Flori!", sagte Mama und sah ganz erschrocken aus, "es
gibt auch freundliche Alte!"
Aber Florentin erkannte an ihren Augen, dass sie sich nicht sicher
war.
"Die alte Frau Stein ist jedenfalls nicht nett!" maulte
er, und er dachte an den Grafen, der im Garten auf ihn wartete.
"Wir müssen dringend etwas unternehmen!"
Da wischte Mama die Hände an der Schürze ab und kniete
sich vor Florentin, dass sie fast ein bisschen kleiner wurde als
er. "Ich weiß, dass es keinen Spaß macht, Flori",
sagte sie, "aber manchmal verändern sich die Dinge. Glaub
mir!"
Florentin dachte an die Hellebarden, wie sie im Gras hin und her
schwankten, und die Buhrufe der Legopiraten. "Mmh", machte
er, "kann sein."
"Siehst du!" sagte Mama und lächelte erleichtert.
"Und nun geh raus! Schließlich sind wir nicht hierhergezogen,
dass du dich im Haus verschanzt!"
Verschanzen war ein gutes Wort. Warum war er nicht schon früher
drauf gekommen? Florentin kramte das Katapult aus der Spielzeugkiste
und stürzte in den Garten.
"Höchste Eisenbahn!", rief ihm der Graf entgegen.
"Frau Stein steht zwischen ihren Himbeeren und hat gedroht,
uns allesamt in die Mülltonne zu donnern, wenn wir nicht SOFORT
verschwinden!"
Hastig stellte Florentin das Katapult auf, legte eine kleine Erdkugel
hinein und spannte die Schleuder. Eins, zwei
"Verklagen sollte man euch! Verklagen!", fauchte Frau
Stein.
Und drei! Und Schuss!
Die Kugel sauste durch die Luft, zischte über den Zaun, suchte,
als wäre sie ferngesteuert, ein Ziel, fand ein Ziel, landete,
klatsch! mitten auf Frau Steins Nase, mitten in ihrem verdutzten
Gesicht.
"Ups", machte Frau Stein.
Dann sagte sie eine Weile nichts mehr und sah sich um, aber da war
nur ein harmloses Kind, das Spielzeug durchs Gras schob.
"Hurra!", brüllten die Ritter.
"Volltreffer!", jubelten die Legopiraten und hüpften
von einem Bein aufs andere.
Florentin stürzte in die Küche. Das musste er Mama erzählen!
Die Dinge veränderten sich tatsächlich!
"Hoppla!" rief Mama und ließ vor Schreck das Rührgerät
fallen. "Gab es wieder Ärger?" Aber bevor Florentin
ihr von dem großartigen Treffer erzählen konnte, redete
sie schon weiter, als hätte sie die ganze Zeit über etwas
nachgedacht und wollte sich nun selbst davon überzeugen und
dabei knetete sie den Teig, rums!, rums! ohne hinzugucken.
"Mit den Menschen ist es so eine Sache", sagte sie. "Manchmal
werden sie ein wenig wunderlich, als wäre etwas in ihnen eingeklemmt.
Und das muss nichts mit dem Alter zu tun haben! Sie wirken dann
wie
wie ..."
Sie suchte nach einem passenden Ausdruck und fand keinen und knallte
den Teig auf die Arbeitsplatte, dass er Blasen warf.
"Wie ein eingerosteter Schraubstock?" fragte Florentin
hilfsbereit.
"Genau das wollte ich sagen", sagte Mama und nickte und
Florentin freute sich, dass ihm so ein schöner Vergleich eingefallen
war.
"Vielleicht braucht es nur ein bisschen Öl, damit es nicht
mehr so knirscht", überlegte Mama weiter. "Vielleicht
ist Frau Stein bloß traurig, weil sie sich ein Enkelkind wünscht?"
"Ein Enkelkind?" Florentin guckte verwundert.
"Ja, ja", sagte Mama und strahlte, "so ein wunderbares
wie du!"
Das konnte sich Florentin entschieden nicht vorstellen. Frau Stein
hegte keine Wünsche, wie man so schön sagte. Sie war nichts
weiter als eine alte, eingeklemmte Frau, die dringend Öl brauchte.
Und Öl würde sie bekommen. Wo die Dinge sich doch gerade
änderten.
Am Abend, als ihm seine Eltern längst Gute Nacht gesagt hatten,
lag Florentin noch lange wach. Er hörte Mama in der Küche
wirbeln und mit den Töpfen klappern und sich mit Papa unterhalten.
Er wusste, seine Eltern machten sich Gedanken. Aber Gedanken nützten
nichts. Für Frau Stein brauchte es Taten. Öl. Und als
Mama die Töpfe ineinander stapelte, dass es knallte, stand
Florentin auf, kramte das neue Schulheft aus dem Ranzen und schrieb
mit krakeliger Schrift:
Liste aller schauerlichen Dinge, die man mit einer schauerlichen
Nachbarin anstellen kann:
1. Frau Stein belagern!
2. Schützengräben ausheben!
3. Katapulte auffahren!
4. Bogenschützen aufstellen!
5. Kanonen laden!
6. Abfeuern!
7. Die Legopiraten entern lassen!
8. Alle Himbeeren plündern!
9. Frau Stein loswerden!!!
Hinter den letzten Punkt setzte er drei Ausrufezeichen. Das war
der wichtigste. Und der schwierigste. Florentin gähnte. Auf
einmal war er furchtbar müde. Aber jetzt, wo er einen Plan
hatte, er sogar aufgeschrieben vor ihm lag, kam er sich nicht mehr
klein und wehrlos vor. Die Dinge änderten sich, vielmehr er
änderte die Dinge. Der Gedanke machte ihn froh. Morgen würde
er weitersehen.
Als Florentin am nächsten Tag von der Schule kam, war Mama
noch nicht fertig mit dem Mittagessen.
"Geh noch mal raus", sagte sie und kippte die Nudeln ins
kochende Wasser, wo doch so ein schöner Tag sei und frische
Luft sooo gesund für Kinder, und hier, ich hab was für
dich, und sie drückte ihm Seifenblasen in die Hand. Und das
war doch was. Denn wer konnte wissen, wozu Seifenblasen alles gut
waren?
Frau Stein kniete zwischen ihren Büschen und pflückte
die Himbeeren, die inmitten der grünen Blätter leuchteten
wie Weihnachtskugeln. Und neben ihr am Boden füllten sich die
Körbchen, dass es kaum zu ertragen war.
"Was willst du denn mit all den Beeren?" fragte Florentin
und kam sich ziemlich mutig vor. Aber weil sein Herz unverschämt
heftig pochte, schüttelte er das Döschen mit den Seifenblasen,
dass es schäumte und rauschte und das laute Klopfen etwas übertönte.
"Isst du die ALLEINE?"
"Werd nicht frech, Bürschchen!", knurrte Frau Stein
und schwenkte eine Faust in der Luft, "und Finger weg von meinen
Himbeeren!"
Da schraubte Florentin das Döschen auf und begann zu pusten,
dass sich seine Backen blähten wie zwei Segel und eine schillernde
Blase erschien. Und gerade als Frau Stein sagte, er solle ja nichts
von der Lauge über die Beeren schütten, sonst könne
er was erleben, Rotzbube er, vermaledeiter, geschah es, und hinterher
hätte Florentin schwören können: Er hatte nichts
gemacht!
Die Seifen-blase löste sich vom Stäbchen. Sie stieg in
die Luft, glänzte in der Sonne, war rund und schön und
- GROSS, schwebte über den Gartenzaun, segelte auf Frau Stein
zu und wuchs immer noch. Gleich würde sie ihre Nasenspitze
berühren, gleich daran zerplatzen. Aber sie zerplatzte nicht.
Die Hülle wich zurück, als wäre sie Stoff, legte
sich geschmeidig um Nase, Stirn und Mund, verschlang den Kopf, in
dem sich Frau Steins Augen weiteten wie Suppenteller, stülpte
sich über die Schultern, die Blümchenschürze, saugte
die Hände ein, die noch das Körbchen mit den Himbeeren
umklammerten, und die Füße in den mausgrauen Schlappen.
Und, schwupps!, war Frau Stein verschwunden, vom Scheitel bis zur
Sohle verschluckt von der gigantischsten Seifenblase, die Florentin
je gesehen hatte!
Ein sanftes Lüftchen ergriff sie und sie stieg in die Luft,
glitt über die Himbeeren hinweg, über den Zaun, an Florentin
vorbei.
"Lass mich raus!", schrie Frau Stein, "ich befehle
es!" und stieg höher in den blauen Himmel.
Bald sah sie aus wie ein kleiner bunter Luft-ballon mit einer aufgemalten
Figur darauf.
"Mittagessen ist fertig!", rief Mama aus dem Haus.
"Nein!" brüllte Frau Stein. "Hiergeblieben!"
Aber es klang schon sehr gedämpft; Florentin musste sich anstrengen,
um sie zu verste-hen.
In der Küche schüttete Mama die Nudeln ins Sieb. Florentin
schielte zum Fenster. Eben bog Frau Sein um die Hausecke. Sie segelte
am Fenster vorbei und wedelte mit den Armen. Ihr Gesicht glänzte
grün, aber vielleicht lag es an der Seifenlauge.
"Wasch bitte deine Hände!" sagte Mama und schreckte
die Nudeln ab, und Florentin beeilte sich, ins Bad zu gehen. Mama
hatte nichts mitbekommen, und das war vielleicht besser so.
Der Nachmittag verlief sehr ruhig. Noch nie hatte Florentin so ungestört
gespielt. Nur die Playmobilritter und die Legopiraten klatschten
immer wieder Beifall, und der Graf sagte, indem er anerkennend die
Augenbraue hochzog: "Der hast du es gezeigt!"
Erst zum Abendessen kam Frau Stein zurück.
"Komisch", sagte Mama und blickte zum Fenster. "Sonst
geht Frau Stein doch nie so spät spazieren." Sie reckten
die Köpfe und tatsächlich! humpelte dort Frau Stein über
den Gehweg.
"Sie sieht irgendwie mitgenommen aus", überlegte
Papa, "als wäre ihr etwas Ungewöhnliches widerfahren!"
Florentin verschluckte sich am Käsebrot und musste husten.
Seine Eltern klopften ihm auf den Rü-cken, und da hustete er
noch mehr. Als er wieder zum Fenster spähte, war Frau Stein
weg.
Nach dem Gute-Nacht-Kuss öffnete Florentin sein Heft.
"Ich heiße Florentin", schrieb er. "Ich bin
acht Jahre alt und ich bin stark, denn ich habe Frau Stein besiegt.
Wenn ich will, kann ich sie in eine Seifenblase stecken. Dann ist
sie weg. Die Dinge verändern sich. Ich verändere die Dinge.
Himbeeren schmecken lecker. Morgen frage ich Frau Stein, ob sie
mir welche abgibt."
Am nächsten Tag rannte Florentin gleich nach dem Mittagessen
in den Garten. Vorsichtig schlich er sich am Zaun entlang, bis er
Frau Stein schnaufen hörte. Sie hockte zwischen den Himbeeren
und erntete wie eh und je. Florentin sah ihren Scheitel, wo sich
graues Haar von grauem Haar trennte und dachte: Bestimmt ist sie
furchtbar alt. Vielleicht wünscht sie sich ein Enkelkind, einen
Jungen wie mich, einen, der sich nicht vor ihr fürchtet. Frau
Stein ist davon geflogen; jetzt ist sie wieder da. Die Dinge verändern
sich. Ich verändere die Dinge.
Und also holte Florentin tief Luft und sagte mit einer Stimme, die
klang, als gehörte sie einem viel älteren Jungen: "Ist
es schwer, so viele Himbeeren zu ernten?"
Frau Stein richtete sich auf und sah Florentin an. Und es ist gut
möglich, aber genau weiß ich das nicht, dass sie ihm
zum allerersten Mal in die Augen sah, die sie anstrahl-ten, als
wären es zwei kleine Sternchen. Und vielleicht erinnerte sie
sich da an etwas, was lange zurücklag, als sie noch ein kleines
Mädchen gewesen war, das die Kirschen vom Nachbarbaum genascht
hatte. Auf jeden Fall sagte sie: "Sehr schwer. Und der Rücken
tut weh."
"Soll ich dir helfen?" fragte Florentin.
Frau Stein wiegte den Kopf hin und her, als müsste sie gut
überle-gen. "Hast du Seifenblasen dabei?" fragte
sie.
"Nein", sagte Florentin, "keine."
"Also gut", sagte sie und reichte ihm ein leeres Körbchen.
"Es fällt dir doch nicht schwer, über den Zaun zu
klettern?"
Die Himbeeren glitten mühelos von dem gelblichen Stumpen, auf
dem sie steckten. Florentin brauchte die Beeren nur sacht zwischen
Zeigefinger und Daumen zu fassen und sanft daran zu ziehen. Wenn
er sie dann, gänzlich unzermatscht, in den Mund schob, wa-ren
sie das Köstlichste, was er je gegessen hatte. Aber das sagte
ich ja schon.
Schweigend arbeiteten sie nebeneinander her; nur das Stöhnen
der alten Frau Stein unterbrach ab und an die Stille. Und als Florentin
schon überlegte, ob er alles nur geträumt hätte,
ja, ob nicht vielmehr dies gerade ein Traum wäre, bemerkte
er den blauen Fleck auf Frau Steins Unterarm.
"Hat es weh getan?" fragte er und musste sich ein wenig
räuspern.
Frau Stein folgte Florentins Blick und grinste. "Ach iwo!"
sagte sie. "Nur vor der Landung sollte man sich in acht nehmen."
Dann schwieg sie wieder, bis es Florentin nicht länger aushielt.
"Wie ist es?", fragte er, "ich meine, oben, in der
Luft?"
Frau Stein schob sich eine Himbeere in den Mund. Sie kaute genüsslich
und schloss die Augen und sah aus wie eine alte, sehr zufriedene
Frau. Als sie die Augen wieder aufmachte, funkelten sie, als wäre
ihr soeben ein guter Witz eingefallen.
"Es war atemberaubend", sagte sie, "einfach wundervoll.
Manchmal tut es gut, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten!"
Da wusste Florentin einen Moment lang nicht, ob er vielleicht neidisch
sein sollte auf die alte Frau Stein. Aber dann dachte er: Es ist
doch besser, dass sie wieder herausgekommen ist aus der Seifenblase.
Sonst würden wir nicht hier sitzen und ihre Himbeeren essen.
Die Dinge hatten sich zweifelsohne geändert.
So ist das gewesen mit Florentin, den Himbeeren und der alten Frau
Stein. Und ob du es glaubst oder nicht: Als der Sommer vorüber
war, der Herbst, der Winter, der Frühling kam und es wieder
Sommer wurde, wuchsen die Himbeeren auch in Florentins Garten. Ihre
Wurzeln waren einfach unter dem Zaun durchgekrochen, denn sie kennen
ja keine Regeln und Grenzen, und du kannst gerne kommen und nachsehen,
ob es auch stimmt.
Aber jedes Jahr, wenn im Juli die Sonne in den Himmel klettert und
die Himbeeren duften, steigt Florentin zu Frau Stein über den
Zaun und hilft ihr beim Ernten. Es sind ja so viele Himbeeren, dass
sie es kaum alleine schafft. Manchmal bringt er Mama ein Körbchen
in die Küche. Sie sitzen am Esstisch und naschen von der süßen
Pracht. Am Fenster segeln Wattewölkchen vorbei, die so rosa
gerändert sind, dass sie an Seifenblasen erinnern. Mama guckt
Florentin an und sieht nachdenklich aus.
"Was hast du bloß gemacht?" fragt sie und schüttelt
den Kopf. "Ich verstehe es nicht!" Aber Florentin grinst
nur und sagt: "Mama, die Dinge verändern sich!"
Dann rennt er in den Garten. Frau Stein wartet schon.
Diese Geschichte hat Dagmar Petrick extra
für Rossipotti
geschrieben. Wir freuen uns sehr! Vielen Dank!
* * *
Der Ausflug in die Drachenfelsstraße
von Peter Friedrich
An die Ausflüge mit meinem Vater erinnere ich mich noch gut.
Sie waren ein Ersatz für richtige Ferien, die er sich nie leisten
konnte. Besonders einer dieser Ausflüge ist mir dabei so gegenwärtig,
als wäre er gestern gewesen, denn auf ihm geschahen mehr als
merkwürdige Dinge. Wir wohnten damals schon einige Jahre in
der Hirschkäferstraße, aber bis zu diesem Tag hatte ich
dort nie einen Hirschkäfer gesehen. Ich hatte überhaupt
noch nie einen Hirschkäfer gesehen - einen echten, lebendigen
meine ich. Gewiss, an einem Hirschkäfer ist nichts Merkwürdiges
- doch kann es Zufall sein, dass aufgerechnet an dem Tag, an dem
mein Vater mit gespielter Geheimnistuerei sagte: "Willi, heute
machen wir zwei einen Ausflug zum Drachenfelsen", etwas Dickes,
Brummendes an uns vorbei flog und auf einem niedrigen Ast der Eiche
landete, die vor unserem Haus stand?
Illustration: Annette Kautt
Es war ein Hirschkäfer. Mein Vater war ganz aus dem Häuschen,
denn auch er hatte noch nie einen Hirschkäfer gesehen, während
mich bereits bei diesem Hirschkäfer ein Gefühl des Unbehagens
beschlich. Ich versuchte mich an Abbildungen in Biologiebüchern
zu erinnern, denn ich fragte mich, ob das Geweih eines Hirschkäfers
wirklich so riesig war wie bei diesem Exemplar.
Mein Vater dagegen schien nicht irritiert zu sein. In bester Stimmung
sagte er: "Na, Willi, wenn uns in der Hirschkäferstraße
ein Hirschkäfer über den Weg läuft, dann finden wir
am Drachenfelsen bestimmt einen richtigen Drachen. Du wirst sehen,
das wird heute ein aufregender Tag."
Er sollte Recht behalten.
Wir stiegen ins Auto und fuhren los. An der ersten Verkehrsampel
mussten wir eine Weile warten. Vater drehte das Fenster herunter,
um, wie er sagte, die frische Frühlingsluft hereinzulassen.
"Oh, horch mal!", rief er plötzlich. "Hörst
du den Vogel singen? Das ist eine Nachtigal. Meine Güte, seit
meiner Kindheit habe ich keine Nachtigal mehr gehört."
Zufällig sah ich in diesem Augenblick auf das Straßenschild.
"Ist ja auch kein Wunder. Wenn wir in der Hirschkäferstraße
einen Hirschkäfer sehen, dann ist es ganz klar, dass wir auf
dem Nachtigalplatz eine Nachtigal hören."
"Du hast Recht. Ist ja wirklich lustig. Na dann pass mal auf.
Als Nächstes müssen wir durch die Kuckuckstraße
fahren. Wäre doch gelacht, wenn wir da nicht einen Kuckuck
zu hören bekämen."
Als dann in der Kuckuckstraße tatsächlich ein Kuckuck
rief, mussten wir beide lauthals lachen. Selbst ich hatte zu diesem
Zeitpunkt mein Unbehagen wegen des Hirschkäfers vergessen und
wir hielten die Sache eben noch für einen lustigen Zufall.
Ich fing nun an, in jeder neuen Straße auf das Straßenschild
zu achten. Als wir im Kohlmeisenweg sofort ein paar Kohlmeisen in
den Bäumen erblickten, lachten wir noch lauter. Nun gut, Kohlmeisen
sind nichts Besonderes. Die kann man fast überall sehen. Zumal
im Frühjahr, wenn die Bäume noch kein Laub tragen.
Illustration: Annette Kautt
In der folgenden Straße, der Krötengasse, musste mein
Vater Schlangenlinien um einige Kröten fahren, die langsam
über die Straße krabbelten. Hier verging mir das Lachen,
denn die größte der Kröten drehte auf einmal ihren
Kopf und blickte mich für einen kurzen Augenblick mit rot funkelnden
Augen an. Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich hatte
wirklich den Eindruck, sie blicke mich an. Ich weiß nicht,
ob mein Vater diesen Krötenblick bemerkt hatte, auf jeden Fall
lachte auch er nicht, sondern erklärte mir hastig, das sei
ganz normal in dieser Jahreszeit. Da würden die Kröten
in warmen, regnerischen Nächten von allen Seiten zum See auf
der anderen Straßenseite wandern.
Das wusste ich auch. Von den Krötenwanderungen im Frühjahr
hatte uns die Lehrerin in der Schule erzählt. Trotzdem machte
mich etwas stutzig.
"Aber heute Nacht hat es doch gar nicht geregnet", wandte
ich ein. "Zumindest ist die Straße ganz trocken."
"Ach ja?", antwortete mein Vater, "ach, dann haben
diese paar Kröten einfach keine Lust gehabt, auf den nächsten
Regen zu warten."
Nun fuhren wir in eine Straße namens Katzensteg. Langsam fand
ich es merkwürdig, dass fast alle Straßen nach Tieren
benannt waren. Das war mir bisher nie aufgefallen. Eine Katze zu
sehen, ist dagegen bestimmt nicht merkwürdig. Nicht einmal,
wenn die Straße zufällig Katzensteg heißt. Was
aber, wenn drei Katzen nebeneinander auf dem Bürgersteig sitzen
und gleichzeitig die rechte Pfote heben, als wollten sie uns winken?
Das ist schon etwas seltsam, oder? Zumindest nach allem, was wir
bisher erlebt hatten auf unserem Weg zum Drachenfelsen.
Ich konnte daher nicht anders, als Vater mit etwas unsicherer Stimme
zu fragen: "Hast du die Katzen gesehen?"
"Ja, ja", antwortete er, "und wir fahren gerade durch
den Katzensteg. Heute haben wir es mit den Tieren. Ich habe dir
ja gesagt, am Ende begegnen wir am Drachenfelsen einem richtigen
Drachen."
Es war ein Scherz. Er wollte mich zum Lachen bringen. Doch statt
zu lachen verstummte ich. Nach einem kurzen, unbehaglichen Moment
der Stille lachte mein Vater selbst.
"Ha ha ha, ein richtiger Drache! Das wär's, was Willi!"
Ich weiß noch genau, dass ich mich schon damals fragte, ob
er nicht bloß mich zum Lachen bringen wollte.
Wirklich beunruhigt wurde ich allerdings erst durch die drei Hasen,
die im Hasenweg auf einer kleinen Wiese saßen. Gewiss, Hasen
sind harmlose, niedliche Tiere, aber irgendetwas störte mich
an ihnen. Ich kann im Grunde nicht sagen was, vielleicht nur, dass
sie die Köpfe ruckartig hoch und runter bewegten. Als ob sie
miteinander redeten. Die reden über mich, ging es mir durch
den Kopf. Vater meinte natürlich, ich bilde mir das nur ein.
Mehr sagte er nicht.
Dass wir anschließend in die Schäferstraße einbogen,
erleichterte mich nicht. Sicher, ich kannte die Straße und
wusste, dass hier auf einer Weide in der Tat eine Schafherde stand.
Es konnte mich daher nicht überraschen. Trotzdem - insgeheim
hoffte ich, die Schafe wären heute ausnahmsweise nicht da.
Aber natürlich waren sie da. Das sah ich schon von weitem.
Die ganze Herde drängte sich dicht an den Zaun, einige Schafe
standen auf den Hinterbeinen und hatten ihre Vorderhufe auf den
Holzzaun gelegt und als wir schon fast an ihnen vorbei waren, sprang
ein Schaf auf den Rücken des vor ihm stehenden Schafes und
fletschte die Zähne wie ein Hund.
Ich schrie auf, doch als ich Vater erzählte, was ich gesehen
hatte, meinte er nur streng, meine Fantasie würde langsam mit
mir durchgehen. Gleichzeitig schaute er jedoch in den Rückspiegel
und ich merkte deutlich, dass er Gas gab.
Rasch bog mein Vater in die nächste Straße ein. Ich kniff
die Augen zu und hoffte ganz fest, dass es endlich vorbei sei mit
diesen Tierstraßen. Doch als ich die Augen wieder öffnete,
stockte mein Atem. Die Straße hieß Wolfsbergerstraße.
Und tatsächlich standen zwei Wölfe ein Stück vor
uns, einer rechts, einer links der Straße. Ich hatte noch
nie einen echten Wolf gesehen, trotzdem war ich mir sicher, dass
dies keine Schäferhunde waren, wie mein Vater sofort behauptete.
Ich hatte ihn gar nicht gefragt. Er versuchte angestrengt, in einem
ganz lockeren Ton zu reden, aber seine Stimme überschlug sich
ein paar Mal, weil er sehr schnell sprach.
Als wir auf einer Höhe mit den Wölfen waren, sträubten
sie die Haare, zeigten ihre Zähne und ließen ein durchdringendes
Knurren hören. Sie verfolgten das Auto mit ihren kalten, stahlblauen
Augen. Ich drehte mich um und schaute durch die Heckscheibe. Die
Wölfe begannen, langsam hinter dem Auto her zu traben. Dann
liefen sie schneller und schneller. Sie kamen immer näher an
das Auto heran. Ich duckte mich und versteckte meinen Kopf hinter
der Rückenlehne. Im nächsten Augenblick heulte der Motor
auf und das Auto beschleunigte kräftig. Als ich den Kopf wieder
hob, sah ich die beiden Wölfe nur noch aus der Ferne.
"Warum bist du so schnell gefahren?", fragte ich meinen
Vater.
"Schnell?", entgegnete er. "Ach, ich wollte bloß
noch bei Grün über die Ampel kommen."
"Welche Ampel?"
"Na - jetzt kannst du sie nicht mehr sehen. Du darfst nicht
so viel träumen, Willi. Dann siehst du weniger Wölfe und
mehr Ampeln, ha ha ha."
Er versuchte zu lachen, aber das Lachen klang auffallend schrill.
Und warum sprach er von Wölfen? Ich hatte doch gar nichts gesagt.
"Schau her, Willi", sagte er einen Augenblick später
mit lauter, deutlicher Stimme, "jetzt kommen wir in die Krokodilsgasse
und Krokodile gibt es hier nun wirklich ni..."
Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn er musste plötzlich
eine Vollbremsung hinlegen. Die Reifen quietschten, Vater riss das
Lenkrad herum und fuhr ganz knapp um etwas Großes, Graues
herum, das mitten auf der Straße lag.
Illustration: Annette Kautt
"Was war denn das?" rief er aufgeregt, als er das Auto
wieder unter Kontrolle hatte und langsam weiterfuhr.
"Ein - Krokodil war das", stammelte ich, "ein riesiges
Krokodil."
Vater drehte sich um, blickte an mir vorbei nach hinten. Noch nie
hatte ich die Augen meines Vaters so groß gesehen. Dann schaute
er mir ins Gesicht. Seine Mundwinkel zuckten, verzogen seinen Mund
zu einem schiefen Lächeln.
"War bloß ein geplatzter Autoreifen."
"Hm", entgegnete ich, "muss aber mindestens ein Traktorreifen
gewesen sein, so groß wie das Ding war."
"Dann war es eben ein Traktorreifen!" entfuhr es meinem
Vater heftig, wobei er sich mit der Hand Schweißperlen von
der Stirn wischte. Gereizt fügte er hinzu: "Und jetzt
will ich von Tieren nichts mehr hören, bis wir in der Drachenfelsstraße
sind."
Ein dicker Kloß schwoll in meinem Hals an und nahm mir fast
die Luft zum Atmen. Der Drachenfelsen war also in einer Drachenfelsstraße!
Nach der nächsten Kreuzung fuhr mein Vater zu meiner Überraschung
rechts ran und stoppte den Wagen. Wir standen direkt neben dem Straßenschild
und nun war mir klar, warum er anhielt. Diese Straße wagte
auch er nicht zu durchfahren: den Löwensteinring!
Ich atmete schon erleichtert auf, da räusperte Vater sich auf
eigenartig stockende Weise und sagte mit trockener, papierener Stimme:
"Ich muss nur mal das Fenster hochkurbeln. Sonst kriege ich
von der Zugluft eine Erkältung. Es ist doch noch ganz schön
frisch draußen."
Normalerweise konnte meinem Vater die Luft nie frisch genug sein
und er öffnete im Auto immer sofort das Fenster, wenn es ihm
nur ein klitzekleines bisschen zu warm wurde. Und ich fand, es war
an diesem Morgen mittlerweile ziemlich warm geworden im Auto. Bevor
er zu meinem Entsetzten tatsächlich wieder losfuhr, holte er
noch ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich ausgiebig
den Schweiß von Schläfen und Stirn.
Ich musste mich in mein Schicksal fügen. Alles Reden hätte
zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn mehr gehabt. Ich versuchte, mich
zu beherrschen, was mir allerdings nur gelang, bis wir an einer
Ampel anhalten mussten. Denn dort war wirklich einer - ein Löwe!
Langsam kam er hinter einer Hecke hervor, schüttelte seine
gewaltige Mähne und schritt auf unser Auto zu.
Ich schrie: "Papa, ein Löwe! Schnell, fahr schnell weg!"
Er schrie zurück: "Musst du mich mit deinem Gebrüll
so erschrecken. Ich habe dir gesagt, du sollst mit diesem albernen
Unfug aufhören. Die Ampel ist rot. Da kann ich nicht fahren."
Obwohl ich meinen Blick nicht von dem Löwen wenden konnte,
registrierte ich aus den Augenwinkeln heraus, dass mein Vater immerzu
zwischen dem Löwen und der Ampel hin und herschaute. Der Löwe
zog seine Lefzen hoch und zeigte seine riesigen, scharfen Zähne.
Er öffnete sein gieriges Maul, so dass ich tief in seinen roten
Rachen sehen konnte, und stieß ein dunkel dröhnendes
Gebrüll aus. Es ging mir durch Mark und Bein. Dann hob er die
mächtige rechte Pranke. Ich sah die messerscharfen Krallen
aufblitzen. Der Löwe legte die Pranke auf den vorderen Kotflügel
des Autos und zog die Pranke ganz langsam nach unten. Das langanhaltende,
schrille Kratzgeräusch bohrte sich schmerzhaft in mein Ohr.
Nur wie aus weiter Ferne hörte ich meinen Vater nervös
murmeln: "Nun komm schon, Ampel. Werd' endlich grün."
Ungeduldig rutschte er auf seinem Sitz hin und her.
Sowie die Ampel grün wurde, rief er "Endlich!" und
trat mit solcher Kraft auf das Gaspedal, dass die Reifen quietschten.
Er hätte keinen Augenblick später losfahren dürfen.
Der Löwe hatte zum Sprung angesetzt und wäre auf dem Dach
unseres Autos gelandet, wären wir nicht losgefahren. So landete
der Löwe hinter dem Auto.
Als wir weit genug von der Ampel und dem Löwen entfernt waren,
sagte mein Vater: "So, jetzt sind wir gleich da. Da vorne fängt
die Drachenfelsstraße an."
Er meinte wohl, mich damit zu beruhigen. Das Gegenteil war der Fall.
Nach allem, was wir bisher erlebt hatten, wollte ich heute unter
keinen Umständen in die Drachenfelsstraße. Ich versuchte
etwas zu sagen, doch es ging nicht. Meine Kehle war staubtrocken.
Vor dem Löwen waren wir in unserem Auto ja noch einigermaßen
geschützt, aber vor einem Drachen? Der könnte mit einer
einzigen Kralle das Autodach aufschlitzen. Oder das ganze Auto mit
einem Fußtritt zerquetschen. In ohnmächtiger Panik klammerten
sich meine Hände am Sicherheitsgurt fest.
Wir näherten uns der Kreuzung, an der es links in die Drachenfelsstraße
ging. Ich konnte bereits das Straßenschild lesen. Doch zu
meiner Überraschung fuhren wir geradeaus. Als wir über
die Kreuzung hinweg waren, sagte mein Vater:
"Ja, Willi, jetzt haben wir ein Problem. Die Drachenfelsstraße
ist vollkommen gesperrt und meines Wissens gibt es keine andere
Zufahrt zum Drachenfelsen."
Ich hatte überhaupt keine Absperrung gesehen.
"Ähm, die Baustelle ist erst weiter drin in der Straße",
erklärte er auf meine Frage hin. "Es stand bloß
ein kleines Hinweisschild da, dass man nicht durchfahren kann."
Ich hatte auch kein Hinweisschild gesehen, aber ich war so erleichtert,
dass ich gar nicht genauer nachfragen wollte. Aus dem gleichen Grund
fragte ich auch nicht nach, als er nun sagte, er müsse auf
einem anderen Weg zurück nach Haus fahren. Trotzdem belehrte
er mich umständlich über Einbahnstraßen, Kreisverkehr
und Ringstraßen.
Illustration: Annette Kautt
Zu Hause angekommen, war alle meine Angst bereits verflogen. Irgendwie
konnte ich selbst nicht mehr glauben, dass das alles wahr gewesen
sein sollte. Doch als ich beim Aussteigen hinten am Auto die verbogene
Antenne erblickte, lief mir wieder ein Schauer den Rücken herunter.
Ich erinnerte mich jetzt, ein lautes Knacken gehört zu haben,
als der Löwe über das Auto sprang. Unwillkürlich
blickte ich zum Kotflügel - und richtig: vier lange Kratzer
verliefen nebeneinander von oben schräg nach unten. Mit leicht
zitternder Hand zeigte ich meinem Vater die Kratzer. Er aber zog
mich schnell zur Haustür und meinte beiläufig, er sei
gestern auf dem Parkplatz vor seinem Büro zu dicht an einer
Brombeerhecke vorbeigefahren.
Aber wenn ich mich nicht irre, gab es auf diesem Parkplatz gar keine
Hecke. Zuerst wollte ich noch einmal nachhaken, aber dann ließ
ich es doch bleiben. Mir war klar geworden, dass Vater die ganze
Sache bloß meinetwegen so herunterspielte. Wusste er doch,
dass ich schon vor kleinen Hunden eine Heidenangst habe.
Peter Friedrich hat Rossipotti
diese Geschichte netterweise zur Verfügung gestellt. Wir freuen
uns sehr! Vielen Dank!
* * *
Der Briefkasten
von Ditmar Danelius
Jeden Tag füllt sich der dicke gelbe Briefkasten gegenüber
dem Supermarkt mit vielen Briefen. Meist liegen sie still durcheinander
und warten, auf die Reise zu gehen. Wohin, das wissen sie schon;
es steht ja auf der Adresse. Und was im Brief steht, wissen sie
natürlich auch und alles ist nachzulesen.
Und wie das so ist, wenn man Zeit hat und in Gesellschaft ist, auch
wenn sie fremd ist, man kommt ins Gespräch.
"Ach, ich kann es kaum erwarten", platzt ein hellgrüner
Brief heraus.
Er ist an eine alte Dame gerichtet, die im Quiz einen neuen Fernseher
gewonnen hat.
"Was wird sie für große Augen machen, wenn sie mich
liest!"
"Ruhe!" murrt der Anwaltsbrief. "Ich muss nachdenken."
Und ist schon ganz faltig davon.
"Worüber denn?" fragt die himmelblaue Urlaubskarte
neugierig, die guter Dinge ist - die Urlaubsgrüße sind
ja so herzlich!
"Ach, es ist noch vieles ungeklärt. Eine schlimme Scheidungsgeschichte.
Vater und Mutter streiten sich, bei wem das Kind nun wohnen soll."
Dann schweigt er wieder, weil er meint, dass ihm hier sowieso niemand
helfen kann.
"Tja", seufzt der Trauerbrief. "Das Leben kann furchtbar
traurig sein. Es gruselt mich schon, gelesen zu werden."
"Mich nicht!" sagt vorlaut der Eilbrief. "Ich hab'
die beste Nachricht der Welt: Frau Schmidt ist Großmama geworden!
Es ist ein süßes Mädchen."
"Sie haben's gut", sagt ein Brief aus blassgrauem Papier.
"Ich kann leider die Schrift nicht lesen, in der ich geschrieben
bin. Zu krakelig. Hoffentlich nichts Unangenehmes!"
"Wird schon nicht", lacht munter ein Werbebrief. Der
bunt und zuversichtlich ist und zum Kauf eines neuen Autos überreden
will. Und überzeugt ist, dass es klappt und sich gar nicht
vorstellen kann, dass andere Briefe sich Sorgen machen.
"Wird schon nicht! Wird schon werden! - wenn ich das schön
höre", stöhnt ein Einschreiben, in dem eine Vertragskündigung
liegt. Bei mir können die Leute die Raten für ihr Auto
nicht mehr bezahlen. Jetzt kündigt die Bank den Kreditvertrag!"
"Davon kann ich ein Lied singen", murmelt die Zahlungsaufforderung
für eine Waschmaschine. "Mein Absender, ein Familienvater,
ist arbeitslos geworden. Nun ist das Geld knapp."
"Tja, erst sparen, dann kaufen", sagt die Hochzeitseinladung
altklug.
Das wusste sie von dem jungen Pärchen, bei dem sie schon eine
Weile auf dem Schreibtisch lag; denn die beiden hatten einen Hausstand
zu gründen und die Frau mahnte immer wieder, dass das Geld
nicht reicht. Und wollte nichts borgen.
"Am 25. ist Ultimo", brummt ein Gerichtstermin. Mehr
hat er nicht zu sagen, weil auch nicht viel mehr drin steht. Was
ihn neidisch macht. Und grummelig ist er von Amtswegen.
"Das Leben ist schön und voller Geheimnisse", wispert
der Liebesbrief. Das macht die anderen neugierig. Er duftet nach
Parfüm und hat ein zartrosa Kuvert.
"Ja, was steht denn bei dir drin", fragt der Abschiedsbrief
melancholisch.
"Psss. Das geht nur das Liebespaar etwas an", antwortet
der Liebesbrief.
"Schade", seufzt der Abschiedsbrief enttäuscht.
"Ich könnte Trost gebrauchen. Mein Pärchen trennt
sich gerade. Das Mädchen will ihn nicht mehr. Er hat sie belogen
und bereut es furchtbar. Das nutzt jetzt nichts mehr."
Einen Moment ist Stillschweigen im Briefkasten.
Plötzlich geht die Klappe auf, ein neuer Brief fällt hinein.
"Wer bist du und wo willst du hin?" fragt der Brief eines
kleinen Mädchens, in dem sie sich für ein Geburtstagspaket
mit schönen Anziehsachen bei ihrer Tante bedankt. Einen bunten
Schmetterling hat sie beigelegt hat. Selbst mit Tusche gemalt.
Der neue Brief kann nicht mehr antworten; denn eben ist das Postauto
vorgefahren und alle Briefe fallen in einen großen Sack, wo
schon viele aus anderen Briefkästen liegen.
"Jetzt beginnt die Reise", flüstert der Liebesbrief.
Die anderen schwiegen - und jeder war ja auch mit seinen eigenen
Zeilen beschäftigt
Ditmar Danelius hat Rossipotti
diese Geschichte netterweise zur Verfügung gestellt. Wir freuen
uns sehr! Vielen Dank!
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