Interview mit Atak, Comiczeichner, Künstler,
Illustrator und Schöpfer eigener Welten
Foto: privat
Vita
Atak wurde
als Georg Barber 1967 in Frankfurt/Oder geboren. Von 1984-86
machte er eine Lehre als Schrift- und Grafikmaler. 1989 gründete
er gemeinsam mit anderen Zeichnern die Comic-Gruppe und das
Magazin RENATE. Von 1990-95 studierte er Visuelle Kommunikation
an der Hochschule der Künste in Berlin. Ab 2002 war Atak
Gastdozent an verschiedenen Hochschulen, seit 2006 ist er Professor
für Illustration.
Atak ist Künstler, Illustrator, Grafiker und seit 2007
auch Bilderbuchmaler für Kinder. Seine Werke wurden bisher
unter anderem in Paris, Helsinki, Düsseldorf, Berlin und
Stockholm ausgestellt. Seine Comics und Bilderbücher, die
er mit anderen oder alleine gemacht hat, haben einprägsamen
Namen wie Wondertüte, Atak vs. Ahne,King
Kong und die NATO, Fup, Ada, Struwwelpeter
oder Verrückte Welt. Für die Band Monoland
hat Atak gemeinsam mit seinem Bruder Martin Barber einen animierten
Videoclip gemacht, der auf seiner eigenen Homepage zu sehen
ist. Einen kleinen Ausschnitt davon seht ihr unter diesem Text.
Atak hat zwei Kinder und lebt und arbeitet in Berlin und Stockholm.
Kulturtasche:Atak, eigentlich machst du Comics, Illustrationen
und Kunst für Erwachsene. Vor drei Jahren hast du plötzlich
ein Kinderbuch gemacht. Warum?
Zum Kinderbuch bin ich gekommen, weil mich der französische
Verlag Thierry Magnier angefragt hat, ob ich nicht Lust hätte,
den Text Comment la mort est revenue à la vie (Wie
der Tod wieder ins Leben zurück kam, Anm. v. Rossipotti)
von der bekannten französischen Autorin Muriel Bloch zu illustrieren.
Das ist eine afrikanische Geschichte, in der es um die Wiedergeburt
des Todes geht. Der Verlag konnte sich meine Illustrationen gut
dazu vorstellen. Ich habe den Text dann gelesen und fand ihn ganz
schön.
War die Herangehensweise beim Kinderbuch für dich anders
als bei Büchern für Erwachsene?
Am Anfang war ich sehr unsicher. Ich habe deshalb ein paar Kollegen
gefragt, was man bei einem Kinderbuch beachten muss. Volker Pfüller
hat mir einen ganz guten Ratschlag gegeben, denn er meinte, ich
solle mir darüber keine Gedanken machen, sondern einfach machen,
wozu ich Lust hätte. Weil Kinder sowieso ihre eigene Selektion
hätten. Weil die einen etwas schrecklich fänden und die
anderen nicht. Und deshalb bräuchte man danach auch nicht zu
gehen.
Dadurch bin ich dann sehr frei an den Text rangegangen. Es gab nur
eine Stelle, wo ich eine Coverversion, also eine Neufassung von
Edward Munchs Der Schrei gemacht habe, wo ich nicht ganz
genau wusste, ob das nicht doch zu brutal für Kinder ist. Die
Stelle habe ich deshalb von ein paar Leuten testen lassen.
Der französische Verlag hat mich übrigens fast alles machen
lassen. Die Lektorin meinte als einzige Einschränkung nur,
dass ich keinen Sex bringen dürfe, ansonsten gaben sie mir
die Freiheit, alles zu machen, was ich wollte.
Ist dann dein Bilderbuch Struwwelpeter, der dieses Jahr
erschienen ist, gar kein Kinderbuch?
Ist im Struwwelpeter eine Sexszene?
Ja, da, wo der Jäger in den weiblichen Brunnen fällt.
Ach
so, na ja. - DerStruwwelpeter ist schon auch ein
Kinderbuch. Für Kinder ist Struwwelpeter natürlich
wegen dem Kitzel des Horrors faszinierend. Auch wenn heute kein
Verlag mehr so ein Buch drucken würde. Mit Daumen-Abschneiden
und dem Ganzen, das wäre unmöglich. Unser Struwwelpeter
wurde nur verlegt, weil es das Original schon gab.
Das Buch sollte eigentlich zuerst als Nachfolgeband von Comment
la mort est revenue bei Thierry Magnier als Kinderbuch
erscheinen, passend zum 200. Geburtstag von Heinrich Hoffmann, der
ja das Original geschrieben und gezeichnet hat.
In Frankreich ist DerStruwwelpeter nicht so bekannt,
weshalb ich dachte, den kann man dort nochmals neu machen. Aber
aus verschiedenen Gründen hat es nicht geklappt, und Fil, der
den neuen Struwwelpeter-Text dazu geschrieben hat, und ich
haben das Buch dann beim Schweizer Verleger Kein & Aber
veröffentlicht.
Im selben Jahr wie Der Struwwelpeter erschien dann bei
dem deutschen Verlag Jacoby und Stuart dein Kinderbuch Verrückte
Welt.
Das Bilderbuch kommt ohne jeden Text aus. In dem Buch werden Bilder
auf den Kopf gestellt: Ein Baby füttert seine Mutter, ein Punker
wirft einem Banker Geld in den Hut, ein Pferd sitzt auf dem Rücken
des Reiters. Warum heißt das Buch Verrückte und
nicht Verkehrte Welt?
Eigentlich sollte das Buch tatsächlich den Titel Verkehrte
Welt tragen. Aber dann gab es schon so viele Bücher mit
diesem Titel, dass wir uns einen anderen überlegt haben.
Insgesamt kommen mir die Illustrationen in dem Buch viel weniger
"verkehrt" oder "verrückt" vor als deine
Bilder für Erwachsene. Hast du das Verrückte für
die Kinder absichtlich entschärft oder vereinfacht?
Bei der Verrückten Welt habe ich mich sehr gequält.
Das hat verschiedene Gründe. Einer der Gründe war, dass ich bei dem Buch auch Autor war,
das heißt über die Bilder eine Geschichte erzählen
musste. Wenn ich Bilder zu Harry Rowohlts oder Fils Texten mache,
dann gibt es schon mal eine Linie. Das beruhigt beim Arbeiten. Man
kann dann als Illustrator alles machen oder auch nicht machen. Ohne
einen Text müssen die Bilder aber eine Form von Lesbarkeit
haben, und das hat mich eingeengt. Gar nicht mal inhaltlich, sondern
im Stil war ich sehr gefangen. Wenn man den Struwwelpeter
im Vergleich ansieht, dann rockt der einfach.
Ein anderer Grund war, dass ich vor dem eigentlichen Buch einen
Dummy, also einen ziemlich ausgereiften, schon farbigen Entwurf,
gemacht habe, bevor ich mit dem eigentlichen Buch angefangen habe.
So etwas habe ich davor noch nie gemacht. Normalerweise mache ich
nur ein paar schwarz-weiß Skizzen und dann entsteht das Bild
auf dem Papier. Aber hier bei dem Dummy war es zu viel. Da war schon
so viel Lockerheit und Esprit drin, dass ich dann viel zu sehr versucht
habe, es zu übertragen, und das wurde dann sehr steif.
Wenn du sonst vor dem fertigen Original nur schwarz-weiße
Skizzen machst, malst du dann das eigentliche Bild ohne Vorzeichnung
gleich aufs Blatt?
Ja. Davor überlege ich aber sehr viel. Die Vorarbeit ist eigentlich
das Schwerste, die Arbeit selber geht dann eigentlich. Dann mache
ich, wie gesagt, ein paar schwarz-weiß Skizzen, aber viel
entsteht selber im Prozess. Ich übermale viel, zum Beispiel
alte Bilder. Das mache ich einerseits wegen der bekannten Angst
vor dem weißen Blatt und andererseits, weil ich glaube, dass
in den alten Bildern schon Leben drin ist. Ich glaube, dass jedes
Bild eine Seele oder eine Aura hat. Und ich glaube, das man das
spürt. Wenn man ein Bild vollkommen identisch kopiert, ist
es trotzdem nicht das gleiche. Das hat nichts mit Technik zu tun.
Das Faszinierende daran ist, dass man die Aura noch nach fünfhundert
Jahren spüren kann!
Wie lange brauchst du für ein Buch?
Das ist immer unterschiedlich. Der Vorlauf ist meistens sehr lange.
Beim Struwwelpeter habe ich beispielsweise über ein
Jahr gebraucht. Die eigentliche Arbeitszeit dauerte dann wahrscheinlich
konzentriert vier, fünf Monate.
Bei der Verrückten Welt war das Problem, dass ich nur
ab und zu zwei Tage daran arbeiten konnte, und dann musste ich wieder
Unterricht geben oder eine Ausstellung organisieren oder irgend
etwas anderes machen. Das war insgesamt sehr zerrissen.
Beim französischen Buch habe ich dagegen nur drei Monate -
oder sogar nur drei Wochen? - daran gearbeitet. Aber da habe ich
dann richtig Tag und Nacht durch gearbeitet. Das war dann wie so
ein Exzess, um in die Welt reinzukommen und dort zu sein. Wenn man
bei so einer intensiven Arbeit morgens zum Bäcker geht, ist
man in einer anderen Welt und weiß gar nicht, wo die Realität
ist.
Aus: Box of Wonder
Ausstellungskatalog
Deine Bilderwelten sind ja einerseits brutal, grotesk und verzerrt,
andererseits aber auch wieder verspielt, farbenprächtig und
mit Blumen, Pflanzen und Tieren geschmückt. Was ist das für
eine Welt, die du mit deinen Bildern ausdrücken möchtest?
Ich kann nur die Welt kreieren, die ich kreiere. Das ist von Stimmungen
abhängig und verändert sich natürlich. Jeder Künstler
kreiert eine eigene Welt. Auch Künstler, die scheinbar reale
Welten zeichnen. Das sind immer Abbildungen eigener Welten. Und
es ist eine Botschaft, eine Lebensmessage, die immer auch in die
Werke reinkommt. Das kannst du gar nicht unterdrücken.
Und was ist deine Lebensmessage?
Das kann ich selber nicht sagen. Ich habe auf jeden Fall eine innere
Unruhe und ich muss was aufs Papier bringen. Aber ich sage nicht
vorher, "das und das möchte ich aufs Papier bringen."
Mich interessiert an meiner Arbeit, nicht zu wissen, was dabei rauskommt.
Und das Material, die Haptik ist mir sehr wichtig.
Kinderzeichnung von Atak
Aber wenn ich auch nichts über meine Message sagen kann, so
kann ich trotzdem den Grund nennen, warum ich das mache, was ich
mache. Was also mein Ansporn ist, überhaupt so etwas zu machen:
Ich versuche, die Leichtigkeit von einem Kind wieder zu finden.
Ich kann mich genau an diese Zeit erinnern, wo man vollkommen eins
war mit der Zeichnung. Und manchmal schafft man das für ein
paar Sekunden wieder. Dass man während des Arbeitens auf einmal
wieder in der Kindheit ist. Das ist ein Glücksmoment, der vielleicht
ein paar Sekunden dauert. Aber dafür hast du auch viel Verzweiflung.
Die erste Zeit ist Horror. Also den Moment, reinzukommen, da funktioniert
nichts. Diese Verzweiflung haben viele Kollegen allerdings nicht.
Noch Mal zurück zu deinen Bilderwelten. Ist das Gewalttätige
für dich ein Mittel, Intensität oder einen starken Ausdruck
in die Bilder zu bekommen?
Aus: Ataks Wunderzimmer
Schokoriegel 6
Nein. Es ist vielleicht eine Art des Abreagierens. Vielleicht ist
es auch eine böse Faszination an Horror. Immerhin habe ich
nach meiner Armeezeit angefangen, Comics anders zu betrachten. Davor
habe ich gedacht, ich wäre ein Künstler. Dann war ich
bei der NVA (Nationale Volksarmee) in einer Kaserne, wo man von
morgens bis abends nur getriezt wurde. Da konnte keine Kunst entstehen.
Aber ich hatte sehr viel Aggression. Im Unterschied zu vielen anderen,
die ihre Aggression an den jeweils neuen Soldaten ausgelassen haben,
habe ich lieber angefangen, Comics zu zeichnen, um mich abzureagieren.
Aber man sollte nicht vergessen, dass es nur Bilder sind.
Und wie kommen die vielen Pflanzen, Blumen in deine Bilder?
Aus: Comment la mort
est revenue à la vie
Ich bin so aufgewachsen. Meine Eltern hatten einen Garten. Wie
ich vorhin schon sagte, gibt es so eine Welt, die man sich zurück
ermalen oder erzeichnen möchte, und die Blumen und die Natur
gehören dazu. Ich bin sehr gerne draußen. Ich mag Berlin
als Stadt und als Motor und bin auch gerne dort, aber ich bin auch
sehr gerne draußen.
Heute denke ich manchmal, mit den Blumen manche böse Dinge,
die in meinen Büchern sind, zu vertuschen.
Zu vertuschen?
Na, nee. Einen zweiten Blick auf die Dinge einzubringen. Das finde
ich schön, dass das Bild nicht so vordergründig ist.
In deinen Büchern tauchen öfters Eulen und auch immer
wieder der Eisvogel auf. Haben die Vögel eine bestimmte Bedeutung
für dich?
Wir waren einmal nachmittags in Mecklenburg Vorpommern an einem
See, und da flog auf einmal so ein Eisvogel vorbei. Da hat die Sonne
geschienen und das war auf einmal so ein ganz starker Moment, wo
dieses Orange mit diesem Hellblau des Vogels glitzerte. Das war
für mich auch Kunst.
Die Eulen tauchen zum ersten Mal in dem französischen Kinderbuch
auf. Eulen haben einfach großen Augen, das ist schön
zu zeichnen, fast comicartig. Das hat einfach gleich einen Ausdruck.
A propos Comic: Anfangs hast du ja vor allem Comics gezeichnet.
In letzter Zeit machst du vor allem Illustrationen. Warum?
Ich glaube, dass sich inzwischen einfach meine Wahrnehmung verändert
hat. Man verändert sich ja mit dem, was passiert. Man drückt
etwas aus, und dann ist es auch abgelegt und es geht einem besser.
Ein Comic, den ich damals gemacht habe, Alice, würde
ich heute beispielsweise gar nicht mehr so machen. Ich verstehe
den heute gar nicht mehr. Es sind immer wieder unterschiedliche
Etappen, die den Blick ändern. Und Comic fand ich zum Schluss
zu einengend als Medium für mich selber.
Was kann denn der Comic und was kann im Gegensatz dazu die Illustration?
Aus: Wondertüte 3:
Hunde über Berlin
Das Schöne am Comic ist, dass er schnell ganze Welten erfinden
kann. Du brauchst nur ein Papier und ein Stift, das ist doch fantastisch!
Wenn du eine Burg für deine Geschichte brauchst, dann zeichnest
du eben eine. Du brauchst keine Leute, die es aufbauen müssen,
keinen Kameramann, nichts! Du kannst alles zeichnen. Und man hat
eine große Freiheit, weil der Comic zum Glück immer noch
- trotz der Anstrengung einiger Comiczeichner, als Künstler
ernst genommen zu werden - belächelt wird. Da kann man sich
natürlich viel mehr erlauben. Ich möchte mit Fil zum Beispiel Faust 3 als Comic machen. Mit einem Roman ginge das natürlich
nicht.
Trotz dieser Freiheit empfinde ich den Comic aber auch als eine
Art von Gefängnis. Weil er eine Form von Lesbarkeit haben muss.
Das heißt zum Beispiel, dass der Held immer irgendwie nachvollziehbar,
also mit sich identisch sein muss.
Und der Zeitfaktor ist beim Comic ganz anders als bei der Illustration.
Beim Comic bist du einer Dramaturgie unterlegen. Du kannst zwar
zurückblättern und kucken, wie irgendjemand aussah, aber
du hast eine ganz andere Zeitdramaturgie des Umblätterns und
Lesens einer Geschichte.
Das Bilderbuch ist dagegen fast wie ein Tafelbild. Du hast zwar
einen Text und ein Bild, aber du versinkst in das Bild. Mit einem
Bild kannst du auch ohne Text schon sehr viel erzählen. Beim
Comic geht das ja gar nicht. Da geht es um das schnelle Erfassen
von Text und Bild und dann geht es weiter. Vielleicht ist das genau
der Punkt, warum ich mich zur Zeit wieder mehr für Illustration
interessiere und nicht für Comic. Beim Struwwelpeter habe ich versucht, eine Welt zu machen, die wie Bühnenbilder
aufgestellt ist. So eine Tiefe gibt es beim Comic nicht.
Aus: Ada
Du selbst siehst dich ja nicht nur als Comic-Zeichner und Illustrator,
sondern auch als Künstler. Wo ist die Grenze zwischen Kunst
und Illustration?
Diese Frage interessiert mich gerade sehr, und ich beschäftige
mich damit auch mit meinen Studenten. Und ich merke, dass es einen
ganz großen Unterschied zwischen Kunst und Illustration gibt.
Illustrationen werden häufig beim dritten Mal Ansehen zur Dekoration.
Das liegt meiner Meinung nach daran, dass eine Illustration keine
Suche nach irgendetwas ist. Das ist eine Frage des Inneren, eine
Art von Besessenheit, die ich in der Kunst sehe und die ich auch
möchte. Illustrationen können sehr gut gestaltet sein,
aber es ist trotzdem wenig dahinter. In der Kunst kann sich nach
einem Monat ein Bild plötzlich öffnen. Das passiert bei
Illustration nicht, das ist einfach nur Dekoration.
Es gab allerdings auch viele Künstler, die sich als Handwerker
verstanden haben und trotzdem tolle Sachen gemacht haben. Aber gerade
bei Kinderbüchern sehe ich eine sehr große Beliebigkeit.
Gibt es Kinderbücher, die du trotzdem gut findest?
In Deutschland sind das vier, fünf Leute, die ich vielleicht
schätze. Und die, die ich schätze, finde ich eigentlich
nur gut, weil sie eine andere Sprache haben. Also ich schätze
ihre Arbeit total, aber sie sind keine größere Inspiration
für mich.
Ich schätze zum Beispiel die Illustratorin Rotraut
Susanne Berner. Dann schätze ich noch Wolf
Erlbruch, Nadia Budde und Klaus
Ensikat natürlich. Ensikat ist ein alter Held von mir.
Mit ihm bin ich aufgewachsen und ich habe eine Phase gehabt, mit
etwa 14 Jahren, wo ich genauso gezeichnet habe wie er.
Was ist für dich dabei das Kriterium? Wann findest du Illustrationen
gut?
Aus: Fup
Ich glaube, wichtig ist, dass man so ein Stück weit drüber
steht oder dass man was zu sagen hat. Andererseits gibt es natürlich
auch Leute, die haben etwas zu sagen, aber da will ich gar nicht
wissen, was die zu sagen haben.
Die Sachen des einzelnen Illustrators sollten auch nicht austauschbar
sein. Es gibt Illustratoren, da sieht zum Beispiel jedes Gesicht
gleich aus. So was will ich nicht, ich will eigentlich immer was
anderes machen. Man verändert sich ja auch. Darum gibt es auch
ein paar Dinge von mir, hinter denen ich selbst nicht mehr stehe.
Ist die Verkäuflichkeit des Buchs ein Kriterium für
dich?
Nein. Wenn ich als Macher an die Verkäuflichkeit denken würde,
wäre ich irgendwann tot. Ich habe auch keine Lust, mit meinen
Studenten darüber zu reden, wie man Bestseller macht. Das ist
doch nicht meine Aufgabe. Die sollen ordentliche Sachen machen und
dann müssen sie selber sehen, was sie daraus machen.
Aber bei Illustratoren ist es mir tatsächlich oft passiert,
dass sie vor allem an die Vermarktbarkeit ihrer Bilder interessiert
sind, bei Künstlern ist das nicht so oft der Fall.
Siehst du dich denn mehr als Illustrator oder als Künstler?
Als Illustrator und Künstler.
Was ist der Reiz der Grenzüberschreitung, wenn du dich
zwischen den Welten Comic, Illustration und Kunst bewegst? Oder
anders gefragt: Warum bewegst du dich zwischen den Welten?
Weil ich mich immer eingeengt fühle. Ich wollte als Kind und
Jugendlicher immer zu einer Gruppe gehören. Da waren es mal
die Punks, dann waren es die Ökos. Man wollte immer irgendwo
dazu gehören. Aber ich merkte immer, wenn ich dann da war,
dass ich das nicht wirklich bin. Dass ich zwar immer ein Teil davon
bin, aber nicht das Ganze.
Ich denke, jeder Bereich redet immer von der Grenze zu den anderen
Bereichen. Und ich sehe mich eher als einen Springer zwischen den
Bereichen an. Ich denke darüber aber nicht nach. Ich mache
einfach mein Ding. Dass ich Grenzen überschreite, sehen vor
allem die anderen so, ich selbst sehe es ja gar nicht so.
Greetings from Stockholm
Inwieweit hängt deine Bildersprache vom Text ab?
Das ist ja eine Frage, die sehr oft gestellt wird. Bei mir, finde
ich, ist es wie bei einem Theaterregisseur. Man hat also ein Ausgangsmaterial
wie zum Beispiel den Zerbrochenen Krug und daraus macht man
dann Theater. Und das macht man mit seiner Welt und gibt dem Text
noch eine andere Ebene. Wichtig ist natürlich, dass das Ausgangsmaterial
schon gut ist. Wenn das schlecht ist, hat man natürlich keine
Lust, eine Inszenierung zu machen. Für mich ist außerdem
die Beziehung zum Autor und zum Text sehr wichtig. Als ich damals
Fup von Jim Dodge gelesen habe, wusste ich nach drei Stunden,
dass ich das mache. Das ist einfach ein toller Text. Beim Comic
ist das nicht so wichtig, wie die Bilder sind. Aber ich bin ein
Bildermensch. Ich möchte mit den Bildern auch Geschichten erzählen.
Das Bild ist mir schon sehr wichtig.
Um wieder auf das Beispiel mit dem Theater zurückzukommen:
Wenn ich Regisseur wäre, wäre mir die Ausstattung des
Bühnenbildes und die Kostümierung wichtiger als der Gestus
der Schauspieler, der wäre den Bildern untergeordnet.
Aber ansonsten glaube ich, dass alles gleich wichtig ist. Wenn man
einen tollen Text hat, beruhigt das einen einerseits, andererseits
kitzelt einen der Ehrgeiz, wie zum Beispiel bei dem Text Ada
von Gertrude Stein. Da versucht man eine andere Welt dagegen aufzubauen,
man versucht ebenbürtig zu werden.
Ist das eine Art Kampf mit dem Autor?
Genau. Ein Kampf, aber nicht als etwas Negatives, sondern, um einen
Schlagabtausch zu haben. Das ist ja das, was man möchte: Einen
gesunden Ehrgeiz zu entwickeln.
Aus: Atak vs. Ahne
Hast du das Gefühl, dass du deine Möglichkeiten irgendwann
ausgereizt hast?
Nein, das gibt es ja gar nicht. Schon, weil ich keinen festen Stil
habe. Natürlich hat man einen gewissen Stil, weil man dieselbe
Person ist. Aber ich will immer wechseln, weil ich ja selber immer
etwas Neues entdecken möchte.
Gehört zu den neuen Entdeckungen auch ein Kinderbuch?
Wenn es klappt, möchte ich für einen großen deutschen
Verlag eine Geschichte von Mark Twain machen, die ich schon als
Kind machen wollte. Die Zielgruppe ist nicht ganz klar, weil es
eine sehr schwere, philosophische Geschichte ist. Aber eigentlich
ist die Geschichte schon für Kinder gedacht. Die Geschichte
ist - für Twain ganz untypisch - an manchen Stellen sehr verbittert.
Aber ich habe die Geschichte als Kind immer gemocht, weil man mit
elf, zwölf, dreizehn Jahren plötzlich mit einer Philosophie
konfrontiert wird. Aber nicht mit so einer vordergründigen
wie in Sophies Welt, sondern einer Geschichte, in der richtig
etwas passiert. In Twains Geschichte kommt der Engel als Satan auf
die Erde runter und gibt seine Statements ab. Ein Faustthema, das
für Kinder gemacht ist.
Mich reizt das Buch auch deshalb, weil sich da für mich ein
Kreis schließt: Mark Twain hat in Berlin den Struwwelpeter
gefunden und ihn so gemocht, dass er ihn für seine Tochter
ins Englische übersetzt hat!
Lieber Atak, viel Spaß beim Entdecken neuer Welten und
vielen Dank für das Gespräch!