[Diese
Seite drucken]
Kulturtasche
Wo man das Sandmännchen treffen kann,
wie man Knete in Bewegung bringt und warum Rasmus Rotbart nie Besuch
empfängt:
Interview mit Andreas Strozyk, Autor und Graphiker der Sandmännchengeschichten
Kalli und Rasmus Rotbart und Lawina
Kulturtasche: Andreas, seit fast zehn Jahren schreibst
und produzierst du Gute-Nacht-Geschichten fürs Sandmännchen.
Die wichtigste Frage zuerst: Bist du dem Sandmännchen
schon einmal begegnet?
Ja, ich hatte das große Glück! Ich bin ihm aber
nicht in der Sandmann-Redaktion beim Sender RBB, sondern im
Sandmannstudio in Babelsberg begegnet. Dort habe ich den Sandmann
sogar in der Hand gehabt und durfte mit dem "Sandmannvater"
Herrn Behrendt ein Interview führen!
Das war wahrscheinlich 1999, als du zum 40. Geburtstag
des Sandmännchens die sechsstündige "Lange
Nacht des Sandmännchens" organisiert hast? Damals
hast du dich tagelang im Archiv des Sandmännchens vergraben
und Tausende von Filmen gesichtet. Was war dein schönstes
oder eindrücklichstes Erlebnis dabei?
Spannend war es, zu sehen, mit wie viel Liebe und Sorgfalt
über so lange Zeit für Kinder gearbeitet wurde.
Wie viel Phantasie und Kraft investiert wurde, um den kleinen
Helden Sandmann immer wieder auf die Reise zu schicken - und
alles nur, um Kindern "Gute Nacht!" zu sagen - "Schlaft
schön, träumt was Schönes!" Dafür
zu arbeiten ist doch wunderbar.
Wie bist du eigentlich ursprünglich zum Sandmännchen
gekommen?
Ich hatte irgendwann die Idee, Geschichten zu schreiben,
die in der Nacht spielen. Wenn alle Kinder schlafen. Irgendwie
dachte ich, dass Kinder es spannend finden, zu erfahren, was
da draußen in der Nacht geschieht, wenn sie ins Bett
müssen. Mit der Idee bin ich zur Sandmann-Redaktion gegangen
und herausgekommen ist - Kalli.
Kalli ist ein kleiner, etwa fünfjähriger Junge,
der jeden Abend vor dem Einschlafen in seinem Bett Abenteuer
erlebt. Einmal ist er Känguru oder Krebs, ein anderes
Mal wieder Ritter oder Astronaut. Stand die Figur von Anfang
an so fest? Und hat die Sandmännchen-Redaktion dir den
Kalli sofort aus den Händen gerissen?
Der frühe Kalli
Das ging natürlich nicht sofort und geradeaus. Da waren
ellenlange Gespräche und Versuche und Überlegungen
und neue Ideen und ganz neue Ideen nötig. Zuerst war
auch nicht Kalli da. Zuerst hatte ich nur so eine Idee von
einem Nachtfalter, der über die Stadt fliegt und alles
sieht, und einem kleinen Jungen, der am Fenster steht, erzählt,
was er da draußen alles erlebt. Der Junge hatte allerdings
schon immer einen blauen Schlafanzug mit weißen Punkten
an ... Nach einigen Jahren waren wir dann soweit: Es gab Kalli,
es gab bewegte Bilder und bald waren die ersten Folgen fertig.
|
|
Foto: Andreas Strozyk
Vita
Andreas Strozyk machte eine Ausbildung
zum Architekten in Berlin, (damals noch in der DDR), sattelte
aber zum Ausstatter beim Rundfunk um, als die Regierung kein
Geld mehr für Erker und architektonische Besonderheiten
hatte. Neben anderem war er vor der Wende Graphiker bei der
Kinderzeitschrift Frösi.
Seit 1992 arbeitet er freischaffend als Autor, Graphiker,
Darsteller und Ausstatter,
besonders im Bereich Kinderfernsehen des ORB, MDR, SFB und
NDR.
Er entwarf beispielsweise das Kinderfernsehmaskottchen "Nils",
war Autor der Serie "Ein fast perfekter Typ" und
zeichnete die Figuren und Hintergründe für die Animationsserie
"Wunschpunsch".
Besonders bekannt sind seine Sandmännchen-Figuren Kalli
und Rasmus Rotbart und Lawina. Die zweite Staffel seiner
Piratengeschichten wird wahrscheinlich Ende des Jahres
zu sehen sein.
Andreas Strozyk hat zwei Töchter
und lebt in Berlin.
Illustration: Andreas Strozyk
|
Mit dem Piraten Rasmus Rotbart und der Lachmöwe Lawina
hast du neben Kalli noch zwei andere, sehr populäre Figuren
geschaffen. Wie entwickelst du deine Figuren? Hast du Vorbilder?
Figuren wachsen meistens - beim Zeichnen. Manchmal sind sie aber
schon im Kopf und müssen mühsam durch die Hand aufs Papier.
Ganz schlimm ist es, wenn jemand anderes eine Figur hat, will, möchte,
und ich soll sie darstellen ...
Vorbilder? Es gibt einige Menschen, die ich sehr schätze, einige
Künstler, die ich wirklich mag und manchmal schau ich ganz
genau hin, was sie gemacht haben und wie. Zum Beispiel bei F. K.
Waechter, Ronald Searle, Jean-Jacques Sempé u. v. a.
Das ist Kalli und wenn ihr auf
das Bild klickt, kommt ein kleiner Trickfilm direkt von der
verlinkten RBB-Website.
Im Unterschied zur Kalli-Serie, die eine Zeichentrickserie mit
Collagetechnik ist, hast du dich bei deinen Piratengeschichten für
Knetfiguren mit realistischen Hintergründen entschieden. Warum?
Jede Geschichte braucht ihr eigenes Medium, ihre eigene Art der
Umsetzung. Rasmus ist für mich ein richtiger Pirat, der in
einer wirklichen Welt lebt. Rasmus ist rund, dreidimensional - der
kann nicht in einer Fotocollage die Weltmeere unsicher machen -
Kalli ist anders, verträumter, da ist vieles unwirklich, aber
doch real - deshalb habe ich da Zeichnungen mit Fotos kombiniert.
Zu Rasmus Rotbart gab es bereits die Buch-Vorlage von Julia
Boehme und Dorothea Tust. Da war die Piratengeschichten doch auch
nur mit Zeichnungen illustriert?
Für mich waren Illustrationen, Zeichnungen irgendwie zu wenig,
um so einen Rasmus Rotbart darzustellen. Rasmus sollte ein richtiges
Schiff zum Anfassen bekommen. Eines, das man sich eventuell auch
selbst bauen kann. Blumentopf, Mast rein, Segel dran - fertig.
Wer jetzt ganz pfiffig ist, knetet sich noch einen Piraten und eine
Möwe oder 25 Piraten und 14 Möwen und spielt seine eigenen
Geschichten.
Es war also von Anfang an beabsichtigt, dass das Piratenschiff
und die Figuren selbstgemacht und eben nicht so perfekt inszeniert
und animiert aussehen wie die Knetfiguren aus Wallace & Gromit
oder Chicken Run?
Klar, alles soll nach 'Selbstgebaut' aussehen. Damit auch jeder
das Gefühl bekommt: Hab ich ein Stück Knete, kann ich
mir einen Rasmus bauen und in See stechen.
Geht es wirklich so einfach, einen Knetfilm zu drehen? Ich dachte
immer, dass es sehr aufwändig ist, bis man die Knetfiguren
zum Laufen kriegt.
Das sind Rasmus Rotbart und Lawina.
Wenn ihr auf das Bild klickt, kommt ein kleiner Trickfilm direkt
von der verlinkten RBB-Website.
Es ist überhaupt gar nicht einfach, einen Knetfilm herzustellen
- schon gar nicht eine Serie. Ich bin unheimlich froh, dass sich
ein Produzent gefunden hat, Tony Loeser mit seiner Firma MotionWorks,
der sich auf dieses Piratenabenteuer eingelassen hat. Dazu ist dann
noch ein Studio aus Ludwigsburg, Studio SOI, gestoßen,
so dass eine richtige Piratenmannschaft zur Verfügung stand.
Zuerst mussten Dekorationen gebaut werden, dann wurden Scheinwerfer
aufgestellt, währenddessen haben die Animatoren und ich an
den Storyboards gefummelt und dann ging wirklich irgendwann der
Dreh los. Das war natürlich nicht wie in Hollywood oder in
irgendeinem Studio beim Realfilm, wo ein Aufnahmeleiter 'Ruhe!'
brüllt und der Regisseur 'Action!' schreit - bei uns wurden
die Figuren in das Set gestellt und dann Zentimeter für Zentimeter
bewegt - Bewegung - Klick, Kamera - Bewegung - Klick, Kamera - Bewegung
- Klick, Kamera ...-
Was genau sind alles deine Aufgabe bei der Produktion von Rasmus
und Lawina?
Man nennt es 'Regie führen' ... ich versuche, gemeinsam mit
den Animatoren, Kameraleuten, Computerspezialisten den Film umzusetzen,
den ich im Kopf hatte. Das bedeutet vor allem, mit allen zu reden,
viel zu skizzieren und auch - Kompromisse zu machen. Alles in allem
bin ich sehr froh, dass die gesamte (Piraten)Mannschaft so engagiert
bei der Arbeit ist und alle versuchen, noch besser zu arbeiten als
in der ersten Staffel. Das Schöne bei der Arbeit ist, dass
in so einem Team natürlich auch Ideen entstehen, auf die man
allein nie gekommen wäre.
Angenommen man hat jetzt schon das Storyboard, die Knetfiguren,
die Schiffskulisse und die ganzen Dekorationen. Wie lange braucht
man dann noch, um den Film zu drehen?
Wir sind gerade dabei, 13 neue Folgen von den "Piratengeschichten"
fertig zu stellen. Die Schiffskulisse, die Dekorationen, die Knetfiguren
hatten wir bereits aus der ersten Staffel. Trotzdem haben wir jetzt
beinahe ein ganzes Jahr an den 13 Folgen gearbeitet. Die Zeit braucht
man natürlich nicht nur für die Animation allein, sondern
auch für Sprache und Musik, Bild, Ton und Compositing (das
ist die Phase, in der die Hintergründe in den Film eingefügt
werden).
Zeichentrickfilme werden insgesamt ja nicht schneller produziert
als Knetfilme. Trotzdem gibt es vergleichsweise wenig Knetfilme.
Warum? Und warum werden Knetfilme fast nur in Europa und nicht in
den USA hergestellt?
Das
hat wahrscheinlich mit der Entwicklung des Animationsfilms überhaupt
zu tun. Während in Amerika Walt Disney den Zeichentrick
zur Perfektion entwickelte und dort den Markt beherrschte, wurde
in Europa immer mal wieder mit Puppentrick experimentiert. Mit Puppentrick
meine ich übrigens nicht Handpuppen oder Marionetten, die gleichzeitig
bewegt und gefilmt werden, sondern Stop Motion Filme, bei denen
die Puppen oder Objekte Stück für Stück bewegt werden,
gefilmt, dann wieder bewegt, gefilmt und so weiter. Knetfilm ist
ja nur eine spezielle Form des Puppentricks. Besonders experimentierfreudig
zeigten sich in jüngster Vergangenheit die Aardman-Studios
in Großbritannien, die mit 'Wallace&Gromit' und Chickenrun'
ja richtige Publikumsrenner hingelegt haben und den Knetfilm für
das Kinoformat perfektionierten.
Was ist deiner Meinung nach der besondere Reiz am Knetfilm?
Knete ist ein sehr populäres Material, jeder kennt es, jeder
hat es schon einmal in der Hand gehabt. Um so überraschender
ist es, wenn die Knetefiguren ein Eigenleben entwickeln. Überhaupt
haben Knetfiguren etwas sehr Lebendiges - sie können sich schnell
verändern - im Handumdrehen kann man ein Staunen in ein Lachen
verwandeln, einen dicken Elefanten in eine zarte Libelle ...
Wird eigentlich tatsächlich immer Knete oder manchmal auch
ein anderes Material verwendet?
Im Studio hatten wir das Problem, dass Knete manchmal doch zu lebendig
ist - sie verändert sich manchmal zu sehr durch das Arbeiten
- sie reißt, sie wird schmutzig, sie hält einfach nicht
an den Stellen, wo man sie braucht. Deshalb, ich sag das allerdings
nur ungern, wird manchmal getrickst - es sieht aus wie Knete, ist
aber Silikon ...
Zeichentrick wurde in den letzten Jahren ja etwas von der 3-D-Animation
verdrängt. Knetfilme haben dagegen eine ähnliche Ästhetik
wie die 3-D-Trickfilme. Kannst du dir vorstellen, dass der Knetfilm
dadurch wieder modern wird?
Wäre eine These ... Die 3-D-Animation im Computer ist schließlich
auch nichts anderes als Puppentrick - genau wie im Animationsstudio
werden Puppen bewegt, nur mit anderen Mitteln. Was den Knetfilm
so liebenswert und einmalig macht ist: Hier wirkt immer die Schwerkraft,
hinterlässt der Animator immer Spuren auf der Puppe und hier
ist das Licht von einem Scheinwerfer - man sieht es, man spürt
es, auch wenn die Computeranimation immer perfekter wird und mittlerweile
auch Knetfiguren aus dem Computer kommen ...
Heißt das, dass Knetfiguren bald nicht mehr gebastelt,
sondern nur noch computersimuliert werden?
Wahrscheinlich wird es immer wieder Leute geben, die sich dem Abenteuer
stellen, einen Film mit ihren eigenen Händen herzustellen.
Die ihre Figur wirklich anfassen wollen - denn das ist das Schöne
an diesen Filmen - es gibt sie wirklich, die Figuren. Man kann sie
in die Hand nehmen und man kann mit ihnen spielen. Man kann herumprobieren
und sie am Ende in einen Karton stecken. Später freut man sich,
wenn man sie wiederfindet.
Könnten theoretisch auch die Leserinnen und Leser von Rossipotti
einen kleinen Knetfilm machen?
Jeder kann es. Man nehme ein Stück Knete und schon geht es
los - ein Gesicht, ein breiter Mund, ein Grinsen - ein kleiner Mund,
die Augen zu - einfach ausprobieren. Man braucht nicht mal eine
Kamera, weil man den Film in den Hände live erleben kann.
Zwei Rossipotti-Leserinnen
(7 und 5 Jahre) haben das gleich ausprobiert. Entstanden ist
dieser lustige Film, bei dem Palmina, Rossipotti, Albert und
Pudding Wackel mitspielen.
Fast hätte ich es vergessen. Von Palmina soll ich dich
noch drei Dinge zu den Piratengeschichten fragen: Warum haben Rasmus
und Lawina nie Besuch? In welchem See segelt Rasmus Rotbart? Und
warum hat Rasmus - wie viele Comicfiguren - nur vier Finger und
einen schiefen Mund, wenn er spricht?
Also zur ersten Frage: Rasmus und Lawina haben dermaßen viel
mit sich selbst zu tun, da würden Gäste nur stören.
Außerdem haben wir nur so wenig Zeit. Die Sandmännchen-Geschichten
sind ja nur 4 Minuten lang. Aber vielleicht kommt später mal
jemand zu Besuch - andererseits: da müssten sich die beiden
Piratenschiffbewohner schon sehr langweilen.
Die frühe Lawina
Zur zweiten Frage: Rasmus segelt in einem See in der Nähe von Malchow.
Aber ich habe noch andere spannende Motive entdeckt...
Und warum Rasmus nur vier Finger und einen schiefen Mund hat? Hm,
angeboren - oder so etwas passiert schon mal - nein, das weiß
ich jetzt nicht - wahrscheinlich redet er so, weil er seinen Worten
so richtig viel Ausdruck und Gewicht geben will. Es sieht einfach
witzig aus. Die Hände sehen mit vier Fingern auf jeden Fall
knuffliger aus.
Welche Figur liegt dir eigentlich mehr am Herzen, Kalli oder
Rasmus und Lawina?
Das ist ganz schwer. Beide Serien haben ganz andere Schwerpunkte.
Kalli ist fast wie der kleine Sohn, dem man ein bisschen helfen
muss, die Welt zu entdecken. Rasmus und Lawina haben viel mit sich
selbst zu tun. Da passieren Sachen von ganz allein. Manchmal muss
man sich regelrecht beeilen, wenn man alles aufschreiben will, was
da auf dem Piratenschiff passiert.
Mit welchen Sandmännchen-Träumen möchtest du
die Kinder denn in den Schlaf schicken?
Mit Träumen, die beruhigen und stark machen, Mut geben für
morgen und einfach Spaß machen.
Lieber Andreas, vielen Dank für das Gespräch! Hoffentlich
gibt es noch viele neue Abenteuern mit Kalli, Rasmus und Lawina!
Und hoffentlich können wir beim Sandmännchen auch bald
deine neue Figuren und Landschaften sehen, die heimlich schon in
den Startlöchern warten.
Ich danke und viel Spaß weiterhin mit ROSSI & POTTI -
hier guck ich auch immer mal wieder gerne hin.
|
|