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Rossipottis Leibspeise
und andere Lieblingsbücher
Rossipottis Leibspeise
- Pu der Bär von A.A. Milne
mit Illustrationen von Ernest H. Shepard, in der Übersetzung
von Harry Rowohlt
- Kater Mikesch von Josef Lada in
der deutschen Fassung von Otfried Preußler
- Fup von Jim Dodge mit Illustrationen
von Atak, in der Übersetzung von Harry Rowohlt
Lieblingsbuch
vorgestellt von Helma Hörath
Pu der Bär
"Tierbücher gibt es mehr als man denkt", sagt Rossipotti
und beißt in ein dickes Pappbuch, auf dem ein hässliches
Monster mit schrecklichen Hauern und giftiger Warze abgebildet ist.
"Da gibt es die schnuckeligen Bücher, in denen alberne
Kaninchen oder Bären mit Jäckchen und Hose rumlaufen und
Kleinkindern die Welt erklären, da gibt es Bücher, in
denen Tiere verschiedene Abenteuer erleben wie bei Janosch und Helme
Heine. Und dann gibt es Tierbücher, in denen Menschen und Tiere
miteinander sprechen können und zusammen die wunderbarsten
Erlebnisse haben wie zum Beispiel im 'Dschungelbuch'."
"Das Dschungelbuch ist viel zu bekannt, um es hier vorzustellen
", wende ich etwas mürrisch ein. Ich finde, Rossipotti
sollte mir keine langen Vorträge über die Gattung "Tierbuch"
halten, sondern kurz und schmerzlos sagen, welche Bücher wir
dieses Mal nehmen.
"Ich habe doch gar nicht gesagt, dass wir das 'Dschungelbuch'
nehmen", sagt Rossipotti und dehnt ausgiebig seine Glieder.
"Wenn man literarische Tierbücher besprechen möchte,
muss man nämlich als erstes immer 'Pu der Bär' vorstellen!"
"Pu der Bär?!" rufe ich erstaunt. "Aber Winnie
Puh ist doch das bekannteste Tierbuch überhaupt!"
"Winnie Puh vielleicht", sagt Rossipotti gelassen. "Aber
nicht Eduard Bär, genannt Winnie der Pu."
"Wer ist denn das?" frage ich, "eine neue Erfindung
oder eine Nachahmung der Walt Disney Geschichten über Winnie
Puh?"
"Wohl kaum", sagt Rossipotti und grinst. Ihm gefällt
es offensichtlich, mich zu verwirren. "Winnie der Pu wurde
schon 1926 von dem englischen Autor Alan Alexander Milne geschrieben."
"Aha", sage ich. "Dann hat das Buch also gar nichts
mit den Walt Disney Filmen zu tun?"
"Zum Glück nicht!" sagt Rossipotti. "Obwohl
umgekehrt Walt Disney natürlich sehr viel mit dem Buch zu tun
hat."
Ich werfe Rossipotti einen wütenden Blick zu. Kann er sich
nicht klar und deutlich ausdrücken? Sonst fällt es ihm
doch auch nicht schwer, die Dinge auf den Punkt zu bringen.
"Du bist heute aber begriffsstutzig", sagt Rossipotti
und sieht mich verwundert an. "'Pu der Bär' ist natürlich
die Vorlage von Walt Disneys 'Winnie Puh'! Und wie das meistens
so ist, ist das Buch viel besser als der Film."
"Aha!" sage ich und frage interessiert: "Was ist
denn daran besser?"
"Keine Ahnung!" antwortet Rossipotti und wird nicht einmal
rot dabei. "Denkst du etwa, ich schaue mir den Walt Disney
Film an, wenn ich eine viel spannendere Vorlage zu Hause habe? Du
brauchst nur die Bilder miteinander zu vergleichen und schon weißt
du, was du von der filmischen Umsetzung zu halten hast. Die kongenialen
Illustrationen von Edward Shepard sind einfach toll! Sie sind kindlich,
aber nicht kitschig, realistisch gezeichnet, aber trotzdem die Phantasie
anregend. Und was macht Walt Disney daraus? Niedliche, unrealistische
Schablonenbilder, die zwar massentauglich sind, aber die Phantasie
abtöten. Wenn Walt Disney mit dem Text das Gleiche gemacht
hat, brauche ich mir den Film wirklich nicht anzusehen, um zu wissen,
dass er an das Buch niemals heranreichen wird."
"Ist das alles, was du gegen den Film und für das Buch
anzubringen hast?" frage ich ein wenig schnippisch.
"Pah", sagt Rossipotti und klappt das Maul zu. "Lies
doch erst mal das Buch, bevor du dich hier wichtig machst! Du musst
es allerdings unbedingt in der Übersetzung von Harry Rowohlt
lesen, denn die ist echt klasse. Und wenn du dann nicht der Meinung
bist, dass 'Pu der Bär' das zärtlichste, einfallsreichste,
bahnbrechendste belletristische Tierbuch ist, das
ich je gelesen habe, dann überlege ich mir ernsthaft,
ob ich mich nicht nach einer neuen Leibspeise umsehe!"
"Rossipotti kann mir drohen so viel er will", denke ich,
"ich bin schließlich ein unabhängiger Fisch. Und
wenn er meint, dass er eine bessere Leibspeise als mich findet,
dann soll er doch gleich los gehen und sich eine suchen."
Trotzdem bin ich neugierig geworden, ob das Buch wirklich so sagenhaft
ist, wie Rossipotti behauptet. Ich hole es mir deshalb aus seinem
Buchregal und fange an zu lesen:
"Erstes Kapitel, in welchem wir Winnie-dem-Pu und einigen
Bienen vorgestellt werden und die Geschichten beginnnen..."
Es ist bereits dunkel, als ich das Buch mit einer Träne im
Augenwinkel aus der Hand lege. Ich seufze schwer. Christopher Robin
und Pu haben gerade den Hundert Morgen Wald verlassen und Känga,
Klein Ruh, Tieger, Kaninchen und sogar Pus besten Freund Ferkel
hinter sich gelassen.
Eigentlich haben die beiden nicht nur ihre Stofftier-Freunde verlassen,
sondern auch mich. Denn ich sitze immer noch "an diesem verzauberten
Ort in der Mitte des Waldes", und staune über die vielen
poetischen Einfälle des Autors. Ich lache über das verquere
Kaninchen, bin gerührt über das verzagte Ferkel und renne
mit dem stürmischen Tieger durch
den Wald. Vor allem aber lausche ich Pus fröhlich-skurrilen
Liedern, den
"Zeilen von einem Bären mit sehr wenig
Verstand geschrieben:
Am Montag scheint die Sonne heiß.
Ich stelle mir die Frage:
Weiß ich es, dass ich dieses weiß?
Wie sieht sie aus, die Lage?
Am Dienstag hagelt es und schneit.
Erschaure, Mensch und lies:
Es herrscht die große Unklarheit;
Ist dies das, jenes dies?
Am Mittwoch, wenn der Himmel blaut,
Ich alles schleifen lass
Und frage mich leise (oft auch laut):
Was ist wer und wo was?
Am Donnerstag das erste Eis
Als Reif auf Bäumen funkelt.
Da weiß ich, dass ich dieses weiß:
Wer? Was? Wie? Bis es dunkelt."
A.A. Milne (Text)/Ernest H. Shepard (Illustrationen):
Pu der Bär. Aus dem Englischen von Harry Rowohlt. Deutscher
Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG. München 1997. 328 Seiten.
Kater Mikesch
"Sollen wir nach einem sprechenden Bären nicht eine sprechende
Katze vorstellen?" fragt Rossipotti als ich mit dem Tippen
fertig bin.
"Du denkst bestimmt an die 'Katze mit Hut'?" vermute
ich. Ich weiß, dass Rossipotti das Buch sehr gut gefällt.
Wenn es möglich wäre, würde er der Katze sicher einen
Besuch abstatten: "Guten Tag, Verehrteste. Mein Name ist Rossipotti
und ich würde gerne bei Ihnen wohnen. Ich habe zwar keine Marotten,
verspeise aber gerne 'Katze mit Hut'. Darf ich eintreten?"
"Nein", unterbricht Rossipotti meine Gedanken. "Ich
habe mich an der Katze ehrlich gesagt überfressen. Zuerst habe
ich sie zwei Mal hintereinander gelesen und dann auch noch als Puppenspiel
gesehen. Jetzt reicht es mir für eine Weile. Kennst du keine
andere Geschichte, in der eine Katze ein Rolle spielt?"
"Es gibt mehrere Krimis für Erwachsene, in denen Katzen
eine Rolle spielen", überlege ich. "Katzen haben
etwas Dunkles, Geheimnisvolles an sich. Vielleicht sind sie für
Kinder nicht so geeignet?"
"Quatsch", sagt Rossipotti, "Katzen sind harmlose,
weiche Geschöpfe, die keiner Fliege etwas zu leide tun können!
Denk doch nur an ... "
"Kater Karlo, den Verbrecher von Entenhausen?"
"Nein, da gibt es doch ..."
"Den Kater, der Pinocchio um sein ganzes Geld bringt? - Oder
meinst du etwa den gestiefelten Kater, der den in eine Maus verwandelten
Zauberer frisst?"
"Nein!" sagt Rossipotti und schnappt nach Luft. "Denk
doch mal an ... den 'Kater Mikesch'!"
Ich bin platt. Rossipotti hat Recht. Der Kater Mikesch aus dem
tschechischen Dorf Holleschitz ist tatsächlich ein harmloses,
weiches Geschöpf, das keiner Fliege etwas zuleide tun kann.
Mikesch ist lieber als das liebste Kind!
Abends kuschelt er mit dem Schusterjungen Pepik auf dem Ofen, lauscht
seinen Geschichten und lernt von ihm das Sprechen, morgens hilft
er der Großmutter beim Holz spalten und mittags bringt er
dem Schwein Paschik und dem Ziegenbock Bobesch die Menschensprache
bei.
Der schwarze Kater, der in seinen Stiefeln auf zwei Füßen
gehen kann, weiß, was sich gehört und was nicht. Zum
Beispiel findet er es gar nicht witzig, wenn Pepik Birnen klauen
oder Bobesch Kinder auf die Hörner nehmen will.
Doch zum Glück klappt es mit dem Artigsein
nicht immer, und so erleben Mikesch und seine Freunde trotzdem manches
kleine Abenteuer. Zum Beispiel als Mikesch und Paschik mit Großmutters
heimlich ausgeliehenen Schubkarren nach Machowitz zur Kirchweih
fahren und mit einem Motorrad wieder zurück kommen, oder als
Mikesch mit Bobesch zusammen Tondas geklaute Birne in eine Kartoffel
verwandeln.
Als Mikesch jedoch eines Tages Großmutters Rahmtopf zerschlägt,
besinnt er sich wieder auf seine guten Werte. Er beschließt,
in die weite Welt zu wandern und erst wieder zurück zu kommen,
wenn er den Rahm bezahlen kann. So schnürt er denn sein Bündel,
verlässt Holleschitz und ein weiteres, großes Abenteuer
kann beginnen ...
Josef Lada/Ottfried Preußler: Kater Mikesch.
Sauerländer GmbH. Düsseldorf 2. Auflage 2004 .
Fup
"Nach so viel Harmonie und Idylle, brauche ich jetzt erst
einmal einen Drink", sagt Rossipotti und nimmt einen großen
Schluck aus einer Flasche selbstgebrauter Himbeerbrause. "Wie
wäre es, wenn wir als nächstes Buch 'Fup' von Jim Dodge
vorstellen?"
"Ist das nicht eher eine Geschichte für das 'Kind im
Manne'?" gebe ich zu Bedenken und denke dabei an den poker-
und whiskeysüchtigen Granddaddy Jake, seinen verrückten
Enkel Tiny und die riesige Ente Fup, die mit den beiden regelmäßig
ins Autokino geht.
"Quatsch", sagt Rossipotti, "die Geschichte ist
absolut jugendfrei und wird jedes vernünftige Kind interessieren:
Ein Großvater nimmt aus Liebe seinen verwaisten Enkel Tiny
bei sich auf und kümmert sich liebevoll um ihn. Als Tiny schon
über zwanzig ist, findet er ein fast totes Entenküken.
Jake belebt es mit Whiskey wieder, nennt es 'Fup' und die drei werden
eine glückliche Familie."
"Sicher", sage ich, "und wenn sie nicht gestorben
sind, dann leben sie noch heute. Aber leider wird Fup bei der Wildschweinjagd
von Tinys Gewehr zerfetzt und Jake stirbt am Schluss des Buchs.
Deshalb läuft die Geschichte auch nicht halb so glücklich
ab, wie du sie schilderst."
"Glück ist Definitionssache", sagt Rossipotti und
nimmt einen Schluck Himbeerbrause. "Ich glaube, die drei sind
verdammt glücklich. Tiny zimmert an seinen Zäunen, Jake
braut seinen Whiskey und Fup geht bis zu ihrem frühen Tod ins
Kino und auf Wildschweinjagd. Was will man mehr? Außerdem
hast du vergessen zu sagen, dass Fup eine wunderbare Auferstehung
erlebt!"
Da ich nichts erwidere, sagt Rossipotti nach einer Weile: "Du
bist ein brillanter Gesprächspartner! Du erinnerst mich beinahe
an den Indianer Seven Moons, der in den Jahren vor seinem Tod alle
zwei Monate bei Jake vorbeikam, um mit ihm Whiskey zu schlürfen.
Seven Moons sagte auch nie viel, aber wenn er etwas sagte, sagte
er immer etwas!"
Rossipotti schaut auf seine Uhr und sagt: "Oh, ich muss mich
beeilen, sonst verpasse ich meinen Elf-Uhr-Termin. Da du so weise
weiter schweigst, sind wir ja offensichtlich einer Meinung. Du stellst
das Buch also vor. Vergiss Atak und Harry Rowohlt nicht." Rossipotti
winkt mir zu, dann ist er aus dem Raum.
Atak und Harry Rowohlt. Da gibt es eigentlich nicht viel zu sagen.
Die merkwürdigen Bilder des Comic-Künstlers Atak wirken
gleichzeitig altertümlich und modern und passen wunderbar zum
Text, der in den 70er Jahren im amerikanischen Hinterland spielt.
Und Harry Rowohlts Übersetzung wird gewohnt brillant sein.
Beurteilen kann ich das aber nicht, da ich das amerikanische Original
nicht gelesen habe.
Doch kommen wir wieder zum Text. Jetzt, da Rossipotti den Raum verlassen
hat und ich nicht mehr die Gegenposition einnehmen muss, kann ich
ja ruhig verraten, dass mir das Buch wunderprächtig gefällt!
Die Geschichte um den uralten Jake, der sich für unsterblich
hält, seinen infantilen Enkelsohn Tiny, der sinnlos Zäune
baut und Wildschweine jagt und die immer fetter und menschlicher
werdende Ente Fup ist eine komische, abgedrehte Geschichte, die
eine harte Schale und einen weichen Kern hat. Es ist eine Geschichte,
in der wenig Worte gemacht werden, und die Dinge als das genommen
werden, was sie sind: Dinge.
Jim Dodge/Atak (Illustrationen): Fup. Aus dem
amerikanischen Englisch von Harry Rowohlt. Rogner & Bernhard
bei Zweitausendeins. Hamburg 2002.
128 Seiten.
Lieblingsbuch
vorgestellt von Helma Hörath
Lexikon berühmter Tiere
Tiere begleiten uns das ganze Leben hindurch. Wir begegnen ihnen
auf der Straße, im Bus, im Zimmer, auf dem Balkon, aber natürlich
auch in Filmen und Büchern.
Es gibt wohl keinen unter uns, der nicht über irgendeine Begegnung
mit behaarten Vierbeinern, befiederten Zweibeinern oder Mehrbeinern
mit und ohne Flügel berichten kann.
Ganz gleich, ob man dieses Ereignis hautnah gespürt oder nur
darüber gelesen und davon gehört hat, ein Leben ohne Tiere
kann sich wohl kein Mensch vorstellen.
Weil Tiere im Leben der Menschen so wichtig sind, gibt es sogar
ein dickes "Lexikon berühmter Tiere"! Auf 670 Seiten
findest du da Antworten auf solche Fragen wie: Seit wann gibt es
Lassie? Von wie vielen Colli-Hunden wurde der liebenswerte Lebensretter
auf Leinwand und Bildschirm dargestellt? Wer hat sich Bugs Bunny
ausgedacht? Wer nannte den Volkswagen Käfer? Wie kam das Krokodil
aufs Hemd der Firma Lacoste? Wie viele Hunde besaß der bekannte
deutsche Dichter Thomas Mann?
Alles
Wissenswerte über 1200 berühmte Tiere aus Literatur, Sagenwelt,
Geschichte, Werbung, Film und Fernsehen kannst du in diesem Lexikon
nachschlagen. Die Jüngeren unter euch, denen es vielleicht
noch zu anstrengend ist, in einem richtigen Lexikon zu lesen, fragen
einfach ihre Eltern oder ältere Kinder, ob sie ihnen nicht
dabei helfen können. Beim gemeinsamen Schmökern entdeckt
ihr sicher viel Überraschendes und Lustiges!
Karen Duve / Thies Völker: Lexikon berühmter
Tiere. Eichborn Verlag. Frankfurt a.M. 1997.
Biene Maja
Wenn du schon dabei bist, dir das oben besprochene Tier-Lexikon
anzusehen, dann schau doch gleich einmal auf Seite 400 nach. Denn
dort ist ein Tier abgebildet, das weltberühmt wurde und von
dessen Karriere ich dir nun einiges erzählen möchte. Das
Tier ist sehr klein, behaart und sieht gelblichbraun aus. Es besucht
die Blüten der Pflanzen und trägt Nektar, Blütenstaub
und Wasser zusammen. Und...
... diese Biene, die ich meine, die heißt Maja. Kleine,
freche, schlaue Biene Maja...
Höre ich dich da gerade mitsingen? Also, ich mache es.
Denn die Titelmelodie, der der tschechische Sänger Karel Gott
seine Stimme gegeben hat, ist das Erkennungssignal für Biene
Maja, die Zeichentrickfigur. Ihr Film entstand 1976. Die Filmfigur
war von dem Zeichner Marty Murphy, der vorher bei Walt Disney gearbeitet
hatte, konzipiert worden. In Szene gesetzt wurde die Geschichte
in Japan, in den Tokioter Film-Studios. 104 Folgen wurden zwischen
1976 und 1980 im deutschen Fernsehen gezeigt und später in
unregelmäßigen Abständen wiederholt.
Die
originale Biene Maja ist allerdings schon viel älter. Eigentlich
könnte sie dir erzählen, wie die Welt zu Zeiten deiner
Ur-Oma oder deines Ur-Ur-Opas von oben ausgesehen hat. Denn geboren
wurde die Vorgängerin der Filmbiene bereits 1912.
Und ihr Vater heißt nicht Walt Disney, sondern Waldemar Bonsels.
Er lebte von 1881 bis 1952. Von seinem 17. Lebensjahr an unternahm
er viele Reisen und Wanderungen durch Europa. Er war in Indien sowie
Ägypten und bereiste Nordamerika. Er schrieb erfolgreich Reiseberichte,
verfasste Romane und Erzählungen.
Er hatte eine starke Neigung zum Märchenhaften und zur Verklärung
der Natur, von deren Wunder er immer wieder auf seinen vielen Reisen
überrascht und fasziniert wurde. Und so entstand sein märchenhafter
Tierroman "Die Biene Maja und ihre Abenteuer".
Den
meisten Fernsehzuschauern ist wohl heute gar nicht bewusst, dass
es schon lange vor dem Film diese Geschichte von Waldemar Bonsels
gab. Mir würde es sicherlich auch nicht anders gehen, wenn
da nicht in unserem Regal ein Buch stehen würde. Du siehst
es hier in der Abbildung. Ziemlich unscheinbar, nicht wahr? Nur
ein geblümter Pappdeckel, der Rücken geklebt. Das aber
ist ein untrügbares Zeichen, dass es von vielen Händen
aus dem Regal genommen wurde und jede Seite schon sehr oft umgeblättert
wurde.
Meine Mutter, die heute über 80 Jahre alt ist, bekam das Buch
1925 von ihrem Vater zum Geburtstag. Mein Großvater las es
meiner Mutter vor. Meine Mutter gab das Buch mir und meinem jüngeren
Bruder weiter, und als ich erwachsen war, las ich es meiner Tochter
vor. Meiner Tochter gefiel das Buch so gut, dass sie es vor Jahren
mit in ihre Wohnung nahm, weshalb ich es mir jetzt gerade ausgeborgt
habe, um wieder einmal darin lesen zu können.
Auch wenn Literaturwissenschaftler bis heute rätseln, ob Waldemar
Bonsels diese Geschichte für Erwachsene oder Kinder geschrieben
hat, eroberte sich Maja mit ihren Erlebnissen und Taten vor allem
die Kinderherzen. 1960 behauptete die Biene Maja einen Platz unter
den beliebtesten Jugendbücher in Deutschland. Und mittlerweile
hat das in über 40 Sprachen übersetzte Buch die Zwei-Millionen-Grenze
überschritten.
Der
Erfolg des Buchs hatte bereits in den 1930er Jahren den Amerikaner
Walt Disney gereizt, den Stoff zu verfilmen. Doch Bonsels blieb
hart und verkaufte die Filmrechte nicht. Erst 1974 stimmte seine
Witwe zu, dass Maja die Druckzeilen verlassen und Murphy die Biene
trickfilmmäßig bearbeiten durfte. Und so konnte sich
Karel Gott mit der TV-Serien-Titelmelodie in die Herzen der Kinder
singen.
Von den Filmemachern wurde natürlich der Text von Waldemar
Bonsels nicht einfach nur in bewegte Bilder umgesetzt. Sie nahmen
auch nicht die gesamte Handlung. Sie gaben Maja neben einigen Buchfiguren
wie ihre Kinderfrau Kassandra auch neue Begleiter an die Seite wie
den immer irgendwie verschlafenen Bienenjunge Willi. Und mit ihm
entstehen neue Szenen und andere Handlungsstränge. Natürlich
ändert sich damit auch der Inhalt der Geschichte, aber die
Hauptaussage bleibt. Es wird ein Kind gezeigt, das neugierig auf
die Welt ist und sich diese mit eigener Tatkraft und mit der Hilfe
seiner Freunde erobert. Das Kind ist eine Biene und alle Tiere können
wie die Menschen sprechen - na ja, wir befinden uns doch im Märchenreich.
Und wie es nun mal im Märchen ist, so siegt am Ende das Gute.
Darum wurde die Geschichte von der kleinen Bienen Maja in vielen
Varianten neu und immer wieder anders erzählt. Noch heute kommen
fast jedes Jahr weitere Bücher, Videos, Computerspiele u.a.m.
auf den Markt.
Und doch solltest du in deiner Bibliothek mal danach fragen, ob
sie nicht das Buch von Waldemar Bonsels im Bestand haben. Dann borg
es dir aus und lass dich nicht von der veralteten Sprache und vor
allem von der altdeutschen Druckschrift beirren! Viele Buchstaben
der alten Schrift kannst du dir einfach aus dem Wort und dem Textzusammenhang
erklären, zugegeben mit etwas Mühe. Aber wenn du dich
durchgekämpft hast, kannst du ganz besonders stolz sein, denn
du bist Maja auf diese Weise ganz besonders nahe gekommen.
Vielleicht wohnen deine Oma oder dein Opa in der Nähe, dann
kannst du sie natürlich auch bitten, dir einige Abenteuer der
Biene Maja vorzulesen. Sie kennen diese Schrift, denn sie stammt
aus ihrer Kinderzeit. Und glaub mir, so eine Lesestunde mit ihnen
ist ganz besonders schön. Das rät dir Helma.
Waldemar Bonsels: Die Biene Maja und ihre Abenteuer.
Verlag Schuster & Loeffler. Berlin und Leipzig 171. bis 180. Auflage
1920.
Andere Bienen
Übrigens, es gibt nicht nur eine Biene in der Literatur.
Nein, es gibt viele von ihnen. Sie tauchen schon in den ersten Kinderliedern
auf. Ganz sicher kennst du das Lied "Summ, summ, summ, Bienchen
summ herum". Auch in Volksmärchen spielen sie eine Rolle.
Vielleicht hast du schon mal das Märchen der Gebrüder
Grimm von der "Bienenkönigin" gelesen. Auch als Kosewort
wird es oft gebraucht.
Das, was Waldemar Bonsels mit seiner Biene und auch die meisten
anderen Bienengeschichten machen, nämlich einem Tier menschliche
Wesenszüge zu verleihen, nennt man mit dem Fachausdruck der
Literaturwissenschaft "Anthropomorphismus". Das kommt
aus der griechischen Sprache und bedeutet so viel wie "Vermenschlichung".
Im
Kinderbuch ist das häufig ein pädagogisches Mittel, Kinder
zu belehren, ohne dass sie es sofort bemerken.
Wenn du mal ein Kinderbuch über das Leben einer Biene ohne
diesen Anthropomorphismus lesen möchtest, empfehle ich dir
von Lieselotte Düngel-Gilles "Polli - Ein Tag im Leben
einer Biene". Auch wenn die Autorin ihrer Biene einen Namen
gegeben hat, so erfährst du hier vor allem viele Dinge über
das Leben einer echten Biene und nicht über das Verhalten von
Menschen.
Liselotte Düngel-Gilles (Text) / Dieter
Müller (Illustrationen): Polli - Ein Tag im Leben einer Biene.
Altberliner Verlag. Berlin 1980.
Vor mir auf dem Tisch liegt außerdem
noch ein anderes Bienenbuch mit dicken Pappseiten. Es handelt von
einer Biene ...
... die summte und summte den ganzen Tag. Abends war sie müde,
und als sie nachher schlief, hatte sie einen Bienentraum: Vor ihren
Augen blühten lauter Blumen. Wie hoch und wie weit sie auch
flog, es blühten Blumen, Blumen, Blumen, die größten,
buntesten Blumen, jede voll Duft wie ein Honigtopf, und die Biene
summte zu jeder hin, zu jeder Blume, summte sie hin, bis ihr das
Herz vor Müdigkeit brach.
Da war es aber nun Morgen und war nur ein Traum gewesen,
und die Biene summte glücklich fort. Summte zu ihren Tagesblumen,
die sie jeden Morgen mit Geläut begrüßten.
Der Text ist von Benno Pludra und die Zeichnungen von Manfred Bofinger.
Eine davon siehst du hier. Manfred Bofinger hat viele schöne,
lustige Kinderbücher illustriert. In der Rossipotti-Ausgabe
Metamorphosen findest du übrigens
in der Kulturtasche ein Interview
mit ihm.
Vielleicht
hast du schon in der Zeitung gelesen oder von deinen Eltern gehört,
dass Manfred Bofinger sehr krank ist und schon seit einem halben
Jahr im Krankenhaus liegt?
Wir wünschen ihm auf diesem Wege, dass er bald wieder die Blumen
auf der Wiese riechen und unter den Sternen am Himmel seine bunten
Bilder für viele neue Geschichten träumen kann!
Benno Pludra (Text) / Manfred Bofinger (Illustrationen):
Es war eine Biene. DER KINDERBUCHVERLAG BERLIN. Berlin 1983.
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