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Rossipottis Leibspeise
und andere Lieblingsbücher

 

Rossipottis Leibspeise

  • Pu der Bär von A.A. Milne mit Illustrationen von Ernest H. Shepard, in der Übersetzung von Harry Rowohlt
  • Kater Mikesch von Josef Lada in der deutschen Fassung von Otfried Preußler
  • Fup von Jim Dodge mit Illustrationen von Atak, in der Übersetzung von Harry Rowohlt

Lieblingsbuch

vorgestellt von Helma Hörath

 

Pu der Bär

"Tierbücher gibt es mehr als man denkt", sagt Rossipotti und beißt in ein dickes Pappbuch, auf dem ein hässliches Monster mit schrecklichen Hauern und giftiger Warze abgebildet ist. "Da gibt es die schnuckeligen Bücher, in denen alberne Kaninchen oder Bären mit Jäckchen und Hose rumlaufen und Kleinkindern die Welt erklären, da gibt es Bücher, in denen Tiere verschiedene Abenteuer erleben wie bei Janosch und Helme Heine. Und dann gibt es Tierbücher, in denen Menschen und Tiere miteinander sprechen können und zusammen die wunderbarsten Erlebnisse haben wie zum Beispiel im 'Dschungelbuch'."

"Das Dschungelbuch ist viel zu bekannt, um es hier vorzustellen ", wende ich etwas mürrisch ein. Ich finde, Rossipotti sollte mir keine langen Vorträge über die Gattung "Tierbuch" halten, sondern kurz und schmerzlos sagen, welche Bücher wir dieses Mal nehmen.

"Ich habe doch gar nicht gesagt, dass wir das 'Dschungelbuch' nehmen", sagt Rossipotti und dehnt ausgiebig seine Glieder. "Wenn man literarische Tierbücher besprechen möchte, muss man nämlich als erstes immer 'Pu der Bär' vorstellen!"

"Pu der Bär?!" rufe ich erstaunt. "Aber Winnie Puh ist doch das bekannteste Tierbuch überhaupt!"

"Winnie Puh vielleicht", sagt Rossipotti gelassen. "Aber nicht Eduard Bär, genannt Winnie der Pu."

"Wer ist denn das?" frage ich, "eine neue Erfindung oder eine Nachahmung der Walt Disney Geschichten über Winnie Puh?"

"Wohl kaum", sagt Rossipotti und grinst. Ihm gefällt es offensichtlich, mich zu verwirren. "Winnie der Pu wurde schon 1926 von dem englischen Autor Alan Alexander Milne geschrieben."

"Aha", sage ich. "Dann hat das Buch also gar nichts mit den Walt Disney Filmen zu tun?"

"Zum Glück nicht!" sagt Rossipotti. "Obwohl umgekehrt Walt Disney natürlich sehr viel mit dem Buch zu tun hat."

Ich werfe Rossipotti einen wütenden Blick zu. Kann er sich nicht klar und deutlich ausdrücken? Sonst fällt es ihm doch auch nicht schwer, die Dinge auf den Punkt zu bringen.

"Du bist heute aber begriffsstutzig", sagt Rossipotti und sieht mich verwundert an. "'Pu der Bär' ist natürlich die Vorlage von Walt Disneys 'Winnie Puh'! Und wie das meistens so ist, ist das Buch viel besser als der Film."

"Aha!" sage ich und frage interessiert: "Was ist denn daran besser?"

"Keine Ahnung!" antwortet Rossipotti und wird nicht einmal rot dabei. "Denkst du etwa, ich schaue mir den Walt Disney Film an, wenn ich eine viel spannendere Vorlage zu Hause habe? Du brauchst nur die Bilder miteinander zu vergleichen und schon weißt du, was du von der filmischen Umsetzung zu halten hast. Die kongenialen Illustrationen von Edward Shepard sind einfach toll! Sie sind kindlich, aber nicht kitschig, realistisch gezeichnet, aber trotzdem die Phantasie anregend. Und was macht Walt Disney daraus? Niedliche, unrealistische Schablonenbilder, die zwar massentauglich sind, aber die Phantasie abtöten. Wenn Walt Disney mit dem Text das Gleiche gemacht hat, brauche ich mir den Film wirklich nicht anzusehen, um zu wissen, dass er an das Buch niemals heranreichen wird."

"Ist das alles, was du gegen den Film und für das Buch anzubringen hast?" frage ich ein wenig schnippisch.

"Pah", sagt Rossipotti und klappt das Maul zu. "Lies doch erst mal das Buch, bevor du dich hier wichtig machst! Du musst es allerdings unbedingt in der Übersetzung von Harry Rowohlt lesen, denn die ist echt klasse. Und wenn du dann nicht der Meinung bist, dass 'Pu der Bär' das zärtlichste, einfallsreichste, bahnbrechendste belletristische Tierbuch ist, das ich je gelesen habe, dann überlege ich mir ernsthaft, ob ich mich nicht nach einer neuen Leibspeise umsehe!"

"Rossipotti kann mir drohen so viel er will", denke ich, "ich bin schließlich ein unabhängiger Fisch. Und wenn er meint, dass er eine bessere Leibspeise als mich findet, dann soll er doch gleich los gehen und sich eine suchen."

Trotzdem bin ich neugierig geworden, ob das Buch wirklich so sagenhaft ist, wie Rossipotti behauptet. Ich hole es mir deshalb aus seinem Buchregal und fange an zu lesen:

"Erstes Kapitel, in welchem wir Winnie-dem-Pu und einigen Bienen vorgestellt werden und die Geschichten beginnnen..."

Es ist bereits dunkel, als ich das Buch mit einer Träne im Augenwinkel aus der Hand lege. Ich seufze schwer. Christopher Robin und Pu haben gerade den Hundert Morgen Wald verlassen und Känga, Klein Ruh, Tieger, Kaninchen und sogar Pus besten Freund Ferkel hinter sich gelassen.
Eigentlich haben die beiden nicht nur ihre Stofftier-Freunde verlassen, sondern auch mich. Denn ich sitze immer noch "an diesem verzauberten Ort in der Mitte des Waldes", und staune über die vielen poetischen Einfälle des Autors. Ich lache über das verquere Kaninchen, bin gerührt über das verzagte Ferkel und renne mit dem stürmischen Tieger durch den Wald. Vor allem aber lausche ich Pus fröhlich-skurrilen Liedern, den

"Zeilen von einem Bären mit sehr wenig Verstand geschrieben:

Am Montag scheint die Sonne heiß.
Ich stelle mir die Frage:
Weiß ich es, dass ich dieses weiß?
Wie sieht sie aus, die Lage?

Am Dienstag hagelt es und schneit.
Erschaure, Mensch und lies:
Es herrscht die große Unklarheit;
Ist dies das, jenes dies?

Am Mittwoch, wenn der Himmel blaut,
Ich alles schleifen lass
Und frage mich leise (oft auch laut):
Was ist wer und wo was?

Am Donnerstag das erste Eis
Als Reif auf Bäumen funkelt.
Da weiß ich, dass ich dieses weiß:
Wer? Was? Wie? Bis es dunkelt."

A.A. Milne (Text)/Ernest H. Shepard (Illustrationen): Pu der Bär. Aus dem Englischen von Harry Rowohlt. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG. München 1997. 328 Seiten.

 

Kater Mikesch

"Sollen wir nach einem sprechenden Bären nicht eine sprechende Katze vorstellen?" fragt Rossipotti als ich mit dem Tippen fertig bin.

"Du denkst bestimmt an die 'Katze mit Hut'?" vermute ich. Ich weiß, dass Rossipotti das Buch sehr gut gefällt. Wenn es möglich wäre, würde er der Katze sicher einen Besuch abstatten: "Guten Tag, Verehrteste. Mein Name ist Rossipotti und ich würde gerne bei Ihnen wohnen. Ich habe zwar keine Marotten, verspeise aber gerne 'Katze mit Hut'. Darf ich eintreten?"

"Nein", unterbricht Rossipotti meine Gedanken. "Ich habe mich an der Katze ehrlich gesagt überfressen. Zuerst habe ich sie zwei Mal hintereinander gelesen und dann auch noch als Puppenspiel gesehen. Jetzt reicht es mir für eine Weile. Kennst du keine andere Geschichte, in der eine Katze ein Rolle spielt?"

"Es gibt mehrere Krimis für Erwachsene, in denen Katzen eine Rolle spielen", überlege ich. "Katzen haben etwas Dunkles, Geheimnisvolles an sich. Vielleicht sind sie für Kinder nicht so geeignet?"

"Quatsch", sagt Rossipotti, "Katzen sind harmlose, weiche Geschöpfe, die keiner Fliege etwas zu leide tun können! Denk doch nur an ... "

"Kater Karlo, den Verbrecher von Entenhausen?"

"Nein, da gibt es doch ..."

"Den Kater, der Pinocchio um sein ganzes Geld bringt? - Oder meinst du etwa den gestiefelten Kater, der den in eine Maus verwandelten Zauberer frisst?"

"Nein!" sagt Rossipotti und schnappt nach Luft. "Denk doch mal an ... den 'Kater Mikesch'!"

Ich bin platt. Rossipotti hat Recht. Der Kater Mikesch aus dem tschechischen Dorf Holleschitz ist tatsächlich ein harmloses, weiches Geschöpf, das keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Mikesch ist lieber als das liebste Kind!
Abends kuschelt er mit dem Schusterjungen Pepik auf dem Ofen, lauscht seinen Geschichten und lernt von ihm das Sprechen, morgens hilft er der Großmutter beim Holz spalten und mittags bringt er dem Schwein Paschik und dem Ziegenbock Bobesch die Menschensprache bei.
Der schwarze Kater, der in seinen Stiefeln auf zwei Füßen gehen kann, weiß, was sich gehört und was nicht. Zum Beispiel findet er es gar nicht witzig, wenn Pepik Birnen klauen oder Bobesch Kinder auf die Hörner nehmen will.
Doch zum Glück klappt es mit dem Artigsein nicht immer, und so erleben Mikesch und seine Freunde trotzdem manches kleine Abenteuer. Zum Beispiel als Mikesch und Paschik mit Großmutters heimlich ausgeliehenen Schubkarren nach Machowitz zur Kirchweih fahren und mit einem Motorrad wieder zurück kommen, oder als Mikesch mit Bobesch zusammen Tondas geklaute Birne in eine Kartoffel verwandeln.
Als Mikesch jedoch eines Tages Großmutters Rahmtopf zerschlägt, besinnt er sich wieder auf seine guten Werte. Er beschließt, in die weite Welt zu wandern und erst wieder zurück zu kommen, wenn er den Rahm bezahlen kann. So schnürt er denn sein Bündel, verlässt Holleschitz und ein weiteres, großes Abenteuer kann beginnen ...

Josef Lada/Ottfried Preußler: Kater Mikesch. Sauerländer GmbH. Düsseldorf 2. Auflage 2004 .

 

Fup

"Nach so viel Harmonie und Idylle, brauche ich jetzt erst einmal einen Drink", sagt Rossipotti und nimmt einen großen Schluck aus einer Flasche selbstgebrauter Himbeerbrause. "Wie wäre es, wenn wir als nächstes Buch 'Fup' von Jim Dodge vorstellen?"

"Ist das nicht eher eine Geschichte für das 'Kind im Manne'?" gebe ich zu Bedenken und denke dabei an den poker- und whiskeysüchtigen Granddaddy Jake, seinen verrückten Enkel Tiny und die riesige Ente Fup, die mit den beiden regelmäßig ins Autokino geht.

"Quatsch", sagt Rossipotti, "die Geschichte ist absolut jugendfrei und wird jedes vernünftige Kind interessieren: Ein Großvater nimmt aus Liebe seinen verwaisten Enkel Tiny bei sich auf und kümmert sich liebevoll um ihn. Als Tiny schon über zwanzig ist, findet er ein fast totes Entenküken. Jake belebt es mit Whiskey wieder, nennt es 'Fup' und die drei werden eine glückliche Familie."

"Sicher", sage ich, "und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Aber leider wird Fup bei der Wildschweinjagd von Tinys Gewehr zerfetzt und Jake stirbt am Schluss des Buchs. Deshalb läuft die Geschichte auch nicht halb so glücklich ab, wie du sie schilderst."

"Glück ist Definitionssache", sagt Rossipotti und nimmt einen Schluck Himbeerbrause. "Ich glaube, die drei sind verdammt glücklich. Tiny zimmert an seinen Zäunen, Jake braut seinen Whiskey und Fup geht bis zu ihrem frühen Tod ins Kino und auf Wildschweinjagd. Was will man mehr? Außerdem hast du vergessen zu sagen, dass Fup eine wunderbare Auferstehung erlebt!"

Da ich nichts erwidere, sagt Rossipotti nach einer Weile: "Du bist ein brillanter Gesprächspartner! Du erinnerst mich beinahe an den Indianer Seven Moons, der in den Jahren vor seinem Tod alle zwei Monate bei Jake vorbeikam, um mit ihm Whiskey zu schlürfen. Seven Moons sagte auch nie viel, aber wenn er etwas sagte, sagte er immer etwas!"

Rossipotti schaut auf seine Uhr und sagt: "Oh, ich muss mich beeilen, sonst verpasse ich meinen Elf-Uhr-Termin. Da du so weise weiter schweigst, sind wir ja offensichtlich einer Meinung. Du stellst das Buch also vor. Vergiss Atak und Harry Rowohlt nicht." Rossipotti winkt mir zu, dann ist er aus dem Raum.

Atak und Harry Rowohlt. Da gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Die merkwürdigen Bilder des Comic-Künstlers Atak wirken gleichzeitig altertümlich und modern und passen wunderbar zum Text, der in den 70er Jahren im amerikanischen Hinterland spielt.
Und Harry Rowohlts Übersetzung wird gewohnt brillant sein. Beurteilen kann ich das aber nicht, da ich das amerikanische Original nicht gelesen habe.
Doch kommen wir wieder zum Text. Jetzt, da Rossipotti den Raum verlassen hat und ich nicht mehr die Gegenposition einnehmen muss, kann ich ja ruhig verraten, dass mir das Buch wunderprächtig gefällt! Die Geschichte um den uralten Jake, der sich für unsterblich hält, seinen infantilen Enkelsohn Tiny, der sinnlos Zäune baut und Wildschweine jagt und die immer fetter und menschlicher werdende Ente Fup ist eine komische, abgedrehte Geschichte, die eine harte Schale und einen weichen Kern hat. Es ist eine Geschichte, in der wenig Worte gemacht werden, und die Dinge als das genommen werden, was sie sind: Dinge.

Jim Dodge/Atak (Illustrationen): Fup. Aus dem amerikanischen Englisch von Harry Rowohlt. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins. Hamburg 2002. 128 Seiten.

 

Lieblingsbuch

vorgestellt von Helma Hörath

Lexikon berühmter Tiere

Tiere begleiten uns das ganze Leben hindurch. Wir begegnen ihnen auf der Straße, im Bus, im Zimmer, auf dem Balkon, aber natürlich auch in Filmen und Büchern.
Es gibt wohl keinen unter uns, der nicht über irgendeine Begegnung mit behaarten Vierbeinern, befiederten Zweibeinern oder Mehrbeinern mit und ohne Flügel berichten kann.
Ganz gleich, ob man dieses Ereignis hautnah gespürt oder nur darüber gelesen und davon gehört hat, ein Leben ohne Tiere kann sich wohl kein Mensch vorstellen.
Weil Tiere im Leben der Menschen so wichtig sind, gibt es sogar ein dickes "Lexikon berühmter Tiere"! Auf 670 Seiten findest du da Antworten auf solche Fragen wie: Seit wann gibt es Lassie? Von wie vielen Colli-Hunden wurde der liebenswerte Lebensretter auf Leinwand und Bildschirm dargestellt? Wer hat sich Bugs Bunny ausgedacht? Wer nannte den Volkswagen Käfer? Wie kam das Krokodil aufs Hemd der Firma Lacoste? Wie viele Hunde besaß der bekannte deutsche Dichter Thomas Mann?
Alles Wissenswerte über 1200 berühmte Tiere aus Literatur, Sagenwelt, Geschichte, Werbung, Film und Fernsehen kannst du in diesem Lexikon nachschlagen. Die Jüngeren unter euch, denen es vielleicht noch zu anstrengend ist, in einem richtigen Lexikon zu lesen, fragen einfach ihre Eltern oder ältere Kinder, ob sie ihnen nicht dabei helfen können. Beim gemeinsamen Schmökern entdeckt ihr sicher viel Überraschendes und Lustiges!

 

Karen Duve / Thies Völker: Lexikon berühmter Tiere. Eichborn Verlag. Frankfurt a.M. 1997.

 

Biene Maja

Wenn du schon dabei bist, dir das oben besprochene Tier-Lexikon anzusehen, dann schau doch gleich einmal auf Seite 400 nach. Denn dort ist ein Tier abgebildet, das weltberühmt wurde und von dessen Karriere ich dir nun einiges erzählen möchte. Das Tier ist sehr klein, behaart und sieht gelblichbraun aus. Es besucht die Blüten der Pflanzen und trägt Nektar, Blütenstaub und Wasser zusammen. Und...

... diese Biene, die ich meine, die heißt Maja. Kleine, freche, schlaue Biene Maja...

Höre ich dich da gerade mitsingen? Also, ich mache es.

Denn die Titelmelodie, der der tschechische Sänger Karel Gott seine Stimme gegeben hat, ist das Erkennungssignal für Biene Maja, die Zeichentrickfigur. Ihr Film entstand 1976. Die Filmfigur war von dem Zeichner Marty Murphy, der vorher bei Walt Disney gearbeitet hatte, konzipiert worden. In Szene gesetzt wurde die Geschichte in Japan, in den Tokioter Film-Studios. 104 Folgen wurden zwischen 1976 und 1980 im deutschen Fernsehen gezeigt und später in unregelmäßigen Abständen wiederholt.

Die originale Biene Maja ist allerdings schon viel älter. Eigentlich könnte sie dir erzählen, wie die Welt zu Zeiten deiner Ur-Oma oder deines Ur-Ur-Opas von oben ausgesehen hat. Denn geboren wurde die Vorgängerin der Filmbiene bereits 1912.
Und ihr Vater heißt nicht Walt Disney, sondern Waldemar Bonsels. Er lebte von 1881 bis 1952. Von seinem 17. Lebensjahr an unternahm er viele Reisen und Wanderungen durch Europa. Er war in Indien sowie Ägypten und bereiste Nordamerika. Er schrieb erfolgreich Reiseberichte, verfasste Romane und Erzählungen.

Er hatte eine starke Neigung zum Märchenhaften und zur Verklärung der Natur, von deren Wunder er immer wieder auf seinen vielen Reisen überrascht und fasziniert wurde. Und so entstand sein märchenhafter Tierroman "Die Biene Maja und ihre Abenteuer".
Den meisten Fernsehzuschauern ist wohl heute gar nicht bewusst, dass es schon lange vor dem Film diese Geschichte von Waldemar Bonsels gab. Mir würde es sicherlich auch nicht anders gehen, wenn da nicht in unserem Regal ein Buch stehen würde. Du siehst es hier in der Abbildung. Ziemlich unscheinbar, nicht wahr? Nur ein geblümter Pappdeckel, der Rücken geklebt. Das aber ist ein untrügbares Zeichen, dass es von vielen Händen aus dem Regal genommen wurde und jede Seite schon sehr oft umgeblättert wurde.
Meine Mutter, die heute über 80 Jahre alt ist, bekam das Buch 1925 von ihrem Vater zum Geburtstag. Mein Großvater las es meiner Mutter vor. Meine Mutter gab das Buch mir und meinem jüngeren Bruder weiter, und als ich erwachsen war, las ich es meiner Tochter vor. Meiner Tochter gefiel das Buch so gut, dass sie es vor Jahren mit in ihre Wohnung nahm, weshalb ich es mir jetzt gerade ausgeborgt habe, um wieder einmal darin lesen zu können.
Auch wenn Literaturwissenschaftler bis heute rätseln, ob Waldemar Bonsels diese Geschichte für Erwachsene oder Kinder geschrieben hat, eroberte sich Maja mit ihren Erlebnissen und Taten vor allem die Kinderherzen. 1960 behauptete die Biene Maja einen Platz unter den beliebtesten Jugendbücher in Deutschland. Und mittlerweile hat das in über 40 Sprachen übersetzte Buch die Zwei-Millionen-Grenze überschritten.
Der Erfolg des Buchs hatte bereits in den 1930er Jahren den Amerikaner Walt Disney gereizt, den Stoff zu verfilmen. Doch Bonsels blieb hart und verkaufte die Filmrechte nicht. Erst 1974 stimmte seine Witwe zu, dass Maja die Druckzeilen verlassen und Murphy die Biene trickfilmmäßig bearbeiten durfte. Und so konnte sich Karel Gott mit der TV-Serien-Titelmelodie in die Herzen der Kinder singen.
Von den Filmemachern wurde natürlich der Text von Waldemar Bonsels nicht einfach nur in bewegte Bilder umgesetzt. Sie nahmen auch nicht die gesamte Handlung. Sie gaben Maja neben einigen Buchfiguren wie ihre Kinderfrau Kassandra auch neue Begleiter an die Seite wie den immer irgendwie verschlafenen Bienenjunge Willi. Und mit ihm entstehen neue Szenen und andere Handlungsstränge. Natürlich ändert sich damit auch der Inhalt der Geschichte, aber die Hauptaussage bleibt. Es wird ein Kind gezeigt, das neugierig auf die Welt ist und sich diese mit eigener Tatkraft und mit der Hilfe seiner Freunde erobert. Das Kind ist eine Biene und alle Tiere können wie die Menschen sprechen - na ja, wir befinden uns doch im Märchenreich. Und wie es nun mal im Märchen ist, so siegt am Ende das Gute. Darum wurde die Geschichte von der kleinen Bienen Maja in vielen Varianten neu und immer wieder anders erzählt. Noch heute kommen fast jedes Jahr weitere Bücher, Videos, Computerspiele u.a.m. auf den Markt.
Und doch solltest du in deiner Bibliothek mal danach fragen, ob sie nicht das Buch von Waldemar Bonsels im Bestand haben. Dann borg es dir aus und lass dich nicht von der veralteten Sprache und vor allem von der altdeutschen Druckschrift beirren! Viele Buchstaben der alten Schrift kannst du dir einfach aus dem Wort und dem Textzusammenhang erklären, zugegeben mit etwas Mühe. Aber wenn du dich durchgekämpft hast, kannst du ganz besonders stolz sein, denn du bist Maja auf diese Weise ganz besonders nahe gekommen.
Vielleicht wohnen deine Oma oder dein Opa in der Nähe, dann kannst du sie natürlich auch bitten, dir einige Abenteuer der Biene Maja vorzulesen. Sie kennen diese Schrift, denn sie stammt aus ihrer Kinderzeit. Und glaub mir, so eine Lesestunde mit ihnen ist ganz besonders schön. Das rät dir Helma.

Waldemar Bonsels: Die Biene Maja und ihre Abenteuer. Verlag Schuster & Loeffler. Berlin und Leipzig 171. bis 180. Auflage 1920.

Andere Bienen

Übrigens, es gibt nicht nur eine Biene in der Literatur.
Nein, es gibt viele von ihnen. Sie tauchen schon in den ersten Kinderliedern auf. Ganz sicher kennst du das Lied "Summ, summ, summ, Bienchen summ herum". Auch in Volksmärchen spielen sie eine Rolle. Vielleicht hast du schon mal das Märchen der Gebrüder Grimm von der "Bienenkönigin" gelesen. Auch als Kosewort wird es oft gebraucht.
Das, was Waldemar Bonsels mit seiner Biene und auch die meisten anderen Bienengeschichten machen, nämlich einem Tier menschliche Wesenszüge zu verleihen, nennt man mit dem Fachausdruck der Literaturwissenschaft "Anthropomorphismus". Das kommt aus der griechischen Sprache und bedeutet so viel wie "Vermenschlichung".
Im Kinderbuch ist das häufig ein pädagogisches Mittel, Kinder zu belehren, ohne dass sie es sofort bemerken.
Wenn du mal ein Kinderbuch über das Leben einer Biene ohne diesen Anthropomorphismus lesen möchtest, empfehle ich dir von Lieselotte Düngel-Gilles "Polli - Ein Tag im Leben einer Biene". Auch wenn die Autorin ihrer Biene einen Namen gegeben hat, so erfährst du hier vor allem viele Dinge über das Leben einer echten Biene und nicht über das Verhalten von Menschen.

Liselotte Düngel-Gilles (Text) / Dieter Müller (Illustrationen): Polli - Ein Tag im Leben einer Biene. Altberliner Verlag. Berlin 1980.

Vor mir auf dem Tisch liegt außerdem noch ein anderes Bienenbuch mit dicken Pappseiten. Es handelt von einer Biene ...

... die summte und summte den ganzen Tag. Abends war sie müde, und als sie nachher schlief, hatte sie einen Bienentraum: Vor ihren Augen blühten lauter Blumen. Wie hoch und wie weit sie auch flog, es blühten Blumen, Blumen, Blumen, die größten, buntesten Blumen, jede voll Duft wie ein Honigtopf, und die Biene summte zu jeder hin, zu jeder Blume, summte sie hin, bis ihr das Herz vor Müdigkeit brach.
Da war es aber nun Morgen und war nur ein Traum gewesen, und die Biene summte glücklich fort. Summte zu ihren Tagesblumen, die sie jeden Morgen mit Geläut begrüßten.

Der Text ist von Benno Pludra und die Zeichnungen von Manfred Bofinger. Eine davon siehst du hier. Manfred Bofinger hat viele schöne, lustige Kinderbücher illustriert. In der Rossipotti-Ausgabe Metamorphosen findest du übrigens in der Kulturtasche ein  Interview mit ihm.

Vielleicht hast du schon in der Zeitung gelesen oder von deinen Eltern gehört, dass Manfred Bofinger sehr krank ist und schon seit einem halben Jahr im Krankenhaus liegt?
Wir wünschen ihm auf diesem Wege, dass er bald wieder die Blumen auf der Wiese riechen und unter den Sternen am Himmel seine bunten Bilder für viele neue Geschichten träumen kann!

Benno Pludra (Text) / Manfred Bofinger (Illustrationen): Es war eine Biene. DER KINDERBUCHVERLAG BERLIN. Berlin 1983.

 

 

 
 
 © Rossipotti No. 8, Juli 2005