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Rossipottis 11 Uhr Termin
Die wunderliche Gasterei
von den Brüdern Grimm aufgeschrieben
Auf eine Zeit lebte eine Blutwurst und eine Leberwurst
in Freundschaft, und die Blutwurst bat die Leberwurst zu Gast. Wie
es Essenszeit war, ging die Leberwurst auch ganz vergnügt zu
der Blutwurst, als sie aber in die Haustüre trat, sah sie allerlei
wunderliche Dinge, auf jeder Stiege der Treppe, deren viele waren,
immer etwas anderes. Da war etwa ein Besen und eine Schippe, die
sich miteinander schlugen, dann ein Affe mit einer großen
Wunde am Kopf und dergleichen mehr.
Die
Leberwurst war ganz erschrocken und bestürzt darüber,
doch nahm sie sich ein Herz, trat in die Stube und wurde von der
Blutwurst freundschaftlich empfangen. Die Leberwurst hub an, sich
nach den seltsamen Dingen zu erkundigen, die draußen auf der
Treppe wären, die Blutwurst tat aber, als hörte sie es
nicht oder als sei es nicht der Mühe wert, davon zu sprechen,
oder sie sagte etwa von der Schippe und dem Besen: "Es wird
meine Magd gewesen sein, die auf der Treppe mit jemand geschwätzt
hat", und brachte die Rede auf etwas anderes.
Die Blutwurst ging darauf hinaus und sagte, sie müsse in der
Küche nach dem Essen sehen, ob alles ordentlich angerichtet
werde und nichts in die Asche geworfen. Wie die Leberwurst derweil
in der Stube auf und ab ging und immer die wunderlichen Dinge im
Kopf hatte, kam jemand, ich weiß nicht, wer's gewesen ist,
herein und sagte: "Ich warne dich, Leberwurst, du bist in einer
Blut- und Mörderhöhle, mach dich eilig fort, wenn dir
dein Leben lieb ist." Die Leberwurst besann sich nicht lang,
schlich zur Tür hinaus und lief, was sie konnte; sie stand
auch nicht eher still, bis sie aus dem Haus mitten auf der Straße
war. Da blickte sie sich um und sah die Blutwurst oben im Bodenloch
stehen mit einem langen, langen Messer, das blinkte, als wär's
frisch gewetzt, und damit drohte sie und rief herab:
"Hätt ich dich, so wollt ich dich!"
* * *
Rossipotti: "Nun,
ihr guten Geister der Gebrüder Grimm. So ein Märchen steht
in unserer Zeit aber nicht mehr der Zeitung! Wen kümmert es,
was Blut- und Leberwürste so treiben? Was habt ihr denn sonst
noch mitgebracht?"
Das eigensinnige Kind
Von den Brüdern Grimm aufgeschrieben
Es
war einmal ein Kind eigensinnig und tat nicht, was seine Mutter
haben wollte. Darum hatte der liebe Gott kein Wohlgefallen an ihm
und ließ es krank werden, und kein Arzt konnte ihm helfen,
und in kurzem lag es auf dem Totenbettchen. Als es nun ins Grab
versenkt und Erde über es hingedeckt war, so kam auf einmal
sein Ärmchen wieder hervor und reichte in die Höhe, und
wenn sie es hineinlegten und frische Erde darüber taten, so
half das nicht, und das Ärmchen kam immer wieder heraus. Da
musste die Mutter selbst zum Grabe gehn und mit der Rute aufs Ärmchen
schlagen, und wie sie das getan hatte, zog es sich hinein, und das
Kind hatte nun erst Ruhe unter der Erde.
* * *
Rossipotti: "Das
ist starker Tobak! Ich habe gar nicht gewusst, dass bei den Grimms
so bösartige Märchen stehen. Ich verstehe auch gar nicht,
warum die Mutter so einen Hass auf ihr Kind hat. Oder hasst sie
gar nicht ihr Kind, sondern etwas ganz anderes? Ist das Märchen
nun aktuell oder nicht? Was denkt ihr?"
Die Illustrationen von Nikolaus Heidelbach
sind übrigens aus dem Buch "Märchen der Brüder
Grimm" vom Verlag Beltz&Gelberg entnommen. Das Buch wird
in Rossipottis Leibspeise
vorgestellt.
Wie Kinder Schlachtens miteinander
gespielt haben
von den Brüdern Grimm aufgeschrieben
In einer Stadt, Franecker genannt, gelegen in Westfriesland,
da ist es geschehen, dass junge Kinder, fünf- und sechsjährige,
Mägdlein und Knaben, miteinander spielten. Und sie ordneten
ein Büblein an, das solle der Metzger sein, ein anderes Büblein,
das solle Koch sein, und ein drittes Büblein, das solle eine
Sau sein. Ein Mägdlein, ordneten sie, solle Köchin sein,
wieder ein anderes, das solle Unterköchin sein; und die Unterköchin
solle in einem Geschirrlein das Blut von der Sau empfangen, dass
man Würste könne machen. Der Metzger geriet nun verabredertermaßen
an das Büblein, das die Sau sollte sein, riss es nieder und
schnitt ihm mit einem Messerlein die Gurgel auf, und die Unterköchin
empfing das Blut in ihrem Geschirrlein. Ein Ratsherr, der von ungefähr
vorübergeht, sieht dies Elend: er nimmt von Stund an den Metzger
mit sich und führt ihn in des Obersten Haus, welcher sogleich
den ganzen Rat versammeln ließ. Sie saßen all über
diesen Handel und wussten nicht, wie sie ihm tun sollten, denn sie
sahen wohl, dass es kindlicherweise geschehen war. Einer unter ihnen,
ein alter weiser Mann, gab den Rat, der oberste Richter solle einen
schönen roten Apfel in eine Hand nehmen, in die andere einen
rheinischen Gulden, solle das Kind zu sich rufen und beide Hände
gleich gegen dasselbe ausstrecken: nehme es den Apfel, so soll'
es ledig erkannt werden, nehme es aber den Gulden, so solle man
es töten. Dem wird gefolgt, das Kind aber ergreift den Apfel
lachend, wird also aller Strafe ledig erkannt.
* * *
Rossipotti: "Ja.
So etwas kann man heute tatsächlich in der Zeitung lesen! Die
Wortwahl ist zwar etwas veraltet, aber der Inhalt kommt mir sehr
bekannt vor. Ich frage mich nur, ob der Junge heute auch noch den
Apfel genommen hätte?"
* * *
Es war einmal
Es war einmal
und dann nie wieder
eine ansehnliche, stattliche Tarnkappe,
die erste und letzt aller ansehnlichen stattlichen
Tarnkappen.
Fernab lag sie:
unverborgen,
unentdeckt...
Und ärgerte sich, dass sie keiner benutzte.
Bis sie es satt hatte, sich zu ärgern:
Sie stülpte sich über sich selbst
und verschwand.
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Aus: Lutz Rathenow/Egbert Herfurth: Der Himmel
ist heut blau. Der Kinderbuch Verlag Berlin 2000. 49 Seiten. Neu:
Das Buch wird übrigens neu aufgelegt. Ab Oktober 2004 könnt
ihr das Buch für den sagenhaften Preis von 1,50 Euro beim Auer
Verlag unter der ISBN-Nummer 3403-03118 bestellen!
* * *
Floh Dickbauch (zweiter Teil)
(zum ersten Teil
)
von Lutz Rathenow und Peter Bauer
Ohne
Zögern schlüpfte er durch eine angelehnte Tür und
sprang über ein niedriges Gitter. Ein wenig springen konnte
er noch aus seiner Flohzeit.
"Oh", staunte Schwein Grunz.
"Guten Tag", sagte Floh Dickbauch. "Ich bin eigentlich
kein Schwein, sondern ein Floh."
"Käse!"
"Kein Käse, sondern Floh."
"Du siehst aus wie ein Schwein, also bist du ein Schwein!"
"Nur in gewisser Weise. Ich habe mich verwandelt, um ein richtiges
Schwein zu werden. Um nützlich zu sein."
Schwein Grunz rief die anderen, um den neuen Stallgenossen zu begrüßen.
Die Schweine staunten über so ein winziges Schwein und erzählten
ihm vom Leben im Stall. Von den Futterbändern, die das Essen
vorbeirollen lassen. Von den Arbeitern, die regelmäßig
den Stall säubern. Von der Waage, die prüft, ob sich alle
auch gut entwickeln. Vom Tierarzt, der den Gesundheitszustand prüft.
"Wir sind nämlich ein Musterstall", erklärt
ein Schwein, "und Vorbild für alle anderen:" Mehr
erklärte es nicht, da eine Klingel das Futter ankündigte.
Floh Dickbauch schaffte kaum eine halbe Mahlzeit - und das war schon
hundertzehnmal mehr als sonst.
Nach dem Essen erzählte Floh Dickbauch.
Die
Schweine legten etwas Stroh übereinander, Floh Dickbauch kletterte
auf den Haufen, damit ihn jeder sah, und begann seine Geschichte.
Er erzählte, wie er mit dem Zirkus durch mehrere Länder
gereist war. In der Garderobe des Mannes versteckt, der die Elefanten
dressierte. Floh Dickbauch beschrieb diese Tiere. "Die Menschen
lieben eben alles, wovor sie eigentlich Angst haben müssten.
Die Dinosauriers, früher, sollen noch viel größer
gewesen sein."
"Saure Dinotiere?" fragte ein Schwein nach.
"Nein. Dinosaurier, größer als dieser Stall. In
einem Museum hab ich sein Skelett gesehen. Eine ganze Stunde brauchte
ich, um ihn zu umwandern."
Einige Schweine rissen vor Staunen ihre Schnauzen auf, und die Fliegen
verirrten sich zwischen ihren Zähnen. Davon mussten die Schweine
entweder husten oder niesen.
Der Floh erzählte weiter von den Tieren, die sich in der Luft
bewegten, und Vögel hießen. Aber Spatzen kannten die
Schweine selber. Nur ein Fisch oder ein Krake hatte sich niemals
in ihren Stall verirrt. Sie ahnten ja nicht, dass auch Floh Dickbauch
einen Kraken nur aus Büchern kannte.
"Achtung!" rief unerwartet Schwein Grunz.
Drei Männer betraten den Stall.
"Die Sauberkeitskontrolle", raunten die Schweine dem Floh
zu und schüttelten ein wenig den Dreck ab.
Dickbauch
sprang vorsichtshalber vom Strohpodest und stellte sich in die Reihe
der übrigen Schweine. Die Männer liefen ohne Eile an ihnen
vorbei, riefen ab und zu "Aha" und "Oho", einer
sagte zuweilen "Na ja" oder machte "Hmhm". Das
war der Chef. Als die Männer durch den Stall gegangen waren,
kehrten sie nochmal zurück, um die Tiere zu zählen.
Vierunddreißig zählten sie, schüttelten den Kopf
und zählten von neuem.
Es blieb bei vierunddreißig, obwohl nur dreiunddreißig
Schweine eingetragen waren.
Die Männer blätterten in dem Meldebuch und wunderten sich.
"Ausgezeichnet", sprach dann der Chef zögernd, "die
Schweine werden gut gepflegt, wodurch sie sich überplanmäßig
vermehren. Wie müssen uns gegenseitig beglückwünschen
und die Presse informieren."
Die Männer nickten und verließen den Stall.
Die
Schweine lachten, nur Dickbauch konnte wegen des schweren Essens
noch nicht so richtig mitlachen.
"Ich habe ein Problem", sagte Dickbauch schließlich.
"Raus mit der Sprache", forderten die Schweine fröhlich,
"sag uns, wo dich der Schwanz drückt."
"Ich bin gekommen, um nützlich zu sein. Stattdessen stehe
ich herum, erzähle und höre zu. " Floh Dickbauch
seufzte.
"Was du nur hast. Wo wir doch reichlich zu fressen bekommen.
Und die Pflege ist gut", sagte das Schwein Grunz und nickte
nachdrücklich.
"Na ja, trotzdem", Floh Dickbauch wurde lauter, "auf
die Dauer ist das doch langweilig."
Schwein Grunz blickte erstaunt auf seinen schweinischen Freund.
"Weißt du nicht, warum wir von den Menschen umsorgt werden?"
Der Floh verneinte, und die Schweine lachten. Sie konnten sich nur
schwer vorstellen, dass es jemanden gab, der das nicht wusste. Noch
dazu jemanden, der in der Welt herumgekommen war.
Auslachen ließ sich Floh Dickbauch nun nicht. Er sprang in
die Luft und zischte so gefährlich, dass die nächststehenden
Schweine vorsichtshalber einige Schritte zurücktraten.
"Wir lassen es uns gut gehen, bis wir geschlachtet werden",
erklärte Schwein Grunz beschwichtigend.
"Was?" fragte Floh Dickbauch verdutzt.
Die anderen Schweine traten näher und bestätigten, dass
ihr Lebenssinn darin bestünde, später vom Menschen gefressen
zu werden.
"Wir erfüllen unseren nützlichen Zweck als Kotelett,
Wurst oder Gehacktes."
"Als
Braten!" ergänzte ein Schwein.
"Sülze!"
"Nierchen!"
"Rippchen!"
"Eisbein!" riefen einige gleichzeitig.
"Genug!" brüllte Schwein Grunz und fuhr ruhig fort,
"eben alles, was den Menschen schmeckt."
Floh Dickbauch schwieg.
Ein paar Schweine stimmten ein Lied an, in das die anderen rasch
einfielen:
|
"Das Leben ist so nett,
bin ich erst mal schön fett,
und werde ich noch fetter,
wird's Schlachten noch
viel netter." |
Die Klingel unterbrach den Gesang, die Tiere eilten zum Futterband.
Floh Dickbauch blieb sitzen. Er dachte nach. Außerdem hätte
er nicht schon wieder essen können. Und so fasste er einen
Entschluss.
Er
sperrte den Mund auf und ließ Luft ab.
Am Anfang klemmte es, aber dann schrumpfte Dickbauch wenigestens
auf dreifache Flohgröße. Kleiner war zur Zeit nicht möglich.
Die Schweine erschraken, als sie ihren weitgereisten Bekannten nicht
mehr sahen. Sie hätten ihn ja sofort gesucht. Aber zuerst mussten
sie aufessen. Das war wichtig wegen der Gesundheit. Als sie dann
endlich fertig waren, eilte Floh Dickbauch längst in die Stadt
zurück.
Vom vielen Laufen wurder er dünner und dünner und errreichte
bald seine normale Größe. Er fühlte sich unheimlich
wohl und dachte, das Nützlichsein überlasse ich lieber
den Schweinen.
Endlich war er am Ziel, im Haus von Frau Dotterei.
Im Hausflur sah er eine alte Frau mit einer schweren Tasche. Sie
hatte Mühe, die Treppen emporzusteigen.
"Entschuldigung", sagte ein Mann, der die Frau gegen das
Treppengeländer presste, um rasch an ihr vorbei zu kommen.
Floh Dickbauch zögerte nicht und stach ihn in den Nacken.
Der Mann blieb stehen, befühlte die Stelle, wo er eben einen
heftigen Schmerz verspürt hatte.
"Kann ich Ihnen helfen?" erkundigte sich die alte Frau.
Der Mann schüttelte den Kopf und bot ihr an, die Tasche nach
oben zu tragen.
Währenddessen eilte der Floh in die ihm vertraute Wohnung.
Frau Dotterei stand in der Küche und bereitete das Abendbrot
zu.
"Könntest du nachsehen, ob die Wäsche fertig ist?"
rief sie in Richtung Wohnzimmer.
"Nicht so laut, ich hör Nachrichten", erwiderte Herr
Dotterei und stellten den Fernseher lauter.
Floh Dickbauch biss gleich zweimal.
Herr
Dotterei rannte in die Küche und klagte seiner Frau von den
Kopfschmerzen, die sich im Nacken stichartig bemerkbar machten.
Frau Dotterei erinntere ihn an die Wäsche, und ihr Mann ging
ins Badezimmer, seinen Hals sorgsam abtastend.
"Es gibt verschieden Arten, nützlich zu sein", überlegte
Floh Dickbauch und kostete vom Tomatensalat, den er zu salzig fand.
"Auch wer Kinder ärgert, verdient es, gebissen zu werden",
stellte er fest und probierte das gebratene Fleisch. Es schien richtig
gewürzt.
"Überhaupt alle, die andere schikanieren oder betrügen.
Auch jene, die sich selbst und ihre Umwelt anöden und langweilen."
Frau Dotterei trug das Tablett mit dem Abendbrot in das Wohnzimmer,
legte das Besteck zurecht und wünschte "Guten Appetit".
"Guten Appetit", sagte Herr Dotterei, nahm ein belegtes
Brot und griff zur Zeitung.
Seine Frau schüttelte den Kopf.
Jetzt zwackte es genau zwischen Mittel- und Zeigefinger, die Zeitung
fiel auf den Teppich.
"Verdammt", nuschelte Herr Dotterei und betrachtete seine
Hände.
"Warum nicht gleich so", meinte Frau Dotterei.
Ihr Mann sah unter dem Tisch nach.
"Ist was?" fragte Frau Dotterei.
"Ich weiß nicht. Haben wir vielleicht Ungeziefer?"
"Das sind die Nerven. Du brauchst frische Luft und Ablenkung."
Herr
Dotterei nickte und biss in das Wurstbrot.
Man muss einfach nur zubeisen, schlussfolgerte Floh Dickbauch, damit
die Leute es nicht verlernen, sich zu wundern und nachzudenken.
Er wählte den Hals von Frau Dotterei.
Sie staunte mehrer Sekunden und freute sich, als ihr Mann vorschlug,
etwas spazieren zu gehen, vielleicht sogar am nächtsen Tag
ein Konzert zu besuchen.
Und beiden fielen lauter Dinge ein, die sie statt Fernsehen am Abend
machen könnten. Ja, sie wunderten sich sogar, so lange an so
vieles nicht gedacht zu haben. Das erzählten sie einander bis
tief in die Nacht, da war Floh Dickbauch längst eingeschlafen.
* * *
Der Textauszug und die Bilder wurden uns freundlicherweise von
Lutz Rathenow zur Verfügung gestellt. Den vollständigen
Text und alle Bilder findet ihr in dem Buch:
Lutz Rathenow (Text) und Peter Bauer (Illustrationen): Floh
Dickbauch. LeiV Buchhandels- und Verlagsanstalt GmbH. Leipzig 1995.
46 Seiten.
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