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Etwas anderes
Der Weg ist das Ziel: Labyrinthe und Irrgärten
Ein Labyrinth - was ist das?
Wahrscheinlich
denkst du, dass ein Labyrinth ein Irrgarten ist. Das ist falsch!
Denn ein Irrgarten, dessen Wege immerzu in Sackgassen führen
und man schon ängstlich meint, nie mehr den Ausgang zu finden,
ist das eine, ein Labyrinth ist aber etwas anderes.
Ein Labyrinth stellt nicht die Frage: Gehst du falsch oder richtig?
Ein Labyrinth stellt die Frage: Gehst du überhaupt?
Im Labyrinth gibt es nämlich nur einen einzigen Weg. Ohne Abzweigungen,
aber mit vielen Wendungen, führt er in die Mitte. Hat man sich
entschlossen, ihn abzuschreiten, dann gelangt man, ohne sich zu
verlaufen, ins Zentrum. Der Weg wechselt ständig die Richtung,
führt oft nahe am Ziel vorbei oder entfernt sich weit davon.
Aber am Ende führt er zwangsläufig und ganz planmäßig
in die Mitte des Labyrinths. Hier muss man sich allerdings auf den
Hacken umdrehen, denn nur der gleiche Weg führt aus dem Labyrinth
wieder heraus.
Die Entstehung der Labyrinth-Form reicht sehr, sehr weit zurück.
Die Anfänge werden um 5000 v. Chr. angesetzt. Es wird vermutet,
dass es ein besonders gestalteter Platz war, auf dem z.B. die Gemeinschaft
eines Dorfes gemeinsam ganz bestimmte Tänze aufgeführt
hat.
Der
Ursprung der Labyrinth-Figur wird im Tanz vermutet. Dieser Tanz
hat wahrscheinlich seine Wurzeln in einem rituellen Weg, der mit
rhythmischen Bewegungen abgeschritten wurde. In der Gotik lebte
diese Tradition an verschiedenen Stellen wieder auf. In einigen
Kirchenbüchern wird sie beschrieben: Der jüngste Priester
musste einen goldgelben Ball besorgen. Nach der Ostervesper übergab
der Priester den Ball an den Bischof. Dieser tanzte im "Tripudium",
einem Dreischritt mit wuchtigem Aufstampfen, durch das Labyrinth,
während die anderen Tänzer um ihn kreisten. Dabei wurde
der Ball zwischen den Priestern hin- und hergeworfen. Der Ball symbolisierte
die aufgehende Ostersonne über dem Lebensweg der Tanzenden.
Heute sind diese Tänze vergessen. Geblieben sind die Labyrinthe.
Sie lassen sich an vielen Stellen Europas entdecken, von Norwegen
bis Kreta, von Spanien bis Ägypten. Sehr viele gibt es in Frankreich
und Italien, in Kirchen und auf Plätzen, in Parks und Höhlen.
Das bekannteste Labyrinth, das in einer Geschichte auftaucht, ist
sicher das Labyrinth des König Minos. Diese Labyrinth-Geschichte
wird schon seit vielen hundert Jahren erzählt und ist deshalb
so etwas wie der Ursprung oder der Mythos aller Labyrinth-Geschichten
überhaupt.
König
Minos, der in Kreta lebte, hatte einen Sohn, der in Athen hinterlistig
umgebracht wurde. Der Mord löste einen furchtbaren Krieg aus,
worauf die Götter die Stadt Athen und das Land ringsherum mit
einer schrecklichen Dürre belegten. Die Athener befragten ihren
Gott Apollo, wie sie ihr Schicksal wenden könnten, und sie
bekamen zur Antwort, dass ihr Leid erst dann aufhören würde,
wenn König Minos ihnen verzeihen könnte.
Die Athener schickten deshalb einen Boten nach Kreta mit der Bitte
um Verzeihung und Frieden. König Minos kam der Bitte zwar nach,
knüpfte daran allerdings eine grausame Bedingung: Alle neun
Jahre sollten die Athener sieben Jünglinge und ebenso viele
Jungfrauen nach Kreta schicken. Als diese dann tatsächlich
kamen, wurden sie in sein Labyrinth geführt, in dessen Zentrum
der grässliche Minotaurus lebte, ein Geschöpf halb Mensch
und halb Stier. Es ist leicht vorstellbar, dass keiner dieser jungen
Leute lebend aus dem Labyrinth wieder herauskam.
Doch als zum dritten Mal Jünglinge und Jungfrauen nach Kreta
geschickt werden sollten, erklärte Theseus, der Prinz von Athen,
er wolle mitfahren und das Untier besiegen.
Auf
Kreta angekommen verliebte sich glücklicherweise Prinzessin
Ariadne, die Tochter von König Minos in die Schönheit
und den Heldenmut Theseus. Als Theseus deshalb mit seinen Gefährten
ins Labyrinth geführt werden sollte, steckte ihm Ariadne heimlich
ein Knäuel mit roter Wolle zu. Sie riet ihm, dessen Ende am
Eingang des Labyrinths fest zu knüpfen und beim Durchschreiten
der Wege ins Zentrum zur Höhle des Minotaurus durch seine Hand
ablaufen zu lassen. Zugleich übergab sie ihm ein Zauberschwert,
womit er das Ungeheuer ohne Gefahr töten könnte. Theseus
hörte auf Ariadne und alles trat so ein, wie die Königstochter
es vorausgesehen hatte: Der Prinz traf auf das Untier, besiegte
es und führte mit Hilfe des Fadens alle seine Gefährten
wieder sicher ins Licht zurück.
Soweit der Mythos. Mehr als er erzählt, verschweigt er aber.
Denn: Warum brauchte Theseus überhaupt einen Faden? In ein
Labyrinth führt doch nur ein Weg hinein und ein Weg wieder
hinaus. Demnach musste Theseus den Minotaurus nicht suchen, er traf
ganz unweigerlich auf ihn. Und Theseus konnte sich auch gar nicht
verlaufen, weder auf dem Hin- noch auf dem Rückweg.
Wie kommt es dann, dass seither der zum Ausgang führende, rote
Faden durch die Weltgeschichte geistert?
Fällt dir dazu eine Erklärung ein?
Wenn nicht, macht es nichts. Denn dann stehst du in einer Reihe
mit zahlreichen Wissenschaftlern. Du merkst schon, es gibt noch
gar keine richtige Lösung!
Trotzdem war die Frage natürlich keine Scherzfrage. Denn auch
wenn es bis heute ungeklärt ist, gibt es zu dem Thema immerhin
mehrere Deutungen und Vermutungen. Und eine davon geht so:
Der dunkle Gang ins Zentrum des Labyrinths war so eng und so gewunden,
dass die sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen seitlich laufen
mussten. Um eng beieinander zu bleiben und vom Kopf der Menschenschlange
mit Theseus an der Spitze bis zum Ende der Reihe eine ständige
Verbindung auch um die zahlreichen Windungen des Wegs zu haben,
ließen sie ein Seil oder auch einen dicken Faden durch ihre
Hände laufen. Damit konnten ganz sicher auch Informationen
von hinten nach vorne und umgekehrt laufen. Es konnte mit einem
Ruck oder Lockerlassen des Faden gesagt werden: Schneller gehen
oder stopp! Als Theseus den Minotaurus besiegt hatte, drehte er
sich im Zentrum des Labyrinthes um. Er konnte aber nun den Gang
nach draußen nur fortsetzen, wenn das "Menschenseil"
seiner Gefährten vor ihm herging. Denn er war jetzt am Ende
der "Schlange". Er brauchte also diesen Faden nach draußen,
um das Labyrinth sicher verlassen zu können.
Wer schon einmal mit den Eltern in Griechenland, auf einer der
griechischen Inseln oder auch bei einem Fest in einem griechischen
Restaurant in Deutschland war, der hat dort sicher auch Volkstänze
erlebt. Männer und Frauen tanzen in einer Reihe, indem sie
sich an den Händen oder an den Schultern fassen. Manchmal stellt
auch ein Tuch diese Verbindung zwischen ihnen her. Die tanzenden
Reihen führen gleichmäßig hintereinander Wendungen
und Kreise aus, als würde ein Band, ein Seil oder auch ein
unsichtbarer Faden sie aneinander binden. Es ist gerade so, als
würde damit noch heute der Gang von Theseus ins Labyrinth des
Königs Minos' nachgetanzt werden.
Die ganze Geschichte kannst du auch in folgenden älteren Büchern,
die du in der Bibliothek findest, nachlesen:
- Theseus. Nach alten Sagen neu erzählt von Gisela
Simon.
- Kampf um Troja. Die schönsten Sagen des klassischen
Altertums von Gustav Schwab.
Viel,
viel später als die Labyrinthe entstanden die Irrgärten,
in denen man sich tatsächlich auch verirren kann. Sie waren
besonders in der Zeit des Barocks und des Rokokos - also vor dreihundert
bzw. vierhundert Jahren - beliebt. Damals gehörte es zum Zeitvertreib
reicher Leute, sich an einer bestimmten Stelle des Irrgartens heimlich
zu treffen oder eine unterhaltsame Schnitzeljagd durch den verwirrenden
Hecken-Garten zu veranstalten.
Irrgärten lassen sich an vielen Stellen in Deutschland finden:
Die Hecken des Irrgartens von Schloss Mosigkau bei Dessau sind beispielsweise
so hoch und dicht, dass man nicht in den benachbarten Gang schauen
kann. 500 Meter Heckenlänge hat ein Musterexemplar in den Herrenhäuser-Gärten
in Hannover. In Kleinwelka, einem Dorf bei Bautzen in der Oberlausitz,
gibt es nicht nur einen großen Irrgarten, sondern auch noch
ein Abenteuer- und Rätsellabyrinth. Mehr als 4 300 Koniferen
- kleine Nadelbäume - geleiten die Besucher durch den Irrgarten
von Eckartsberga nördlich von Jena. Der Irrgarten von Probsteierhagen
bei Kiel misst rund 2000 Quadratmeter und ist voller Abzweigungen,
Sackgassen, Kreuzungen, Um- und Auswegen. Das Dorf Altjessnitz bei
Dessau beherbergt im Schlosspark den ältesten noch erhaltenen
Irrgarten Deutschlands. Hinter dem von einer Ceres-Statue - das
ist die römische Göttin der Feldfrüchte - bewachten
Eingang verbergen sich 250 mögliche Wege! Ins Zentrum jedoch
führt nur ein einziger.
Für alle Hauptstädter oder Randberliner bietet das Museum
Kindheit und Jugend (Wallstraße 32, 10179 Berlin; Sa./So.
10 bis 18 Uhr, Die.-Fr. 9 bis 17 Uhr) bis September 2004 auch in
den Ferien eine Ausstellung mit einem auf dem Boden gemalten Labyrinth
an, das man in einer Minute begehen kann.
Außerdem wird hier gezeigt, dass die Form des Spielweges bei
vielen alten Brettspielen - wie zum Beispiel auch beim "Mensch
ärgere dich nicht" - eine Verbindung zum Labyrinth haben.
In dieser Ausstellung, die den Titel trägt "Verwirrende
Spiele - Von Labyrinthen lernen", gibt es für alle zum
Ausprobieren ein kleines Geschicklichkeitslabyrinth und ein Leiterspiel.
Labyrinthe und Irrgärten faszinieren nicht nur Tanzlustige
und Gartenbauer, sondern inspirieren auch oft Autoren, in ihren
Büchern Labyrinthe auftauchen zu lassen. Auch in den folgenden
Kinderbüchern spielen sie eine Rolle:
- Detektiv auf heißer Spur von Don Oliver Matthies.
- Das Rätsel-Labyrinth von Stefan Wilfert und Chris
Mewes.
- Das verbotene Labyrinth von Thomas Brezina.
- Himmel, Erde und ich von Helmut Schreier.
Nicht zu vergessen Harry Potter natürlich. Er und seine Freundin
Hermine mussten eine ihrer Prüfungen in einem Labyrinth ablegen.
Oder war das eher ein Irrgarten? Ihr werdet es rausfinden.
Wenn du deine Eltern auch für das Labyrinth interessieren willst,
dann kann ich dir auch dafür einen Tipp geben. Es handelt sich
um das Buch Im Labyrinth sich selbst entdecken von
Gernot Candolini.
Falls du jetzt auf den Geschmack gekommen bist und noch mehr über
Labyrinthe und Irrgärten wissen möchtest, findest du einiges
dazu im Internet:
Text von Helma Hörath (Museumspädagogin im "Museum
Kindheit und Jugend" in Berlin).
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