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Rossipottis Leibspeise
und andere Lieblingsbücher
Rossipottis Leibspeise
Lieblingsbuch
vorgestellt von Helma Hörath
* * *
Mio, mein Mio
"Was haben literarische Bücher und Träume gemeinsam?"
fragt mich Rossipotti und schnuppert aufgeregt an dem kleinen blauen
Buch, das vor ihm auf dem Tisch liegt.
"Dass beide erfunden sind!" antworte ich, ohne lange
zu überlegen.
"Und was ist der Unterschied?" fragt Rossipotti weiter
und führt das Buch verdächtig nahe an sein Maul.
"Dass wir Bücher miteinander teilen können, unsere
Träume aber nicht."
"Wer redet denn von teilen?" sagt Rossipotti und beißt
eine große Ecke des kleinen blauen Buchs ab. Dann redet er
laut schmatzend weiter: "Außerdem kann man Träume
sehr wohl mit jemandem teilen. Nein, ich habe da an etwas anderes
gedacht: Ist es nicht so, dass wir beim Lesen immer genau wissen,
dass wir lesen, aber beim Träumen manchmal gar nicht bemerken,
dass wir Träumen?"
"Wohl kaum", sage ich. "Ein Traum ist ein Traum
und Wirklickkeit ist Wirklichkeit."
"Für dich vielleicht", sagt Rossipotti. "Aber
es gibt auch welche, die können Traum und Wirklichkeit nicht
immer auseinanderhalten."
"Ach, wer kann denn das zum Beispiel nicht?" frage ich
interessiert. Ich bin gespannt, wen Rossipotti jetzt wieder aus
seinem Hut zaubert.
"Mio zum Beispiel", sagt Rossipotti.
"Soso", sage ich wenig überzeugt. "Oder Otto
zum Beispiel, oder Tilli oder John ..."
"Was - du kennst Mio nicht?" fragt Rossipotti
und reißt entsetzt sein Maul auf.
Ich sage lieber nichts. Wer ist Mio?
"Ich meine 'Mio, mein Mio', den armen Waisenjungen, den von
seinen Adoptiveltern gehassten Jungen, den Prinzen und Retter der
verwunschenen Kinder?!"
Ich zucke mit meinen nicht vorhandenen Schultern.
"Da wird Astrid Lindgren beinahe 100 Jahre alt, und du hattest
trotzdem nicht genügend Zeit, um ihre Bücher zu lesen?!"
"Pah!" mache ich. "Manche Bücher sind eben
zu bekannt. Die kann man leicht übersehen."
"Stimmt", gibt Rossipotti zu und schaut nachdenklich
auf das angebissene blaue Buch in seinen Händen. "Dann
muss wohl ausnahmsweise ich das Buch vorstellen. Obwohl das
ja eigentlich dein Job ist. Aber ich will heute mal nicht so sein.
Also: 'Mio, mein Mio' ist meiner Meinung nach eines der anrührendsten
Bücher von Lindgren. Und es ist das Traumbuch schlechthin.
Damit meine ich weniger, dass es traumhaft schön ist, als dass
das ganze Buch durch Träume strukturiert wird.
"Kannst du dich nicht ein bisschen klarer ausdrücken?
So versteht das doch kein Mensch!"
Rossipotti sieht mich verärgert an: "Unterbrich mich
nicht ständig. Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich sagen
wollte."
"Umso besser", sage ich. "Dann kannst du uns nämlich
erklären, wer in dem Buch was träumt."
"Stimmt! Genau das wollte ich sagen, bevor du
mich unterbrochen hast", sagt Rossipotti. "Mio
träumt natürlich! Und er träumt einerseits einen
wunderschönen Traum, andererseits einen grauenhaften Alptraum.
Aber ich fange nochmal von vorne an: Mio heißt am Anfang des
Buchs noch Bo Vilhelm Olsson. Er ist ein kleiner Waisenjunge, der
seine Eltern nie kennengelernt hat, und nun seit einigen Jahren
bei seinen lieblosen Adoptiveltern, Onkel Sixten und Tante Edla,
wohnt. Sie ertragen es nicht, wenn er lacht oder mit Freunden spielen
will. Lieber soll er einsam, still und unauffällig in der Ecke
sitzen oder höchstens noch für die Tante einkaufen gehen.
Und am liebsten soll er gar nicht mehr da sein.
Bo Vilhelm Olsson versucht deshalb so viel Zeit wie möglich
bei seinem besten Freund Benka zu verbringen. Mit Benka kann er
nicht nur wunderbar spielen, sondern von ihm auch lernen, was es
heißt, von seinen Eltern geliebt zu werden und einen Vater
zu haben, der einen versteht und sich um einen kümmert.
Eines Tages soll Bo Vilhelm Olsson wieder einmal für Tante
Edla einkaufen gehen, doch da passiert etwas Merkwürdiges.
Die nette, fürsorgliche Verkäuferin, Tante Lundin, gibt
ihm mit bedeutungsvollem Blick eine Postkarte und einen leuchtend
roten Apfel mit auf den Weg, und als er die Postkarte liest, steht
eine seltsame Botschaft darauf:
"An den König / Land der Ferne. / Er ist auf dem Weg,
er, den DU so lange gesucht hast. ER reist durch Tag und Nacht und
er hält in seiner Hand das Zeichen, den goldenen Apfel."
Und der Apfel in seiner Hand ist plötzlich aus purem Gold!!
Hier vermischt sich für Bo Vilhelm Olsson also bereits Traum
und Wirklichkeit. Er wünscht sich so sehr, dass es irgendwo
in der Welt jemanden gibt, der auf ihn wartet, dass er sich die
Wirklichkeit so zurecht phantasiert. Aber noch weiß er, dass
es einen Unterschied zwischen beiden Bereichen gibt. Er hält
also den goldenen Apfel in den Händen und setzt sich damit
auf eine Parkbank. Dort entdeckt er eine Bierflasche, die mit einem
Hölzchen verstopft ist. Er zieht das Hölzchen heraus und,
oh Wunder, ein Geist fährt aus der Flasche! Und denk dir, was
er dem Jungen erzählt: Dass er aus dem Land der Ferne gekommen
sei, um denjenigen abzuholen, der einen goldenen Apfel in der Hand
hält!
Spätestens jetzt ist es um den armen Jungen geschehen, und
er kann Traum und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderhalten. Oder
pointierter ausgedrückt: Der Traum wird zur Wirklichkeit. Wirklich
ist ab jetzt nur noch das, was sich Bo schon immer erträumt
hat: Einen wunderbaren Vater, der in seiner Traum-Geschichte der
"König der Ferne" ist, ein wunderbares Zuhause, das
in seiner Geschichte zum Schloss mit Rosengarten wird, und ein echtes,
wildes Pferd.
Und weil Bo auch aus der alten Welt nichts vermissen möchte,
bekommt er im Land der Ferne einen neuen besten Freund, der Benka
erstaunlich ähnlich sieht, aber jetzt Jum-Jum heißt.
Alle anderen schönen Dinge, die er im echten Leben nie erlebt
hat, und deshalb auch nicht beschreiben könnte, entnimmt er
den Märchen, die er gelesen hat: Eine liebe alte Großmutter,
einen Flötenspieler und einen Brunnen, der Märchen erzählen
kann. Im Land der Ferne heißt Bo Vilhelm Olsson Mio, er ist
ein Prinz und sein Vater hat neun lange Jahre auf ihn gewartet.
Doch leider schleichen sich in seine Welt der schönen Träume
auch bald grauenhafte Alpträume. Und genauso wie die schönen
Träume Mios Wünsche enthalten, so sind die Alpträume
Spiegel seiner Ängste und Nöte: Jenseits dem Wald der
Dunkelheit herrscht der böse Ritter Kato, der Kinder entführt,
ihnen das Herz ausreißt oder in Trauervögel verzaubert..."
"Wenn du noch mehr erzählst, brauche ich das Buch gar
nicht mehr zu lesen!" unterbreche ich Rossipotti.
"Ich bin ja schon still", sagt Rossipotti. "Ich
wollte dir nur beweisen, dass es durchaus Menschen gibt, die Traum
und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderhalten können."
Ich stutze. Irgendetwas stimmt an Rossipottis Beweis nicht. Und
dann fällt es mir ein: "Weißt du was? Jetzt hast
du selbst vergessen, dass dieser Mio nur im Buch vorkommt. Und damit
stehen wir wieder am Anfang unserer Diskussion: Was ist der Unterschied
zwischen Büchern und Träume?"
Astrid Lindgren: Mio, mein Mio. Aus dem Schwedischen
von Karl Kurt Peters, mit Zeichnungen von Ilon Wikland. Verlag Friedrich
Oetinger. Hamburg 1998. 187 Seiten.
* * *
Willi der Träumer
"Bilderbücher sind nur etwas für kleine Kinder!"
entgegne ich Rossipotti, als ich höre, dass ich "Willi
der Träumer" von Anthony Brownes vorstellen soll.
Brownes illustriert in diesem Bilderbuch verschiedene Träume
von Willi, dem Affenjungen: Willi als Bettler und König, Willi
als Tiefseetaucher, Entdecker und Sumoringer.
"Wer behauptet das denn?" unterbricht Rossipotti meinen
Gedankengang. "Bilderbücher sind für alle da. Und
besonders 'Willi der Träumer'! Ich glaube sogar, dass ältere
Kinder in dem Buch mehr entdecken können, als Kinder im eigentlichen
Bilderbuchalter. Zum Beispiel die als Affe verkleidete Alice, oder
die geschmolzene Uhr von Dali, die bei Browne eine Banane geworden
ist."
"Oder Elvis mit dem Bananenmirkofon" überlege ich.
"Oder Frankenstein mit den Bananenschrauben!" stellt
Rossipotti fest.
"Oder Willi als Superman im Bananenkostüm!"
"Oder Willi als Dr. Jekyll und Mr. Hyde!" ruft Rossipotti.
"O.K., o.k", sage ich. "Du hast mich überzeugt.
'Willi der Träumer' ist für jedes Alter geeignet. Weißt
du eigentlich, wie viele Bananen Anthony Browne in den Bildern versteckt
hat?"
"Keine Ahnung", antwortet Rossipotti. "Ich weiß
nur, dass ich jedes Mal wieder eine neue Banane entdecke. Und ich
habe das Buch wirklich schon oft angesehen."
"Weißt du, was mir an dem Buch neben den ganzen Bananen
und Zitaten aus Film, Literatur und Kunst noch so gut gefällt?"
Rossipotti sieht mich belustigt an. Wahrscheinlich wundert er sich,
dass ich plötzlich ins Schwärmen gekommen bin.
"Was denn?"
"Dass man in einigen der surrealistischen Bildern Brownes
seine eigenen Träume wieder sieht!"
"Ach wirklich?" sagt Rossipotti und reibt auffallend
lange an seinem linken Auge. "Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.
Das kann nur daran liegen, dass Fische ähnliche Träume
haben wie Affen!"
Anthony Browne: Willi der Träumer. Lappan
Verlag. Oldenburg 1997. 24 Seiten.
* * *
Fette Fische
"Träumen ist nicht schlecht", sinniert Rossipotti.
"Aber wenn Träume wahr werden, ist das noch besser!"
"Hört sich an wie ein Werbespruch", sage ich trocken.
"Hast du vielleicht ein Problem mit dem Thema?" fährt
mich Rossipotti an. "Die ganze Zeit meckerst du herum!"
Das stimmt zwar nicht. Aber natürlich habe ich ein Problem
mit dem Thema! Träume sind nicht gerade das, was ich mir als
abgemagerter Fisch leisten kann.
"Aber ausnahmsweise interessiert mich deine Meinung nicht!"
sagt Rossipotti und grunzt. "Du stellst jetzt einfach 'Fette
Fische' von Carl Hiaasen vor und damit basta!"
Dann schnappt er sich den Rest von dem kleinen, blauen Buch, geht
damit aus dem Zimmer und schlägt - natürlich! - die Tür
hinter sich zu.
Soll er doch gehen! Und am besten soll er überhaupt nicht
wieder kommen! Dann kann ich nämlich endlich schreiben, was
ich will und über wen ich will.
Am liebsten hätte ich heute sowieso "Tante Lila Silberschlange"
von Tamara Klupsch vorgestellt. Das ist ein supertolles Traum-Buch!
Tante Lila schläfert darin mit einem Spezialgift alle Krokodile
ein und beschert ihnen wunderschöne Träume. Aber genau
dann, wenn die Träume am schönsten sind, gibt sie ihnen
ein Antiserum und weckt die Krokodile wieder auf! Und damit fängt
das eigentliche Abenteuer an. Denn die Krokodile sind wegen der
Unterbrechung so sauer, dass sie Tante Lila fressen wollen. Aber
Tante Lila lässt sich natürlich nie fangen ...
Und dieses sagenhafte Buch durfte ich hier also nicht vorstellen!
"Kommst du schon wieder mit diesem blöden Lila-Klupsch-Buch
an!" hat Rossipotti gesagt. "Das ist ja nicht zum Aushalten!"
Doch das ist zum Aushalten! Und deshalb werde ich es heute in epischer
Breite vorstellen. Darauf könnt ihr euch gefasst machen. Aber
zuerst werde ich meine Pflicht erfüllen und "Fette Fische"
vorstellen.
Zugegeben, so sauer kommt mich diese Pflicht nicht an. Denn das
Buch handelt immerhin von Fischen, und Fische sind ja bekanntlich
die interessantesten Tiere, die es auf der ganzen Welt gibt! Und
ausgerechnet das Leben dieser wunderbaren Tiere ist in "Fette
Fische" in Gefahr! Und das nur wegen diesem korrupten Dusty
Muleman!
Muleman ist ein geldgierige, gesetzesbrecherischer Kasinoschiffbesitzer,
der, um Geld zu sparen, die Abwässer seines Kasinoschiffs ins
Hafenbecken leitet. Und diese Umweltsauerei ist nicht nur für
meine Artgenossen tödlich, sondern auch für die in der
Nähe brütenden Schildkröten! Ganz zu schweigen von
den Kindern, die am nahegelegenen Strand baden wollen, es aber nicht
dürfen, weil er ständig wegen Gesundheitsgefährdung
gesperrt ist.
Doch zum Glück hat Dusty Muleman seine Rechnung ohne Noahs
und Abbeys Vater gemacht. Noahs Vater, ein visionärer, aber
radikaler Umweltaktivist, kommt ihm nämlich auf die Schliche
und versenkt kurzerhand das Kasinoschiff. Dass Noahs Vater damit
übers Ziel hinausgeschossen hat, schadet auf lange Sicht nichts.
Auf kurze Sicht sieht es allerdings nicht gut für ihn aus:
Er kommt ins Gefängnis, seine Frau und damit Noahs und Abbyes
Mutter, will sich von ihm scheiden lassen, und das Kasinoschiff
ist schon nach wenigen Tagen wieder einsatzbereit.
Bevor Noahs Vater wieder auf freiem Fuß ist und Muleman endgültig
das Handwerk gelegt werden kann, muss also noch einiges passieren.
Was wird hier nicht verraten.
Nur soviel, dass sich Noah und Abbey in einige halsbrecherische
Abenteuer stürzen und ihr euch in dem temporeichen Umweltkrimi
sicher nie langweilen werdet.
Und noch eine abschließende Bemerkung obendrauf: Wenn der
"fette Fisch" Dusty Muleman an der Angel zappelt, möchte
man beinahe begeistert ausrufen: Setzt euer Leben aufs Spiel, um
eure Träume zu verwirklichen!
Carl Hiaasen: Fette Fische. Aus dem Amerikanischen
von Birgitt Kollmann. Beltz & Gelberg. Weinheim/Basel
2005. 295 Seiten.
* * *
Auf Sendung - Wie Fernsehen gemacht wird
"Was ist das denn?"
Leider, leider ist Rossipotti doch wieder in den Raum gekommen,
hat sich leise von hinten an mich heran geschlichen und meinen letzten
Satz gelesen: "Die wunderschöne Silberschlange Tante Lila
beißt gerade in ein saftiges Krokodil, um es einzuschläfern,
da hört sie hinter sich ein Geräusch. Es kommt zum entscheidenden
Kampf, wodurch nun der ganze Roman von Tamara Klupsch in einem anderen
Licht betrachtet werden muss."
"Wo ist die Rezension zu den 'Fetten Fischen'?" knurrt
mich Rossipotti an. "Und wie oft soll ich dir noch sagen, dass
ich diese Lila-Klupsch-Tante nicht ausstehen kann!"
Ich schließe resigniert meine Augen und überlege, warum
Rossipotti nicht eine halbe Stunde später hatte kommen können?
"Ich sehe, dass du dieses Mal absolut unkooperativ bist!"
lamentiert Rossipotti weiter. "Und deshalb werde ich mich jetzt
neben dich setzen und dir den nächsten Text diktieren!"
"Warum schreibst du ihn dann nicht gleich selbst?"
"Weil es immernoch deine Rubrik ist! Wir müssen den Lesern
ja nicht verraten, dass ich dir den Text diktiert habe. Oder willst
du etwa nicht mehr 'Rossipottis Leibspeise' sein?"
Am liebsten würde ich nicken. Am liebsten würde ich mich
in den hintersten Winkel vergraben und alle Tamara Klupsch Bücher
lesen, die es gibt.
Aber: Kann ich es mir wirklich vorstellen, nie wieder mit Rossipotti
über Bücher zu streiten und euch nie wieder Bücher
vorzustellen?
NEIN!
Und deshalb setze ich mich brav neben Rossipotti an den Computer
und tippe, was er mir diktiert:
Wenn man über Träume schreibt, darf man nicht verschweigen,
wo die meisten von ihnen hergestellt werden: In den Traumfabriken.
Traumfabriken gibt es in der ganzen Welt. Hollywood und Bollywood
und wie sie alle heißen. Es gibt große und kleine, gut
und schlecht gehende, private und öffentliche, zensierte und
freie Fabriken. Die meisten dieser Fabriken stellen allerdings nicht
Kinofilme, sondern Sendungen für's Fernsehen her.
Wenn ihr einmal einen Blick hinter die öffentlich-rechtlichen
Fabrik-Kulissen in Deutschland werfen und wissen wollt, wie hier
ein Fernsehfilm entsteht, empfehle ich euch das Buch "Auf Sendung!
Wie Fernsehen gemacht wird". In dem Buch erfahrt ihr nicht
nur, wie sich Menschen mit Zeichentrickfiguren unterhalten können,
sondern auch, was der Unterschied zwischen einer "Storyline",
einem "Treatment" und einem "Schnittkonzept"
ist.
Toll an dem Buch ist vor allem, dass es euch als mündige Konsumenten
ernst nimmt und euch an dem realen, komplexen Ablauf hinter dem
Schirm ohne Verniedlichungen teilhaben lässt. Lest das Buch
und mischt mit!
Steffen Seibert (Hg.): Auf Sendung! Wie Fernsehen
gemacht wird. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Reinbek bei Hamburg 2005.
106 Seiten.
* * *
Die Belagerung
"Jetzt hast du so schön mitgemacht, dass du zum Schluss
auch noch ein Buch vorstellen darfst!" sagt Rossipotti gnädig.
"Da brauche ich nicht lange zu überlegen", sage
ich und denke dabei an ein Buch, das mich neulich sehr beeindruckt
hat.
"Ich warne dich", sagt Rossipotti. "Wenn es irgendetwas
mit Schlangenbissen und Krokodilen zu tun hat, will ich nichts davon
hören!"
"Keine Sorge!" sage ich lammfromm. "In dem Buch
wird zwar auch viel gebissen, aber es entstehen keine schönen
Träume dabei, sondern Alpträume."
"Warum stellst du es dann vor?" fragt Rossipotti.
"Ach was!" sage ich. "Dieses Buch würde sogar
dir gefallen. Denn es entwickelt beim Lesen einen magischen Sog.
Und am Ende hat man das Gefühl, selbst mit den letzten Überlebenden
in der engen Hütte zu sitzen und von Wölfen umlagert zu
werden."
"Du hast einen seltsamen Geschmack!" meint Rossipotti.
"Wer will schon von Wölfen umlagert werden? Aber von welcher
Hütte redest du überhaupt? Und von welchen Überlebenden?"
"Das Buch spielt 1927 im sibirischen Dorf Pilowo. Es ist der
kälteste und längste Winter, den man sich vorstellen kann.
Milan, ein jugendliche Jäger, bringt seinen Eltern und seiner
Schwester Nadja einen jungen Wolf mit nach Hause. Alle haben Angst,
den Wolf zu essen, denn "wer Wölfe isst, kriegt falsche
Kinder". Aber alle haben auch Hunger und essen deshalb von
dem Fleisch, das die Mutter über dem Feuer brät. Auch
Wassja, der vorbeikommt, um für seine kranke Tochter Essen
zu erbeten.
Zuerst scheint trotz des Wolfsessen alles besser zu werden. Milans
und Nadjas Cousin, Kolja, kommt aus dem Nachbardorf und hat einen
Schlitten voller Lebensmittel dabei. Es wird gelacht und gefeiert.
Doch dann wird Milan bei der Jagd von einem Wolf angefallen, Wassjas
Tochter wird nachts von einem Wolf geholt, und Kolja kommt mit seinem
Schlitten nicht mehr aus dem Dorf heraus, weil die Wölfe es
umkreist haben!
Längst ist im ganzen Dorf bekannt, dass Milan einen Wolf geschossen
hat, und die Angst sitzt den Bewohnern tief in den Knochen. Von
der Außenwelt abgeschnitten, verrammeln alle ihre Hütten
und hoffen auf ein Ende des kalten Winters. Aber der Winter geht
nicht zu Ende und die Vorräte und das Brennholz werden immer
knapper ..."
Martin Baltscheit (Text) / Aljoscha Blau (Illustrationen):
Die Belagerung. Eine Erzählung. Bajazzo Verlag. Zürich
2005. 95 Seiten. Rossipotti:
Die Furchtsamen müssen hier die
Augen schließen.
Lieblingsbuch
vorgestellt von Helma Hörath
Bücher zum Träumen
Eigentlich ... ja, eigentlich wollte ich euch ganz andere Bücher
vorstellen.
Eigentlich wollte ich euch von meinen absoluten Lieblingsbüchern
erzählen. Und zwar von Büchern aus meinen Kindertagen,
die wirklich schon seit 50 Jahren vergangen sind, die ich aber trotzdem
noch in meinem Bücherschrank habe. Eigentlich. Denn wie es
immer so ist, wenn man etwas dringend sucht: Man findet es nicht.
Aber keine Sorge! Beim Suchen fand ich ganz andere, wunderbare Bücher,
von denen ich euch jetzt zwei vorstellen möchte. Und zwar:
"Der Riese und die Erdbeerkonfitüre" von Franz
Hohler, und -"Sumchi - eine wahre Geschichte über Liebe
und Abenteuer" von Amos Oz.
Fangen wir mit dem Buch von Franz Hohler an, das übrigens mit
dem "Schweizer Jugendbuchpreis" ausgezeichnet wurde:
Neben dem "Riesen und der Erdbeerkonfitüre" gibt
es in dem Buch noch dreißig andere lustige und ernste, fast
normale und dann auch wieder ganz seltsame Geschichten.
Zum Beispiel die Geschichte "Die fleißige Tiefkühltruhe",
in der der Besitzer versehentlich auf den Knopf "Schnellkühlung"
drückt. Was dadurch passiert, ist so merkwürdig, dass
man selbst nie darauf kommen würde und deshalb die Geschichte
unbedingt lesen muss!
Das gleiche kann ich auch von den anderen Geschichten behaupten:
Oder hast du etwa schon mal ein Huhn getroffen, das auf der Funkausstellung
eine Fernbedienung suchte? Oder stand neben dir an der Bushaltestelle
schon mal ein Prinz mit Helm und Degen, dem du nicht zu nahe kommen
solltest?
Doch das ist noch nicht alles! Der Schweizer Schriftsteller Franz
Hohler, der sich diese Geschichten ausgedacht hat, weiß noch
weit mehr: Er kann euch zum Beispiel erklären, wie die Berge
in die Schweiz kamen, oder was man als erwachsener Mann tun muss,
wenn ein Huhn im Schlachthof "Halt" schreit! In diesem
Fall sollte er nämlich das Huhn in seiner Jacke verstecken
und warten, bis sein Chef es entdeckt, und ihn deshalb entlässt.
Dann muss er das Huhn mit nach Hause nehmen, aus der Tasche befreien
und einfach nur noch warten, bis es sich in eine wunderschöne
Prinzessin verwandelt!
So, jetzt kannst du weiter träumen, von merkwürdigen
Begebenheiten in Deutschland, in der Schweiz oder auch in ganz anderen
Ländern. Vielleicht lassen sich deine Träume verleiten,
gerade jetzt mit meinen Gedanken übers Mittelmeer in den Osten
bis nach Israel zu reisen. Denn dort lebt Sumchi, und auch mit ihm
lässt es sich gut träumen.
Sumchi träumt allerdings anders als Hohler. Er träumt
von Esthi, seiner Klassenkameradin, in die er unsterblich und scheinbar
ganz hoffnungslos verliebt ist. Und von "Ubangi-Schari".
Das ist ein Land seiner Phantasie, in das er aber irgendwann gehen
wird, um große Abenteuer zu bestehen. Doch erst einmal hält
das Glück etwas anderes für ihn bereit: ein Fahrrad, ein
Geschenk seines Onkels, den die Erwachsenen als verrückt bezeichnen.
Mit stolz geschwellter Brust schwingt er sich auf sein Rad, auch
wenn es ein Mädchenfahrrad ist, und lässt sich nicht von
den neidischen Spottrufen der anderen Jungen auf der Straße
beirren, von denen keiner zu der Zeit, in der die Geschichte spielt,
ein Fahrrad hat. Denn im Israel der 1940er Jahre fuhren höchstens
mal die englischen Besatzungssoldaten mit dem Fahhrrad. Und nun
eben auch Sumchi.
Sumchi schwingt sich also auf sein neues Fahrrad und will sofort
in das Land seiner Träume radeln. Aber oftmals kommt es anders,
als gedacht. Denn erst tauscht Sumchi das Rad gegen eine Eisenbahn,
die Eisenbahn dann gegen einen Straßenköter ein, und
schließlich verschwindet auch der Hund hinter der nächsten
Straßenecke. Natürlich bekommt Sumchi da zu Hause sehr
viel Ärger! Und deshalb will er nun noch dringender ins Land
der Träume reisen. Aber wieder kommt er nicht weit. Genauer
gesagt: Nur bis zur Treppe des nächsten Supermarkts. Dort setzt
er sich in eine dunkle Nische. Und dort findet ihn der Vater von
Esther und nimmt ihn mit nach Hause ...
Doch jetzt verrate ich euch nichts mehr. Entweder erträumt
ihr euch den Rest der Geschichte oder ihr geht gleich morgen in
die Bibliothek und leiht euch das Buch aus!
Vielleicht machen euch die Bücher von Hohler und Oz Lust darauf,
selbst Dinge zu erfinden und zu erträumen? Vielleicht habt
ihr ja Lust, eure Geschichten aufzuschreiben und an Rossipotti
zu schicken? Ganz besonders darüber würde sich freuen
Helma, die ergraute Leseratte.
Franz Hohler: Der Riese und die Erdbeerkonfitüre,
illustriert von Nikolaus Heidelbach. Deutscher Taschenbuch Verlag.
München 2000.
Ein Interview mit dem Illustrator des Buchs findet ihr übrigens
in der Kulturtasche.
Amos
Oz: Sumchi - Eine wahre Geschichte über Liebe und Abenteuer,
aus dem Hebräischen übersetzt von Mirjam
Pressler, mit Bildern von Quint Buchholz. Deutscher
Taschenbuch Verlag. München 2000.
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