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Das geheime Buch
Anna Pop in der Elefantenhaut
Ein Märchen aus der neuesten
Zeit
Annette Kautt
Fortsetzung: Teil 5
Wer nicht nur die kurze Zusammenfassung lesen möchte,
sondern auch den Anfang des Buches, geht zurück zur ersten
Rossipotti-Ausgabe
.
Was bisher geschah:
Anna Pop ist ein neunjähriges
Mädchen und hat eine seltsame Krankheit. Jede Nacht wächst
ihr eine Elefantenhaut und droht sie zu erdrücken. Auf
Wunsch der Eltern finden sich bei Pops schließlich mehrere
Ärzte und ein Erbsenschwein ein, um Anna von ihrer nächtlichen
Elefantenhaut zu heilen: Der Mampfende Schluck, die beiden Erzfeinde
Betrüger Schorschi und Angeber-Luzi und Frau Schmittchen.
Doch der Mampfende Schluck verschwindet
schon am ersten Tag auf mysteriöse Weise und auch die anderen
Ärzte kümmern sich weniger um Anna als um ihre eigenen
Vorlieben. In der ersten Zeit fühlen sich die meisten Hausbewohner
deshalb recht wohl in der Gemeinschaft. Doch eines Tages stellt
Angeber-Luzi eine unglaubliche Diagnose, die die Gemeinschaft aufwühlt:
Anna ist angeblich kein Kind, sondern ein Elefant! Annas Eltern
begreifen, dass sie dem Treiben der Ärzte nicht mehr tatenlos
zusehen können, und so wird im Hause Pop ein Beschluss gefasst:
Als Anna am folgenden Morgen zum Frühstück
kam, erfuhr sie Folgendes: Nachdem sie gestern in die Küche
gegangen war, hatten die anderen noch lange zusammengesessen und
gemeinsam versucht, Ordnung in ihre Gedanken zu bekommen. Angeber-Luzi
wurde extra nochmals aus seinem Zimmer geholt, damit er nachher
nicht behaupten konnte, er sei übergangen worden.
Ergebnis dieser aufreibenden Unterhaltung war, dass jeder der Ärzte
an einem festgesetzten Termin die Möglichkeit haben sollte,
sein Können zur Schau zu stellen.
Angeber-Luzi wollte dann beweisen, dass Anna ein Elefant war, Frau
Schmittchen dagegen, dass Angeber-Luzis Idee nur ein Produkt ihrer
Wunschmethode war. Außerdem wollte sie Annas Krankheit als
Trugbild oder Einbildung aller Hausbewohner entlarven. Und Betrüger-Schorschi
wollte die Flupppuppe auftreiben und mit ihrer Hilfe sowohl Angeber-Luzi
auffliegen lassen als auch Anna heilen. Ob Betrüger-Schorschi
ebenfalls glaubte, dass Anna ein Elefant sei, war nicht aus ihm
herauszubekommen.
Der entscheidende Wettkampf sollte an einen Sonntag in drei Wochen
stattfinden. Alle drei Ärzte meinten, sich bis zu diesem Zeitpunkt
soweit vorbereiten zu können, dass sie die anderen von der
Richtigkeit ihrer Theorie überzeugen konnten.
Für Anna wurden die nächsten Wochen ungemütlich.
Angeber-Luzi wollte ständig irgendwelche Untersuchungen mit
ihr anstellen. Da Annas Eltern sie gebeten hatten, Angeber-Luzis
Anweisungen zu befolgen, musste sie stundenlang in seinem Zimmer
auf einem Stuhl sitzen. Angeber-Luzi stand dann hinter einem Stativ
und fotografierte jede ihrer Bewegungen. Wenn sie beispielsweise
ihren Rücken krümmte, sagte er: "Das ist schon mal
gar nicht so schlecht. Mach doch mal einen richtigen Buckel."
Oder er maß ihre Haut mit einem Speckmesser. Das schien ihm
allerdings nicht so zu gefallen, denn nach einigen Tagen hörte
er damit wieder auf.
Diese täglichen Übungen wären schon schrecklich genug
gewesen. Doch Angeber-Luzi durfte nun auch nachts neben Annas Bett
sitzen. Frau Schmittchen und Anna hatten dagegen protestiert, doch
Annas Eltern meinten, sie wollten Angeber-Luzi die Chance geben,
den Irrsinn seiner Theorie noch vor dem Wettkampftag einzusehen.
Frau Schmittchen war deshalb aus dem Zimmer ausgezogen und fühlte
sich seither benachteiligt in ihren Wettkampfvorbereitungen.
Angeber-Luzi dagegen war hochzufrieden. Jede Nacht wartete er gierig,
bis Annas Haut anfing zu wachsen. Mit seinen Händen griff er
in die Falten und zog ungeduldig daran. Wenn sich Annas Haut dann
im Zimmer türmte, schien er ganz in seinem Element. Mit gurrender,
schmeichelnder Stimme versuchte er den Elefanten in Anna zu locken
und ihn zum Bleiben zu bewegen.
Anna vernahm noch nie gehörte Laute. Ein balzendes "Uuuah-duuurah"
leitete für gewöhnlich seine seltsamen Monologe ein. "Uuuah-duuuurah,
gnöt-gnöt-gnöt, uuuduuu-uuuuduuu-rattelschnöt,
lut, lut, gnöt, gnöt..." so ging es die ganze Nacht,
und Anna konnte nicht einmal mehr vor sich hindösen.
Nach der fünften Nacht nahm sie sich fest vor, die Elefantenhaut
loszuwerden. Koste es, was es wolle.
Auch tagsüber konnte sie Angeber-Luzis Nähe nicht mehr
ertragen. So oft es ihr gelang, entwischte sie aus dem Haus und
suchte beim Erbsenschwein Zuflucht. Doch schon bald hatte Angeber-Luzi
ihr Versteck entdeckt. Und da seine wissenschaftliche Mission stärker
war als sein Ekel vor dem Schwein, zerrte er sie immer häufiger
aus der Hütte wieder zurück ins Haus.
"Deine Vorliebe für das Erbsenschwein bestätigt mir
nur, dass du eigentlich ein Elefant bist", sagte Angeber-Luzi
häufig zu ihr.
Anna hörte bei solchen Reden einfach weg.
Doch als Angeber-Luzi in der zweiten Woche vor dem Wettkampf sagte,
dass ihm das Erbsenschwein an seinem großen Triumphtag noch
sehr nützlich sein werde, bekam sie Angst.
Aufgeregt rannte sie bei der nächsten Gelegenheit zum Erbsenschwein
und erzählte ihm, was Angeber-Luzi gesagt hatte.
"Ach, Anna", besänftigte sie das Erbsenschwein. "Der
Angeber-Luzi. Was kann der mir schon anhaben? Nichts. Das einzige,
was Erbsenschweine fürchten, sind Ohrwürmer. Und davon
habe ich bereits mehr als genug."
"Aber vielleicht will er dich für irgendwelche boshaften
Dinge missbrauchen?!" meinte Anna besorgt.
"Man kann nur den missbrauchen, der Angst hat. Glaube mir das",
erwiderte das Erbsenschwein. "Und jetzt komm. Hinter der Hütte
habe ich eine Überraschung für dich. Denk mal, auf meine
alten Tage habe ich noch etwas ganz Neues angefangen!"
Freudig erregt lief das Erbsenschwein um die Hütte. Und tatsächlich:
Aus der Erde ragten die kleinen, aber trotzdem bereits gut erkennbaren
Blattspitzen eines Spinats!
Nachdem Anna auch beim Erbsenschwein nicht mehr sicher war, und
es das Erbsenschwein zudem störte, dass Angeber-Luzi immer
über seine Beete trampelte, wenn er Anna suchte, ging sie immer
seltener zu ihm.
Statt dessen durchstöberte Anna jetzt das Haus nach Verstecken.
Tatsächlich entdeckte sie darin verschiedene Zimmer und Winkel,
die sie zuvor noch nicht gekannt hatte. Das Haus war ihr bisher
immer ein wenig gespenstisch erschienen, weshalb sie nie Lust gehabt
hatte, es zu erkunden. In die beiden oberen Stockwerke fiel nur
selten Licht, und die Dielenböden knarzten dort.
Außerdem war in einem der Räume ein Verwandter von Anna
gestorben. In dem Zimmer im zweiten Stock am Ende des Flurs war
ihr Großonkel Heinrich eines Morgens plötzlich tot im
Bett gelegen. Das Bett war seither nicht mehr bezogen worden. Zumindest
glaubte Anna das, weil seitlich auf der Bettdecke ein kleiner brauner
Fleck zu sehen war.
Doch nun nahm Anna auf diese alten Geschichten keine Rücksicht
mehr. Was ihr früher Angst eingeflößt hat, bot ihr
nun Schutz vor Angeber-Luzi. Zudem entdeckte sie auf ihren Streifzügen
lauter tolle Dinge. In einer Kammer unter einer der Treppen fand
sie zum Beispiel eine Kiste mit alten, bauchigen Glasflaschen. Das
Grün der Flaschen schimmerte geheimnisvoll und brachte Anna
auf die Idee, Flaschenpostbriefe zu schreiben.
"SOS", schrieb sie auf einen Zettel. "Ich sitze auf
einer Scholle im Nordmeer fest und erfriere, wenn mir nicht bald
jemand ein paar rote Würste rüberbeamt."
"SOS", schrieb sie auf einen anderen Zettel. "Fremdes
Flugobjekt gesehen. Allmenschen sind nicht grün, sondern gelb.
Sie halten mich gefangen. Rettet mich."
Anna schrieb viele solcher Zettel, steckte sie dann in die unterschiedlichen
Flaschen, verkorkte sie und ging mit ihnen zum Fluss. In hohem Bogen
schmiss sie eine Flasche nach der anderen hinein. Eine wurde von
einem Ast aufgehalten und verhakte sich im Gebüsch. Doch die
anderen Flaschen trieben schnell flußabwärts. Fröhlich
hüpfend ging Anna wieder nach Hause.
Ein anderes Mal entdeckte Anna sogar ein Zimmer, von dem aus man
Frau Schmittchen in ihrem Zimmer beobachten konnte. Nachdem Angeber-Luzi
Frau Schmittchen aus Annas Zimmer vertrieben hatte, hatte sie sich
nämlich in einem kleinen Zimmer im zweiten Stock einquartiert.
Außer ihr wohnte niemand mehr hier oben, und das schien ihr
zu gefallen.
Als Anna nun einmal in das angrenzende Zimmer geschlüpft war,
um Angeber-Luzi abzuschütteln, entdeckte sie in der zerrissenen
Tapete ein münzgroßes Loch in der Mauer. Sie sah hindurch
und sah direkt auf Frau Schmittchens Rücken. Frau Schmittchen
hielt einen Spiegel in der Hand, in dem Anna ihr erregtes Gesicht
erkennen konnte.
"Vermaledeiter!" rief sie. "Warum versteckst du dich?
Aber ich werde es trotzdem schaffen, dich aus Angeber-Luzis Gedanken
herauszubekommen. Elefant! Visualisiere dich!"
Anna fiel es sehr schwer, ein Lachen zu unterdrücken. Doch
sie wollte von Frau Schmittchen nicht beim Lauschen ertappt werden.
Ein Elefant sollte also im Spiegel erscheinen! Auch Frau Schmittchen
schien an ihre Grenzen zu stoßen.
Doch Anna unterschätzte sie. Denn als sie das nächste
Mal die Lust überkam, Frau Schmittchen zu beobachten, sprang
Frau Schmittchen aufgeregt durch ihr Zimmer. Und in der Hand hielt
sie tatsächlich einen Elefantenschwanz!
Betrüger-Schorschi schien in der Tat am wenigsten Fortschritte
zu machen. Anna bedauerte das ein bisschen. Denn Betrüger-Schorschi
war ihr mit seinen Fischen und Kochkünsten, ja selbst mit seiner
Flupppuppenvorliebe wesentlich lieber als Angeber-Luzi. So schmerzte
sie es ein wenig, zusehen zu müssen, mit welchem Eifer Betrüger-Schorschi
ein riesengroßes, feinmaschiges Netz knüpfte, mit dem
er die Flupppuppe einfangen wollte.
Die ersten Tage nach ihrer "Aussprache" und der Festlegung
des Wettkampftermins, war Betrüger-Schorschi noch aufgeregt
von einem Zimmer zum nächsten gelaufen. Er hatte gehofft, die
Flupppuppe zu finden, die seiner Meinung nach von Angeber-Luzi gefangen
gehalten wurde. Nachdem er jedoch eingesehen hatte, dass die Flupppuppe
im ganzen Haus unauffindbar war, und Angeber-Luzi offensichtlich
keinerlei Interesse an seiner Puppe hatte, versuchte er nun selbst,
die Flupppuppe zu fangen.
Als er das Netz fertiggestellt hatte, stülpte er es wie einen
Strumpf über das geöffnete Küchenfenster und legte
in dessen Strumpfende köstliche Gemüsehäppchen. Seiner
Meinung nach verschmähte die Flupppuppe Fleisch. Für Gemüse
konnte sie dagegen sterben.
Es versteht sich von selbst, dass es Betrüger-Schorschi nicht
gelang, die Flupppuppe in seine Falle zu locken. Die einzigen, die
sich für sein Gemüse interessierten, waren ein paar ausgehungerte
Fliegen.
Der Termin für den Wettkampf rückte näher und näher.
Während Frau Schmittchen dem Tag gelassen entgegenzublicken
schien - und Anna konnte sich auch denken, warum - wurden Angeber-Luzi
und Betrüger-Schorschi von Stunde zu Stunde gereizter.
Angeber-Luzi schob die Schuld auf Anna. Beim Frühstück,
drei Tage vor dem Wettkampf, beklagte er sich bei ihren Eltern,
dass sie sich meist irgendwo versteckt hielt. Unter diesen Umständen
sei es ihm unmöglich, tagsüber seine Experimente durchzuführen.
Und selbst nachts würde die Elefantenhaut seit ein paar Tagen
nicht mehr so schön wachsen wie zuvor. Er wisse zwar nicht,
was passiert sei, aber irgend etwas habe den Elefanten in Anna erschreckt.
Um das herauszufinden, und um den Elefanten auch tagsüber sichtbar
machen zu können, das heißt um seine Theorie beweisen
zu können, brauche er unbedingt weitere Wochen der Forschung.
Angeber-Luzi forderte also die Verschiebung des Wettkampftages.
Und er war sich ziemlich sicher, dass er in diesem Punkt ausnahmsweise
von Betrüger-Schorschi unterstützt werden würde.
Denn es war allen bekannt, dass auch Betrüger-Schorschi bisher
noch keinen Erfolg erzielt hatte. Sein Antrag auf Aufschub schien
Angeber-Luzi deshalb reine Formsache zu sein.
Doch wie erstaunt war er - und mit ihm auch die anderen - als Betrüger-Schorschi
von einer Verlängerung der Forschungsarbeit nichts wissen wollte!
Stolz, und so heiter wie schon lange nicht mehr, verkündete
er, dass die Lösung des Rätsels in Sicht, und Anna so
gut wie geheilt sei.
Als ihn die anderen halb staunend, halb zweifelnd anschauten, strich
er mit den Händen seinen Haarflaum glatt und sagte ein wenig
selbstgefällig: "Im Fisch liegt die Wahrheit."
"Das gilt nicht!" schrie Angeber-Luzi aufgebracht. Es
war klar, dass ihm nun alle Felle davonschwammen. "Von Fischen
war hier nie die Rede."
Er musste selbst bemerkt haben, wie lächerlich sein Argument
war, denn er sank mutlos auf seinen Stuhl zurück und holte
nicht einmal sein Telefon aus der Tasche.
Der Wettkampf sollte also wie abgemacht in drei Tagen stattfinden.
Angeber-Luzi war verzweifelt. Da war er so kurz davor, mit der Heilung
einer seltenen, ja einzigartigen Krankheit in der ganzen Fachwelt
Furore zu machen, und ein kleines Mädchen von neun Jahren verweigerte
sich einfach seiner Therapie!
Da er nicht mehr viel zu verlieren, aber alles zu gewinnen hatte,
wagte er nochmals einen Vorstoß: "Wenn der Wettkampf
wirklich wie geplant stattfinden soll, muss ich Anna in den nächsten
drei Tagen rund um die Uhr bei mir haben. Das ist sonst ein völlig
ungerechter Wettbewerb."
"Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie mich aus meinem Plüschsessel
und aus dem Umfeld von Anna vertrieben haben?" sagte Frau Schmittchen
leise, aber in außergewöhnlich scharfem Tonfall. "Von
diesem Zeitpunkt an, musste ich auch ohne Versuchsobjekt auskommen."
"Und darf ich Sie daran erinnern", fuhr Betrüger-Schorschi
hämisch fort, "dass ich bisher ebenfalls ohne die Flupppuppe
auskommen musste! Von unlauterem Wettbewerb kann also gar keine
Rede sein. Im Gegenteil, seit Sie ohne Anna ihre Elefantenversuche
machen müssen, ist der Wettbewerb erst wirklich gerecht."
Angeber-Luzi blickte Betrüger-Schorschi wütend an. "Dieser
ganze Quatsch mit der Flupppuppe steht mir bis hier", schrie
er und hielt seine rechte Hand über den Kopf. "Ich weiß
zwar nicht, welcher hinterhältige Trick sich diesmal dahinter
verbirgt, aber ich fürchte das Schlimmstes für Sie, Herr
und Frau Pop."
Da Herr und Frau Pop nicht erkennbar reagierten, fuhr Angeber-Luzi
fort: "Herr und Frau Pop, Sie haben mich in den letzten Monaten
als seriösen Gesprächspartner kennengelernt. Erinnern
Sie sich doch nur an die ganzen Katastrophen, die Ihnen Frau Schmittchen
eingebrockt hat. Oder bedenken Sie die Geschichte von Betrüger-Schorschi
mit der Flupppuppe. Hatten Sie mit mir jemals solchen Ärger?
Nein! Denn ich arbeite ernsthaft und diskret. Meine Ergebnisse sind
schlicht, aber unbezweifelbar.
In Annas Fall haben wir den ganz einfachen Sachverhalt, dass wir
auf der einen Seite einen Elefanten haben und auf der anderen Seite
ein Mädchen. Da die Verbindung beider Existenzweisen wie wir
sehen äußerst schmerzhaft ist, kann also nicht die Synthese
beider Hälften Sinn und Zweck einer Behandlung sein, sondern
muss bewiesen werden, dass ein Teil davon gar nicht existiert, ja
sogar noch nie existiert hat." Angeber-Luzi hielt in seinen
Betrachtungen inne und fragte Annas Eltern: "Drücke ich
mich nicht leicht und verständlich aus?"
Annas Eltern nickten.
"Und sind meine Schlussfolgerungen nicht logisch viel richtiger
als dieses wirre Geschwätz von Betrüger-Schorschi und
Frau Schmittchen?"
"Doch", erwiderte Frau Pop, "aber ..."
"Na sehen Sie", fuhr ihr Angeber-Luzi über den Mund,
"und deshalb ist es ganz klar, dass Sie die Behandlung nicht
diesen zwei Scharlatanen überlassen dürfen. Glauben Sie
mir, ein Elefant als Tochter ist viel besser als es Ihnen jetzt
vielleicht erscheint. Mit ein bisschen Übung könnte man
ihn vielleicht schon in ein paar Jahren in die Schule schicken.
Mit fünfzehn wäre er dann vielleicht soweit, dass..."
Annas Eltern hörten besser gar nicht hin, wie Angeber-Luzi
ihnen ihr zukünftiges Leben ausmalte. Doch sie ließen
ihn ausreden, da sie in den letzten drei Wochen gelernt hatten,
dass er nicht von seiner fixen Idee abzubringen war.
Als er endlich ausgeredet hatte, lächelte ihn Annas Mutter
nachsichtig an. Aber dann sagte sie bestimmt: "Sehr schön,
Angeber-Luzi. Der Wettkampf findet dann wie abgesprochen am nächsten
Sonntag statt. Wir werden ja sehen, wer recht behält. Sie oder
wir."
Zornig leckte sich Angeber-Luzi über die Lippen: "Aber
Sie haben wohl nicht zugehört! Ich bin es, der Anna heilen
kann. Halten Sie zu mir, oder Sie treiben Ihre Tochter in den Abgrund!"
"Meine Tochter oder Ihren Elefanten?" fragte Frau Pop
spitz. Dann erhob sie sich, nahm ein paar Teller auf den Arm und
verließ das Esszimmer.
Anna war glücklich. Morgen war der Wettkampftag und die lange
Zeit des Wartens endlich vorbei.
Worauf sie wartete? So genau konnte Anna das nicht sagen. Darauf
vielleicht, dass am morgigen Tag die Elefantenhaut tatsächlich
für immer verschwinden würde? Wenn Anna ehrlich war, glaubte
sie daran nicht so recht.
Aber immerhin: Wenn auch ihre Nacht-Haut nicht verschwinden würde,
die drei Ärzte müssten doch wenigstens trotzdem fortgehen?
Denn hatten sie in diesem Fall nicht eindeutig ihre Unfähigkeit
bewiesen und deshalb keinen Grund mehr, bei ihnen zu bleiben?
Ein wenig seltsam erschien es Anna schon, dass Pops wahrscheinlich
bereits nächste Woche wieder eine ganz normale Familie sein
würden. Ohne Betrüger-Schorschi, Angeber-Luzi und Frau
Schmittchen. Sobald die Ärzte weg waren, durfte Anna sicher
wieder in die Schule gehen. Ohnehin durfte sie dann wieder viel
mehr tun. Sie musste sich nicht mehr den ganzen Tag vor Angeber-Luzi
verstecken, sondern konnte das machen, wozu sie Lust hatte. (Sie
könnte zum Beispiel mit ihren Freundinnen die Leiter zum Baumhaus
fertig bauen.) Außerdem musste sie keine Rücksicht mehr
auf Betrüger-Schorschis Flupppuppenmelancholie nehmen und sich
auch keine stundenlangen Debatten mehr am Tisch mit anhören.
Endlich würden ihre Eltern mal ihr, Anna, und nicht irgendwelchen
Ärzten zuhören.
Frau Schmittchen würde Anna vielleicht doch ein bisschen vermissen.
Seit sie im zweiten Stock wohnte, störte sie Anna kaum noch.
Und immerhin hatte Frau Schmittchen viele lustige Einfälle.
Aber insgesamt war es Anna doch lieber, wenn alle drei Ärzte
das Haus verließen. Sicher würde sie sich dann viel gesünder
fühlen.
Außerdem würde sie das Haus für sich alleine haben.
Wovor sie früher Angst gehabt hatte, schreckte sie nicht mehr,
sondern gefiel ihr mittlerweile gut. In den letzten Wochen hatte
sie das Haus wie ihre Westentasche kennengelernt. Der zweite Stock
war jetzt ihre Kajüte, in der sie wilde Reisen in ferne Länder
unternahm. Ein schräges Dachfenster war ihre Luke, durch die
sie das Meer und den Himmel beobachten konnte. Häufig spielte
sie, dass sie blinder Passagier einer Handelsflotte oder Gefangene
eines Piratenschiffs war. Über ihr, an Deck des Schiffs polterten
die Piraten, während sie im Bauch die Karotten für ihre
Peiniger schälen mußte und sich nebenbei einen Plan für
ihrer Befreiung ausdachte.
Besonders das Poltern der Piraten konnte sich Anna immer sehr gut
vorstellen. Manchmal war es ihr geradezu unheimlich, wie echt sich
das Fußgetrappel der Seeräuber anhörte. Denn sie
konnte es wirklich hören.
Heute, am Tag vor dem Wettkampf, dachte Anna, wäre eigentlich
die Gelegenheit, an Deck ihres Schiffes zu gehen. Erstens konnte
sie so die mühsame Zeit des Wartens besser überbrücken.
Und zweitens fühlte sie sich heute mutig genug, um ihren lange
vorbereitenen Befreiungsplan in die Tat umzusetzen.
Der Plan sah vor, dass sie zuerst unbemerkt die Dachbodentüre,
das heißt die Türe, die zum Deck ihres Schiffs führte,
öffnete und denjenigen Piraten, der dort gerade Wache hielt,
überrumpelte. Dazu wollte sie ihm von hinten einen Kartoffelsack
überstülpen und ihn mit einem Seil fesseln. Das übrige
würde dann ein Kinderspiel sein. Mit dem Säbel des ersten
gefangenen Piraten würde sie die anderen ohne irgendwelche
Probleme überwältigen und sie zur Aufgabe zwingen. Wenn
alle Piraten gefesselt waren, würde sie ihnen die Alternative
vorschlagen, den Haien zum Fraß vorgeworfen zu werden oder
ihr lieber bedingungslos zu Diensten zu stehen.
War dies alles geregelt, wollte sie Kurs auf Batsimba nehmen. In
Batsimba wohnte ein wunderschöner Prinz, der aber leider arm
wie eine Kirchenmaus war. Sie selbst hatte dann aber den Schatz
der Piraten, weshalb er sie sicher sofort heiraten wollte. Sie würde
sich eine Blumenkette um den Hals hängen und ihr Gesicht bunt
bemalen. Bis tief in die Nacht würde sie mit ihrem Prinzen
tanzen!
Entschlossen holte sich Anna einen leeren Kartoffelsack und ein
dickes Seil aus dem Keller.
Dann stand sie wieder im Bauch ihres Schiffes und ging auf die Dachbodentüre
zu. Mit mulmigem Gefühl stand sie vor der Türe und getraute
sie sich nicht zu öffnen.
Was, wenn ihr Plan misslang? Würden die Piraten dann sie fesseln
und zu den Haien ins Meer werfen?
Anna lauschte an der Tür. Es war alles still. Die Piraten schienen
ihren Mittagsschlaf zu machen. Der Moment zum Kapern des Schiffes
war also mehr als günstig.
Beherzt drückte Anna die Türklinke hinunter und machte
sich bereit zum Kampf. Mit der einen Hand schwang sie den Kartoffelsack
über ihrem Kopf, mit der anderen Hand riss sie ruckartig die
Türe auf.
Doch alles lief verkehrt!
Denn anders als in Annas Plan stand der Pirat nicht direkt neben
der Türe. Und außerdem war er auch viel zu groß
für einen Kartoffelsack. Mindestens fünfmal so groß
hätte der Kartoffelsack sein müssen, um ihn über
den Körper dieses Piraten stülpen zu können. Und
mit dem Rücken zur Tür stand er sowieso nicht. Ganz im
Gegenteil: Der Pirat stand ihr gegenüber und starrte sie an...
Ende Teil 5.
Fortsetzung
und letzter Teil von Anna Pop folgt in der nächsten Rossipotti-Ausgabe
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