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Das geheime Buch
Anna Pop in der Elefantenhaut
Ein Märchen aus der neuesten
Zeit
Annette Kautt
Fortsetzung: Teil 6
Wer nicht nur die kurze Zusammenfassung lesen möchte,
sondern auch den Anfang des Buches, geht zurück zur ersten
Rossipotti-Ausgabe
.
Was bisher geschah:
Anna Pop ist ein neunjähriges
Mädchen und hat eine seltsame Krankheit. Jede Nacht wächst
ihr eine Elefantenhaut und droht sie zu erdrücken. Auf
Wunsch der Eltern finden sich bei Pops schließlich mehrere
Ärzte und ein Erbsenschwein ein, um Anna von ihrer nächtlichen
Elefantenhaut zu heilen: Der Mampfende Schluck, die beiden Erzfeinde
Betrüger Schorschi und Angeber-Luzi und Frau Schmittchen.
Doch der Mampfende Schluck verschwindet
schon am ersten Tag auf mysteriöse Weise und auch die anderen
Ärzte kümmern sich weniger um Anna als um ihre eigenen
Vorlieben. In der ersten Zeit fühlen sich die meisten Hausbewohner
deshalb recht wohl in der Gemeinschaft. Doch eines Tages stellt
Angeber-Luzi eine unglaubliche Diagnose, die die Gemeinschaft aufwühlt:
Anna ist angeblich kein Kind, sondern ein Elefant! Annas Eltern
begreifen, dass sie dem Treiben der Ärzte nicht mehr tatenlos
zusehen können, und so wird im Hause Pop ein Beschluss gefasst:
Die Ärzte sollen an einem festgesetzten Tag in einem Wettkampf
ihr Können unter Beweise stellen und Anna endlich heilen. Während
der Wettkampf-Vorbereitungen vetreibt sich Anna ihre Zeit mit SOS-Flaschenpostnachrichtenschreiben,
Hauserkundungen und selbsterfundenen Piratenspielen. Eines Tages
geht sie auf den Dachboden, um dem Treiben der Piraten dort ein
Ende zu bereiten. Doch als sie die Türe zum Boden öffnet
starrt ihr tatsächlich jemand (ein Pirat?) entgegen...
Anna stutzte. Ein Pirat! Welcher Pirat? Wieso stand
da tatsächlich jemand auf dem Dachboden ihres Hauses? Das mit
dem Schiff war doch alles nur Spiel gewesen?
Als dieser Jemand Annas halb angstvolles, halb verwirrtes Gesicht
sah, erschrak auch er. Aus Verlegenheit schwang er sich auf einen
Dachbalken und kratzte sich unter der Achsel.
Anna und der Pirat fixierten sich gegenseitig.
"Er scheint nicht gefährlich zu sein", sprach sich
Anna Mut zu. "Denn sonst hätte er mich sicher schon längst
angegriffen. Eigentlich sieht er auch eher harmlos aus. Nicht wie
ein Mensch, sondern wie eine riesige Maus. Irgendwie kuschelig.
Ich frage mich nur, warum auf unserem Dachboden so eine riesige
Piraten-Maus wohnt, und niemand weiß etwas davon. Seit wann
sie hier wohl wohnt?"
Die riesige Maus dachte dagegen: "Das scheint dieses kranke
Mädchen zu sein. Hoffentlich verrät sie mich nicht, sonst
ist es mit meinem schönen Leben hier oben aus und vorbei! Vielleicht
kann ich sie allerdings davon überzeugen, dass ich unbedingt
ungestört bleiben muss. Und warum hat sie da einen leeren Kartoffelsack
in der Hand? Hier oben gibt es doch nichts, was man da hineinstecken
könnte? Das Seil könnte ich allerdings gut gebrauchen.
Als Liane sozusagen. Vielleicht überlässt sie es mir,
wenn ich ihr dagegen erlaube, mein Fell zu streicheln."
Als sich die beiden so eine Weile gegenseitig betrachtet hatten,
getraute sich Anna zu fragen: "Wer bist denn du? Bist du ein
echter Pirat?"
Die Maus brummte ein wenig verärgert: "Pah! Ein Pirat!
Wie kommst du denn darauf?"
Sie sprang mit einem gewagten Satz vom Dachbalken, richtete sich
groß auf und sagte dann stolz: "Darf ich mich vorstellen:
Ich bin King Kong, der Affenkönig!"
Anna lachte nicht.
In den letzten Monaten hatte sie so viel Seltsames gesehen und gehört,
dass es ihr beinahe normal erschien, sich mit einer riesigen Maus
zu unterhalten, die sich für King Kong hielt.
Sie fragte deshalb nur: "Und was machst du hier?"
"Ich lebe hier", sagte King Kong. "Der Dachboden
ist mein Reich. Mein zu Hause."
"Seit wann bist du denn hier oben?"
"Das kann ich nicht mehr so genau sagen", erwiderte King
Kong. "Ein paar Monate vielleicht."
King Kong war erleichtert. Das Mädchen schien ihm ganz vernünftig
zu sein. Es schrie nicht um Hilfe, wurde nicht frech und schien
an ihm nichts Besonderes zu finden. Wenn er es geschickt anstellte,
konnte er sie bestimmt davon überzeugen, dass er in Zukunft
weiter in Ruhe gelassen werden musste.
Anna kam dafür ihrerseits plötzlich ein Verdacht: War
da vor etlichen Monaten nicht einer ihrer Ärzte auf merkwürdige
Weise verschwunden? Und hatten ihre Eltern nicht erzählt, dass
dieser erste Arzt ein höchst seltsames Wesen war?
Diese Maus hier, die sich für King Kong hielt, war bestimmt
der Mampfende Schluck!
Mit brüchiger Stimme fragte sie deshalb: "Bist du nicht
zufällig der Mampfende Schluck?"
Als King Kong diesen Namen hörte, zuckte er zusammen. War das
Mädchen vielleicht doch heimtückischer als er gedacht
hatte? Warum war sie überhaupt auf dem Boden? War sie nur die
Vorhut eines größeren Suchtrupps?
Anna hatte bemerkt, dass King Kong, die Bezeichnung "Mampfender
Schluck" Angst gemacht hatte. Und da kam ihr eine Idee: Vielleicht
hatte sich King Kong nur deshalb auf dem Boden versteckt, weil er
nicht mehr der Mampfende Schluck sein wollte?
Anna fiel auf, dass die Bodentüre immer noch offen stand. Sie
ging auf sie zu und schloss sie. Dann sagte sie: "Du brauchst
keine Angst vor mir zu haben. Mir ist es egal, ob du King Kong oder
Mampfender Schluck heißt. Ich wollte vorhin nur wissen, ob
du ein und die selbe Person bist."
King Kong sagte verärgert: "Ich heiße nicht King
Kong, sondern ich bin King Kong. Und Mampfender Schluck ist mein
Name. Doch Namen braucht man nur für andere. Weil ich hier
oben unter mir bin, habe ich dieses lästige Beiwerk abgelegt.
Und wer bist du?"
Anna wollte "Anna" sagen. Doch das hätte King Kong
sicher nicht gelten lassen. So wusste sie keine Antwort.
"Du scheinst schnell zu verstehen", sagte King Kong und
nickte anerkennend. "Jetzt hätte ich nämlich erwartet,
dass du mir deinen Namen sagst. 'Anna' oder irgendso einen Blödsinn."
King Kong beugte sich zu Anna hinunter und sagte: "Ich will
dir mal etwas verraten. Auch wenn du geantwortet hättest, dass
du das Kind deiner Eltern oder das kranke Mädchen mit der Elefantenhaut
bist, das wäre alles Quatsch gewesen."
King Kong legte einen seiner pelzigen Pfotenfinger auf ihr Herz
und sagte: " Wichtig ist nur, was du hier drin bist! - Und,
was fühlst du da?"
Anna fühlte in sich hinein. Sie glaubte zu spüren, wie
das Blut in ihr pulsierte und das Herz gegen die Brust schlug. Aber
sonst?
Als King Kong sie erwartungsvoll ansah, sagte sie nach einer Weile:
"Nichts. Ich fühle nichts."
King Kong schüttelte bedächtig den Kopf. "Das habe
ich beinahe befürchtet. Aber das ist nicht so schlimm. Ich
habe auch mein halbes Leben dazu gebraucht, bis ich wusste, dass
ich der Affenkönig bin. Sag mal, Anna, würde es dir etwas
ausmachen, wenn du für mich aus der Speisekammer ein Stück
Schinken holen würdest? Weißt du, in letzter Zeit habe
ich mich nur von ein paar vertrockneten Fliegen ernährt. Einmal
hat sich auch eine Maus hierher verirrt, aber das war ein Glücksfall."
"Ich hole dir gerne etwas", meinte Anna, "aber das
geht nur, wenn Betrüger-Schorschi nicht in der Küche ist.
Er will nämlich nicht mehr, dass ich in die Küche komme,
seit er die Flupppuppe fangen will."
King Kong fragte nicht, wer Betrüger-Schorschi war, und wen
oder was er fangen wollte. Es war ihm gleichgütlig, was andere
machten, so lange sie ihn in Ruhe ließen. Ärgerlich war
nur, dass dieser Betrüger-Schorschi Anna nicht mehr in die
Küche ließ.
Aber Anna war zuversichtlich, dass er im Moment sowieso nicht dort
war. Sie lief die Treppen hinunter und stellte fest, dass sie richtig
vermutet hatte.
Seit Betrüger-Schorschi nur noch nachlässig kochte, war
auch der Kühlschrank nicht mehr besonders voll. Anna fand trotzdem
noch ein großes Stück Leberwurst und zwei Hähnchenschlegel
vom Vortag. Sie lud beides auf einen Teller, packte noch etwas Brot
darauf und sprang damit wieder die Treppen hoch.
Es machte Spaß, sich um den Mampfenden Schluck zu kümmern.
King Kong war hocherfreut, als er Anna mit der Wurst und den Hühnerbeinen
kommen sah. Dass sie keinen Schinken mitgebracht hatte, verschmerzte
er schnell. Er machte es sich in einen hinteren Winkel des Dachbodens
bequem und lud Anna ein, sich zu ihm zu setzen.
"Wenn du willst", sagte er schmatzend, "kannst du
mein weiches Fell kraulen, so lange ich esse."
Anna hätte zwar lieber etwas von der Leberwurst abbekommen,
als das Fell des Mampfenden Schlucks zu streicheln. Aber ihr kleiner
Appetit war sicher nichts im Vergleich zu King Kongs großem
Hunger.
Und nachdem sie erst einmal begonnen hatte, das Fell des Mampfenden
Schlucks zu streicheln, vergaß sie sogar ihren Appetit! Denn
das Fell war weich! Es war unglaublich weich. Eine solche Weichheit
hatte Anna zuvor noch nie gespürt. Plüsch und Samt waren
sicher weich, aber nichts im Vergleich zu dem Fell des Mampfenden
Schlucks! Selbst der Pelz eines Kaninchens würde neben diesem
hier beinahe hart erscheinen.
Denn das Fell des Mampfenden Schlucks war so weich, dass Anna zum
ersten Mal begriff, was dieses Wort überhaupt bedeutete: Weich,
das hieß, dass sich Grenzen auflösten und Widerstände
verschwanden. Das hieß aber auch, dass sich das eine im anderen
geborgen und aufgehoben fühlte. Weich, das hieß fallenlassen
und festgehalten werden in einem.
Anna durchströmte ein Gefühl großen Glücks.
Sie drückte ihr Gesicht in den Pelz und sog dessen Wärme
und Weichheit bis tief in ihre Lungen ein. King Kong musste inzwischen
aufgehört haben zu essen, denn er schlang seine Arme um Anna
und streichelte ihr Haare. Ihr wurde schwindelig. Es war, als ob
sich die Schleusen eines Staudamms öffneten, und ihr Körper
mit der Weichheit des Mampfenden Schlucks überschwemmt werden
würde. Sie versuchte sich zu wehren, denn es schien mehr zu
sein, als sie ertragen konnte. Doch wie in einem ihrer Wachträume
konnte sie nicht genug Willen dafür aufbringen. Jedes Mal,
wenn sie aufstehen wollte, fühlte sie sich wie gelähmt.
Ihre Glieder gehorchten ihr nicht mehr.
Erst als der Mampfende Schluck ihr ein Wiegenlied vorsang, und beruhigend
auf sie einsprach, kam sie wieder richtig zu sich. Sie seufzte,
kuschelte sich an den Mampfenden Schluck und schlief erschöpft
ein.
Frau Schmittchen schaute zufrieden aus ihrem Fenster im zweiten
Stock. Der Himmel klarte auf, und es würde ein schöner
Tag werden. Gerade das richtige Wetter, um ihre Wunschmethode angemessen
feiern zu können. Denn zum ersten Mal in ihrer Berufslaufbahn
wollte sie eine Wunschfolge nicht im Haus, sondern im Freien präsentieren.
Und dazu war es äußerst günstig, wenn das Wetter
mitspielte.
Frau Schmittchen war ein bisschen nervös. Noch nie hatte sie
ein Wunschprojekt dieses Ausmaßes geleitet! Sie war sich nicht
sicher, ob sie die riesengroße Kraft, die sie dafür benötigte,
auch wirklich würde aufbringen können. Andererseits war
sie ganz zuversichtlich. In den letzten Wochen hatte sie sehr viel
Zeit und Ruhe für sich gehabt. Sie hatte sich außerhalb
ihres Projekts nur wenig verausgabt und sich kaum um Anna gekümmert.
Das Mädchen tat ihr ein wenig leid. Die letzten Monate mussten
für es sehr anstrengend gewesen sein. Allerdings war es sicher
schon vor dem Eintreffen der Ärzte nicht gesund gewesen.
Doch wenn sich Frau Schmittchen in den letzten Wochen zu wenig um
ihre kleine Patientin gekümmert hatte, so konnte sie heute
wieder alles gut machen. Denn, so lange Frau Schmittchen ihren kleinen
Zweifel außer acht ließ, war sie sich ganz sicher, dass
ihr Experiment gelingen, und Anna am Abend dieses Tages geheilt
sein würde!
Entschlossen trat sie vom Fenster zurück, rückte ihren
Haarturban vor dem Spiegel zurecht und ging dann mit raschen Schritten
zur Tür: In fünf Minuten würde es Frühstück
geben, und danach würde ihr großer Auftritt beginnen.
Als Frau Schmittchen ins Esszimmer kam, saßen bereits alle
am Tisch. Anna fehlte zwar, aber das war nichts Ungewöhnliches.
In den letzten Tagen war sie meist unauffindbar gewesen. Nur hin
und wieder hatte man Annas Hosenbein hinter einer Ecke verschwinden
sehen oder ihr leises Schuhgeklapper auf den Treppen gehört.
Außer Angeber-Luzi war das den Ärzten mehr als recht
gewesen. So war Anna nicht im Weg und konnte keine wichtigen Experimente
stören.
Selbst Herr und Frau Pop waren froh, Anna nur noch nachts vor dem
Schlafengehen zu sehen. Auf diese Weise konnten die Ärzte sie
schon nicht als Versuchskaninchen missbrauchen. In letzter Zeit
zweifelten Annas Eltern nämlich immer häufiger an den
Behandlungsmethoden der Ärzte und deshalb freuten sie sich,
dass der ganze Spuk mit dem heutigen Tag vorbei gehen würde.
Die Stimmung beim Frühstück war angespannt. Angeber-Luzi
schaute bei jedem Laut zur Tür. Betrüger-Schorschi schien
äußerst aufgekratzt. Sein Gesicht glühte rot und
seine Augen hatten einen eigentümlich erregten Glanz.
Nachdem er seinen Tee schnell hinuntergestürzt hatte und sein
Brötchen auf dem Teller mehr zerrissen als gegegessen hatte,
sprang er auf und rief: "Wann geht es los? Ich habe eine Verabredung,
und möchte die Dame nicht zu lange warten lassen."
"Wenn hier einer eine Verabredung hat, dann bin das ja wohl
ich!" sagte Angeber-Luzi. "Denn wo ist die Patientin?
Sie beide können Ihre Experimente ja auch ohne Anna durchführen.
Ihnen ging es ohnehin nie um die arme Elefantendame, sondern immer
nur um Ihre ganz privaten Projekte. Was Sie hier heute aufführen
werden, wird die Pops ohnehin nur am Rande interessieren. Meine
Forschungsergebnisse dagegen sind existentiell. Ich verlange deshalb,
dass man Anna sofort und auf der Stelle hierher bringt."
Frau Schmittchen nickte. Die Ausführungen von Angeber-Luzi
waren selbstverständlich völliger Unsinn. Doch war es
auch für ihr Experiment von einigem Nutzen, wenn Anna dabei
anwesend war. Sicher würde es auch ohne sie gehen, denn für
ihr Experiment war vor allem die Beteiligung von Angeber-Luzi erforderlich.
Doch wenn Angeber-Luzi sein Forschungsobjekt vor Augen hätte,
würde auch ihr ihre Wunschprojektion wesentlich leichter gelingen.
Sie stand deshalb auf und suchte Anna.
Da sie jedoch in allen Zimmern, nicht aber auf dem Dachboden des
Hauses nachsah, fand sie Anna nicht. Denn Anna lag immer noch auf
dem Boden neben dem Mampfenden Schluck und schlief.
Als Frau Schmittchen mit der Mitteilung, dass Anna unauffindbar
wäre, wieder ins Esszimmer zurückkam, glaubte ihr Angeber-Luzi
nicht. Wutschnaubend und einen verächtlichen Blick auf Frau
Schmittchen werfend, lief er mit großen Schritten aus dem
Zimmer.
Alle paar Minuten hörte man im Esszimmer eine der vielen Türen
im Haus knallen und Angeber-Luzis aufgeregtes Poltern. Doch nach
einer guten Stunde kam er erhitzt und schlecht gelaunt ins Esszimmer
zurück und konnte auch nichts anderes berichten als Frau Schmittchen:
Dass er überall im Haus und im Garten nach Anna gesucht habe.
Aber dass sie wie vom Erdboden verschluckt sei.
Herr und Frau Pop machten sich jedoch keine Sorgen. Wenn Anna bei
dem Wettkampf nicht dabei sein wollte, hatte sie sicher ihre guten
Gründe dafür. In diesem Fall sollte man sie nicht dazu
zwingen. Pops waren sogar ein wenig froh darüber. So konnte
Angeber-Luzi aus Anna wenigstens keinen Elefanten machen. Denn auch
wenn Annas Eltern diese Idee eigentlich für völlig absurd
hielten, so konnte man mit Bestimmtheit letztlich nie wissen, was
auf dieser Welt alles möglich war. Von unglaublichen Kräfteverschiebungen
hatten die Eltern Pop ja gerade in letzter Zeit sehr viel mitbekommen.
Angeber-Luzi jedoch wollte auf keinen Fall, dass der Wettkampf ohne
Anna stattfinden sollte. Er stampfte mit dem Fuß auf den Boden
und schrie etwas von "Verschwörung" und "Behinderung
der Staatsmacht." Er fuhr sich mit wilder Bewegung durch die
Haare und leckte aufgeregt seine Wulstlippen.
Leider schenkten ihm die anderen nur wenig Beachtung. Denn Pops,
Betrüger-Schorschi und Frau Schmittchen überlegten gerade,
mit wem der Wettkampf beginnen sollte. Angeber-Luzi fiel im Moment
offenbar aus. Doch auch Betrüger-Schorschi wollte seine Kunst
unbedingt erst zu einer bestimmten Uhrzeit, nämlich nach Mittag
vorführen. Und Frau Schmittchen konnte nicht beginnen, so lange
Angeber-Luzi nicht ansprechbar war.
Da Frau Schmittchen ihr Experiment anscheinend draußen im
Garten machen wollte, schlugen Herr und Frau Pop vor, könne
sich die kleine Gesellschaft doch schon einmal nach draußen
begeben. Auf diese Weise kam wenigstens etwas Bewegung in die Vorbereitungen,
und der Tag würde nicht verstreichen, ohne dass irgend etwas
geschehen war.
Als alle draußen waren, liefen sie ein wenig verloren im Garten
umher. Frau Pop zupfte ein paar Unkrautblätter aus der Wiese.
Frau Schmittchen lief angespannt mit ihrem Regenschirm am Arm auf
und ab. Herr Pop schaute in den Himmel und murmelte etwas wie "schönes
Wetter heute", oder "die Kirschen müssen bald geerntet
werden". Und Betrüger-Schorschi schaute immer wieder sehnsüchtig
auf seine Uhr.
Da alle so untätig im Garten beschäftigt waren, beruhigte
sich Angeber-Luzi ein wenig. Der Wettkampf schien offensichtlich
verschoben zu werden, und er, Angeber-Luzi, würde doch noch
eine Chance bekommen.
Aber je ruhiger Angeber-Luzi wurde, umso unruhiger wurde Frau Schmittchen.
Sie fing an, jede Bewegung von Angeber-Luzie genau zu beobachten.
Mit starrem Blick registrierte sie das ehrgeizige Glimmen in seinen
Augen und fixierte seine Lippen, die sich zu einem heimlichen Lächeln
verzogen.
Als Angeber-Luzi schließlich in Richtung der Hütte des
Erbsenschweins lief, war Frau Schmittchen in höchster Alarmbereitschaft.
Angeber-Luzi war zunächst unabsichtlich in die Nähe der
Hütte gegangen. Doch als er versehentlich in das Karottenbeet
des Schweins trat, erinnerte er sich plötzlich wieder an eine
Idee, die er bereits vor Wochen gehabt hatte: Nicht nur Anna Pop,
sondern auch das Erbsenschwein war sein Beweismaterial! Und wenn
sich heute schon Anna versteckt hielt, so konnte er wenigstens dieses
Erbsenschweins habhaft werden.
Angeber-Luzi spähte zur Hütte hinüber, ob ihn das
Schwein auch nicht beobachtete. Dann zog er eilig ein paar Karotten
aus der Erde, steckte sie verstohlen in seine Jackentasche und gesellte
sich wieder zu den anderen.
"Mein Experiment kann nun beginnen!" sagte Angeber-Luzi
feierlich zu Herrn Pop.
Herr Pop sah Angeber-Luzi verwundert an, erwiderte aber nichts darauf.
Er rief die anderen zusammen, um ihnen den Beginn des Wettkampfes
anzukündigen.
Frau Schmittchen hatte Schweißperlen auf der Stirn, und schien
auch sonst sehr angestrengt. Frau Pop fragte sie, ob sie sich nicht
lieber ausruhen und hinlegen wolle, aber Frau Schmittchen sagte
sehr bestimmt, dass sie das auf keinen Fall wolle. Ihr Experiment
sei gerade in vollem Gange und die anderen würden die Früchte
ihrer Arbeit schon noch früh genug zu Gesicht bekommen.
Frau Pop zuckte mit den Schultern und bat Angeber-Luzi, nun mit
seiner Vorstellung zu beginnen.
Ein wenig linkisch führte Angeber-Luzi sie in die hintere Ecke
des Gartens, in die Nähe der Hütte des Erbsenschweins.
Er bat die Gesellschaft, sich hinter einem Busch zu verstecken,
und das Weitere von dort aus zu beobachten.
Betrüger-Schorschi sagte unwirsch: "Was soll denn dieses
kindische Gehabe? Ich habe schließlich auch noch etwas anderes
zu tun, als hinter diesem Busch auf irgendwelche Dinge zu warten,
die niemals eintreffen."
"Dass ich nicht lache", sagte Angeber-Luzi von oben herab.
"In wenigen Minuten werden Sie den Erfolg meiner Behandlung
am Erbsenschwein körperlich erleben können. Quid pro quo."
"Das will ich auch hoffen", knurrte Betrüger-Schorschi.
"Denn in genau vierzig Minuten werden Sie alle in den Genuss
meiner Vorstellung kommen. Ich bin mir sicher, Sie werden aufs Äußerste
erstaunt sein!"
Angeber-Luzi schaute ihn skeptisch an und sagte dann gnädig:
"Das Urteil über ihre Betrügereien müssen Sie
schon uns überlassen. Doch nun, meine Damen, meine Herren:
Das Experiment kann beginnen!"
Angeber-Luzi trat hinter den Büschen hervor, zog seine Karotten
aus seiner Jackentasche und ging auf die Erbsenschweinhütte
zu.
"Putt, putt, putt", machte Angeber-Luzi. "Duuzi,
duuzi, duuzi."
"Was macht der denn da?" fragte Herr Pop, der Angeber-Luzi
durch den Busch beobachtete.
"Er lockt das Erbsenschwein", sagte Frau Schmittchen mit
gepresster Stimme. Irgend etwas schien sie maßlos anzustrengen.
Sie hielt sich mit einer Hand die Brust und atmete flach.
Betrüger-Schorschi schüttelte den Kopf. "Angeber-Luzi
ist einfach albern. Nur weil ich mich ein paar Wochen nicht um ihn
gekümmert habe, spielt er jetzt die beleidigte Leberwurst.
Zum Glück werde ich mich noch heute von ihm trennen. Auf immer
und ewig. Nie wieder werde ich das Geschwafel dieses Angebers anhören
müssen. Das wird unglaublich schön sein."
Dann schaute er auf seine Uhr, stieß einen kurzen Pfiff aus,
und lief auf das Haus zu.
Niemand hatte richtig auf die Worte von Betrüger-Schorschi
geachtet, und niemand kümmerte sich darum, dass er von ihnen
weggegangen war. Denn inzwischen war Angeber-Luzi zur Tür der
Erbsenschweinhütte vorgedrungen. Er lächelte den anderen
hinter dem Busch etwas angestrengt zu. Dann klopfte er an die Tür.
"Herein!"
"Putt, putt, putt, duuzi, duuzi, duuzi."
"Ja?"
"Komm mein Kleines", säuselte Angeber-Luzi, "willst
du nicht vielleich ein paar Karotten?"
"Wer ist denn da?"
"Putt, putt, putt, duuzi, duuzi, duuzi." Angeber-Luzi
hatte sich vorgebeugt und presste ein Ohr an die Tür. Er grinste
erfreut und bedeutete den anderen, dass das Erbsenschwein gleich
die Türe öffnen würde.
Noch während Angeber-Luzi mit den Händen den anderen irgendwelche
Zeichen machte, riss das Erbsenschwein die Tür auf. Angeber-Luzi
plumste auf den Boden und schrie ärgerlich auf.
Das Erbsenschwein sah verwundert auf ihn hinab und grunzte: "Was
soll denn das Theater?"
Angeber-Luzi stöhnte und rieb sich das Knie.
"Und warum stehlen Sie meine Karotten, wenn Sie sie mir kurz
darauf wieder zurückbringen?"
Angeber-Luzi rappelte sich auf und überlegte fieberhaft, wie
er das Erbsenschwein für sich einnehmen konnte. Denn das Schwein
musste demütig zu ihm aufblicken, sollte sein Plan gelingen.
Er musste sich schnell etwas überlegen, sonst hatte er verloren.
Aus dem Stehgreif sagte er deshalb: "Möchten Sie nicht
mit mir spazieren gehen?"
Das Erbsenschwein war ein höfliches Schwein. Es zeigte anderen
nur ungern, was es von ihnen hielt. Deshalb sagte es: "Oh,
ja. Das wäre jetzt schön."
Angeber-Luzi war froh. Wenn er weiterhin so einen großen Erfolg
haben würde, würde er das Schwein bald da haben, wo er
es wollte: Das Schwein sollte Anna vertreten. Und deshalb musste
das Schwein noch heute zum Elefant werden!
"Vielleicht gehen wir ein bisschen in den vorderen Teil des
Gartens?" sagte er mit einschmeichelnder Stimme.
"Was ist nur mit ihm los?" dachte das Erbsenschwein und
stapfte neben ihm her.
"Uuuah-duuuurah, gnöt-gnöt-gnöt?" machte
Angeber-Luzi, "uuuduuu-uuuuduuu-rattelschnöt?"
"Ist das die Elefantensprache?" fragte das Erbsenschwein.
Es erinnerte sich daran, dass Anna ihm von den nächtlichen
Besuchen Angeber-Luzis an ihrem Bett erzählt hatte.
"Sehr gut!" sagte Angeber-Luzi hochzufrieden. Und für
sich dachte er: "Wir machen erstaunliche Fortschritte. Ich
hätte nicht gedacht, dass das Erbsenschwein die Elefantensprache
so schnell erkennt. Vielleicht sollte ich meinen Plan gleich direkt
angehen?"
"Erbsenschwein!" fuhr er deshalb fort, "darf ich
mal Ihre Falten genauer ansehen?"
"Wenn Sie unbedingt wollen", sagte das Erbsenschwein ein
wenig erstaunt. "Ich dachte, sie ekelten sich vor mir?"
Angeber-Luzi schüttelte lächelnd den Kopf. "Aber
nein, wie könnte ich ..." sagte er und hob eine der Falten
hoch.
Doch was war das? Handtellergroße, schneckenförmige Würmer
starrten ihm entgegen.
Erschrocken ließ er die Falte gleich wieder fallen und stieß
entsetzt aus: "Seit wann haben Elefanten solch riesiges Ungeziefer
auf der Haut?"
Das Erbsenschwein lachte, als ob ihm ein guter Scherz gelungen wäre.
"Das sind meine Ohrwürmer", sagte es. Beinahe schwang
Stolz in seiner Stimme mit. "Und außerdem bin ich kein
Elefant!"
"Natürlich sind Sie ein Elefant!" rief Angeber-Luzi
entrüstet aus und schüttelte sich immer noch vor Ekel.
"Ich muss mich zusammennehmen", dachte er. "Ich darf
jetzt nicht locker lassen. Ich muss beweisen, dass in diesem Schwein
ein Elefant steckt, egal wie mir vor diesen Ohrwürmern graut.
Wenn schon die anderen nichts von meiner Theorie halten, so wäre
es doch gelacht, wenn ich nicht wenigstens dieses naive Schwein
davon überzeugen könnte."
Wäre das erst einmal geschafft, so dachte er weiter, würde
sich das andere ganz von alleine ergeben. Jeder müsste dann
erkennen, dass nicht nur das Erbsenschwein, sondern auch Anna in
Wirklichkeit ein Elefant war.
Im Brustton größter Überzeugung fuhr er deshalb
fort: "Sehen Sie sich doch nur einmal an! Ihre Haut ist die
eines Elefanten, ihre Augen haben das Traurig-Trübe eines Elefanten,
und ihre Liebe für Gemüse ist Elefantenliebe!"
Angeber-Luzi redete sich in Fahrt. Er fand sich gut. Unglaublich
gut. Denn während er so redete, erschien ihm das Erbsenschwein
tatsächlich immer mehr zum Elefanten zu werden. Das echte Erbsenschwein
verschwamm immer mehr vor seinen Augen. Und stattdessen entstand
vor ihm allmählich ein Elefant. Ein leibhaftiger Elefant!
Beinahe rasend schrie er deshalb das Erbsenschwein an: "Sehen
Sie sich doch nur Ihre Ohren an! Das sind die großen Schlappohren
eines Elefanten, ihr Rüssel ist das lange Ungetüm eines
Elefanten und selbst ihr Leib bläht sich immer mehr auf und
wird zum Elefantenleib."
Das Erbsenschwein schaute ihn verwundert an. Es hatte schon viel
erlebt auf seinen langen Wanderungen durch die Welt. Aber ein dermaßen
ekstatischer Mensch, der behauptete, dass es ein Elefant sei, war
ihm dabei doch noch nie untergekommen.
Es drehte sich um, um die Wirkung von Angeber-Luzis Worten auf die
übrigen Hausbewohner anzusehen.
Doch als es den Kopf drehte, versperrte plötzlich ein riesiger
Elefant die Sicht auf die anderen!
Aus dem Boden war plötzlich ein Elefant gewachsen! Neben ihm
stand echter, leibhaftiger Elefant!
Woher kam der plötzlich? War es Angeber-Luzi tatsächlich
gelungen, aus ihm, dem Erbsenschwein, einen Elefanten herauszukitzeln?
War der Elefant nun das eigentliche Erbsenschwein? Und wer war es
dann selbst, so wie es da immer noch mit seinen vier Hacken in Pops
Garten stand?
Als Angeber-Luzi aber den Elefanten sah, war er dem Kollaps nahe:
Ihm war es tatsächlich gelungen, den Elefanten im Erbsenschwein
zu materialisieren! Was war ihm da nur gelungen?
Das Erbsenschwein stand stellvertretend für Anna. Also konnte
der Elefant vom Erbsenschwein für Annas Elefant gehalten werden.
Er hatte das UNGLAUBLICHE erreicht. Er hatte die Elefantendame Anna
befreit und allen sichtbar gemacht. Nun war es offenkundig: ER WAR
DER GRÖßTE!
Leider übersah Angeber-Luzi bei diesen Gedanken eine Kleinigkeit.
Denn es war weder der Elefant von Anna, noch der vom Erbsenschwein,
der da so leibhaftig vor ihm stand.
Das Erbsenschwein stand immer noch gesund und munter neben ihm,
und Anna war auf dem Dachboden beim Mampfenden Schluck. Und so war
es leider nicht Angeber-Luzi allein, dem die Ehre gebührte,
sondern ebenso Frau Schmittchen.
Doch wie war das geschehen?
Während Angeber-Luzi versucht hatte, den Elefanten aus dem
Erbsenschwein herauszulocken, hatte Frau Schmittchen versucht, die
Gedanken von Angeber-Luzi zu sammeln, zu bündeln und schließlich
zu visualisieren. Dazu musste sie an die Grenzen ihrer Wunschkraft
gehen. Je mehr Angeber-Luzi an den Elefanten dachte und sich das
Erbsenschwein als Elefanten wünschte, umso mehr konnte Frau
Schmittchen diese Gedanken in einen sichtbaren Elefanten umwandeln.
Obwohl sie der Ohnmacht nahe gewesen war, war es ihr schließlich
gelungen, erst den Schwanz, dann die Ohren, den Rüssel, die
Füße, ja selbst den großen schweren Körper
des Elefanten sichtbar zu machen.
Als der Elefant dann so fertig und vollständig vor ihr stand,
rang sie nach Atem und schrie: "Seht ihr ihn? Könnt ihr
alle meinen Elefanten sehen? Ist er nicht wunderschön?"
Auch Frau Pop war äußerst erregt. Schließlich ging
es hier um das Leben ihrer Tochter. Und genau das war ihr bewußt
geworden, als sie rief: "Ja natürlich sehen wir den Elefanten!
Aber wo ist meine Tochter Anna? Was habt ihr mit meiner Tochter
Anna gemacht?"
"Aber das ist doch nicht ihre Tochter!" Frau Schmittchen
schrie immer noch. "Das ist doch bloß das Trugbild eines
Elefanten!"
"Das heißt, auch Ihr Experiment hatte mit einem Elefanten
zu tun?" fragte Herr Pop laut. Er war nicht ganz so aufgebracht
wie Frau Schmittchen und seine Frau.
"Aber natürlich!" erwiderte Frau Schmittchen und
rang nach Atem. "Ich wollte diese ganze Elefantenhautgeschichte
doch als Fata Morgana entlarven. Und es ist mir ausgezeichnet gelungen.
Das muss ich schon sagen! Den Elefanten, den sie hier vor sich sehen,
ist das Traumbild der Bewohner dieses Hauses. Und Angeber-Luzi war
mein Medium. Denn er konzentrierte seine Gedanken am stärksten
auf den Elefanten."
"Das ist doch Verleumdung", schaltete sich Angeber-Luzi
in die Unterhaltung ein. "Sie wollen sich nur mit fremden Lorbeeren
schmücken!"
"Ach?" machte Frau Schmittchen und schnappte nach Luft.
"Und warum steht dann das Erbsenschwein so gesund vor Ihnen,
wenn es Ihnen so ausgezeichnet gelungen ist, es in einen Elefanten
zu verwandeln?"
Angeber-Luzi schaute sich verwundert um. Erst jetzt fiel ihm auf,
dass das Erbsenschwein leibhaftig vor ihm stand. Und zwar dicht
neben dem Elefanten.
"Ich möchte ja nicht unbedingt Partei für einen von
Ihnen ergreifen", mischte sich das Erbsenschwein jetzt ein,
"aber der Elefant scheint mir keine Illusion zu sein Frau Schmittchen.
Er ist aus Fleisch und Blut."
Frau Schmittchen drehte sich ruckartig um. "Wie das? Nach meinen
Berechnungen, müsste sich das Trugbild in ungefähr einer
Stunde wieder in Nichts auflösen."
"Das wäre aber schade", sagte das Erbsenschwein und
rieb seine Falten an den Falten des Elefanten. "Ich glaube
nämlich, dass hier gerade eine Völkerwanderung stattfindet,
gegen die ich wirklich nichts einzuwenden hätte."
Die anderen schauten es begriffsstutzig an: Was für eine Völkerwanderung?
Doch bevor sie sich noch richtig über den Sinn der Worte wundern
konnten, entdeckten sie, wie mehrere faustgroße schleimige
Tiere mit einem schneckenartigen Panzer aus den Falten des Erbsenschweins
krochen und es sich in den viel größeren Falten des Elefanten
gemütlich machten. Es mussten an die zwanzig Tiere sein, die
sich so gemächlich von dem einem zum anderem Körper schleppten.
Als sich Frau Pop angeekelt abwendete, fiel ihr wieder etwas ein:
Wo war ihre Tochter? Wenn dieser Elefant kein Trugbild, sondern
echtes Lebewesen war, war es dann nicht denkbar, dass Angeber-Luzi
es aus Versehen doch geschafft hatte, aus Anna einen Elefanten zu
machen?
Als Frau Pop ihre Befürchtungen den anderen mitteilte, war
Angeber-Luzi von diesem Gedanke geradezu begeistert.
Er verneigte sich und sagte: "Herr und Frau Pop. Darf ich Ihnen
vorstellen: Die Elefantendame Anna. Elefantendame Anna. Darf ich
Ihnen vorstellen: Herr und Frau Pop."
"Hören Sie doch mit dem Unsinn auf!" sagte Frau Schmittchen
aufgebracht. "Jagen Sie den Pops doch nicht solche Angst ein!
Herr und Frau Pop, ich versichere Ihnen, dass der Elefant ein Trugbild
ist. Es ist mir zwar bisher noch nie gelungen, ein dermaßen
lebensechtes Bild zu erstellen. Aber alles ist schließlich
irgendwann einmal das erste Mal. Sicher wird er heute abend wieder
verschwunden sein."
"Sie pfeifen ja wie Hänschen im Walde", sagte Angeber-Luzi.
"Wenn das nicht Anna ist, dann ..."
Weiter kam er nicht, denn plötzlich ertönte aus dem Inneren
des Hauses ein unmäßiger Krach. Irgendjemand schien in
einer ohrenbetäubenden Lautstärke durch eine Megaphon
zu brüllen: "Wau, wau, wau, ich bin eine Frau".
Erschrocken schauten alle zum Haus, und sahen etwas höchst
Merkwürdiges: Aus dem Fenster ragten zwei riesige, lange braune
Stoffwürste, die mit Heißluft aufgeblasen zu sein schienen.
Betrüger-Schorschi lehnte sich weit aus dem Fenster und fuchtelte
mit den Armen. In einer Hand hielt er einen kleinen Zettel. Hinter
ihm stand ein Radio, aus dem jetzt sehr laut das Sandmännchenlied
ertönte. Betrüger-Schorschi winkte ihnen zu, dass sie
zu ihm kommen sollten.
Als alle - außer dem Erbsenschwein, das warten wollte, bis
alle seine Ohrwürmer zum Elefanten übergesiedelt waren
- unter dem Fenster von Betrüger-Schorschi standen, schaltete
er die Musik leiser und schrie zu ihnen hinunter: "Das hättet
ihr nicht gedacht, he, dass es mir gelingt, die Flupppuppe zu fangen?
Aber seit ich diesen Zettel aus dem Fluss geangelt hatte, wusste
ich, dass mich mein Schicksal direkt zu ihr führen würde.
Hört her, was auf dem Zettel geschrieben steht: 'SOS - Hilfe,
ich ertrinke, wenn Du keinen Ausweg weißt. Rette mich, auch
wenn es mich nicht gibt.' Ich, Betrüger-Schorschi hatte von
der Flupppuppe eine originale Botschaft erhalten! Und sie hieß,
dass ich sie retten solle, egal, wie."
Betrüger-Schorschi drehte wieder die Lautstärke auf und
hantierte an den Heißluftballonwürsten, die sich wie
überdimensionierte Beine aus dem Fenster streckten. Während
Betrüger-Schorschi den Korb, den er unter den Würsten
befestigt hatte, mit Lebensmitteln und seinem Koffer belud, hörten
die anderen eine kuriose Radiosendung:
Stimme 1: Wo gehst du hin Bernie?
Bernie: Ich muss die Flupppuppe suchen gehn!
Stimme 1: Aber warum denn? Sie kommt doch jeden Sonntag!
Bernie: Diesmal nicht.
Stimme 2 (fiepsend): Aber warum denn nicht?
Stimme 3 (rauh): Klappe halten.
Stimme 2: Aua. Aua. Die Klappe ist schon zu.
Stimme 3: Die Beine der Flupppuppe sind zerbrochen.
Bernie: Die Beine der Feinen.
Stimme 1: Die Feine Kleine.
Bernie: Spinner.
Stimme 1: Diesmal nicht.
Alle: Die Flupppuppe ist verschwunden und kommt nie wieder. Die
Flupppuppe ist fort.
An dieser Stelle schaltete Betrüger-Schorschi das Radio aus
und lachte schallend. Dann machte er seinen Flupppuppen-Gasluftballon
startklar, setzte sich in den Korb und segelte zum Fenster hinaus.
"Aber was ist denn jetzt mit meiner Tochter Anna?" rief
ihm Frau Pop hinterher.
Betrüger-Schorschi hielt sich die Hand ans Ohr, so, als ob
er sie nicht verstanden hätte.
Frau Pop schrie deshalb nochmals aus Leibeskräften: "Anna!
Meine Tochter Anna. Was ist mit ihr? Wo ist sie?"
An dieser Stelle hatte der Gasluftballon gerade den Dachgiebel erreicht.
Und als Betrüger-Schorschi ein wenig den Kopf drehte, sah er
hinter einem der Dachfenster Anna stehen. Sie winkte ihm. Neben
Anna stand ein riesiges Monster.
Doch was kümmerte das noch Betrüger-Schorschi? Immerhin
hatte er sie gefunden. Kurz bevor der Ballon über das Hausdach
und aus der Sichtweite von Annas Mutter flog, konnte Betrüger-Schorschi
noch mit ausgestrecktem Arm auf das Fenster zeigen und "hier",
brüllen, "hier ist Anna!"
Ob Frau Pop das verstanden hatte, wusste er nicht. Aber ihm war
es letztlich egal. "Anna Pop in der Elefantenhaut", so
hieß das vergangene Kapitel seines Lebens. Das nächste
würde "Betrüger-Schorschi und die Abenteuer mit der
Flupppuppe" heißen.
Anna stand auf dem Dachboden und schaute durch das Fenster Betrüger-Schorschi
zu, wie er mit seinen Flupppuppenbeinen in die Ferne flog.
Neben ihr stand der Mampfende Schluck und hatte den Arm um sie gelegt.
Sie hatten heute erst wenig gesprochen. Nur so viel, dass Anna dem
Mampfenden Schluck erzählt hatte, dass ihr in der vergangenen
Nacht keine Elefantenhaut gewachsen war.
Der Mampfende Schluck war nicht sonderlich erfreut gewesen. Er meinte
nur, was weg wäre, könnte auch wiederkommen. Aber immerhin
sei das ein Anfang. Ansonsten interessierte ihn viel mehr, ob Anna
sein Dasein verraten würde, oder ob er immer hier bleiben durfte.
Anna versprach es ihm.
Die beiden standen schon lange am Fenster. Und so hatten sie nicht
nur gesehen, dass im Garten plötzlich aus dem Nichts ein Elefant
gewachsen war, sondern auch, dass die Ohrwürmer zu diesem Elefanten
übergesiedelt waren.
"Endlich wird das Erbsenschwein ein anderes Erbsenschwein suchen
können", dachte Anna. Sie drückte sich an den Mampfenden
Schluck und seufzte tief.
Nachdem Betrüger-Schorschi an ihnen vorbeigeflogen war, hatte
sich die Szene unter ihnen verändert. Angeber-Luzi saß
nun auf dem Elefanten und ritt mit ihm triumphierend durch den Garten.
Er hielt sein Telefon am Ohr und berichtete wahrscheinlich gerade
der gesamten Fachwelt von seinem großartigen Erfolg.
Frau Schmittchen lief die ganze Zeit hinter dem Elefanten her und
schrie immer wieder etwas zu Angeber-Luzi hinauf. Mit ihrem Regenschirm
fuchtelte sie aufgeregt in der Luft herum und puffte damit in regelmäßigen
Abständen in den Elefantenpopo.
Nachdem Angeber-Luzi ein paar Runden um das Haus gedreht hatte,
lenkte er den Elefanten in Richtung Gartentor. Frau Schmittchen
folgte ihnen.
Das Erbsenschwein war verschwunden. Wahrscheinlich war es in seiner
Hütte und packte vor seiner langen, ungewissen Reise ein paar
Karotten und Spinatblätter ein.
Und Annas Eltern standen unterhalb ihres Fensters und schauten zu
ihr hinauf. Anna glaubte nicht, dass ihre Eltern sie hinter dem
Fenster erkennen konnten.
Anna machte sich vom Mampfenden Schluck los und lief in den Garten.
Ende des geheimen Buchs "Anna Pop in
der Elefantenhaut".
Ob Palmina noch ein anderes Geheimes Buch
bei Rossipotti findet, erfahrt ihr in der nächsten Rossipotti-
Ausgabe im April.
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