Herzlich willkommen in meinem Salon der Kontemplation!
Heute hinterfragen wir die Welt des Scheins und versenken uns danach in der
Welt des Seins. Denn nur da ist, logischerweise, das Glück nicht scheinbar,
sondern wirklich.
Was aber ist die Welt des Scheins und was die Welt des Seins?
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, habe ich euch ein paar Bilder und Spielereien
mitgebracht.
Fangen wir mit dem Gemälde Bibliothekar des bekannten Malers Giuseppe Arcimboldo (1527-1593) an:
Bibliothekar von Guiseppe Arcimboldo
Wie ihr seht, ist auf dem Bild ein Bücherstapel zu sehen, der wie ein
Mann aussieht. Oder umgekehrt: Ein Mann, der wie ein Bücherstapel aussieht.
Was, glaubt ihr, ist auf diesem Bild nun scheinbar, was wirklich vorhanden?
Gar nicht so einfach, oder?
Denn im Grunde sieht man ja beides gleichzeitig.
Ich gebe euch deshalb einen Tipp: Stellt euch vor, ihr müsstet das
Bild auf einem Foto nachstellen. Was würdet ihr dann fotografieren?
Einen Bücherstapel, dem ihr einen Bart anklebt oder einen Mann, den
ihr als Bücherstapel verkleidet?
Richtig! Natürlich würdet ihr das Bild mit wirklichen Büchern
nachstellen und sie scheinbar nach einem Mann aussehen lassen!
Also können wir sagen, dass die Bücher wirklich vorhanden und
der Eindruck des Mannes nur scheinbar ist.
Selbstverständlich könntet ihr jetzt einwenden, dass der Maler
Arcimboldo in Wirklichkeit aber einen sehr belesenen Mann, den Bibliothekar,
darstellen wollte und die Bücher nur als Metapher oder Bild dazu benutzt
hat, diese Idee umzusetzen. Von diesem Standpunkt aus betrachtet würden
dann die Bücher scheinbar, der Mann dagegen wirklich sein.
Das ist nicht ganz falsch, stimmt aber nur aus der Perspektive des menschlichen
Betrachters. Silberfische oder Nagekäfer beispielsweise würde
in dem Bücherstapel nach wie vor keinen Mann entdecken, sondern nur
leckeres, altes Papier, das sie fressen können. Die Idee des Bildes,
nämlich der Bibliothekar, würde ihren Augen dagegen völlig entgehen.
Den Bibliothekar gibt es also nicht wirklich, sondern es ist allein unsere
menschliche Wahrnehmung und geschulte Vorstellung, die aus den Büchern
den Bibliothekar zusammensetzt. Also etwas zusammen setzt, was es in Wirklichkeit
gar nicht gibt!
Nehmen wir diese Erkenntnis ernst, bedeutet das, dass wir unserer Wahrnehmung
und Vorstellung nicht wirklich trauen können!
"Halt, halt!", denkt ihr jetzt vielleicht. "Wir basteln im
Kopf vielleicht etwas zusammen, dass nur scheinbar vorhanden ist. Aber wir
sind uns über den Unterschied zwischen wirklichen Büchern und
scheinbarem Mann sehr wohl bewusst. Im Unterschied zu Silberfisch und Nagekäfer
sehen wir also nicht weniger, sondern mehr, nämlich Schein und Sein!"
Das stimmt. Zumindest bei diesem Beispiel. Aber wie sieht es mit dem nächsten
aus?
Meine Ehefrau und meine Schwiegermutter
Bei diesem bekannten Bild Meine Ehefrau und meine Schwiegermutter
können wir entweder eine alte Frau sehen, die ihr Kinn auf die Brust
legt oder eine junge Dame, die von uns wegsieht. Das Auge der alten Frau
wird dann zum Ohr der jungen Frau.
Selbst wenn ihr das Bild kennt, wird es euch beinahe unmöglich sein,
beide Bilder gleichzeitig zu fixieren. Forscher gehen davon aus, dass die
Bilder deshalb ständig von einem Bild in das andere kippen, weil unser
Gehirn in diesem Fall nur einen Reiz oder eine Information verarbeiten kann
und der andere unterdrückt wird.
Nehmen wir auch diese Erkenntnis ernst, müssen wir einräumen,
dass wir zumindest zeitweilig nur einen Teil der Welt außerhalb von
uns erkennen können. Wir sind uns zwar auch bei diesem Beispiel darüber
bewusst, dass es zwei verschiedene Perspektiven gibt, aber im Unterschied
zu dem Gemälde von Arcimboldo können wir hier nicht einmal mehr
selbst bestimmen, welchen Teil uns unser Gehirn gerade zeigen möchte
und welchen nicht.
Fassen wir deshalb zusammen, dass wir erstens etwas sehen können, was
gar nicht wirklich vorhanden ist, und dass wir zweitens nicht einmal immer
bewusst selbst bestimmen können, was wir überhaupt sehen.
Wagen wir uns noch einen Schritt weiter vor und probieren eine kleine Spielerei
aus:
Ist es jemandem von euch auf Anhieb gelungen, die beiden Striche so einzuteilen, dass sie genau gleich lang sind? Dann herzlichen Glückwunsch! Deine Augen scheinen
wenig bestechlich und dein Blick auf die Wirklichkeit ziemlich ungetrübt
zu sein!
Oder kommst du nur aus einem anderen Kulturkreis und hast in deinem Alltag
wenig mit geraden Linien zu tun? Dann ist es verständlich, warum du
wenig Probleme mit den beiden Linien hattest. Denn dann stört dich
dein erinnertes Wissen über gerade Längenmaße nicht, die
Linienverhältnisse richtig zu sehen.
Wir anderen können die Strichlänge nämlich deshalb nicht
genau einschätzen, weil uns die Linie mit den geschlossenen Pfeilspitzen
an die vordere Kante eines geraden Gegenstandes erinnert, die mit den offenen
Pfeilspitzen dagegen an eine hintere Kante. Deshalb empfinden wir die vordere
Kante - die näher wirkt - länger als die hintere, entfernt wirkende.
Was sagt uns dieses Beispiel nun aber?
Genau!
Unsere Wahrnehmung ist abhängig von erinnerten Vorstellungen und lässt
sich deshalb leicht überlisten! Da uns unsere Erinnerungen aber tagtäglich begleiten, müssen wir auch immer davon ausgehen, dass sie unsere Wahrnehmung beeinflussen und den klaren, unvoreingenommenen Blick auf die Realität erschweren.
Im Unterschied zum Gemälde von Arcimboldo und dem Kippbild können
wir bei den Pfeilen trotz Nachdenkens also nicht einmal mehr die richtige Länge
wahrnehmen, sondern müssen erkennen, dass wir erst durch Nachmessen
die scheinbar unterschiedlich langen Striche als gleich lang entlarven können.
Ohne Messen ist es den meisten von uns nicht mehr möglich, zu erkennen,
was scheinbare und was wirkliche Welt ist!
Gut, denken jetzt vielleicht einige von euch und entgegnen, dass wir immerhin
trotzdem noch mit technischen Hilfsmitteln wie einem Lineal die Linien nachmessen
und erkennen können, was scheinbar und wirklich ist.
Deshalb zeige ich euch noch eine Spielerei:
:
Rotating Snakes von Akiyoshi KITAOKA
Mehr Illusionen von Kitaoka findest du auf seiner Website
Was meint ihr, bewegen sich die zusammen gerollten Schlangen oder nicht?
Ob ihr es glaubt oder nicht: In Wirklichkeit bewegen sich die Schlange
nicht! Die Schlangen selbst sind vollkommen still.
Nur unsere Augen und unsere Wahrnehmung bewegen sie. Trotzdem sind wir nicht
fähig, sie unbewegt wahrzunehmen! Auch nicht mit einem technischen
Hilfsmittel.
Ich hoffe, mit diesem Beispiel habe ich die letzten Zweifler unter euch
überzeugt:
Unsere Augen, unsere Wahrnehmung und Vorstellung von der Welt außerhalb
von uns selbst, sind ziemlich mangelhaft, und wir sind nicht wirklich fähig,
Schein und Sein voneinander zu unterscheiden. Denn auch wenn wir Dinge sehen,
die nach unseren Maßstäben keine optischen Täuschungen sind,
können wir nicht wirklich wissen, ob sie wirklich so sind, wie sie
uns erscheinen. Vielleicht haben wir wie bei ihnen nur noch nicht erkannt,
dass auch sie eine optische Täuschung sind? Schließlich können
wir nicht einmal zweifelsfrei erkennen, ob sich ein Objekt bewegt oder nicht.
Woher sollen wir dann wissen, ob unsere Augen und unser Gehirn nicht noch
ganz andere Informationen über die äußere Welt unterdrücken,
und wir nur einen Bruchteil von ihr wahrnehmen?
Da wir diese Frage also nie sicher werden beantworten können, müssen
wir leider feststellen, dass alles, was wir über die äußere
Welt wissen, nur scheinbares Wissen ist. Die Welt, wie wir sie uns vorstellen, ist eine
Illusion! Oder sie ist zumindest stark von unserer Wahrnehmung und den Projektionen unserer eigenen Vorstellungen
abhängig!
Wie sieht es aber mit unserer inneren Welt aus? Wenn schon nicht über
die äußere Welt, so können wir vielleicht über unsere
innere Welt Sicherheit erlangen?
Wenn wir mit "innerer Welt" nur unser eigenes, ganz persönliches Denken
und Fühlen meinen, das unabhängig vom Denken und Fühlen der äußeren Welt und anderen Menschen
ist, können wir die Frage mit einem klaren "Ja" beantworten.
Denn unserem persönlichen Denken und Fühlen kann von niemandem
außerhalb von uns widersprochen werden. Wir selbst können uns
zwar manchmal (oder vielleicht auch sehr oft) nicht sicher sein, was wir
gerade wirklich fühlen oder denken, aber auch dann sind wir uns darin
sicher, dass wir uns gerade unsicher sind. Und niemand von außen kann
uns in diesem Punkt widersprechen. Und damit ist dieses Wissen sicher und
wirklich.
Wenn ihr also sagt: "Ich bin wütend, traurig oder fröhlich"
tretet ihr in die Welt des Seins ein. Wenn ihr dagegen sagt: "Ich bin
wütender, trauriger, fröhlicher als der oder die andere"
oder auch: "der oder die ist Schuld daran, dass ich so traurig, wütend
oder fröhlich bin" befindet ihr euch in der Welt des Scheins.
Denn in dem Fall gehört der oder die jeweils andere zur äußeren
Welt, die wir wahrnehmen. Und wie wir oben gesehen haben, können wir
über die äußere Welt nur unsicheres, scheinbares Wissen erlangen.
So weit, so gut.
Was bringt uns dieses Wissen jetzt aber, um glücklich zu werden?
Bei genauer Betrachtung eine ganze Menge.
Denn zum einen kann man feststellen, dass alles, was uns an der äußeren
Welt stört und unglücklich macht, wie Streit, Mangel, Misserfolg,
Einsamkeit und so weiter, nur scheinbar vorhanden ist.
Zum anderen kann man erkennen, dass, wenn die innere Welt von uns wirklich
ist, wir selber Schöpfer der Welt des Seins sind. Es hängt also
ganz von uns selbst ab, ob wir glücklich sind oder nicht!
Gibt es also außerhalb von uns ein Problem, das uns unglücklich
macht, sollten wir zuerst erkennen, dass dieses Problem der Welt des Scheins
angehört und deshalb auch nur scheinbar vorhanden ist. Man sollte diesem
Problem deshalb nicht zu viel Raum geben.
In einem zweiten Schritt sollte man dann versuchen, einen Ausweg und eine
Lösung aus dem Problem zu finden, und zwar indem man selber eine andere
Haltung dazu einnimmt. Nicht die äußeren Umstände sind es,
die sich zuerst ändern müssen, sondern wir, um die äußeren,
misslichen Umstände überhaupt ändern zu können!
Hat man sich beispielsweise mit jemandem zerstritten und macht einen das
unglücklich, sollte man nicht warten, bis der andere, der den Streit
möglicherweise ganz anders aufgefasst hat, auf einen zugeht, sondern
man sollte selbst die Initiative ergreifen, sich wieder zu vertragen. Und
zwar nicht, um klein bei zu geben, sondern um sein inneres Gleichgewicht
wieder herzustellen und glücklich zu werden.
Oder fühlt man sich einsam, sollte man zuerst erkennen, dass man nur
scheinbar einsam ist. Dass man also nicht deshalb einsam ist, weil die anderen
Menschen einen wirklich nicht mögen und das unveränderlich festgeschrieben
ist, sondern dass man deshalb einsam ist, weil man sich selbst zurück
gezogen hat. Möglicherweise aus der angstbesetzten Einbildung heraus,
nicht interessant oder witzig genug zu sein, möglicherweise auch aus
Faulheit oder Ignoranz, die anderen offen anzusprechen oder sich für
besser zu halten als sie, oder auch aus einem ganz anderen Grund.
Möchte man nicht mehr einsam sein, sollte man dann in einem zweiten
Schritt versuchen, auf die anderen Menschen zuzugehen, und zwar nicht ängstlich
oder umgekehrt arrogant, sondern ganz natürlich, so dass man sich selbst
wohl und glücklich dabei fühlt, und man wird merken, dass die
anderen davor nur scheinbar abweisend waren.
Auch wenn man beispielsweise in der Schule schlechte Noten schreibt und
man vom Lehrer oder auch von sich selbst für einen schlechten Schüler
gehalten wird, sollte man nicht davon ausgehen, dass das wirklich stimmt.
Sondern man sollte davon ausgehen, dass man nur scheinbar ein schlechter
Schüler ist. Und dass man in Wirklichkeit jeden Tag die Möglichkeit
hat, sich zu verändern und ein guter Schüler zu werden.
Gibt es dagegen ein Probleme innerhalb von uns, wissen wir beispielsweise
nicht, wie wir in bestimmten Situationen fühlen oder denken sollen,
oder macht uns etwas so traurig, dass wir auch längerfristig nicht
mehr damit zurecht kommen, müssen wir uns darüber klar werden,
wie wir unsere Welt des Seins gestalten wollen. Wollen wir in Wirklichkeit
so uneins mit uns sein und wollen wir auch längerfristig traurig bleiben?
Dann soll es auch so sein! Denn auch Zweifel und Traurigkeit gehören zum Leben und können bereichernd sein.
Aber wenn wir im Grunde glücklich sein wollen, müssen wir überlegen,
zu welchem Gefühl und zu welcher Position wir uns durchringen müssen,
um dieses Glück zu erreichen. Welche Eigenschaften eigenen sich wohl
besser, möglichst unbeschwert durchs Leben zu gehen, und welche ziehen
einen eher nach unten?
In einem zweiten Schritt sollten wir dann versuchen, diese Eigenschaften
zu stärken und zu leben.
Natürlich ist es ganz schön schwer, sein Leben auf diese Weise
umzukrempeln. Ehrlich gesagt kenne ich persönlich keinen einzigen Menschen,
dem es gelungen wäre, die Welt des Seins vollständig freundlich
werden zu lassen, und diese innere, freundlich gestimmte Welt nach außen
so wirklich werden zu lassen, dass er oder sie grundlegend glücklich
geworden wäre.
Trotzdem hört man über verschiedene Ecken immer wieder von solchen
Glückspilzen, und es scheint mindestens ein Versuch wert zu sein, diesen
Weg zu gehen.
Zum Glück gibt es verschiedene Möglichkeiten und Hilfsmittel,
diese innere, von äußerem Schein unabhängige Haltung hervor
zu kitzeln und zu stärken. Die einen schwören auf Musik, die anderen
auf Gottglaube und Gebete, wieder andere auf Meditation.
Da Musik, Glaube und Meditation höchst individuelle Angelegenheiten
sind, probieren wir es hier mit einem einfachen, allgemein verständlichen
Bild aus:
Fixiere den Punkt bis du ihn nicht mehr erkennen kannst
Ist er noch da?
Dann fixiere ihn weiter.
Ist er weg?
Prima, dann hast du gerade erfahren, wie aus Etwas Nichts werden kann! Damit hast du hinter die Welt des Scheins geblickt und ihr sozusagen ihre Maske entrissen. Von hier aus kannst du anfangen, dir deine eigene Welt zu konstruieren!
Konzentriere dich nun auf diese weiße Fläche und überlege dir, was du auf dieser Fläche alles wirklich werden lassen willst.
Wie soll deine Welt des Seins werden? Was brauchst du, um glücklich zu sein?
Mache diese Übung jeden Tag mindestens zehn Minuten, und du wirst dem Glück stückweise näher kommen!
Viel Spaß! Und lebe ein glückliches Leben!