Üpsilon
Inzwischen war es richtig hell geworden, und Betrüger-Schorschi versuchte, sich zu orientieren. Er stand mitten in der Wüste zwischen Sanddünen und verschieden großen und tiefen Löchern. In einiger Entfernung machte er eine blau gefärbte Sandstelle aus. Lag dort der blaue Diamant? Schnell ging Betrüger-Schorschi auf die blaue Stelle zu. Das Poster in seiner Tasche knisterte bei jedem Schritt, und der Sand knirschte unter seinen Füßen.
Das Licht wurde intensiver, tauchte ihn selbst ganz in Blau ein und fokussierte sich schließlich auf einen grell leuchtenden Punkt. Betrüger-Schorschi hastete auf den Punkt zu, und endlich sah er ihn: Den Blauen Diamanten!
Erstaunt blieb er stehen und starrte auf den kugelförmigen Kristall. Der Diamant war klein, viel kleiner als er gedacht hatte. Vielleicht gerade mal zwanzig Zentimeter im Durchmesser. Sicher, für einen Diamanten war das eine riesige Größe, und Betrüger-Schorschi wusste nicht, ob es in seiner Welt überhaupt einen so großen Diamanten gab. Aber war er trotzdem nicht viel zu klein, um das Herzblut des Kesselbergs stillen zu können? Konnte ein so mickriger Stein alle Bewohner des Blauen Gebirges retten? Unvorstellbar!
Und wo überhaupt war die Geizige Geisel? Wohnte sie wirklich in dem Diamanten? Wie klein musste sie dann aber sein, wenn sie in diesem winzigen Haus lebte?
„Nun, je kleiner umso besser“, dachte Betrüger-Schorschi. „Dann wird sie kein ernsthafter Gegner für mich sein. Nur noch ein paar Meter und der Blaue Diamant gehört mir!“
Betrüger-Schorschi strich über das Plakat und sagte: „Emily, in ein paar Sekunden sind wir mit dem Diamanten schon wieder auf dem Rückweg, und alles wird gut!“
Er bückte sich zu dem Stein und griff danach. Doch in dem Moment, als er ihn berühren wollte, sprach ihn plötzlich jemand von hinten an:
„Lass das!“
Erschrocken drehte sich Betrüger-Schorschi um und sah ein kleines, wurmartiges Geschöpf aus einem der Löcher kriechen. Oder nein, eigentlich sah das Geschöpf nicht wie ein Wurm, sondern eher wie eine Assel oder ein Hundertfüßler aus, denn es hatte viele kleine Beine und einen plattenartigen Panzer.
„Bist du die Geizige Geisel?“
„Ich wusste, dass du das sagen würdest“, sagte die Assel. „Und ich weiß auch, was du mich als nächstes fragen wirst: Wer bist du dann, wenn nicht die Geizige Geisel!“
„Das war nicht schwer zu erraten“, sagte Betrüger-Schorschi. „Trotzdem: Wer bist du dann, wenn nicht die Geizige Geisel?“
„Denk nach“, sagte der Wurm. „Man hat dir einiges über uns erzählt!“
„Du bist ein Üpsiolaner?“, fragte Betrüger-Schorschi erstaunt.
Er hatte sich Geschöpfe, die die Zukunft kannten, eigentlich nicht wie Asseln, sondern eher als Menschen in Neoprenanzügen oder als grüne Männchen mit großen Köpfen vorgestellt.
„Wir sind älter als das Blaue Gebirge“, sagte der Üpsiolaner. „Wir haben Neoprenanzüge nicht nötig. Nur so ein modischer Schnack der nächsten tausend Jahre. Danach werden die Geschöpfe wieder wie wir aussehen.“
Betrüger-Schorschi schluckte. Er wurde nicht gerne an seine eigene Endlichkeit erinnert.
„Die Gespräche mit euch sind immer sehr unfruchtbar“, sagte der Üpsiolaner. „Sehr einseitig. Wir erfahren nie etwas Neues, aber ihr erfahrt eure Zukunft.“
„Was wäre denn für euch neu?“, fragte Betrüger-Schorschi.
„Das verstehst du nicht!“
„Versuch es doch einmal.“
„Neue, noch funktionsfähigere Handlungsanleitungen und Programme, die Zukunft zu erfüllen.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Ich habe es dir gesagt“, antwortete der Üpsiolaner. „Und frage mich jetzt bitte nicht, was man darunter genau versteht.“
„Was versteht man denn darunter genau?“, fragte Betrüger-Schorschi.
Der Üpsiolaner stöhnte. Trotzdem ließ er sich zu einer Antwort herab: „Da wir wissen, was auf uns zukommt, müssen wir die bestmöglichste Variante errechnen und erarbeiten, um diese Zukunft zu erfüllen. Ein sehr einfaches Beispiel: Hier in der Wüste ist es sehr trocken. Wir wissen aber immer genau, wann der nächste Regen kommt. Also müssen wir vorher genügend Wasserreservoire bereit stellen, um möglichst viel Wasser speichern zu können. Kompliziertere Beispiele würden dich nur verwirren.“
„Ich habe sowieso keine Zeit, mich mit dir zu unterhalten“, sagte Betrüger-Schorschi. „Ich muss so schnell wie möglich den Blauen Diamanten zum Kesselberg bringen.“
Wieder wollte Betrüger-Schorschi nach dem Diamanten greifen und wieder hielt ihn der Üpsiolaner zurück:
„Tue es nicht! Die Geizige Geisel ist eine Hornisse und wird dich hundert Mal stechen!“
„Hundert Mal?“, fragte Betrüger-Schorschi. „Werde ich dann trotzdem nach dem Stein greifen oder nicht?“
„Nicht“, antwortete der Üpsiolaner überzeugt. „Denn du wirst meinen Rat befolgen.“
„Woher weißt du dann, dass sie mich stechen wird, wenn ich nach ihr greife?“, sagte Betrüger-Schorschi listig. „Ich denke, ihr könnt nur in die Zukunft sehen, aber nicht das, was nicht geschieht!“
„Sie sticht dich nicht, weil du nicht nach ihr greifen wirst“, wiederholte der Üpsiolaner. „Mehr brauchen wir nicht zu wissen.“
„Was werde ich dann tun?“
„Jetzt verstehst du, wie man mit uns sprechen muss!“ sagte der Üpsiolaner. „Du wirst hier eine Pause machen und ich werde dir zu Essen und zu Trinken geben. Dann werden wir uns voneinander verabschieden. Du wirst die Flupppuppe finden und mit ihr nach Hause fliegen!“
„Trinken hört sich gut an“, sagte Betrüger-Schorschi und fuhr sich über die ausgetrockneten Lippen. Plötzlich hatte er wieder großen Durst.
Die Assel verschwand in einem der Löcher und kam gleich darauf mit einem Picknickkorb und einem kleinen Rechner wieder. Betrüger-Schorschi stürzte sich auf einen Wasser-Krug und trank ihn in einem Zug leer. Dann nahm er sich ein Sandwich und biss genüsslich hinein.
„Da ich wusste, dass du heute hier sein würdest, habe ich schon alles hergerichtet“, sagte der Üpsiolaner. „Nach dem Essen wirst du mich fragen, ob du einmal einen der Rechner sehen darfst, mit dem wir unsere Handlungsprogramme ausrechnen.“
Betrüger-Schorschi griff nach einem Apfel und fragte sich, woher sie in der Wüste all das Essen hatten.
„Wir haben unterirdische Gewächshäuser“, sagte der Üpsiolaner. „Die Löcher im Sand sind unsere Fenster und Belüftungsschächte. Und wenn man tief genug bohrt, hat man auch genug Wasser. Übrigens kann ich nicht Gedanken lesen, sondern antworte dir nur jetzt schon auf die Frage, die du in zwei Sekunden stellen wolltest. So erspart man sich einiges an Dialog!“
Betrüger-Schorschi nickte. Er hatte noch viele Fragen. Aber alles schien vor dem Hintergrund, dass der Üpsiolaner schon vor ihm über seine eigenen Fragen Bescheid wusste, nichtig zu sein.
Es stimmte, was ihm der Druide gesagt hatte. Jemand, der nicht in die Zukunft schauen konnte, wurde handlungsunfähig, wenn ihm plötzlich jemand sagte, was er in Zukunft tun würde. Wozu sollte man auch etwas tun, wenn man wusste, dass es eh geschehen würde? Vor diesem Hintergrund war es geradezu lächerlich, wenn er sich vornahm, der Geizigen Geisel den Blauen Diamanten zu stehlen. Er wusste ja, dass er es nicht tat. Also konnte er sich gleich den schöneren Dingen im Leben widmen!
„Kann ich einmal einen Rechner ansehen, mit dem Sie ihre Handlungen ausrechnen?“
„Gerne“, sagte der Üpsiolaner, und so etwas wie Stolz schwang in seiner Stimme mit.
Er legte Betrüger-Schorschi den Computer auf den Schoß, schaltete ihn an und tippte mit seiner Hand auf eine liegende Acht, die auf dem Bildschirm zu sehen war. Ein Fenster öffnete sich und eine Art Diagramm mit bunten Symbolen und Zeichen wurde sichtbar. Gleiche Symbole waren mit Kurven untereinander verbunden und sahen aus wie Schmuck-Ketten.
Ganz oben war eine Kette mit aneinander gereihten Sonnensymbolen zu sehen, ganz unten eine Kette mit kleinen, braunen Punkten. Betrüger-Schorschi bemerkte außerdem, dass jedes Symbol mit einer kleinen Zahl, vielleicht einer Art Fußnote, markiert war.
Der Üpsiolaner zeigte auf die Sonnenkette und sagte: „Wie du siehst, ist das Sonnensymbol immer zu sehen. Das bedeutet, dass unsere Welt immer bestehen wird.“
„Unwahrscheinlich“, sagte Betrüger-Schorschi. „’Immer’ ist ein unglaubwürdiges Wort.“
„Nun ja“, sagte der Üpsiolaner ungeduldig, „dann eben so lange, wie wir in die Zukunft sehen können. Das sind ungefähr die nächsten dreitausend Jahre.“
„Und hier siehst du die Zukunft des Blauen Diamanten“, der Üpsiolaner tippte auf ein blaues Kugelsymbol. „Wie du siehst, ist er die nächsten zweitausend Jahre auf seinem Platz.“
„Wer speist denn die ganzen Informationen in den Computer ein?“, fragte Betrüger-Schorschi erstaunt. „Es muss ja ständig einer da sein, der die Daten aktualisiert.“
„Einer?“, der Üpsiolaner lachte. „Das sind tausende! Die einen speisen die Zukunft ein, die anderen überprüfen sie, wieder andere löschen im Sekundentakt die alten Daten. Wie ich dir vorhin schon gesagt habe, bin ich selbst allerdings in einer ganz anderen Abteilung angestellt: Ich stelle Handlungsanleitungen für die Zukunft zusammen. Deshalb bin ich auch hier bei dir. Unser Gespräch ist Teil eines Programms, das ich entwickelt habe.“
Betrüger-Schorschi schluckte. Er hasste die Vorstellung, nur ein Rädchen im Getriebe zu sein.
„Siehst du diese roten Zeichen hier? - Das sind die Bewohner des Blauen Gebirges.“
Der Üpsiolaner zeigte auf ein kleines rotes Herz, klickte auf die daneben stehende Zahl und las: „Der Letzte Bewohner des Blauen Gebirges wird in exakt 8 Stunden sterben.“
„Nein!“, rief Betrüger-Schorschi. „Das könnt ihr den Bewohnern nicht antun!“
„Wir?“, der Panzer des Üpsiolaners schob sich zusammen. „Wir machen nicht die Zukunft, wir orientieren uns nur danach!“
Er klickte sich wieder zurück zu dem Diagramm: „Und siehst du hier diesen winzigen braunen Punkt? Das bist du! Wie du siehst, verschwindet der braune Punkt in einer halben Stunde vom Bildschirm. Hier taucht er noch mal auf und verbindet sich mit einem kleinen orangenen Balken: der Flupppuppe. Kein Kugelsymbol kreuzt deinen Weg! In deine Sprache übersetzt heißt das, dass du den Diamanten niemals zum Kesselberg bringen, sondern mit der Flupppuppe in genau zwei Stunden und vierzig Minuten heim fliegen wirst.“
„Wenn ihr die Zukunft nicht erschafft, warum wollt ihr dann nicht, dass ich den Diamanten zum Druiden bringe? Warum helft ihr mir und den Bewohnern nicht?“
„Still!“, der Üpsiolaner zuckte zusammen. „Fordere die Zukunft nicht heraus! Der Zukunft darf nicht widersprochen werden! Das ist ein uraltes Gesetz! Wer an dem Rad der Zukunft dreht, schwört grausame Katastrophen hervor!“
„Noch grausamere, als alle Bewohner des Blauen Gebirges sterben zu lassen?“, Betrüger-Schorschi konnte sich im Moment nichts Grausameres vorstellen.
„Du bist doch von drüben!“, schrie die Assel und stellte sich auf ihre Hinterfüße. „Dann weißt du doch auch, dass es nicht nur für die Bewohner hier eine Zukunft gibt, sondern auch jenseits der Berge! Was stört es, wenn hier die Zukunft einige Jahre aussetzt? Die Zukunft aller Kulturen muss im Auge behalten werden! Außerdem kann ich dich beruhigen: In weniger als hundert Jahren werden im Blauen Gebirge wieder genauso viele fleischgewordene Pappfiguren herumlaufen wie bisher. Es wird wieder eine Herzblutkammer geben und viele, die sich um das Herzblut kümmern werden. Aber wenn wir jetzt die ganze Zukunft aus den Angeln heben, wird es für uns alle nichts mehr geben. Nichts!“
„Auch keine Flupppuppen, Betrüger-Schorschis und Menschen in Neoprenanzügen“, überlegte Betrüger-Schorschi.
„Ach, um die alle wäre es doch nicht schade“, sagte der Üpsiolaner. „Es gibt da ganz andere Kulturen, um die ich trauern würde, wenn sie sich nicht mehr entwickeln könnten.“
„Zum Beispiel?“
„Um die Xytopane!“, sagte der Üpsiolaner überzeugt. „Das sind sprechende Mammute. Vor fünfzehntausend Jahren waren die Asseln mit den Mammuten befreundet. Leider fehlten uns damals noch die Worte, und wir konnten uns noch nicht miteinander unterhalten.“
„Xytopane“, sagte Betrüger-Schorschi entmutigt. „Sprechende Mammute und Asseln. Das also wird die Zukunft der Welt bringen.“
War das nicht lächerlich? Da bemühten sich alle Kulturen um technischen und zivilisatorischen Fortschritt, nur um in ein paar hundert Jahren den sprechenden Mammuten Platz zu machen? Worin bestand dann ihr Sinn? Humus für die Xytopane zu sein?
„Kannst du auch vorhersagen, ob ich gleich in der Nase bohren oder einen Furz lassen werde?“, fragte Betrüger-Schorschi mit Galgenhumor.
„Glaubst du, das würde uns interessieren?“, sagte der Üpsiolaner ernst. Er hatte offensichtlich nicht gemerkt, dass Betrüger-Schorschi nur einen schlechten Witz gemacht hatte. „Wir interessieren uns nur für die großen Zusammenhänge! Die Symbole ganz oben am Bildschirm sind die ganz großen Zusammenhänge, nach unten werden die Symbole immer unwichtiger. Wie du siehst, ist der kleine braune Punkt schon an letzter Stelle. Und er würde gar nicht auf dem Bildschirm erscheinen, wenn du nicht vorgehabt hättest, den Blauen Diamanten zu stehlen. Für Fürze haben unsere Berechnungen wirklich keinen Platz! Aber zum Glück hängt die Zukunft auch nicht von deinem Furz ab! Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst! Ich muss in einer Stunde wichtige Berechnungen fertig haben! Der Rat der Üpsiolaner muss eine Handlungsanleitung für die Entvölkerung des Blauen Gebirges erarbeiten. Und wenn mich nicht alles täuscht, wird in genau zwei Stunden und fünfundreißig Minuten die Flupppuppe am Wüstenrand auftauchen und dich mit nach Hause nehmen. Mach dich jetzt also auf den Weg und versuche in deiner eigenen Welt dein Glück!“
Die Assel schaute Betrüger-Schorschi auffordernd an, weshalb er aufstand und ein paar Schritte rückwärts machte.
„Lebe wohl“, sagte der Üpsiolaner und steckte den Rechner zurück in den Picknick-Korb.
„Danke für die Bewirtung“, sagte Betrüger-Schorschi, „und viel Spaß mit den Xytopanen!“
Er drehte sich um und trat den Rückweg an.
Während er langsam Richtung Wüstenrand zurück ging, ließ er sich die Worte des Üpsiolaners noch einmal durch den Kopf gehen. Er, Betrüger-Schorschi, sollte nicht nur im Zusammenhang mit den Xytopanen, sondern auch in diesem Moment nur ein kleiner brauner Punkt sein? Sein Dasein war so unbedeutend, dass es in den Zukunftsannalen der Üpsiolaner nur auftauchte, weil er einen Diamanten stehlen wollte? War das wirklich alles?
Zählte es denn gar nichts, dass er in seiner Welt schon einigen Kranken geholfen hatte (mit welchen Mitteln auch immer)? War es denn gar nichts wert, dass er mit seinen Kochkünsten schon viele verzaubert hatte? Hatte es gar keine Bedeutung, dass die Flupppuppe ihm zugeflogen war? Und spielte es vor diesem Hintergrund auch keinerlei Rolle, dass er das Baby vertrieben hatte?
War das denn alles nichts?
Nein! Das war doch auch etwas!
Nämlich Vergangenheit, seine Vergangenheit. Und diese Vergangenheit war ihm lieb und teuer, auch wenn einiges nicht so gelaufen war, wie es hätte sein sollen. Die Üpsiolaner hatten kein Recht darauf, ihm jegliche Bedeutung abzusprechen! Und deshalb wollte er seine Vergangenheit verteidigen. Er würde ihnen beweisen, dass ihn ihre Zukunftsprognosen kalt ließen! Er ließ sich doch nicht von einer Assel seine Zukunft vorschreiben! Noch dazu eine Zukunft, in der er nur ein unbedeutender Wegbereiter des Goldenen Zeitalters der sprechenden Mammute war!
Jetzt gleich wollte er zurück gehen und den Diamanten stehlen! Er hatte noch knapp acht Stunden Zeit, die Bewohner des Blauen Gebirges zu retten. Noch acht Stunden Zeit, das Rad der Zukunft in seine Richtung zu lenken. Und dann würde man ja sehen, wer die Zukunft eher bestimmte: Er oder diese Asseln!
Er drehte sich um und lief schnell wieder zurück. Zurück auf die Stelle mit dem blau gefärbten Sand zu. Zurück zum Blauen Diamanten.
Aber nein, Betrüger-Schorschi!
Halt!
Nicht!
Denk daran wie gefährlich es ist, am Rad der Zukunft zu drehen! Denk daran, dass du selbst vernichtet wirst, wenn du den Blauen Diamanten holst! Denk daran, dass du dann nicht einmal mehr ein kleiner unbedeutender brauner Fleck sein wirst! Verstoße nicht gegen das uralte Gesetz: Am Rad der Zukunft darf niemand drehen!
Betrüger-Schorschi blieb stehen.
Er wollte nicht sterben. Natürlich nicht. Aber er glaubte auch nicht wirklich daran, dass man am Rad der Zukunft nicht drehen durfte. Er war ein logisch denkender Mensch. Und die Logik sagte ihm, dass die Asseln zwar die Zukunft vorhersagen konnten, aber nicht das, was nicht kam. Woher sollten sie also wissen, dass es Unglück brachte, wenn man die Zukunft veränderte? Auch eine veränderte Zukunft war nichts anderes als eine Zukunft, die die Üpsiolaner in ihren Datenbanken aufzeichnen würden.
Wie ihm erst jetzt auffiel, hatten die Üpsiolaner trotz ihres kalten, berechnenden Wesens offensichtlich einen religiösen Leitspruch. Und dieser hieß, ‚dreh nicht am Rad der Zukunft’. Es war Glaube, sonst nichts. Und er glaubte nicht daran, also konnte er auch unbeschadet am Rad der Zukunft drehen.
Ein viel größeres Problem als dieser Irrglaube war, dass er mit eigenen Augen gesehen hatte, dass er in zwei Stunden und 20 Minuten ohne den Diamanten mit der Flupppuppe über alle Berge war. Seine Zukunft sah es also nicht vor, dass er die Bewohner des Blauen Gebirges rettete.
Aber war das wirklich so? Oder anders formuliert: Konnte er die Zukunft nicht irgendwie trotzdem überlisten?
Schnell Betrüger-Schorschi, schnell! Denke nach!
In etwas mehr als zwei Stunden holt dich die Flupppuppe am Rand der Wüste ab. Bis dahin musst du noch mindestens neunzig Minuten gehen! In siebeneinhalb Stunden stirbt der letzte Bewohner des Blauen Gebirges, wahrscheinlich der Druide, und du wirst hoffnungslos gescheitert sein! Lass dir etwas einfallen! Du bist immerhin Betrüger-Schorschi! Da muss dir doch einfallen, wie man die Zukunft austricksen kann!
Betrüger-Schorschi schwitzte. Wenn es hier in der Wüste doch nur nicht so heiß wäre! Wenn er doch nur etwas trinken könnte! Wenn die Aufgabe nur nicht so schwierig wäre. Vor Aufregung furzte er. Wenigstens hatten die Üpsiolaner seinen Furz nicht vorher aufgezeichnet!
Betrüger-Schorschi stutzte.
Ein unbemerkter Furz!
Das war die Idee: Er musste nichts weiter als ein Furz werden, wenn er den Blauen Diamanten unvorhergesehen holen wollte!
Der Üpsiolaner hatte ihm selbst die Lösung an die Hand gegeben, als er ihm vorhin gesagt hatte, dass sie sich nur für die großen zukünftigen Zusammenhänge interessieren würden.
Wenn er die Zukunft nicht im Großen beeinflussen konnte, dann musste er es im Kleinen versuchen!
Wie er wusste, war es zwar nicht vorgesehen, dass er den Stein holte und ihn dem Druiden brachte. Aber es gab keine Vorhersage darüber, dass nicht jemand anderes den Stein holen und ihm den Druiden bringen konnte! Und diese andere war Emily! Als Papier war Emily nur noch so viel wert wie ein Furz und würde sicher nicht in den Zukunftsdiagrammen erscheinen. Emily also würde den Blauen Diamanten holen und dem Druiden bringen können!
Der Plan war genial, und Betrüger-Schorschi hätte sich am liebsten selbst auf die Schulter geklopft. Aber noch war nicht sicher, ob er wirklich funktionieren würde.
Schnell holte Betrüger-Schorschi die Papier-Emily aus dem Beutel und entrollte das Poster. Schon stand Emily in ihrer ganzen Größe vor ihm.
„Hallo Emily“, sagte Betrüger-Schorschi.
Natürlich glaubte er nicht, dass Emily ihn wirklich hören konnte. Aber je mehr er so tat, als ob Emily wieder lebendig wäre, umso mehr gelang es ihm vielleicht, die Zukunft glauben zu lassen, dass nicht er, sondern Emily den Stein holte.
„Du hast jetzt einen sehr wichtigen Auftrag“, sagte Betrüger-Schorschi. „Du schleichst dich zum Blauen Diamanten, holst ihn und rennst dann so schnell wie möglich zum Wüstenrand. Dort wird uns in zwei Stunden und fünfzehn Minuten die Flupppuppe abholen und zum Kesselberg fliegen.“
Betrüger-Schorschi ließ mit einer Hand Emilys Kopf nicken.
„Kein Problem“, versuchte er Emilys Stimme nachzumachen. „Endlich stehst du deinen Mann!“
„Aber es ist Betrug!“, gab Betrüger-Schorschi zu Bedenken. „Ich hatte dir versprochen, nicht mehr zu betrügen.“
„Ich scheiß’ auf dein Versprechen“, sagte Emily. „Und vor allem auf so ein falsches! Lass uns endlich gehen!“
Betrüger-Schorschi breitete die Papier-Emily wie ein Schutzschild vor sich aus und lief mit ihr zurück zu der Stelle, wo der Diamant als blau gleißende Kristallkugel im Sand lag. Betrüger-Schorschi schaute sich um, konnte aber glücklicherweise nirgends einen Üpsiolaner entdecken. Wahrscheinlich waren sie alle mit der wichtigen Ratssitzung beschäftigt.
Vorsichtig beugte er sich mit der Papier-Emily zum Blauen Diamanten hinab und packte ihn fest zwischen Emilys dünne Hände.
Oh!
Die Diamant vibrierte und summte!
Das Gefühl war sehr unangenehm, und am liebsten hätte er ihn sofort wieder fallen gelassen. Aber Emilys Hände hielten den Stein so fest umschlossen, dass er ihn behielt.
Hastig drehte er sich um und lief mit Emily und dem Diamanten so schnell er konnte auf den Wüstenrand zu.