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Abenteuer mit der Flupppuppe

Vorwärts

Glück

Betrüger-Schorschi war nicht tot. Die Flupppuppe war bei ihm. Leise und sanft sang sie ihr Lied und begleitete ihn in eine andere Welt:

Ich bin die tolle Puppe,
nur mit mir gibt’s Suppe.
Bist du mal alleine,
dann rufe meine Beine:
Meine zarten, schlanken
prallen Hinterpranken
Zick zack zong
ohne Gong!

Ich bin die tolle Puppe
Nur mit mir gibt’s Suppe.
Ich helfe immer allen,
den Menschen und den Quallen.
Doch wenn du meine Beine stichst,
dann helfe ich dir nicht.
Denn ohne Beine,
bin ich keine.

Ich bin die tolle Puppe
Nur mit mir gibt’s Suppe.
Bist du in großer Not,
ich bring’ es dir ins Lot:
Mit meinen zarten, schlanken
flugsichren Hinterpranken
Zick zack zong
ohne Gong!

Als Betrüger-Schorschi viele Stunden später zu sich kam, umhüllte ihn eine wässrige Dunkelheit. Sein Kopf und sein Rücken schmerzten.

Wo war er?

Das letzte, an das er sich erinnerte, war der Wirbelsturm. Er und die Flupppuppe waren über dem Blauen Gebirge in einen Sturm geraten und abgestürzt. Wenn er lebte, befand er sich also sehr wahrscheinlich im Blauen Gebirge.

Aber lebte er überhaupt? Musste er nach einem solchen Sturz nicht an den Felsen zerschmettert sein?

Oder hatte ihn die fliegende Flupppuppe am Ende doch noch gerettet?

Mühsam richtete er sich auf. Er lag in einem dämmrigen Raum auf einer Holzpritsche. Lediglich durch einen Spalt und ein rundes Loch in der Wand fiel etwas Licht. Der steinige, bucklige Boden und die Wände ließen Betrüger-Schorschi darauf schließen, dass er sich in einer Höhle befand. In dem Höhlenraum standen ein Tisch, mehrere Stühle, zwei Regale mit Töpfen, Geschirr, Büchern, Kleidern, daneben ein Holzofen und ein Spülbecken. Offensichtlich war die Grotte von Menschen bewohnt.

Betrüger-Schorschi tastete vorsichtig seine Glieder ab. Alles tat ihm weh, aber das war in seiner Situation ein gutes Zeichen. Denn Schmerz bedeutete Leben. Und zu leben bedeutete, nicht tot zu sein!

Mit einem erlösten Seufzer ließ er sich wieder auf die Pritsche sinken. Er lebte und war im Blauen Gebirge!

Er war dort, wo es riesige Schätze gab. Diamanten, so groß wie Straußeneier, Edelsteine, groß wie Steinbrocken!

Ihm war gelungen, was nur den wagemutigsten Abenteurern gelang! Denn alle anderen zerschellten am Blauen Gebirge, verschwanden in Felsspalten oder wurden aus anderen, unbekannten Gründen nie wieder gesehen.

Betrüger-Schorschi verzog den Mund zu einem überlegenen Grinsen.Er hatte zurecht an die Flupppuppe geglaubt! Gegen jede Vernunft, und gegen jede Behauptung, dass die Puppe nur eine erfundene Figur aus einer Radio-Show wäre. Er hatte der Flupppuppe eine delikate Suppe gekocht, um sie anzulocken. Denn die Flupppuppe half jedem, der ihr eine leckere Suppe kochte. Und wie vermutet war sie gekommen, hatte ihre fliegenden Beine durchs Küchenfenster der Pops gestreckt und ihm ihre Hilfe angeboten. Mit ihr war er sicher ins Blaue Gebirge gekommen, und mit ihrer Hilfe würde er die Diamanten auch sicher wieder nach Hause bringen. Denn die Puppe mit dem fremden Herzen wusste immer und überall, was zu tun war!

Merkwürdig war allerdings, dass laut Tante Pim auch der junge Hubel hier war. Denn der junge Hubel kannte weder die Flupppuppe, noch war er ein Abenteurer. Er war ein Feigling, ein geschniegelter Affe, ein Schleim absondernder Emporkömmling, dessen einzige eigenständige Leistung es bisher gewesen war, einigermaßen erfolgreiche, aber in Wirklichkeit dümmliche Comics über eine spitzbusige Blondine mit dem Namen Luisa Schönkopf zu zeichnen.

Seine Tante Pim sah den jungen Hubel zwar in einem ganz anderen Licht, weshalb sie Betrüger-Schorschi auch bei seinem letzten Besuch weinerlich den Brief des jungen Hubels unter die Nase gehalten hatte, in dem er schrieb, dass er in der Stadt der Kinder gefangen gehalten, dass seine Nägel ganz abgebissen wären und dass er von einem großen Huhn arg an den Haaren gerupft worden wäre.

Aber er würde den Teufel tun, dem jungen Hubel dabei zu helfen, wieder nach Hause zu kommen. Da mochte Tante Pim noch so lange bitten und betteln. Wenn er zum jungen Hubel eilte, dann sicher nur, um zu verhindern, dass Tante Pims Lieblingsneffe jemals wieder lebend aus dem Blauen Gebirge kommen und sich dort mit den Diamanten ein gemütliches Leben machen würde.

Betrüger-Schorschi lächelte. Im Unterschied zum jungen Hubel würde er mit der Flupppuppe ganz sicher wieder nach Hause zurück kehren. Mit den Diamanten würde er reich, und durch seine unwahrscheinliche Rückkehr aus dem kaum entdeckten Land auch sicher berühmt werden!

Als sagenhaft reichem und berühmtem Mann würde ihm dann die ganze Welt zu Füßen liegen! Und wenn er ganz oben war und alle Träume wahr werden lassen konnte, würde die Flupppuppe auch bei ihm bleiben, wenn er ihr keine Suppe kochte ...

Wo war die Flupppuppe überhaupt?

Warum war sie nicht bei ihm?

Hatte sie ihn etwa schon wieder verlassen?

Immerhin war die Flupppuppe flüchtiger als Gas. Ohne Suppe keine Puppe, so war das eben.

Aber glücklicherweise musste er sich deswegen nicht allzu viele Sorgen machen. Denn in seinem Ballonkorb waren alle Zutaten, die er für die Zubereitung einer köstlichen Flupppuppen-Suppe brauchte.

Betrüger-Schorschi stutzte. Wo war sein Ballonkorb?

Hier in der Höhle war er auf jeden Fall nicht. Stand er dann vielleicht davor? Oder war er möglicherweise an den Felsen zerschmettert?

Betrüger-Schorschi schauderte. Er brauchte seinen Korb, um eine gute Suppe kochen zu können! Ohne die Flupppuppe war er im Blauen Gebirge aufgeschmissen!

Schwerfällig stand er auf. Er musste sich Klarheit über seine Situation verschaffen und draußen nach dem Ballonkorb sehen. Seine Beine waren steif und schmerzten bei jedem Schritt. Aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Mühsam schleppte er sich an den Stühlen und dem Tisch vorbei, durch den Höhlenraum zu dem Licht spendenden Spalt und schaute nach draußen.

Oh!

Helles, strahlendes Licht blendete ihn und ließ ihn reflexartig die Augen schließen. Hatte er da nicht gerade direkt auf einen Berg aus blauem Turmalin geblickt?

Betrüger-Schorschi zwang sich, die Augen zu öffnen. Tatsächlich! Genau gegenüber von ihm, nur durch eine schmale Schlucht von ihm getrennt, funkelte ein riesiger Berg aus kristallenem Turmalin! Gierig trat er durch den Spalt nach draußen auf eine Felsplattform.

Wow!

Welch grandioses Bergpanorama! Welch wahnsinniger Reichtum tat sich hier vor seinen Augen auf!

Neben dem Berg aus Turmalin drängten sich Felsen aus Saphir, Topas und Tansanit und glitzerten in unterschiedlichen Blautönen.

Und, wenn er sich nicht täuschte, strahlte schräg hinter dem Berg aus Topas sogar ein Fels aus reinem, blauem Diamant!

Sicher, er hatte damit gerechnet, dass die Geschichten über das Blaue Gebirge stimmten und hier Diamanten und Edelsteine tatsächlich wie Kiesel auf dem Boden lagen. Aber die Menge und Größe der Kristalle übertraf doch alle seine Erwartungen!

Vor seinem Absturz hatte er das Blaue Gebirge nur im Abendlicht gesehen, und er war sich über die Qualität der Steine nicht sicher gewesen. Doch jetzt sah er, dass die Felsen aus puren Edelsteinen bestanden! Unfassbar, welche Kostbarkeiten hier ganz offen in der Sonne glänzten und nur darauf warteten, erkannt zu werden!

Er trat ein paar Schritte vor, umrundete einen Felsvorsprung und stieß einen weiteren erfreuten Schrei aus: Dort, keine zwei Meter von ihm entfernt, stand sein Ballonkorb! Rund und unversehrt schien er nur darauf zu warten, mit Diamenten und Edelsteinen beladen zu werden. Rasch kletterte er in den Korb und durchsuchte seinen Proviant und sein Gepäck.

Wun-der-bar!

Alles war noch da! Die Suppe konnte gekocht werden! Jetzt fehlte zu seinem Glück nur noch die Flupppuppe!

Selig sprang Betrüger-Schorschi wieder aus dem Korb und ging zurück auf die Felsplattform vor der Höhle.

Was für ein glückliches Leben würde er von nun an leben! Welch himmelweiter Unterschied würde das zu dem erbärmlichen Leben sein, das er zuletzt bei den Pops geführt hatte! Einem Leben ohne Geld und Anerkennung. Nicht respektiert, weil er sich lieber Radiosendungen mit der Flupppuppe angehört hatte, als sich um das seltsame Leiden der kleinen Anna zu kümmern.

Betrüger-Schorschi stieß ein triumphierendes Geheul aus und warf den Bergen aus Edelkristallen mehrere Kusshände zu.

„Gute Manieren scheint er auf jeden Fall nicht zu haben!“, sagte eine Männerstimme plötzlich hinter ihm.

Betrüger-Schorschi fuhr zusammen. Richtig. Er war nicht alleine hier. Die Höhle war bewohnt, und er war nach seinem Sturz sehr wahrscheinlich von den Bewohnern gepflegt worden.

Halb besorgt, dass die Bewohner ihm sein unhöfliches Verhalten übel nehmen würden, halb neugierig, wie die Einheimischen des Blauen Gebirges wohl aussahen, drehte er sich um.

Hä?!

Was war das?

Keine fünf Meter von ihm entfernt stand das seltsamste Pärchen, das er jemals gesehen hatte!

Der Mann war klein und schmächtig, stand auf streichholzdünnen Beinchen, hatte aber einen riesigen, birnenförmigen Kopf mit tischtennisgroßen Glupschaugen. Seine Haut war merkwürdig bleich und sah aus, als ob sie zu oft gewaschen worden oder ihr sonst wie die Farbe ausgegangen wäre.

Die Frau dagegen war fast übertrieben gut gebaut und nur mit einem schwarzen Bikini, schwarzen, hochhackigen Schuhen und einer Fliegermütze bekleidet. An der Mütze oben waren zwei lange, schmale Bänder befestigt und fielen der Bikini-Dame neckisch über die runden Schultern bis auf den Boden.

Betrüger-Schorschi war es völlig unverständlich, warum so eine Frau mit einem so lächerlichen Männchen zusammen war? Er, Betrüger-Schorschi, würde viel besser zu ihr passen!

Überzeugt von seiner männlich bezwingenden Ausstrahlung, trat er auf die Bikini-Dame zu und sagte: „Hallo Süße, wie geht’s?“

Die Bikini-Dame schaute ihn aus runden, tiefschwarzen Augen ausdruckslos an. Doch Betrüger-Schorschi ließ sich davon nicht abschrecken, sondern machte noch einen Schritt auf sie zu und baute sich herausfordernd vor ihr auf.

„Der frühe Vogel fängt den Wurm“, sagte die Bikini-Dame.

„Ich weiß nicht, warum, aber die Flupppuppe scheint einen Narren an Ihnen gefressen zu haben“, sagte der Birnenkopf, scheinbar aus dem Zusammenhang gerissen, zu Betrüger-Schorschi. „Sonst hätte sie Sie nie hier her gebracht.“

„Die Flupppuppe?“, fragte Betrüger-Schorschi irritiert. „Was hat das hier mit der Flupppuppe zu tun?“

Der Mann schüttelte befremdet den Kopf.

Betrüger-Schorschi fasste ihn grob am Arm. „He, was ist mit der Flupppuppe? Haben Sie sie etwa in Ihrer Höhle versteckt?“

Der Mann schüttelte den Arm von Betrüger-Schorschi ab und sagte zur Bikini-Dame: „Ich sehe nach, ob die Suppe warm ist.“

Die Bikini-Dame nickte, zeigte auf ihre schlanken, prallen Beine und sagte: „Ich komme gleich. Suppe am Morgen, vertreibt Kummer und Sorgen!“

Betrüger-Schorschi erschrak. Das war der Flupppuppenspruch aus der Sonntags-Radioshow! Jeden Sonntag, kurz bevor die Flupppuppe bei jemandem, der Hilfe brauchte und ihr deshalb Suppe gekocht hatte, die Beine durchs Fenster streckte, sagte sie genau diesen Spruch!

Aber warum sagte die Bikini-Dame den Flupppuppenspruch? Sie konnte doch unmöglich die Flupppuppe sein?! Die Flupppuppe bestand nur aus Beinen. Mehr gab es bei ihr nicht zu sehen!

Die Bikini-Dame imitierte sicher nur den Spruch der Flupppuppe. - Aber warum?

„Endlich gibt es wieder Suppe, Flupppuppe“, rief der Mann aus dem runden Höhlenfenster. „Seit zwei Jahren warte ich darauf!“

Betrüger-Schorschi schwindelte.

Wenn der Birnenkopf Recht hatte, war die Bikini-Dame doch die Flupppuppe!

Aber wie war das möglich?

Wie konnte die Flupppuppe plötzlich Bauch, Arme und einen Kopf haben? Gestern noch hatte sie nur aus langen, fliegenden Beinen bestanden. Woher kam plötzlich der ganze Rest?

„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, sagte die Flupppuppe und ging mit federnden Schritten in die Höhle.

Betrüger-Schorschi schluckte: Egal, wie verrückt es war, dass die Bikini-Dame plötzlich die Flupppuppe war, egal, wie die Flupppuppe plötzlich zur Bikini-Dame werden konnte: Diese Frau war eine Wucht!

Ihre Stimme klang wie Samt, die Fliegermütze betonte ihr süßes Stupsnäschen, und der Bikini gab ihr ein verwegenes Aussehen. Und ihre Beine waren einfach unbeschreiblich: schlank, prall, zart, stark, weich, hart ... alles in einem!

Kaum zu glauben, dass es eine so tolle Frau gab! Und unfassbar, dass diese Frau ihm, ausgerechnet ihm, zugeflogen war! Es musste an der ausgezeichneten Suppe gelegen haben, die er ihr gekocht hatte!

 

Stolz pfiff er das Flupppuppenlied und setzte ihm am Ende eine neue Strophe hinzu:

 

Ich bin die tolle Puppe
nur mit mir gibt’s Suppe
seit heut’ ist auch mein Freund dabei
mit ihm gibt’s Ruhm und Geld wie Heu,
ich trage ihn jetzt übern Berg,
zu Abenteuern, Kind und Zwerg
auf meinen zarten, schlanken,
flugsichren Hinterpranken

 

„Die Suppe ist fertig!“, rief sein Gastgeber aus dem Höhleneingang.

Betrüger-Schorschi nickte. Suppe für die Puppe.

Aber egal, wie gut die Suppe des Birnenkopfs sein würde, der würde ihm sicher nicht die Flupppuppe ausspannen. Im Gegensatz zum Birnenkopf sah er nämlich wie der reinste Adonis aus. Er war kräftig und gut proportioniert gebaut, nicht zu groß und nicht zu klein. Außerdem hatte er ein kantiges, männliches Gesicht mit vollem, leicht welligem, braunen Haar und gewinnenden, tiefblauen Augen!

Siegessicher ging Betrüger-Schorschi in die Höhle. Auf dem Tisch stand ein großer, geschwungener Topf aus Porzellan, in dem die Suppe dampfte. Sie roch köstlich nach frischem Gemüse und ausgefallenen Gewürzen. Betrüger-Schorschi setzte sich an den Tisch und bekam mehrere Kellen Suppe in seinen Teller. Genießerisch schlürfte er die kräftigende Brühe. Er gab es nicht gerne zu, aber diese Suppe konnte auf jeden Fall mit seiner letzten, gekochten Suppe mithalten!

Eine wohlige Wärme strömte durch seinen Körper und erinnerten ihn an glückliche Tage. An eine Zeit, in der ihm seine Mutter noch eine gute Suppe gekocht hatte.   

Nach einer Weile sagte der Gastgeber zu Betrüger-Schorschi: „Nachdem Ihre Begrüßung vorhin nicht besonders glücklich war, wage ich nun einen Versuch. Herzlich willkommen im Blauen Gebirge. Ich bin der Torwart.“

„Sehr angenehm“, sagte Betrüger-Schorschi und dachte dabei an die leckere Suppe seiner Mutter.

„Als Torwart bewache ich das Tor zwischen dem Blauen Gebirge und Ihrer Welt“, fuhr der Torwart fort. „Jeder, der hier rein möchte, wird von mir genauestens geprüft. Jeder, der hier raus will, auch. Insgesamt lasse ich übrigens nur sehr wenige Menschen rein, und so gut wie niemanden wieder hinaus!“

Betrüger-Schorschi lächelte selig. Das Leben mit der Flupppuppe würde traumhaft werden.

„Und Sie?!“, fragte der Torwart. „Wer sind Sie, und was machen Sie?“

„Ich?“, schreckte Betrüger-Schorschi aus seinen schönen Gedanken auf. „Ich bin Betrüger-Schorschi und kann wie Sie leckere Suppen kochen!“

„Hm“, machte der Torwart und sah ihn misstrauisch an. „Ich hoffe, Sie machen uns keinen Ärger. Ich habe Sie nur herein gelassen, weil die Flupppuppe ein gutes Wort für Sie eingelegt hat.“

„Sie werden es nicht bereuen“, beeilte sich Betrüger-Schorschi zu sagen. „Ich bin nicht nur ein guter Koch, sondern auch ein anerkannter Arzt.“

Doch auch das schien den Torwart nicht zu beeindrucken.

„Ich sehe immer noch nicht, was Sie hier wollen“, sagte er. „Am besten schicke ich Sie gleich wieder nach drüben. Jetzt ist das noch möglich. Immerhin sind Sie noch gar nicht richtig angekommen.“

Betrüger-Schorschi schüttelte heftig den Kopf. Er durfte auf keinen Fall jetzt schon ausgewiesen werden! Nicht bevor er seinen Korb mit Diamanten gefüllt hatte.

„Ich bin der Cousin vom jungen Hubel“, sagte Betrüger-Schorschi gehetzt und glaubte damit, den Torwart für sich zu gewinnen. Denn zumindest in seiner Welt verstand sich der junge Hubel überall beliebt zu machen. Dann doch sicher auch hier?

Aber der Torwart zog nur fragend die Schultern hoch und sagte: „Junger Hubel? Nie von ihm gehört. Wohnt er im Blauen Gebirge?“

„Ja, ja“, beeilte sich Betrüger-Schorschi zu sagen. „In der Stadt der Kinder.“

„Stadt der Kinder?“, Der Torwart schüttelte den Kopf. „Ich bin mir sicher, dass es im Blauen Gebirge keine Stadt der Kinder gibt!“

„Es muss diese Stadt aber geben“, sagte Betrüger-Schorschi. „Immerhin hat der junge Hubel meiner Tante Pim aus dem Blauen Gebirge einen Brief geschrieben! Darin berichtet er, dass er in der Stadt der Kinder von einem großen Huhn gerupft wurde.“

„Ach“, meinte der Torwart. „Sie meinen wahrscheinlich Henriette Huhn, diese alberne Freundin von Minnie Maus und Klarabella Kuh. Aber die wohnt nicht in einer Stadt der Kinder, sondern in Entenhausen. Abgesehen davon glaube ich immer noch nicht, dass ihr Cousin dort ist. Er hat sich die Geschichte sicher nur ausgedacht. Viele brüsten sich in eurer Welt damit, hier gewesen zu sein und alles mögliche erlebt zu haben. Das wenigste stimmt davon. Wenn der junge Hubel wirklich hier wäre, müsste ich es wissen.“

Irritiert schaute Betrüger-Schorschi zur Flupppuppe.

Hatte der junge Hubel die ganze Geschichte wirklich nur erfunden, um sich vor seiner Tante aufzuplustern? Oder kannte der Torwart doch nicht alle Ecken im Blauen Gebirge?

„Warum seid ihr eigentlich zu mir gekommen?“, versuchte der Torwart von dem unfruchtbaren Thema abzulenken.

 „Weil es Zeit für Suppe ist“, antwortete die Flupppuppe.

Der Torwart nickte und schenkte der Flupppuppe Suppe nach. „Tatsächlich brauchen wir dringend deine Hilfe. Das Land steuert auf eine Katastrophe zu.“

„Was gibt es denn?“, fragte die Flupppuppe und schob sich einen Löffel Suppe in den Mund.

„Das Baby“, sagte der Torwart und sah die Flupppuppe ernst an. „Es will nicht mehr essen!“

„Oh“, machte die Flupppuppe und legte den Löffel zur Seite. „Habt ihr es schon mit Pudding probiert?“

Der Torwart nickte.

„Mit gezuckerter Milch und Keksen?“

Wieder nickte der Torwart.

„Dann probiert es mal mit Leberpastete“, sagte die Flupppuppe zuversichtlich. „Das hat bisher immer geholfen.“

„Dieses Mal eben nicht!“, rief der Torwart aus. „Selbst die Leberpastete hat es dieses Mal verschmäht!“

Die Flupppuppe schüttelte ungläubig den Kopf. Es konnte nicht sein, dass das Baby nicht einmal mehr Leberpastete essen wollte!

„Halt! Stopp!“, rief Betrüger-Schorschi. Er konnte es nicht leiden, einfach links liegen gelassen zu werden. „Um welches Baby geht es hier eigentlich?“

 „Um das Baby natürlich“, sagte der Torwart ungeduldig. „Jeder kennt das Baby!“

„Baby ist einfach Baby“, erklärte die Flupppuppe. „Es hat keinen Namen, denn niemand weiß, zu wem es gehört und woher es kommt. Eines Morgens saß es plötzlich oben auf dem Kesselberg. Und seitdem sitzt es da und schreit, wenn es Hunger hat.“

„Und warum holt es keiner vom Berg herunter?“, fragte Betrüger-Schorschi.

„Man kann das Baby nicht einfach vom Berg runter holen“, erklärte die Flupppuppe. „Es ist sehr groß. Das Baby ist dreißig Meter hoch, fünfzehn Meter breit und wiegt 200 Tonnen.“

„220 Tonnen“, korrigierte der Torwart. „In den letzten beiden Jahren hat es noch mal zugelegt.“

Betrüger-Schorschi schluckte. „Und wer füttert das Baby?“

„Warum sind Sie eigentlich hier?“, knurrte der Torwart, „Warum sind Sie überhaupt mit der Flupppuppe gekommen, wenn Sie von uns offensichtlich keine Ahnung haben?“

„Weil er mir mit Rat und Tat zur Seite stehen kann,“ sagte die Flupppuppe.

Betrüger-Schorschi streckte stolz die Brust vor und grinste den Torwart gewinnend an.

Der?“, fragte der Torwart und sah skeptisch auf den aufgeblasenen Bekannten der Flupppuppe. „Wie denn?“

„Er ist Arzt“, erinnerte ihn die Flupppuppe. „Sicher weiß er, wie man das Baby wieder zum Essen bekommt.“

Betrüger-Schorschi nickte selbstbewusst. Eigentlich hatte er für Babys nichts übrig. Aber es wurmte ihn, dass der Torwart keinerlei Respekt vor ihm hatte. Außerdem musste er den Torwart davon überzeugen, dass es besser für sie alle war, wenn er Betrüger-Schorschi nicht gleich wieder außer Landes wies.

„Alle aus dem Blauen Gebirge müssen das Baby füttern“, klärte die Flupppuppe Betrüger-Schorschi auf. „Weil das Baby so viel isst, gehen hier allmählich die Lebensmittel aus. Vor allem Milch, Kekse und Puddingpulver gibt es fast nirgends mehr zu kaufen.“

„Schokolade gibt’s auch fast keine mehr“, klagte der Torwart und warf einen sehnsüchtigen Blick durch das Fenster. Betrüger-Schorschi wusste, warum. Der Torwart dachte sicher an die Tafeln Schokolade, die in seinem Ballonkorb lagen.

„Warum wird das Baby überhaupt noch gefüttert?“, fragte Betrüger-Schorschi, „wenn es so schwer ist, würde ihm eine Diät gut tun.“

„Andere Länder, andere Sitten“, sagte die Flupppuppe.

Der Torwart schüttelte energisch den Kopf. „Wenn wir das Baby nicht füttern, wird es wütend! Und wenn das Baby wütend wird, reißt es riesige Steine vom Berg, schmeißt sie ins Tal und zerstört dabei unsere Häuser! Das ist der Grund, warum wir es nicht auf Diät setzen!“

„Dann seid doch froh, wenn es zur Zeit gar nichts essen will“, sagte Betrüger-Schorschi.

„Im Gegenteil!“, rief der Torwart verärgert. „Dann ist es doch noch unausstehlicher! Wahrscheinlich hat es vom vielen Essen Bauchweh und ärgert sich, dass es nichts mehr essen kann. Auf jeden Fall schmeißt es zur Zeit mit noch mehr Steinen um sich als sonst!“

„Nicht sehr sympathisch, dieses Baby“, fasste Betrüger-Schorschi die Fakten zusammen.

Der Torwart nickte.

„So aus der Ferne kann ich natürlich nicht beurteilen, wie man das Baby wieder zum Essen bekommt“, sagte Betrüger-Schorschi mit der professionellen Mine des Arztes. „Ich müsste es mir schon einmal aus der Nähe ansehen.“

„Das ist unmöglich“, sagte der Torwart. „Wenn das Baby so schlecht gelaunt ist wie zur Zeit, ist es lebensgefährlich, in seine Nähe zu kommen.“

„Ach was“, sagte die Flupppuppe unbekümmert. „Wenn Betrüger-Schorschi Lust auf ein kleines Abenteuer hat, können wir dem Baby gerne einen Besuch abstatten. Ohne den Ballonkorb an den Beinen fliege ich zehnmal höher und schneller. Selbst wenn Betrüger-Schorschi auf meinem Rücken sitzt.“

Betrüger-Schorschi schluckte.

Sicher, er war hier auf Abenteuer gefasst gewesen. Aber diesem gigantischen Baby entgegenzufliegen, das mit riesigen Felsbrocken um sich schmiss, war nicht gerade nach seinem Geschmack! Selbst dann nicht, wenn er dabei direkt auf dem Rücken der Flupppuppe sitzen durfte.

Andererseits bot ihm dieses gefährliche Abenteuer die Möglichkeit, den Torwart in seine Schranken zu weisen!

Er sollte endlich einsehen, dass Betrüger-Schorschi ein Recht darauf hatte, im Blauen Gebirge zu sein. Außerdem sollte sich diese schmächtige Wurst ja nicht einbilden, dass er der Flupppuppe mehr das Wasser reichen konnte als er! Und nicht zuletzt durfte Betrüger-Schorschi natürlich auch vor der Flupppuppe nicht als Weichei erscheinen! Schließlich hatte er mit der Flupppuppe noch andere Pläne.

„Wann fliegen wir los?“, fragte er deshalb und sah der Flupppuppe fest in die Augen.

„Sie möchten wirklich zum Baby fliegen?“, fragte der Torwart. „Einer von drüben möchte sein Leben für uns aufs Spiel setzen?“

Betrüger-Schorschi nickte.

 „Und du fliegst ihn tatsächlich zum Baby?“, fragte der Torwart die Flupppuppe. „Du möchtest das wirklich riskieren?“

„Bist du einmal in Not / ich bring es dir ins Lot“, zitierte die Flupppuppe aus ihrem Lied.

„Ja, das stimmt“, sagte der Torwart und nickte bedächtig seinen Birnenkopf. „Ich hätte es wissen müssen, als ich dich gestern auf mich zufliegen sah! Auf die Flupppuppe ist immer Verlass!“

 

Keine zehn Minuten später standen alle drei auf der Felsplattform und verabschiedeten sich voneinander.

„Nichts für ungut“, sagte die Puppe ins Blaue hinein. „Aber meine Beine brauchen Bewegung.“

Sie flog einen Meter in die Höhe, drehte sich in Bauchlage und forderte Betrüger-Schorschi auf, sich auf ihren Rücken zu schwingen.

„Haltet die Ohren steif!“, sagte der Torwart.

„Wird schon schief gehen“, sagte Betrüger-Schorschi.

„Alle Mann an Bord?“, fragte die Flupppuppe.

„Alle Mann an Bord!“, bestätigte Betrüger-Schorschi.

Er hielt die Hand zum Gruß, und der Torwart winkte zurück.

„Festhalten!“, rief die Puppe. „Es geht los!“

Betrüger-Schorschi hielt sich an ihren Schultern fest und die Puppe schraubte sich in die Höhe.

 

Wow!

Das war weitaus besser, als unter den Ballonbeinen im Korb zu sitzen! Jetzt war er mitten im Himmel!

Wolkenfetzen kitzelten seine Nase, der Wind riss an seinen Haaren und jede Abwärtsbewegung fuhr ihm in den Bauch.

Er bekam die kleinsten Bewegungen der Flupppuppe mit - und so konnte er sich beinahe einbilden, selbst zu fliegen.

 

Zick, zack, zong. Das Leben ist schön. Mit und ohne Gong. Hahahaha. Flupppuppe. Du und ich. Wir bringen es ins Lot. Hahaha.

Hast du den blauen Diamant-Felsen gesehen? Bestimmt eine Billion wert!

Hahaha. Flupppuppe. Das ist Glück!

Hui, das ging aber steil nach oben.

 

Die Flupppuppe schraubte sich senkrecht nach oben, so lange, bis sie die obersten Gipfel des Blauen Gebirges unter sich hatten. Dann drehte sie sich senkrecht und steuerte auf eine riesige Ebene jenseits der Berge zu.

 

Oh, das ist aber ein schönes, grünes Tal unter uns, sieht sehr saftig aus. Und da eine Stadt, wie mit Aquarellfarben gemalt.

Zack, fuhr das gerade in den Bauch.

Vorsicht, Flupppuppe, vor dir fliegt so eine merkwürdige Suppentasse! Was war denn das?! Ein unbekanntes Flugobjekt? Oder fliegen sie hier in solchen Schüsseln durch die Gegend?

Und wo sind jetzt die Berge?

Ich sehe nur noch eine riesige Steppe unter uns. Niemand scheint hier zu wohnen. Aber macht nichts, Hauptsache, uns beide gibt es, was Flupppuppe?!

Auf deinen tollen Pranken fühlt sich das Leben gleich grenzenlos an!

Hahaha!

 

Wie Betrüger-Schorschi von hier oben aus sehen konnte, war das Gebirge nur die sichtbare Grenze zu seiner Welt. Der größte, bewohnte Teil des Landes lag offensichtlich dahinter und erstreckte sich bis zum Horizont.

Die Landschaft mit ihren hell- bis dunkelgrünen Vierecken, grauen Strichen, blauen Linien und Flecken, gelben und braunen Abschnitten sah kaum anders aus als die seiner Heimat, sofern man sie aus solch luftigen Höhen betrachtete. Flog die Flupppuppe aber etwas tiefer, wirkten einige Ortschaften und Gebäude doch anders als Betrüger-Schorschi es gewohnt war. Er entdeckte beispielsweise ein windschiefes Schloss, aus dem ein eklige, braune Masse rauswaberte, er sah pummelig wirkende Häuser mit pilzartigen Dächern und große Holzhütten auf Beinen.

Die Flupppuppe flog nun eine Kurve und steuerte einen einzeln stehenden, grauen Berg an, der am Rand einer weiten Ebene stand.

„Ist das der Kesselberg?“, fragte Betrüger-Schorschi.

Die Flupppuppe nickte, und Betrüger-Schorschi kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.

Der Kesselberg war beinahe so breit wie hoch und hatte eine kegelförmige Spitze. Das Baby darauf konnte Betrüger-Schorschi allerdings nicht erkennen. Aber sie waren auch noch mehr als 30 Meilen vom Berg entfernt, und er würde das Baby noch früh genug zu Gesicht bekommen. Bis dahin wollte er die Zeit mit der Flupppuppe genießen.

Es war unglaublich, wie gut sie fliegen konnte. Und das ohne Motor, Flügel oder irgendein anderes Hilfsmittel. Die Flupppuppe streckte einfach nur ihre Arme und Beine lang und schon flog sie leicht und schnell wie ein Vogel!

Bremsen konnte sie, indem sie die Arme seitlich vom Körper wegstreckte. Manchmal wackelte sie etwas mit den Beinen. Ob sie damit die Richtung oder das Tempo beeinflusste, oder ob sie ihre Beine nur so zum Spaß bewegte, konnte Betrüger-Schorschi nicht entschlüsseln. Aber das spielte auch keine Rolle. Wichtig war nur, dass die Flupppuppe flog wie eine Eins und ihn sicher ans Ziel brachte.

Ein lautes Krachen riss Betrüger-Schorschi aus seinen Betrachtungen. Ein Gewitter?

Verblüfft schaute er sich um. Nur kleine, unschuldige weiße Wölkchen waren am blauen Himmel. Keine Spur von einem aufkommendem Sturm..

Wieder krachte es.

„Felsbrocken“, erklärte die Flupppuppe.

„Zum Glück sind wir hier oben“, meinte Betrüger-Schorschi.

Die Flupppuppe lachte.

Das Krachen und Poltern wurde lauter, und Betrüger-Schorschi konnte inzwischen hören, wie die Brocken den Berg hinabkollerten und hüpften.

KROLL, KRANG, KRAWUMM.

„Ist das ein Erdbeben?”, fragte Betrüger-Schorschi begriffsstutzig.

„Nein, das ist das Baby!“, rief die Flupppuppe.

Sie legte einen Zahn zu, und bald konnten sie die Umrisse des Babys erkennen.

Betrüger-Schorschi schauderte:

Das, was er vorhin für die kegelförmige Kuppe des grauen Bergs gehalten hatte, war in Wirklichkeit das Baby! Wie auf einem Topf saß es auf dem Berg und nuckelte an den Fingern.

„Wir haben Glück“, sagte die Flupppuppe erfreut, „das Baby macht eine Pause.“

Betrüger-Schorschi nickte mit aufgerissenen Augen, zeigte mit dem Finger auf den Berg und sagte voller Entsetzen: „Baby!“