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Kulturtasche

 

Was eigentlich ist ein ...: Quatschomatiker?

Interview mit Fanz Topfen, geborener und berufsmäßiger Quatschomatiker

Fanz, reden wir nicht lange drum herum: Was ist ein Quatschomatiker?

Das ist einer, der Quatsch macht.

Aha! Dann sind wir also alle Quatschomatiker? Denn sicher hat jeder von uns in seinem Leben schon mal Quatsch gemacht.

Nein! Leider sind die wenigsten Leute Quatschomatiker. Es reicht nicht, ein oder zwei Mal im Leben Quatsch zu machen. Als geborener Quatschomatiker muss man mindestens vier Mal am Tag Quatsch machen, als berufsmäßiger Quatschomatiker mindestens dann, wenn man einen öffentlichen Auftritt hat. Da ich sowohl geborener als auch berufsmäßiger Quatschomatiker bin, kannst du dir sicher vorstellen, wie mein Tag aussieht.

Nicht wirklich. Kippst du Soße auf das Sofa oder machst du intelligente Witze über irgendwelche Leute oder sagst du "Hallo Oma" zu deinen Pepperoni-Ohren?

Ach, diesen schalen Witz mit den Pepperoni-Ohren kann ich nicht mehr hören! Ja, meine Oma war eine Pepperoni! Aber muss man deshalb langweilige Witze darüber machen? Witze sind das eine, Quatsch ist das andere.

Was ist denn Quatsch?

Quatsch ist originell und kreativ! Und Quatsch muss nicht unbedingt witzig sein. Lachen ist nicht Ziel des Quatsches, sondern nur eine häufige Begleiterscheinung. Ziel des Quatsches ist viel mehr, sich von Regeln zu befreien, aus der Reihe zu tanzen, Dinge aus einem anderen, neuen Licht zu betrachten. Das, was wir als Quatsch empfinden, ändert sich deshalb auch von Zeit zu Zeit und ist von der gesellschaftlichen, geschichtlichen Situation und auch nach der individuellen Erwartungshaltung abhängig. Was gestern als Quatsch empfunden wurde, muss heute noch lange nicht Quatsch sein oder umgekehrt.

Fällt dir dazu ein Beispiel ein?

Mode ist ein plakatives Beispiel. Während es zum Beispiel im Rokoko chic war, als junge Frau mit grauhaariger Perücke herum zu laufen, färbt man sich heute die Haare bis ins hohe Alter braun, schwarz oder blond. Was davon ist nun Quatsch?

Beides. Wie wäre es dagegen mit grünem Leder?
Nein. Spaß beiseite: Die Endung "matik" in deiner Berufsbezeichnung klingt nach einem Regelwerk, das euren Beruf auszeichnet. Gibt es ein Regelwerk, mit dem Quatsch erzeugt werden kann?

Ja und nein.
Ja, weil Quatschomatik, wie alles andere auch, gewissen Regeln unterliegt. Es gab und gibt immer wieder Quatsch-Richtungen in der Kunst, wie Dada, Nonsense-Dichtung und Readymades, die so etwas wie Regeln für Quatsch aufstellten. Bei Dada war es die Negation jeglichen Kunstideals und die Proklamation absoluter, künstlerischer Freiheit. Das führte unter anderem zu den bekannten Zufallstexten, "Versen ohne Worte" wie Hugo Ball sie nannte, Collagen und Geräuschkonzerten. Und bei der Nonsense-Dichtung ist es die regelhaft betriebene Sinnverweigerung. Dabei sind Nonsense- oder Unsinssgedichte nicht sinnlos, sondern
erzeugen eine neue Wirklichkeit, die nach eigenen Gesetzen funktioniert und als literarisches Produkt in sich stimmig ist. Stilmittel der Unsinnspoesie sind häufig Widersprüche, nichtssagende Vergleiche, erfundene Wörter. Das Volkslied: "Dunkel war's / der Mond schien helle", und Carrolls "Verdaustig wars, und glasse Wieben / Rotterten gorkicht im Gemank" sind dafür wohl bekanntestes Beispiel ...


Vita

Fanz Topfen kam als Sohn einer Banane und eines Quarks in Österreich zur Welt. Schon als Kind machte er mit Quatsch auf sich aufmerksam und wurde drei Mal aus der Schule geworfen. Mit 15 Jahren bestand er die Sonderbegabtenprüfung am Kölner Quatsch-Institut, mit 19 gründete er die "Internationale Vereinigung der Quatschomatiker" (IVQ), deren Ziel es in erster Linie ist, Quatsch mit unterschiedlichen Kunstformen zu verbreiten. Er selbst bevorzugt die Bühnenshow, bei der man quatschhafte Musik, Tanz und Sprache gut miteinander kombinieren kann.
Für Kinder schreibt er Hörspiele und Kurzgeschichten. Bekannt ist vor allem die Sammlung mit dem Titel: "Ein Auge springt ins Trommelfell."
Fanz Topfen hat für sein quatschhaftes Wirken zahlreiche Preise erhalten, darunter die "Goldene Kappe".

Und was ist das Regellose in der Quatschomatik?

Quatschomatiker brechen ganz bewusst die bekannten Regeln der Logik und der Wahrnehmung. Wir haben eine Lust am Verwirren, Verdrehen, Verblüffen. Und zwar nicht aus Selbstzweck, sondern um neue gedankliche Räume und Perspektiven eröffnen zu können.
Deshalb reicht es uns auch nicht, ein gewisses Instrumentarium oder Regelwerk zu beherrschen mit dem wir jeden Tag wieder gleich zu Werk gehen können. Sondern wir müssen unsere Arbeit jeden Tag neu erfinden. Das, was bei den meisten Berufen von Vorteil ist, nämlich Routine zu haben, ist für den Quatschomatiker Anlass zur Sorge. Quatsch aus Routine ist kein Quatsch mehr. Ein Quatschomatiker muss seine Umgebung hellwach beobachten und kreativ immer wieder anders darauf reagieren. Im Unterschied zum anderen Künstlern, darf sich der Quatschomatiker nicht langfristig auf eine Richtung einschießen. Er muss unerwartbar bleiben. Nur dann kann er wirklich quatschig sein und nur dann zeigt er einen wirklich neuen Blick auf die Dinge.

Hast du bei deinen Auftritten deshalb immer einen ganzen Korb mit neuen, unerwartbaren Gegenständen dabei?

Genau. Die Gegenstände sind sozusagen meine Inspirationshilfe. Ich denke, jeder Quatschomatiker braucht eine Krücke, die ihm in inspirationsfreien Sekunden weiter hilft. Meine Krüke ist leider für alle sichtbar. Andererseits sind die sonderbaren Gegenstände inzwischen mein Markenzeichen geworden.

In deiner letzten Show hattest du eine löchrige Damenstrumpfhose, einen angebissenen Apfel, eine Zahnpastatube und eine tote Ratte dabei. Bekannt wurdest du mit deiner Hundekacke-Performance, in der du die Kacke in einer gespielt großmütigen Geste einem Zuschauer geschenkt hast. Nach welchem Kriterium suchst du die Gegenstände aus?

Nach gar keinem. Ich sammle sie nach dem Zufallsprinzip auf der Straße ein. Wenn ich keine Zeit habe, lasse ich mir von irgendjemandem, einer Nachbarin, Fußgängerin oder einem Schulkind, x-beliebige Gegenstände einpacken. Die Hundekacke-Performance war grenzwertig, das gebe ich zu. Und sie war riskant. Wenn der Zuschauer die Kacke abgewiesen und sie nicht dankend angenommen hätte, hätte die Performance nicht funktioniert und wäre ein Flop geworden. Aber so haben erst da die meisten verstanden, was ich sagen will.

Nämlich?

Kacke ist mehr als Kacke. Sie ist ein Teil der Zivilisation.

Ähem.
Braucht man als Quatschomatiker ein Talent?

Auf jeden Fall. Man braucht einen speziellen Blick auf die Dinge und die Fähigkeit, das so umzusetzen, dass das Publikum diesen Blick miterleben kann. Ich bin zum Glück als Quatschomatiker zur Welt gekommen. Ich habe deshalb keine Ahnung wie man sich erst in späteren Jahren zum Quatschomatiker entwickeln kann.

Haben Kinder mehr Talent zum Quatsch-machen als Erwachsene?

Wenn du jetzt wieder an die Soße auf dem Sofa denkst, dann haben Kinder sicher mehr Talent zum Quatsch machen. Aber dieser Quatsch hat nichts mit dem Quatsch der Quatschomatiker zu tun. Zu Quatsch im Sinne von Quatschomatikern haben Kinder leider genauso wenig Talent wie Erwachsene. Ich gehe ja immer wieder in Schulen und arbeite dort mit Kindern. Ich mache dort je nach Anfrage kleine Quatsch-Theaterstücke, Quatsch-Musik, Quatsch-Bilder oder Quatsch-Geschichten. Ehrlich gesagt bin ich jedes Mal verwundert, wie viel Angst Kinder davor haben, aus den vorgegebenen Bahnen auszubrechen und guten Quatsch zu machen. Ich brauche mindestens zwei Tage, bis ich die meisten Kinder aus der Reserve gelockt habe. Aber dann entstehen tolle Sachen, von denen ich mir häufig eine Scheibe abschneiden kann.

Es hört sich eigentlich unglaublich an, dass Lehrer einen Quatschomatiker engagieren, um ihren Schülern Quatsch beizubringen. Eher würde man jemanden erwarten, der den Kindern Disziplin beibringt.

Quatsch und Disziplin widersprechen sich nicht. Wenn ich mit Kindern arbeite, arbeite ich sehr diszipliniert mit ihnen, um ihr kreatives Potential an die Oberfläche ihres Bewusstseins zu holen. Gerade heute, wo es weder einen gesellschaftlichen Wertekonsens noch klare Berufsbilder gibt und jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, müssen die heranwachsenden Kinder ihre kreativen Ressourcen anbohren, um für sich selbst ein Lebens- und später auch Berufsziel entwickeln zu können.
Quatschomatik, die die Dinge distanziert und kritisch betrachtet, aber auf sie gleichzeitig spontan reagiert, ist dafür ein wunderbares Mittel. Immer mehr Lehrer erkennen das und sind froh, wenn ich einen Teil ihrer Erziehungsarbeit professionell übernehme.

Du grenzt dich immer wieder vom schlechten Quatsch ab. Was ist schlechter Quatsch?

Schlechter Quatsch ist Blödsinn. Und Blödsinn ist alles, was stört. Was stört ist natürlich von Situation zu Situation und von Person zu Person unterschiedlich. Trotzdem gibt es beim Blödsinn wie beim Quatsch Dinge, die innerhalb einer ganzen Gesellschaft Blödsinn sind, auch wenn das von vielen nicht gesehen wird.

Zum Beispiel?

Werbung. Das ist großer, aufgeblasener Blödsinn. Es stört, weil es einen ständig vom Wesentlichen ablenkt und überhaupt nichts bringt. Außer denen, die damit Geld verdienen.

Das hört sich sehr moralisch an. Passt Quatschomatik und Moral überhaupt zusammen?

Es ist Quatsch, zu glauben, dass Qutschomatiker, Werte oder Regeln allgemein zerstören wollen. Im Gegenteil, wir suchen mit dem Mittel des Quatsches immer neue Wege, Dinge zu verändern und sich selbst und den anderen immer wieder über alltägliche Abläufe die Augen zu öffnen. Wir wollen schlechte, quatschige Regeln blosstellen, um den Weg für gute Regeln frei zu machen.

Findest du es quatschig, dass aus deinem Kopf ein Wurm wächst auf den bereits ein Vogel wartet?

Nein! Man nennt das höchstens "Schwarzen Humor". Ich finde es übrigens auch nicht quatschig, Bemerkungen über mein Aussehen zu machen. Ich habe den Wurm sicher schon tausend Mal aus dem Kopf gezogen, aber er kommt immer wieder. Inzwischen habe ich mich mit ihm abgefunden. Und wo ein Wurm ist, ist ein Vogel nicht weit.

Wie sieht deine Zukunft aus? Planst du gerade ein bestimmtes Projekt?

Ein Traum von mir ist, als geborener Quatschomatiker aus der Quatschomatik auszusteigen. Das wäre sozusagen der Gipfel der Quatschomatik! Aber da ich diese Selbstüberwindung nur im Tod erreichen könnte und ich von Selbstmord nichts halte, werde ich diesen Gipfel wohl nie erreichen.
Aber einen ernsthaften Plan? Nein, das habe ich nicht. Und wenn ich genau überlege, will ich sowas auch gar nicht haben. Denn sonst verpasse ich ja das Beste, das es gibt: Den Quatsch!

Lieber Fanz, herzlichen Dank für das Gespräch!

 

 © Rossipotti No. 14, Feb. 2007