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Kulturtasche
Was ist eigentlich ... : Theaterpädagogik?
Zu diesem Thema haben wir die Theaterpädagogin Rike Reiniger
interviewt und außerdem fünf Kinder, die über drei
Monate ein Stück mit ihr geprobt haben. Im Dezember 2004 wurde
das Stück an der Berliner Schaubude aufgeführt.
Kulturtasche: Rike, du bist von den Landesbühnen
Sachsen als Theaterpädagogin angestellt. Was macht man
eigentlich als Theaterpädagogin?
Bei Theaterpädagogik unterscheidet man grundsätzlich
zwischen zwei Bereichen. Der eine Bereich versucht mit den
Mitteln der Pädagogik Theater als Kunstform zu vermitteln.
Hier steht die künstlerische Ausdrucksweise im Vordergrund.
Der andere Bereich möchte in erster Linie pädagogische
Inhalte vermitteln. Hier setzt man sich in verschiedenen Szenen
mit unterschiedlichen Themen auseinander. Beispielsweise mit
dem Thema Toleranz oder dem Austausch unterschiedlicher Kulturen.
Natürlich überschneiden sich die beiden Bereiche.
Bei beiden Arbeitsweisen ist zum Beispiel der Weg, also das
Arbeiten an der Szene, sehr wichtig.
Arbeitet der Theaterpädagoge ausschließlich
mit Kindern zusammen?
Nein, er kann mit allen Bevölkerungsgruppen zusammenarbeiten.
Mit Laienspielgruppen oder Lehrern, aber auch mit Senioren,
eigentlich mit allen, die sich als Gruppe zusammengefunden
haben und eine Anleitung für den Theaterbesuch oder das
Theaterspiel wünschen. Die Arbeit mit Lehrern bezieht
sich vor allem auf die Vorbereitung eines Theaterbesuchs.
Sie bekommen von uns Materialien zu dem Stück und wir
besprechen, wie sie ihre Schüler daran heranführen
können.
Ich selbst arbeite übrigens in erster Linie mit Kindern,
Jugendlichen und Lehrern zusammen.
Mit Kindern und Jugendlichen, die erst wenig Erfahrung
mit der Kunstform Theater haben, improvisierst du gerne Stücke.
Wie kann man sich ein "Improvisationstheater" vorstellen?
Der Begriff ist so nicht festgelegt. Es gibt viele verschiedene
Spielarten von "Improvisationstheatern". Beim traditionellen
Improvisationstheater sind zum Beispiel die Figuren, aber
nicht die Ausführung selbst festgelegt. So wie das bei
der 'Commedia dell'arte' oder dem 'Türkischen Spiel in
der Mitte' der Fall ist. Bei der Commedia gibt es beispielsweise
den Arlecchino und den Brighella. Der Arlecchino ist der naive,
lustige und verfressene Schelm, der sich auf der Bühne
alles herausnehmen darf und der Liebling der Zuschauer ist.
Brighella dagegen ist listig und geschickt, manchmal sogar
hinterhältig und skrupellos. Beide haben ihre feste Rolle,
aber welche Handlung sie genau spielen, erfährt man erst
auf der Bühne.
Dann gibt es den Theatersport, bei dem zwei Mannschaften gegeneinander
improvisieren. Das Publikum ruft ihnen zu, was sie spielen
sollen. Am Schluss entscheidet das Publikum, welche Mannschaft
gewonnen hat.
Und dann gibt es auch noch das Improvisationstheater, bei
dem das Stück während des Probenprozesses entsteht.
Das ist für den Amateurtheaterbereich, in dem ich als
Theaterpädagogin arbeite, sehr geeignet. Die Szenen entstehen
nicht durch die Arbeit mit dem Text, der dann in den Proben
von den Kindern aufgesagt wird, sondern durch Improvisation
in den Proben. Die Kinder lernen so mit ihrer Kreativität
umzugehen und vor allem auch sich und die anderen kennen.
Die Gruppe als Ganzes findet so die Ausdruckform für
ihr Thema. Ich lege nur das dramatische Gerüst des Stückes
fest und gebe ihnen technische Anweisungen, wie "nicht
mit dem Rücken zum Publikum stehen" oder "nicht
leise reden", aber das meiste kommt aus der Gruppe selbst.
Aus den Ideen formuliere ich dann einen Text. So bekommen
wir ein Stück, das feststeht und in dem jeder seine Rolle
auswendig kann.
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Vita
Rike Reiniger wurde 1966 in Bochum
geboren, studierte Regie- und Dramaturgie für Puppentheater
in Prag und Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen.
Nach ihrem Diplom arbeitete sie im Off-Theater-Bereich. Das
ist die Theaterszene außerhalb des etablierten Theaterbetriebs.
Zur Zeit arbeitet sie als Theaterpädagogin an den Landesbühnen
Sachsen in Radebeul. Rike Reiniger lebt in Berlin und hat
drei Söhne.
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Im Moment probst du mit Kindern zwischen 6 und 12 Jahren an
der Berliner Schaubude. Du hast dir den Themenkomplex des jüdischen
Robotermenschen "Golem" ausgesucht, und dieses Stück
führt ihr auch an der Schaubude auf. Wie erarbeitet ihr euch
konkret dieses Stück?
Zuerst
liefere ich den Kindern das dramatische Grundgerüst und den
Spannungsbogen. Beim Golem, den ich gerade mit Berliner Kindern
erarbeite, habe ich aus den vielen verschiedenen Golem-Stoffen einen
zusammengestellt. Bei dem Stoff gebe ich aber lediglich vor, dass
in dem mittelalterlichen Prag zwischen den dort lebenden Böhmen
und Juden ein Streit ausbricht. Es verschwindet ein böhmisches
Kind, und jetzt beschuldigen die Böhmen die Juden, die in einem
Ghetto der Stadt leben, es ihnen entführt zu haben. Die Böhmen
drohen den Juden, wenn sie das Kind von den Juden nicht wieder bekommen
würden, das Ghetto zu stürmen. Da die Juden das Kind nicht
haben, wissen sie nicht, was sie tun sollen. In dieser Situation
fällt dem Rabbi Löw ein, dass er in der Kabbala (jüdische
Geheimlehre, die Kulturtasche) von einem übermenschlichen
Wesen gelesen hat. Er erschafft das roboterhaftes Wesen, den Golem,
der ihnen helfen soll. Der Golem entpuppt sich aber als weit menschlicher
als gedacht und verliebt sich in die Tochter des Rabbi. Weil er
sie nicht bekommt, rastet er aus und die Juden müssen ihn wieder
zerschlagen.
Das ist also die Struktur, die ich vorgegeben habe. Die Kinder
entscheiden nun selbst, wie sie bebildert und szenisch umgesetzt
wird. Das Mädchen, das den Golem spielt, hatte beispielsweise
keine Lust, ihn als Roboter zu spielen. Statt dessen wollte sie
ihm von Anfang mehr menschliche Züge geben. Jetzt ist der Golem
einer, der sich und seine Bewegungen neugierig entdeckt.
Übernehmen die Kinder dann die ganze Inszenierung oder
leitest du sie weiter an?
Also
zuerst probieren alle alles aus. Dann dürfen die Kinder entscheiden,
welche Rolle sie am liebsten spielen wollen. Wenn mehrere die gleiche
Rolle auswählen, muss ich entscheiden, wer sie spielen darf.
Dieses Mal waren zuerst zwei unglücklich mit meiner Entscheidung,
aber sie haben sich dann damit abgefunden.
Ich helfe natürlich auch dabei, die Szenen mit Bildern auszuformen.
Weil die Kinder wenig Übung mit theatralischer Ausdrucksformen
haben, haben sie noch keine ausgesprochen szenische Phantasie. Es
ist ja nicht so, dass man nur die kindliche Kreativität rauslassen
muss und schon haben wir eine schöne Szene, sondern man muss
diese Kunstform und das Handwerkszeug dazu schon richtig lernen.
Gibt es Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen in der
Herangehensweise?
In
dieser Gruppe erstaunlicher Weise nicht. Beim Golem haben wir acht
Jungen und nur drei Mädchen. Und die Jungen sind sehr offen.
Ein Junge hat mir besonders imponiert, weil er keine Probleme damit
hatte, Frauenrollen zu spielen. Das ist in dem Alter sehr ungewöhnlich.
Normalerweise ist es so, dass Mädchen besser aus sich herausgehen
können und offener sind als Jungen. Jungen spielen deshalb
meistens weniger gern Theater als Mädchen. Obwohl es gerade
für Jungen so wichtig ist, verschiedene Ausdruckformen zu lernen.
Deshalb freue ich mich, dass in dieser Gruppe so viele aufgeschlossenen
Jungen dabei sind.
Welche neue Erfahrung hast du bei diesem Projekt bekommen?
Ein ähnliches Projekt hatte ich schon einmal mit einer Kindergruppe
aus der Umgebung von Radebeul und Dresden durchgeführt. Mich
hat erstaunt, dass die Berliner und Dresdner Kinder so unterschiedlich
sind! Die Berliner Kinder waren noch nicht sehr vertraut mit Theaterregeln:
z.B. dass ohne Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme einfach nichts
läuft.
Welche Voraussetzungen sollten Kinder mitbringen, die Theater
spielen wollen?
Nichts, außer dem Interesse dafür und der Bereitschaft,
den Kurs bis zum Schluss durchzumachen. Im Theater arbeitet man
auf ein Ergebnis hin und zwar alle in der Gruppe gemeinsam. Das
sollte man sich klar machen, bevor man sich für das Mitspielen
an einem Stück entscheidet. Wer Lust hat, das mal auszuprobieren,
kann mir schreiben: rike.reiniger@t-online.de.
Wenn wieder ein Kurs stattfindet, werde ich Euch informieren!
Hallo Henry, Malwine, Jarek, Max, Xenia und Noah. Drei Monate
lang habt ihr jeden Dienstag-Nachmittag an der Berliner Schaubude
den "Golem" einstudiert. Warum spielt ihr Theater?
Henry
(10 Jahre): Ich mach's einfach gerne. Mir macht die Aufführung
Spaß, das Proben macht mir allerdings keinen Spaß.
Jarek (6 Jahre):
Ich spiele gerne Theater. Zu Hause spiele ich oft mit Fingerpuppen.
Ich habe eine Kulisse gebaut und spiele darin mit den Fingerpuppen.
Ich möchte eine Videokamera und damit meine Theaterstücke
filmen. Die Filme verkaufe ich dann auf dem Alex (das ist ein
großer, belebter Platz in Berlin, die Kulturtasche).
Noah (12 Jahre): Ich möchte
später Filmschauspieler werden. Da muss man nicht so früh
aufstehen und hat keine festen Termine.
Max (10 Jahre): Mir gefällt
es, nicht immer der Max sein zu müssen.
Xenia (10 Jahre): Ich möchte
später Visagistin, Designerin oder Schauspielerin werden. Theater
spielen finde ich gut, weil man da auf der Bühne steht und
einen alle sehen.
Malwine (12 Jahre): Ich spiele
Theater, weil meine Mutter immer sagt, ich spinne zu Hause zu viel
rum, ich soll lieber im Theater rumspinnen. Aber ich gehe auch gerne
selbst zum Theater spielen. Ich spiele auch in der Schule Theater.
Welche Rolle habt ihr euch ausgesucht?
Henry:
Ich habe mir meine Rolle des Rabbi Löws nicht selber ausgesucht.
Ich wollte den Polizisten spielen. Der erste Eindruck vom Rabbi
Löw hat mir nicht gefallen.
Max: Ich spiele den Polizisten.
Den wollte ich spielen, weil ich ihn schon einmal in Dresden gespielt
habe. Dort bin ich 10 Minuten vor der Aufführung für einen
eingesprungen, und da hat mir die Rolle so gefallen, dass ich sie
hier wieder spielen wollte.
Malwine: Ich habe mir den Golem
ausgesucht. Aber ich habe ihn mir anders vorgestellt. Ich habe gedacht,
dass er einfühlsamer ist. Aber jetzt habe ich kein Problem
mehr damit, ihn von Anfang an gefühlloser zu spielen.
Xenia: Eigentlich wollte ich
die Schlafwandlerin spielen. Jetzt spiele ich die Mutter, deren
Kind verschwunden ist. Das ist auch gut. An der Rolle gefällt
mir, dass ich öfters besorgt bin. Lustige Rollen finde ich
nicht so spannend, weil man dann vielleicht selber lachen muss.
Gefällt euch das Stück?
Malwine:
Ich finde das Stück schön. Die Geschichte mit den Juden
hat sich ja vor 60 Jahren schon wieder wiederholt. Und heute bauen
sich die Vorurteile zwar langsam ab, aber wenn die Nazis jetzt wieder
in den Bundestag kommen, gibt es vielleicht wieder Probleme. Wenn
die Leute böse sind, weil sie zum Beispiel keine Arbeit haben,
dann lassen sie sich wieder verführen.
Was mir allerdings beim Proben nicht gefällt, ist, dass manche
in der Gruppe nicht so gut mitmachen.
Habt ihr Schwierigkeiten mit der Improvisation, und fällt
es euch schwer den Text auswendig zu lernen?
Malwine: Ich finde Improvisation
sehr gut. Ich wäre gerne beim Improvisieren richtig gut. Also
dass ich zum Beispiel auf der Bühne stehe, jemand gibt mit
ein Wort vor und ich improvisiere dann gleich etwas dazu. Das würde
ich gern können.
Max: Für mich ist es nicht
schwierig von der Improvisation zum Text überzugehen. Ich lese
den Text meistens nur einmal durch und kann ihn dann. Dieses Mal
habe ich einmal meine Szenen und dann noch einmal den ganzen Text
durchgelesen und jetzt kann ich ihn auswendig.
Xenia: Ich muss den Text öfters
lesen. Meine Mutter spricht ihn mir vor. Wenn ich alleine bin, muss
ich ihn alleine lesen. Dann lese ich ihn zuerst durch, dann spreche
ich ihn auswendig nach.
Habt ihr Lampenfieber?
Noah:
Ich habe niemals Lampenfieber.
Jarek:
Nein. Ich habe so viele Leute zur Aufführung eingeladen. Die
füllen sicher die ganze letzte Reihe aus.
Max: Ich habe fast nie Lampenfieber.
Ich kenne Leute, die haben ganz extrem Lampenfieber, die kotzen
sogar vorher. Einmal hatte ich Lampenfieber, aber da war ein echter
Schauspieler dabei.
Was habt ihr beim Theaterspielen gelernt?
Henry: Ich habe schon vorher
gespielt, ich habe hier nicht wirklich etwas gelernt. Ich habe vor
allem gelernt, mit ein paar aus der Gruppe auszukommen.
Malwine: Man lernt eigentlich
immer was, bei jedem Theaterstück. Aber etwas Spezielles habe
ich eigentlich nicht gelernt.
Habt ihr ein Vorbild aus dem Kino oder Fernsehen?
Xenia: Eigentlich habe ich
kein richtiges Vorbild, aber Lucy Liu aus "Drei Engel für
Charlie" gefällt mir ganz gut. Sie ist schön und
hat vor allem so eine schöne Stimme.
Noah: Ich habe kein Vorbild.
Wenn man sich Vorbilder nimmt, kann man auch nicht außergewöhnlich
werden.
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