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Rossipottis 11 Uhr Termin

  • Humpty Dumpty. Aus: Alice im Spiegelland von Lewis Carroll (Charles Lutwidge Dodgson). Mit Illustrationen von John Tenniel
  • The old man with a beard. Aus: Book of Nonsense von Edward Lear
  • Kannitverstan. Aus: Kannitverstan und andere Geschichten. J.P. Hebel mit einer Illustration von Ludwig Richter

 

Alice hinter den Spiegeln
Daraus:
Humpty Dumpty

Das Ei wurde aber immer größer, und als sie nur mehr ein paar Meter weit von ihm entfernt stand, sah sie, dass es Augen und eine Nase und einen Mund hatte. Und als sie ganz nahe davor stand, merkte sie deutlich, dass es Humpty Dumpty selber war. "Es kann niemand anderer sein," sagte sie zu sich selbst. "Ich bin dessen so sicher, als ob sein Name auf seinem Gesicht geschrieben stünde."
Der Name hätte auf diesem großen Gesicht leicht hundert Mal aufgeschrieben werden können.
Humpty Dumpty saß mit gekreuzten Beinen wie ein Türke am Rande einer hohen Mauer - und die war so schmal, dass Alice nicht begriff, wie er sein Gleichgewicht halten konnte. Da seine Augen immer in die entgegengesetzte Richtung schauten und er nicht die geringste Notiz von ihr nahm, glaubte sie schließlich, dass er nur eine ausgestopfte Figur wäre.
"Und wie genau er einem Ei gleicht!" sagte sie laut und hielt ihr Hand bereit, ihn aufzufangen, denn sie erwartete jeden Augenblick, dass er herunterfallen würde.
"Das ist sehr ärgerlich," sagte Humpty Dumpty nach langem Schweigen und schaute Alice nicht an, als er mit ihr sprach "wenn jemand einen ein Ei nennt, wahrhaftig."
"Ich sagte nur, dass Sie einem Ei gleichen, mein Herr," erklärte Alice sanft, "und manche Eier sind sehr hübsch," fügte sie hinzu. Sie hoffte dadurch ihre Bemerkung in eine Art Kompliment zu verwandeln.
"Manche Leute," sagte Humpty Dumpty, und schaute wie immer von ihr weg, haben nicht mehr Verstand als ein Säugling."
Alice wusste nicht, was sie dazu sagen sollte; sie fühlte sich gar nicht getroffen, denn er sagte niemals etwas zu ihr; seine letzte Bemerkung war sogar offenbar an einen Baum gerichtet. So stand sie und murmelte leise den Kinderreim vor sich hin:


Illustration: John Tenniel

Humpty Dumpty sat on a wall:
Humpty Dumpty had a great fall.
All the King's horses and all the King's men
couldn't put Humpty Dumpty in his place again

(Goggelmoggel saß auf der Wand,
Goggelmoggel fiel in den Sand,
Da hat der König all seine Reiter gesandt,
Doch Goggelmoggel schafft keiner mehr zurück auf die Wand)
(Gedicht übersetzt von Christian Enzensberger)

"Schwatz nicht so mit dir selber," sagte Humpty Dumpty und schaute sie zum ersten Mal an. "Sag mir lieber deinen Namen und Beruf."
"Mein Name ist Alice, aber -"
"Das ist ein recht dummer Name," unterbrach Humpty Dumpty ungeduldig. "Was bedeutet er?"
"Muss ein Name denn etwas bedeuten?" fragte Alice zweifelnd.
"Natürlich," sagte Humpty Dumpty und lachte kurz auf. "Mein Name bedeutet meine Leibesform - und es ist eine sehr schöne, gute Form. Mit deinem Namen könntest du beinahe jede Form haben."
"Warum sitzen Sie hier draußen ganz allein?" fragte Alice, denn sie wollte nicht streiten.
"Nun, weil niemand bei mir ist!" rief Humpty Dumpty. "Hast du etwa geglaubt, ich würde darauf keine Antwort wissen? Frag etwas anderes!"
"Glauben Sie nicht, dass Sie da unten auf dem Fußboden sicherer wären?" fuhr Alice fort, durchaus nicht in der Absicht, ihm Rätselfragen zu stellen, sondern nur, weil sie in ihrer Gutmütigkeit um das sonderbare Wesen besorgt war. "Diese Mauer ist wirklich sehr schmal."
"Was für ungeheuer leichte Rätsel du stellst!" brummte Humpty Dumpty. "Natürlich glaube ich das nicht. Wenn ich jemals herunterfiele - was ich natürlich nicht mache - aber wenn ich fiele," hier warf er die Lippen auf und schaute so großartig und feierlich drein, dass Alice beinahe laut aufgelacht hätte. "Wenn ich wirklich fiele, -" fuhr er fort, "dann hat mir der König versprochen - ah, du kannst blass werden, wenn du willst! Du hast dir nicht gedacht, dass ich das sagen werde, nicht wahr? Der König hat mir in eigener Person versprochen, - dass - dass"
"Er alle seine Reiter schicken wird," unterbrach Alice ihn etwas unvorsichtig.
"Das ist unerhört!" schrie Humpty Dumpty in plötzlich ausbrechender Wut. "Du hast an Türen gelauscht - und hinter Bäumen - und durch Rauchfänge - sonst könntest du das nicht wissen."
"Oh nein, durchaus nicht," sagte Alice sehr sanft, "es steht in einem Buch."
"Ach dann! In einem Buch kann man solche Sachen schreiben," sagte Humpty Dumpty wieder ruhiger. "So etwas nennt ihr dann 'Geschichte Englands'. Nun schau mich gut an: Ich bin der, der mit einem König gesprochen hat. Das bin ich! Kann sein, dass du niemals wieder so einen sehen wirst; und um dir zu zeigen, dass ich nicht stolz bin, erlaube ich dir, mir die Hand zu schütteln." Er grinste von einem Ohr zum anderen, als er sich vorbeugte (wobei er um ein Haar von der Mauer gefallen wäre) und Alice seine Hand hinstreckte. Sie beobachtete ihn ängstlich, während sie seine Hand fasste.
"Wenn er nur ein bisschen mehr lächelt, müssen sich die Enden seines Mundes rückwärts treffen," dachte sie, "und dann weiß ich nicht, was mit seinem Kopf geschieht. Ich fürchte, er fällt ab."
"Ja, alle seine Reiter", fuhr Humpty Dumpty fort. "Sie würden mich in einem Augenblick aufheben, jawoh! Aber dieses Gespräch geht ein wenig zu schnell vor sich. Wir wollen auf die vorletzte Bemerkung zurückkommen."
"Ich fürchte, ich kann mich nicht mehr ganz genau daran erinnern," sagte Alice sehr höflich.
"In diesem Falle können wir ja von vorn anfangen," sagte Humpty Dumpty, "und nun bin ich an der Reihe, ein Thema auszuwählen -" (Er spricht beinahe so darüber, als ob das ein Gesellschaftsspiel wäre, dachte Alice.) "So, hier ist also eine Frage an dich. Wie alt, hast du gesagt, bist du?"
Alice stellte eine kurze Berechnung an und sagte: "Sieben Jahre und sechs Monate."
"Fasch!" rief Humpty Dumpty triumphierend aus. "Du hast nichts dergleichen gesagt!"
"Ich dachte, Sie meinten, wie alt ich bin," erklärte Alice.
"Wenn ich das gemeint hätte, dann hätte ich das gesagt!" erwiderte Humpty Dumpty.
Da Alice nicht wieder streiten wollte, blieb sie lieber still.
"Sieben Jahre und sechs Monate," wiederholte Humpty Dumpty nachdenklich. "Das ist ein sehr ungeschicktes Alter. Wenn du meinen Rat eingeholt hättest, dann hätte ich dir gesagt: 'Werde nicht so alt, höre mit sieben auf' - aber jetzt ist es zu spät."
"Beim Wachsen hole ich mir niemals Rat ein!" sagte Alice ärgerlich.
"Bist du zu stolz dazu?" fragte ihr Gegenüber.
Diese Verdächtigungen brachten Alice noch mehr in Rage.
"Ich meine," sagte sie, "dass man gegen das Älterwerden nichts tun kann."
"Man vielleicht nicht," sagte Humpty Dumpty. "Du bist aber doch kein Man, sondern ein Mädchen. Wenn du es nur richtig versucht hättest, hättest du vielleicht mit sieben Jahren stehen bleiben können."
"Was für einen schönen Gürtel Sie anhaben," bemerkte Alice plötzlich (sie dachte, sie hätten schon genug über das Alter gesprochen und wenn man wirklich abwechselnd Themen wählte, dann war die Reihe jetzt an ihr), "oder eigentlich, ich hätte sagen sollen, eine schöne Krawatte. Nein, ich meine doch, es ist ein Gürtel. Ich bitte um Verzeihung!" fügte sie in großer Verlegenheit hinzu, denn Humpty Dumpty schaute sehr beleidigt drein und sie fing an zu wünschen, dass sie ein anderes Thema gewählt hätte. Wenn ich nur wüsste, dachte sie bei sich, wo sein Hals und wo seine Taille ist!
Humpty Dumpty war offenbar sehr ärgerlich, obwohl er ein paar Minuten lang nichts sagte. Als er doch wieder sprach, war aus seiner Stimme ein tiefes Grollen geworden.
"Es ist - sehr - verdrießlich," sagte er endlich, "wenn jemand eine Krawatte nicht von einem Gürtel unterscheiden kann."
"Ich weiß, dass es sehr dumm von mir ist," sagte Alice in einem so demütigen Ton, dass Humpty Dumpty versöhnt war.
"Es ist eine Krawatte, mein Kind, und eine sehr schöne, wie du ganz richtig sagst. Es ist ein Geschenk vom weißen König und der weißen Königin. Was sagst du jetzt?"
"Wirklich?" sagte Alice sehr vergnügt darüber, dass sie endlich ein gutes Thema gewählt hatte.
"Sie haben sie mir," fuhr Humpty Dumpty gedankenvoll fort, während er ein Bein übers andere und schlug und die Hände über einem Knie faltete, "an meinem Un-Geburtstag
geschenkt."
"Wie bitte?" fragte Alice erstaunt.
"Nun so," sagte Humpty Dumpty und machte die Gebärde des Überreichens.
"Ich meine, was ist ein Un-Geburtstagsgeschenk?"
"Natürlich ein Geschenk, das du bekommst, wenn du nicht Geburtstag hast."
Alice dachte ein wenig nach. "Mir sind Geburtstagsgeschenke lieber," sagte sie endlich.
"Du weißt nicht, was du redest!" rief Humpty Dumpty. "Wie viele Tage hat das Jahr?"
"365," sagte Alice.
"Und wie viele Geburtstage hast du?"
"Einen."
"Und wenn du eins von 365 abziehst, was bleibt dann?"
"364 natürlich."
Humpty Dumpty schaute zweifelhaft drein. "Ich möchte das lieber auf Papier gerechnet haben," sagte er. Alice musste lachen, als sie ihr Notizbuch herausnahm und ihm die Subtraktion vormachte:

365
1
---
364

Humpty Dumpty nahm das Buch und betrachtete es aufmerksam.
"Das scheint richtig gerechnet zu sein - " begann er. .
"Sie halten es ja verkehrt," unterbrach Alice.
"Natürlich," sagte Humpty Dumpty vergnügt, als sie es ihm umdrehte. "Ich habe mir gleich gedacht, dass es ein bisschen sonderbar aussieht. Wie gesagte, es scheint richtig gemacht zu sein, obwohl ich jetzt keine Zeit habe, es genau durchzusehen. - Und es zeigt, dass es dreihundertvierundsechzig Tage gibt, an denen du Ungeburtstagsgeschenke bekommen kannst."
"Natürlich," sagte Alice.
"Und nur einen für Geburtstagsgeschenke. Das bedeutet Ruhm für dich."
"Ich weiß nicht, was Sie unter 'Ruhm' verstehen," sagte Alice.
Humpty Dumpty lächelte geringschätzig.
"Natürlich weißt du das nicht, solange ich es dir nicht gesagt habe. Ich meinte, jetzt bist du geschlagen."
"Aber 'Ruhm' bedeutet doch nicht, dass man geschlagen ist," wendete Alice ein.
"Wenn ich ein Wort gebrauche," sagte Humpty Dumpty ziemlich höhnisch, "dann bedeutet es gerade das, was ich es bedeuten lassen will - nicht mehr und nicht weniger."
"Die Frage ist nur", sagte Alice, "ob Sie Wörter so viele verschiedene Dinge bedeuten lassen können."
"Die Frage ist nur," erwiderte Humpty Dumpty, "wer der Herr ist - nur das."
Alice war viel zu erstaunt, um etwas zu sagen.
So begann Humpty Dumpty nach einer Weile wieder: "Manche Wörter sind sehr eigensinnig - besonders Verben. Sie sind die stolzesten. Mit Adjektiven kann man alles machen, mit Verben nicht. Ich kann aber mit der ganzen Gesellschaft fertig werden; Undurchdringlichkeit! Das ist meine Meinung!"
"Wollen Sie mir nicht sagen, bitte, was das bedeutet?" fragte Alice.
"Jetzt sprichst du wie ein vernünftiges Kinde," sagte Humpty Dumpty und sah sehr zufrieden aus.
"Unter 'Undurchdringlichkeit' verstehe ich, dass wir über die Sache genug gesprochen haben und dass du jetzt lieber sagen solltest, was du vorhast. Denn ich glaube, du wirst ja nicht dein ganzes übriges Leben lang hier stehen bleiben wollen!"
"Dieses Wort hat jetzt aber sehr viel auf einmal heißen müssen," sagte Alice nachdenklich.
"Wenn ich einem Wort soviel Arbeit aufbürde," sagte Humpty Dumpty, "dann zahle ich ihm immer extra dafür."
"Aha", sagte Alice. Sie war viel zu verwirrt, um etwas anderes zu sagen.
"Ja, du sollst nur sehen, wie sie sich Samstag Abend um mich drängen," fuhr Humpty Dumpty fort und legte den Kopf von einer Seite auf die andere, "um ihren Wochenlohn zu kriegen."
(Alice wagte nicht, ihn zu fragen, womit er sie bezahle; und deshalb, das versteht ihr sicher, kann ich es euch auch nicht sagen.)
"Sie scheinen sehr tüchtig im Erklären von Worten zu sein, mein Herr," sagte Alice, "würden Sie so freundlich sein, mir zu erklären, was das Gedicht 'Jabberwock' bedeutet?"
"Lass mich hören," sagte Humpty Dumpty, "ich kann alle Gedichte erklären, die jemals erfunden worden sind - und eine ganze Menge, die noch nicht erfunden worden sind."
Das klang sehr hoffnungsvoll, also sagte Alice den ersten Vers auf:

"Twas brillig, and the slithy toves
Did gyre and gimble in the wabe;
All mimsy were the borogoves,
And the mome raths outgrabe."

(Verdaustig wars, und glasse Wieben
Rotterten gorkicht im Gemank;
Gar elump war der Pluckerwank,
Und die gabben Schweisel frieben.
Gedicht und der folgende Absatz übersetzt von Christian Enzensberger)

"Das ist genug für den Anfang," unterbrach Humpty Dumpty, "da sind schon eine Menge schwierige Worte drin. "'Verdaustig' bedeutet vier Uhr Nachmittag - wenn man nämlich noch verdaut, aber doch schon wieder durstig ist."
"Das passt sehr gut," sagte Alice, "und 'glass'?"
"'Glass' heißt 'glatt und nass'. Das ist wie eine Schachtel, verstehst du: zwei Bedeutungen werden dabei zu einem Wort zusammengesteckt."
"Jetzt versteh ich's schon!" bemerkte Alice nachdenklich. "Und was sind 'Wieben'?"
"Also 'Wieben' sind so etwas Ähnliches wie Dachse - und wie Eidechsen - und so etwas Ähnliches wie Korkenzieher."
"Das müssen aber sehr merkwürdige Geschöpfe sein."
"Das wohl", sagte Humpty Dumpty; "sie bauen außerdem ihre Nester unter Sonnenuhren - und außerdem fressen sie nur Käse."
"Und was ist 'rottern' und 'gorkicht'?"
"'Rottern' ist das gleiche wie 'rotieren', das heißt: sich schnell drehen. 'Gorkicht' heißt alles, was sich in Kork einbohrt."

 

"Und ein 'Gemank' ist dann wohl der freie Platz um eine Sonnenuhr von der Art, wie sie oft in einem Park stehen?" fragte Alice, über ihre Scharfsinnigkeit verwundert.
"Freilich. Dieser Platz heißt 'Gemank', denn man kann rechts darum herumgehen, man kann links darum herumgehen -"
"Aber darunterweg kann man keineswegs," schloss Alice.
"Genau das. Nun also: 'elump' heißt elend und zerlumpt' (schon wieder ein Schachtelwort, wie du siehst). Ein 'Pluckerwank' ist ein magerer, unansehnlicher Vogel, bei dem die Federn kreuz und quer durcheinander wachsen - er sieht etwa aus wie ein lebendiger Mop."
"Und die 'gabben Schweisel'?" fragte Alice; "wenn es Ihnen nicht zuviel wird."
"Nun, ein 'Schweisel' ist eine Art grünes Schwein; aber bei 'gabben' bin ich nicht ganz sicher. Ich glaube aber, es ist abgekürzt und heißt 'vom Weg ab' - soviel wie 'verirrt', verstehst du?"
"Und was heißt 'sie freiben'?"
"Nun, 'freiben' ist ein Mittelding aus Bellen und Niesen, begleitet von Gepfeif; vielleicht hörst du einmal, wie etwas freibt - dort drüben im Wald etwa - und dann fragst du bestimmt nicht weiter. Wer hat dir denn das viele schwere Zeug beigebracht?"
"Ich habe es in einem Buch gelesen. Aber jemand hat mir ein viel leichteres Gedicht aufgesagt. Ich glaube, es war Zwiddeldei."
"Was Gedichte angeht," sagte Humpty Dumpty und streckte eine seiner großen Hände aus, "so kann ich sie genau so gut wie jeder andere vortragen, wenn es darauf ankommt."
"Oh, es kommt nicht darauf an," sagt Alice schnell; sie hoffte, ihn zurückzuhalten.
"Das Stück, das ich dir aufsagen will," fuhr er unbekümmert fort, "ist ausschließlich zu deiner Unterhaltung geschrieben worden ..."
Alice fühlte, dass sie in diesem Falle wirklich zuhören müsse. So setzte sie sich nieder und sagte ziemlich traurig: "Vielen Dank."

'In winter, when the fields are white,
I sing this song for your delight -

(Im Winter, wenn es draußen schneit
sing ich dies Lied, das dich erfreut -
Gedicht übersetzt von Christian Enzensberger)

"Nur sing ich es nicht," fügte er erklärend hinzu.
"Das sehe ich," sagte Alice.
"Wenn du sehen kannst, ob ich singe oder nicht, dann hast du schärfere Augen als die meisten anderen Leute," sprach Humpty Dumpty streng.
Alice schwieg still.

'In spring, when woods are getting green,
I'll try and tell you what I mean.'

("Im Frühjahr, wenn das Laub ausfährt,
Bekommst du es von mir erklärt.
Gedicht übersetzt von Christian Enzensberger)

"Besten Dank," sagte Alice.

"In summer, when the days are long,
Perhaps you'll understand the song:

In autumn, when the leaves are brown,
Take pen and ink, and write it down."

("Im Sommer, wenn die Sonne scheint,
Wirst du verstehen, was es meint;

Im Herbste, wenn die Blätter treiben,
Da solltest du es niederschreiben.
übersetzt von Christian Enzensberger)

"Gerne, wenn ich es mir so lange merken kann," sagte Alice.
"Du brauchst nicht immer Zwischenbemerkungen zu machen," sagte Humpty Dumpty. "Sie haben keinen Sinn und bringen mich aus dem Text."

"I sent a message to the fish:
I told them "This is what I wish."
The little fishes of the sea,
They sent an answer back to me.
The little fishes' answer was
"We cannot do it, Sir, because -"'

(Ich ließ den Fischen von mir sagen:
"Tut, was ich sag, ich will es haben."
Die kleinen Fische tief im Meer
Sandten mir darauf Antwort her.
Der kleine Fische Antwort war:
"Das tun wir niemals, weil und zwar - "
Gedicht übersetzt von Christian Enzensberger)

"Ich verstehe leider nicht ganz," sagte Alice.
"Später wird es leichter," antwortete Humpty Dumpty.

"I sent to them again to say
"It will be better to obey."
The fishes answered with a grin,
"Why, what a temper you are in!"
I told them once, I told them twice:
They would not listen to advice.
I took a kettle large and new,
Fit for the deed I had to do.
My heart went hop, my heart went thump;
I filled the kettle at the pump.
Then some one came to me and said,
"The little fishes are in bed."
I said to him, I said it plain,
"Then you must wake them up again."
I said it very loud and clear;
I went and shouted in his ear.'

(Ich schrieb: "Ich bin um euch besorgt,
Es wäre besser, ihr gehorcht."
Die Fische haben nur gelacht:
"So seid doch nicht so aufgebracht."
Da riss mir schließlich die Geduld.
Ich sprach: "Nun seid ihr selber schuld."
Hab einen Kessel mir entliehn,
Der meinem Zweck geeignet schien.
Das Herz schlug mir zum Hals hinan;
Ich trug den Topf zum Wasserhahn.
Da kam einer und sprach voll Hohn:
"Die kleinen Fische schlafen schon."
Einfach und deutlich sagt' ich drauf:
"Dann geh und weck sie wieder auf."
Und laut und klar sprach ich's ihm vor,
Ich ging und schrie es ihm ins Ohr.
Gedicht übersetzt von Christian Enzensberger)

Humpty Dumpty erhob seine Stimme beinahe zu einem Gebrüll, während er diesen Vers sprach, und Alice dachte schaudernd: "Ich möchte um keinen Preis die Hilfsperson gewesen sein."

But he was very stiff and proud;
He said "You needn't shout so loud!"
And he was very proud and stiff;
He said "I'd go and wake them, if-"
I took a corkscrew from the shelf:
I went to wake them up myself.
And when I found the door was locked,
I pulled and pushed and kicked and knocked.
And when I found the door was shut,
I tried to turn the handle, but-'

(Doch er macht' seinen Hals nur steif
Und sprach: "Wozu denn das Gekeif!"
Und macht' nur einen steifen Hals
Und sprach: "Ich wecke sie nur, falls -"
Ich ging, da war die Tür versperrt,
Da hieb' und stampft' ich, schlug und zerrt'.
Die Tür war zu, das sah ich noch
Und drückte auf die Klinke, doch -
Gedicht übersetzt von Christian Enzensberger)

Es folgte eine lange Pause.

"Ist es aus?" fragte Alice zaghaft.

"Es ist aus," sagte Humpty Dumpty. "Lebewohl!"

Das schien Alice ziemlich plötzlich zu kommen; aber nach einem so deutlichen Wink, dass sie gehen sollte, wäre es unhöflich gewesen, noch da zu bleiben. So stand sie auf, hielt ihm die Hand hin und sagte so fröhlich wie möglich: "Lebewohl! Auf ein baldiges Wiedersehen!"
"Ich würde dich nicht wieder erkennen, falls wir uns wieder sehen sollten," gab Humpty Dumpty verdrießlich zurück und reichte ihr einen Finger. "Du siehst genau so aus wie andere Leute."
"Den Unterschied erkennt man gewöhnlich im Gesicht", meinte Alice nachdenklich.
"Das ist ja gerade das Dumme," erklärte Humpty Dumpty. "Du hast genau so ein Gesicht wie alle Leute - die zwei Augen so -" (er bezeichnete ihren Platz in der Luft mit dem Daumen); "die Nase in der Mitte, der Mund darunter; es ist immer dasselbe. Wenn du zum Beispiel wenigstens die zwei Augen auf derselben Seite der Nase hättest, oder den Mund darüber - das wäre ein bisschen besser."
"Das wäre aber nicht hübsch," widersprach Alice.
Aber Humpty Dumpty schloss nur die Augen und sagte: "Warte, bis du es probiert hast."
Alice wartete noch eine Weile, ob er wieder sprechen würde, aber da er weder die Augen öffnete, noch sonst weiter von ihr Notiz nahm, sagte sie noch einmal "Lebewohl", und als sie daruf keine Antwort erhielt, ging sie ruhig fort. Aber sie konnte nicht umhin, im Gehen vor sich hin zu sagen: "Von allen unbefriedigenden" (sie wiederholte das laut, denn es war ein großer Trost für sie, ein so langes Wort auszusprechen), "von allen unbefriedigenden Leuten, die ich je getroffen habe - " Doch sie brachte den Satz niemals zu Ende, denn in diesem Augenblick erschütterte ein heftiger Krach den Wald von einem Ende bis zum andern.

Aus: Lewis Carroll: Through the looking-glass. Frei übersetzt nach Helene Scheu-Rieß: Alice im Spiegelland. Sesam-Verlag. Wien/Leipzig/New York 1923.
Die Gedichte und Humpty Dumptys Erklärung des Jabberwok-Gedichts wurden der Übersetzung von Christian Enzensberger entnommen: Alice hinter den Spiegeln. Insel Verlag. Frankfurt am Main 1963.

Im Netz findet ihr den englischen Originaltext unter: http://xahlee.org/p/alice/lg-ch06.html

* * *

The old Man with a beard

von Edward Lear

The old Man with a beard

There was an old man with a beard
who said, "It is just as I feard!-
Two owls and a Hen, four larks and a wren
Have all built their nests in my beard."

 

 

 

Rossipotti: Probiert einmal, das Gedicht selbst zu übersetzen. Übrigens: Lark heißt auf deutsch Lerche, und wren Zaunkönig. Denjenigen von euch, die noch kein Englisch in der Schule haben, erzählt Lears Bild, was in dem Gedicht steht.
Übrigens: Lear selbst nannte seine Gedichte "learics". Er ist damit zu einem Klassiker der Limericks geworden.

Aus: Edward Lear: A book of nonsense. Routledge, Warne & Routledge, London 1861.
Natürlich gibt es auch neuere Ausgaben vom "Book of Nonsense". Vielleicht steht eine davon sogar in eurer Bibliothek.

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Kalendergeschichten

Daraus: Kannitverstan

von J.P. Hebel

Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, in Emmendingen und Gundelfingen so gut als in Amsterdam, Betrachtungen über den Unbestand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und zufrieden zu werden mit seinem Schicksal, wenn auch nicht viel gebratene Tauben für ihn in der Luft herumfliegen.
Aber auf dem seltsamsten Umweg kam ein deutscher Handwerksbursche in Amsterdam durch den Irrtum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntnis. Denn als er in diese große und reiche Handelsstadt voll prächtiger Häuser, wogender Schiffe und geschäftiger Menschen gekommen war, fiel ihm sogleich ein großes und schönes Haus in die Augen, wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Tuttlingen bis Amsterdam noch keines erlebt hatte. Lange betrachtete er mit Verwunderung dies kostbare Gebäude, die sechs Kamine auf dem Dach, die schönen Gesimse und die hohen Fenster, größer als an des Vaters Haus daheim die Tür. Endlich konnte er sich nicht entbrechen, einen Vorübergehenden anzureden.
"Guter Freund", redete er ihn an, "könnt Ihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt, dem dieses wunderschöne Haus gehört mit den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkojen?"
Der Mann aber, der vermutlich etwas Wichtigeres zu tun hatte und zum Unglück geradeso gut von der deutschen Sprache verstand als der Fragende von der holländischen, nämlich nichts, sagte kurz und schnauzig: "Kannitverstan!" und schnurrte vorüber.
Dies war nur ein holländisches Wort, oder drei wenn man's recht betrachtet, und heißt auf deutsch soviel als: "Ich kann Euch nicht verstehen". Aber der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er gefragt hatte.
"Das muss ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannitverstan", dachte er und ging weiter. Gass' aus, Gass' ein kam er endlich an den Meerbusen, der da heißt: Het Ei, oder auf deutsch: das Ypsilon. Da stand nun Schiff an Schiff und Mastbaum an Mastbaum, und er wusste anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen Augen durchfechten werde, alle diese Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis endlich ein großes Schiff seine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem aus Ostindien angelangt war und jetzt eben ausgeladen wurde. Schon standen ganze Reihen von Kisten und Ballen auf- und nebeneinander am Lande. Noch immer wurden mehrere herausgewälzt, und Fässer voll Zucker und Kaffee, voll Reis und Pfeffer und salveni Mausdreck darunter. Als er aber lange zugesehen hatte, fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug, wie der glückliche Mann heiße, dem das Meer alle diese Waren an das Land bringe.
"Kannitverstan!" war die Antwort.

Da dachte er: "Haha, schaut's da heraus? Kein Wunder! Wem das Meer solche Reichtümer an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt stellen und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in vergoldeten Scherben."
Jetzt ging er wieder zurück und stellte eine recht traurige Betrachtung bei sich selbst an, was er für ein armer Teufel sei unter so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als er eben dachte: "Wenn ich's doch nur auch einmal so gut bekäme, wie dieser Herr Kannitverstan es hat!", kam er um eine Ecke und erblickte einen großen Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz überzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wüssten, dass sie einen Toten in seine Ruhe führten. Ein langer Zug von Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte nach, Paar und Paar, verhüllt in schwarze Mäntel und stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt ergriff unsern Fremdling ein wehmütiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, wenn er eine Leiche sieht, und blieb mit dem Hut in den Händen andächtig stehen, bis alles vorüber war. Doch machte er sich an den letzten vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner Baumwolle gewinne könnte, wenn der Zentner um zehn Gulden aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel und bat ihn treuherzig um Exküse.
"Das muss wohl auch ein guter Freund von Euch gewesen sein", sagte er, "dem das Glöcklein läutet, dass Ihr so betrübt und nachdenklich mitgeht?" -
"Kannitverstan!" war die Antwort.
Da fielen unserm guten Tuttlinger ein paar große Tränen aus den Augen, und es ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz.
"Armer Kannitverstan!", rief er aus, "was hast du nun von allem deinem Reichtum? Was ich einst von meiner Armut auch bekomme: ein Totenkleid und ein Leintuch und von allen deinen schönen Blumen vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust oder eine Raute."
Mit diesem Gedanken begleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, bis ans Grab, sah den vermeinten Herrn Kannitverstand hinabsenken in seine Ruhestätte und war von der holländischen Leichenpredigt, von der er kein Wort verstand, mehr gerührt als von mancher deutschen, auf die er nicht Acht gab. Endlich ging er leichten Herzens mit den anderen wieder fort, verzehrte in einer Herberge, wo man Deutsch verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger Käse, und wenn es ihm wieder einmal schwer fallen wollte, dass so viele Leute in der Welt so reich seien und er so arm, so dachte er nur an den Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an sein großes Haus, an sein reiches Schiff und an sein enges Grab.

Johann Peter Hebel: Kannitverstan und andere Geschichten aus dem Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Reclam Leipzig. 1926.

Rossipotti: Die Illustration von Ludwig Richter habe übrigens ich dazu gestellt. Richter ist ein Klassiker der Illustrationskunst und außerdem schien mir das Bild ganz gut zur Geschichte zu passen.

 © Rossipotti No. 13, Nov. 2006