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Rossipottis 11 Uhr Termin
Der kleine Herr Paul macht Ferien
Daraus:
Der Talentetauscher
von Martin Baltscheit
Der Sommer war gekommen, Ferienzeit! Der kleine Herr Paul ging
ans Fenster und sah hinaus. Gegenüber auf einem großen
Plakat war eine Frau zu sehen, sie lächelte. "Jetzt neu!"
stand auf dem Plakat. Was war bloß neu, fragte sich der kleine
Herr Paul, war es die Frau oder waren es ihre weißen Zähne?
'Es ist das Plakat', dachte er, 'das Plakat ist neu, und der Sommer
ist neu, die kleinen Blumen, die ihre Köpfe aus der Erde stecken,
sind neu, überhaupt alles ist neu, an diesem ersten Sommertag.'
Nur bei dem kleinen Herr Paul war nichts neu.
Alte Möbel, alte Bücher, altes Radio. Er ging ins Bad.
Alte Wanne, alter Schrank, alter Paul im Spiegel. Der kleine Herr
Paul versuchte zu grinsen. Alte Zähne.
"Jetzt alt!" sagte er und streckte dem Spiegel die Zunge
heraus.
Vielleicht half ein Spaziergang.
Auf der Straße wurde es nicht besser, ein Haus wurde abgerissen,
"Neue Wohnungen" stand auf einem Schild, der Autohändler
an der Ecke zeigte ein neues Modell, und am Ende des Spazierganges
kam der kleine Herr Paul am Friedhof vorbei. "Jetzt neu!",
stand auf einem Grabstein, aber darüber konnter der kleine
Herr Paul nicht lachen.
"Neue Talente! Tausche Talente!", rief ein Mann hinter
einem Karren mit vielen bunten Kisten darauf.
Herr Paul kam näher, blieb vor der Auslage stehen und fragte:
"Was denn für Talente?"
Der Mann zeigte auf die Kisten: "Alle Talente, mein Herr, nur
die allerfeinstern Talente. Hier zum Beispiel, das ist eine Stimme,
die betört, hier ein Schnarchen, das nicht stört, und
dort drüben herrliches Geigenspiel, ohne zu üben. Nicht
malen nach Zahlen, sondern malen aus dem Kopf, die Welt aufs Papier,
das haben wir hier."
Herr Paul staunte. "Talente? Ich kann alles haben, auch was
Neues?"
Der Mann räusperte sich. "Was Neues? Hier ist alles neu,
ich meine, es ist gebraucht, das heißt, es ist gut getestet.
Ich habe nur Talente, die sich bewährt haben. Hier, mein Bester,
Sie sehen aus wie jemand, der gerne mal die Bassgeige zupfen würde
oder was ist mit Fußballspielen? Ich weiß von vielen,
die würden gerne Fußball spielen. Und, oder, auch, ich
denke, dass ein Mann Ihrer Sphäre, gerne einmal größer
wäre!"
"Ist Größe denn ein Talent?", fragte der kleine
Herr Paul und stellte sich auf die Zehenspitzen.
Der Mann breitete die Arme auseinander. "Aber ja, aber ja,
Größe und Schönheit und Klugheit! Alles muss man
pflegen und üben und überhaupt, ist jeder Mensch voller
Talente, hüben wie drüben!"
Herr Paul sah auf die Kisten. "Also gut. Dann hätte ich
gerne einmal Jugend. Ist sie da in roten Päckchen?"
Der Mann sah über seine Ware. "Nein, in dem roten steckt
die Liebe, die Jugend ist das kleine, hier, das weiße, da
sehen Sie, sehr winzig, da muss ich mich bequemen und eine Pinzette
nehmen."
Er nahm eine Pinzette aus seiner Brusttasche und fingerte ein winziges
Kästchen zwischen den anderen Verpackungen hervor. Der kleine
Herr Paul war beruhigt, die Jugend war klein und bestimmt nicht
teuere.
"Was macht das?", fragte er.
Der Mann hielt die Jugend in der Hand und stutzte.
"Was macht was? Die Jugend macht dumm, das Alter macht klug,
die Jugend macht blind, das ist der Bezug, doch Jugend ist schön,
der Rest ist gegeben, Erfahrung in Jahren heißt jugendlich
leben."
"Nein, ich meine: Was kostet es?"
"Kosten? Das kostet nix, ich verkaufe doch nicht, ich tausche!"
Der kleine Herr Paul, der sich schon auf einem Roller durch die
Straßen flitzen sah, verstand nicht gleich. Und der Händler
erklärte: "Na, ich lebe vom Tausch! Das ist besser, als
von Geld zu leben. Wie sagte mein Vater immer: Willst du ein Talent
von mir, musst du geben was von dir. Aber schauen Sie, die Jugend
hier in dem Kästchen ist eine schöne Jugend, glauben Sie
mir, ich habe sie von einem Mädchen, das war so jung und frisch
und neu, sein Lachen war wie eine Sonne auf Glitzerwasser, so eine
schöne Jugend haben Sie noch nie gesehen, und wenn Sie Jugend
haben wollen, dann müssen Sie mir ein Talent geben, das den
gleichen Wert hat. Kapiert?"
Der kleine Herr Paul hatte kapiert und überlegte.
"Was können Sie denn? fragte der Talentetauscher.
"Ich kann lesen."
Der Talentetauscher blies die Backen auf und ließ die Luft
mit einem Pfiff heraus. "Ei, er kann lesen, na, das ist ja
was. Dafür gebe ich Ihnen das hier." Er zog ein größeres
Paket aus der Tasche. "Darin ist das Buch eines unbekannten
Schriftstellers. Das Buch ist nicht berühmt, aber der Schriftsteller
war ein großes Talent. Geben Sie mir Ihr Geschick, lesen zu
können, und ich gebe Ihnen das Buch."
Herr Paul schüttelte den Kopf. "Aber was soll ich mit
einem Buch, wenn ich nicht mehr lesen kann?"
Der Talentetauscher steckte das Buch zurück in die Tasche.
"Was hat denn das Mädchen bekommen, das mit der Jugend,
meine ich", sagte Herr Paul.
"Geld! Viel Geld, jetzt braucht es keine Talente mehr, kann
sich alles kaufen. Geben Sie mir Ihre Hand!"
Der kleine Herr Paul streckte die Hand aus.
"Nein, nicht zum Schütteln, zum Tauschen! Machen Sie sie
ab, und ich gebe Ihnen fünf Jahre Jugend dafür."
"Meine Hand? Das ist zuviel!", rief der kleine Herr Paul.
"Ich gebe doch nicht meine Hand für fünf Jahre Jugend."
"Naja ... Manche geben ihren Verstand für zehn!"
Der Talentetauscher ließ nicht locker. "Geben Sie mir
einen Arm, und ich mache Sie zwanzig Jahre jünger! Oder geben
Sie mir Ihre Stimme, Sie haben eine schöne Stimme, ich gebe
Ihnen ein kleine, fiese Stimme und dafür bekommen Sie zwei
lange Beine und Muskeln und Haare auf der Brust."
Den kleinen Herrn Paul interessierten keine Haare auf der Brust,
und wenn er es genau betrachtete, wolle er auch keine Jugend mehr,
er wollte nur etwas Neues, vielleicht ... vielleicht ein neues strahelndes
Lächeln.
"Was wollen Sie für ein strahlende Lächeln?!"
fragte er, und der Talentetauscher sagte: "Ein solches Lächeln
tausche ich gegen ..."
Da blieb eine alte Frau bei den Männern stehen und sah auf
die bunten Kisten. Sie seufzte und sagte: "Ach, ich wäre
gern noch einmal so jung und hübsch wie der da." Sie zeigte
auf Herrn Paul.
"Was kannst du tauschen?", fragte der Talentetauscher,
und die alte Frau sagte: "Ich gebe dir alles, was ich erlebt
habe."
"Gut!", sagte der Mann. Sie gaben sich die Hand, und die
alte Frau verwandelte sich in eine junge hübsche Frau. Als
sie sich selbst in einem kleinen Spiegel sah, lachte sie auf und
sprang davon.
Der Talentetauscher begann, seinen Kisten der Größe nach
zu ordnen und seufzte: "Ich glaube, wir zwei kommen nichts
ins Geschäft, aber ich will nicht kleinlich sein, ich tausche
ein schönes Lächeln gegen einen guten Witz!"
Ein Witz, das war doch was. Der kleine Herr Paul überlegte,
er kannte einen guten Witz mit einer Schildkröte und einem
Schwein aus Texas. Er erzälte den Witz, und der Talentetauscher
lächelte. Es war ein schönes Lächel, und es war ansteckend.
Der kleine Herr Paul nahm das Lächeln und verabschiedete sich
freundlich.
'Was für ein gutes Geschäft', dachte er auf dem Weg nach
Hause. Als er an dem großen Plakat vorbeikam, lächelte
er der Frau darauf zu. Und so, wie es aussah, lächelte sie
auch zurück.
Diese
erstaunliche Geschichte ist dem liebenswürdigen Buch entnommen:
Martin Baltscheit (Text) / Ulf K. (Illustrationen): Der kleine Herr
Paul macht Ferien. Altberliner. Leipzig u. München 2004 . 74
Seiten.
Wir danken dem Altberliner
Verlag, dass er Rossipotti
die Geschichte zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt
hat!
* * *
na dann is ja gut
von Arne Rautenberg
wie heißt du?
heiße wieheißtdu
woher kommst du?
komm aus woherkommstdu
wohin gehst du?
geh nach wohingehstdu
was suchst du?
suche wassuchstdu
von Arne Rautenberg
komm wir spieln das nachsagespiel
komm wir spieln das nachsagespiel
aber ich will alles nachsagen
aber ich will alles nachsagen
nein falsch
nein falsch
du bist echt blöde
du bist echt blöde
echt
echt
haha ha
haha ha
hehe also nee
hehe also nee
du klingst ja wie ein papagei
du klingst ja wie ein papagei
komm hör jetzt mal auf damit
komm hör jetzt mal auf damit
idiot
idiot
hast du mich eben idiot genannt
hast du mich eben idiot genannt
hör jetzt auf
hör jetzt auf
sonst hau ich dir gleich eine
sonst hau ich dir gleich eine
so
au
Arne Rautenberg hat Rossipotti
die beiden Gedichte netterweise zur Veröffentlichung zur Verfügung
gestellt. Vielen Dank!
* * *
Ein Eisbär aus Apolda
von Lutz Rathenow mit Illustrationen von Egbert Herfurth
Daraus:
Ein Eisbär aus Apolda
Ein Eisbär aus Apolda will nach Obervolta.
Auf dem Weg zum Bahnhof vergisst er den genauen Namen des Landes,
in das er will.
"Nach Oberscholda", sagt der Eisbär.
"Wie bitte?", fragt die Bahnbeamtin.
"Opa-soll-da", entgegenete der Eisbär.
"Aper-kohl-da?"
"Nicht kohl-da, voll-da", korrigierte der Eisbär,
"Appvollda."
"Ach, Apolda!"
"Ja", bestätigt zögernd der Eisbär.
"Aber, da sind Sie doch schon!" Das Fräulein lacht.
"Aha", brummt der Eisbär und verlässt befriedigt
den Bahnhof.
Der zweite Eisbär
Der zweite Eisbär möchte nach Afrika.
Er geht los, verfehlt den Erdteil knapp und gelangt nach Wegozina.
Keiner braucht ein schlechtes Gewissen zu bekommen, weil er nicht
weiß, wo Wegozina liegt. Der Eisbär weiß es auch
nicht.
Er fand das Land auf keiner Karte.
Und die Leute dort?
Sie leben ganz normal, eher fröhlicher als in Apolda. Und deshalb
bekümmert sie es nicht im Geringsten, auf keiner Karte verzeichnet
zu sein. Dem Eisbären gefällt es dort sofort. Denn die
Menschen in Wegozina lieben ihre Tiere und sind neugierig auf den
Rest der Welt, der auf den Karten verzeichnet ist. So ziehen sie
als Zirkus immer wieder einmal durch die Gegend und nehmen natürlich
auch den Eibären mit.
Und eines Tages kommt der bestimmt auch nach Afrika. Eine große
Kühltruhe bekommt er schon geschenkt, für die Gegenden,
in denen es viel heißer ist als es einem Eisbären gut
tut. In die kann er sich zur Erholung zurückziehen ...
Der dritte Eisbär
Der dritte Eisbär will nach Bolivien. Bolivien, wie stolz
das klingt.
Olivenöl mit "B" - wie Banane. Bier. Bär.
Er setzt sich an den Rand der Straße, um nach Bolivien zu
trampen.
Doch die Autos fahren meist nur bis Borstendorf oder Eisenberg.
In Borstendorf gibt es keine Bürsten mit echten Borsten.
In Eisenberg fehlt der Berg mit Eisenerz.
Sein Wunsch bleibt Bolivien. Der vierte Eisbär stoppt weiter
jeden Wagen. Er hat Geduld.
Und da die Eisbären geduldiger sind als Menschen, brechen wir
an dieser Stelle ab.
Die
skurrilen Geschichten und schönen Illustrationen sind nachfolgendem
Buch entnommen:
Lutz Rathenow (Text) / Ebert Herfurth (Illustration): Ein Eisbär
aus Apolda. Leiv Verlag. Leipzig 2006
Eine Besprechung des Buchs findet ihr in Rossipottis
Leibspeise.
Wir danken dem leiv
Verlag, dass er Rossipotti
die Geschichte zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt
hat!
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