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Rossipottis Leibspeise
und andere Lieblingsbücher
Rossipottis Leibspeise:
Lieblingsbuch:
Der Hund mit dem gelben Herzen
"Es gibt eben nicht so viele Leckerbissen", stellt Rossipotti zufrieden
fest, als wir nach einer einstündigen Diskussion immer noch
nicht wissen, welche Bücher wir vorstellen wollen.
"Und das ist auch gut so," fährt er fort und grunzt dabei ein wenig
selbstgefällig. "Leckerbissen schmecken schließlich nur deshalb
gut, weil die meisten anderen Bissen nicht schmecken!"
"Das kann schon sein", stimme ich Rossipotti zu. "Trotzdem wäre
es schön, wenn du mir endlich ein paar Bücher nennen könntest, die
ich besprechen soll. Schließlich ist bald die neue Ausgabe im Netz.
Oder soll die etwa ohne mich stattfinden?"
"Auf keinen Fall!" sagt Rossipotti. "Immerhin bist du meine Leibspeise!
Aber was kann ich dafür, dass die Bücher, die mir gefallen,
entweder vergriffen oder zu bekannt sind, und mir andere Bücher
einfach nichts bedeuten?"
"Du hast einfach ein schlechtes Gedächtnis!" erwidere ich Rossipotti.
"Neulich hast du zum Beispiel ein Buch gelesen, das dir gut gefallen
hat und das es immer noch im Handel gibt. Es hieß ‚Der Hund mit
dem gelben Herzen'."
"Und es hat mir gefallen?" fragt Rossipotti skeptisch.
"Du hast es zumindest behauptet!"
"Ich kann mich überhaupt nicht mehr daran erinnern! Aber wenn ich
das gesagt habe, wird es schon stimmen. Stelle es bitte vor. Und
beschreibe ausführlich die Geschichte, damit sie mir auch wieder
einfällt."
Es ist gar nicht so einfach, Jutta Richters Geschichte vom "Hund
mit dem gelben Herzen" ausführlich zu erzählen. Denn sie springt
zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft so oft hin und her,
dass man am Schluss gar nicht mehr genau weiß, wo Anfang und Ende
ist.
Was man allerdings immer weiß: In der Geschichte spielt ein
Hund, der "Hund" heißt, eine zentrale Rolle. Hund
kann sprechen und wird am Anfang des Buchs einsam und hungrig von
einem Mädchen im Wald gefunden. Das denkt, der Hund habe nur vergessen,
wo er hingehöre. Aber so was gibt's gar nicht, sein Zuhause vergessen,
vermutet Hund. Denn wenn man einmal eins gehabt hat, wird man sich
sein Leben lang daran erinnern können.
Hund hatte noch nie ein Zuhause und ist deshalb überwältigt,
als ihn das Mädchen mit in Opa Schultes Schuppen nimmt und ihm sagt,
dass er bleiben darf. Sie stellt ihm Prinz Neumann vor, und der
ist so begeistert vom sprechenden Hund, dass er ihm ein gelbes Lederherz-Halsband
und ganz viel gebratenen Hühnerhaut schenkt. Hund liebt Prinz Neumann
ebenso und harrt deshalb jede Nacht trotz erpresserischer, mörderischer
Ratten im Schuppen aus. Tagsüber allerdings, wenn alles licht
und hell und die Gefahr überstanden ist, erzählt er Prinz
Neumann und dem Mädchen seltsam schwebende Geschichten aus seiner
Vergangenheit.
Hier erfährt man plötzlich, dass der wirkliche Anfang der Hunde-Geschichte
ein ganz anderer als der bereits erzählte ist: Der Hund hatte sehr
wohl ein Zuhause, und zwar das schönste, das man sich vorstellen
kann. Denn er lebte mit dem wunderbaren Gärtner und Erfinder G.
Ott zusammen, freundete sich mit Otts Katze an, lernte ihre Sprache
und vermisste in der vegetarischen Küche Otts nicht mal gebratenen
Hühnerhaut.
Trotzdem verließ er eines Tages den Erfinder, weil er dessen
Trauer um seinen verloren gegangenen Freund Lobkowitz nicht mehr
ertragen konnte.
Er sucht und findet Lobkowitz, doch da ist plötzlich G. Ott
verschwunden. Lobkowitz dagegen bleibt da: und zwar als stadtbekannter
Stadtstreicher, den alle ein wenig für verrückt halten.
Jetzt habe ich die Geschichte ziemlich ausführlich erzählt
und doch eigentlich nichts verraten. Denn das Buch lebt nicht von
nacherzählbaren Inhalten, sondern von dem eigentümlichen
Gefühl, das es hinterläßt: Alles ist irgend wie
miteinander verbunden und alles macht Sinn, selbst wenn man an seinen
Gegensatz, den Unsinn, glaubt.
Jutta Richter: Der Hund mit dem gelben Herzen oder
die Geschichte vom Gegenteil. Carl Hanser Verlag. München, Wien
1998. 110 Seiten.
Als die Welt noch jung war
"Ach ja!" rief Rossipotti, als er meinen Text vom "Hund"
gelesen hat. "Jetzt erinnere ich mich wieder. Weißt du,
an was mich die Geschichte beim Lesen ein wenig erinnert hat? An
Jürg Schubigers Buch 'Als die Welt noch jung war'. Nicht wegen
seines Inhalts, sondern wegen des Gefühls, das du beschrieben
hast: Alles macht irgendwie einen Sinn, auch wenn man eigentlich
von der Unsinnigkeit der Dinge überzeugt ist."
"Ja, ja" nicke ich nur. "Das ist die höchste
Kunst: der Unsinnigkeit einen Sinn zu verleihen."
"Hm, was?" fragt mich Rossipotti zerstreut. "Das
Buch von Schubiger musst du unbedingt vorstellen! Das hat mir wirklich
gut gefallen. Warum bin ich nicht schon früher darauf gekommen?"
"Vielleicht, weil es zu bekannt ist?"
"Keine Ahnung. Das ist mir im Moment auch wirklich schnurz.
Sonst kommen wir hier ja auf keinen grünen Zweig!"
Mir ist das sehr recht, dass ich dieses Buch vorstellen darf, denn
es liegt mir sehr am Herzen, wenn ich das als zerlegter Fisch überhaupt
von mir behaupten kann.
Zu Schubigers Buch fällt mir eigentlich nur eines ein: Es ist
gut, es ist mutig und ihr müßt es unbedingt lesen.
Warum ist es gut? Weil es in einer poetischen Sprache viele kurze
Geschichten von seltsamen, witzigen Begebenheiten schildert.
Warum ist es mutig? Weil es sich nicht darum kümmert, ob es
ein Buch für Kinder oder Erwachsene ist. Es wurde wahrscheinlich
nur deshalb geschrieben, weil in der Wohnung des Autors gerade so
viele Einfälle in der Luft herumflogen. Da konnte er einfach
nicht widerstehen und hielt sie auf Papier fest.
Und warum müsst ihr es unbedingt lesen? Weil ihr dabei erfahrt,
wie die Welt war, als sie noch jung war: Da konnten nicht nur Sterne
essen und heiraten, Mäuse brüllen wie Löwen, sondern
sich auch Baumstrünke in Prinzen verwandeln und Zwerge in Baumstrünke.
Aus dem Buch könnt ihr also zweifelsfrei erfahren, ob euer
Nachbar in Wirklichkeit von lackierten Stühlen abstammt, oder
ob eure Oma eigentlich eine verzauberte Banane ist. Und deshalb
ist dieses Buch wirklich lesenswert.
Übrigens habe ich dort auch etwas über Rossipotti erfahren:
"Das Wort 'Krokodil' kommt aus dem Ägyptischen und heißt
dort: Hu, noch einmal Glück gehabt!"
Na, wenn das keine gute Nachricht ist!
Jürg Schubiger/Rotraut Susanne Berner: Als
die Welt noch jung war. Beltz&Gelberg. Weinheim, Basel 1995.
174 Seiten.
Schorschis Wunsch
"Ist dir eigentlich aufgefallen", fragt mich Rossipotti,
als ich gerade an einer Buchvorstellung schreibe, "dass wir
jetzt schon zwei Bücher von deutschen Autoren vorgestellt haben?
Geradezu unheimlich ist mir das! Wir brauchen dringend ein ausländisches
Buch. Und ich weiß auch schon welches! Es passt wunderbar
zu unserer Geburtstagsausgabe: Es ist die Geburtstagsgeschichte
'Schorschis Wunsch' von Florence Parry Heide und Edward Gorey."
Als ich nicht reagiere, fährt Rossipotti fort: "Weißt
du, es ist wunderbar surrealistisch. Es dreht die Realität
geradezu auf den Kopf: Schorschi hat Geburtstag und die Eltern interessiert
es überhaupt nicht. Sie haben ihm keinen Kuchen gebacken und
keine Geschenke auf den Geburtstagstisch gelegt, ja sie gratulieren
ihm nicht mal zum Geburtstag! Stattdessen ist es aber das Natürlichste
auf der Welt, dass Schorschi im Garten eine Flasche mit einem Flaschengeist
findet. Der Flaschengeist gewährt ihm sogar drei Wünsche,
aber..."
"Stopp!" rufe ich gerade noch rechtzeitig. "Du kannst
doch den Kindern nicht die ganze Geschichte verraten! Außerdem
muss ich dir leider sagen, dass das Buch vergriffen ist. Wenn man
Glück hat, findet man es allerdings öfters in der Bibliothek.
Und im Modernen Antiquariat im Internet kann man es auch bestellen."
"Na also", sagt Rossipotti zufrieden, "das reicht
doch. Es ist langfristig einfach nicht möglich, immer nur gute
Bücher vorzustellen, die es noch zu kaufen gibt. Der Buchmarkt
verändert sich so schnell, dass die Bücher oft schon nach
zwei, drei Jahren ihres Erscheinens nicht mehr zu kaufen sind. Du
stellst das Buch also vor."
"Aber du hast es doch schon vorgestellt", sage ich verwundert.
"Mehr will ich dazu gar nicht sagen."
"Dann füge eben noch etwas Formales hinzu", erwidert
Rossipotti. "Über die Autorin oder den Zeichner oder sonst
irgend etwas."
Ehrlich gesagt, habe ich bis gerade eben gar nicht gewußt,
dass das Buch nicht von seinem Zeichner Edward Gorey geschrieben
wurde. Denn ich habe immer angenommen, dass Gorey das ganze Buch
alleine gemacht hat.
Das bedeutet natürlich, dass Text und Bild sehr gut zusammenpassen
und sich beides gegenseitig ergänzt.
Das heißt aber auch, dass ich euch über die Autorin rein
gar nichts sagen kann.
Über Gorey weiß ich dagegen ein paar Dinge, nämlich
dass er 1925 in Chicago, also in den USA, geboren wurde. Dass er
mit vielen Katzen zusammen wohnt, dass er am liebsten Tennisschuhe,
Jeans und Pelzmäntel trägt und außerdem Horrorfilme
liebt. Am Broadway hat er sehr erfolgreiche "Dracula"
inszensiert. Ansonsten ist er aber eher friedlich und geht beinahe
jeden Abend ins Ballet.
Außerdem ist er ein berühmter Autor und Illustrator.
Auf der einen Seite malt er die Gegenstände und Menschen so,
wie man sie kennt, also realistisch. Aber auf der anderen Seite
stellt er alles so zusammen, dass die Realität durchbrochen
wird und das Komische oder Seltsame der Wirklichkeit sichtbar wird.
Gorey selbst nennt seine Art des Zeichnens "surrealistisch".
Das heißt für ihn: "dass das Geheinisvolle im Alltäglichen,
im Allerbanalsten liegt".
Das Geheimnisvolle könnt ihr nicht nur in "Schorschis
Wunsch" entdecken, sondern auch in den zwei anderen Schorschi-Büchern
"Schorschis Schatz" und "Schorschi schrumpft".
"Schorschi schrumpft" wurde übrigens 1977 mit den
Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet.
Florence Parry Heide/Edward Gorey: Schorschis
Wunsch. Diogenes Verlag. Zürich 1985. 65 Seiten.
Lieblingsbuch:
Das fabelhafte Telefon
vorgestellt von Helma Hörath
Hast du schon einmal etwas von einem Buttermenschen gehört?
Von einer entsprungenen Nase? Von einem Kometenzauberer? Von einer
blauen Verkehrsampel? Von den Nichtsmännchen?
Nein? Dann wird es höchste Zeit, dass du "Das fabelhafte
Telefon" von Gianni Rodari kennen lernst. Denn in dem Buch
mit dem Untertitel "Wahre Lügengeschichten für Groß
und Klein" findest du 35 kürzere oder längere Geschichten,
die seltsame, kaum vorstellbare, um nicht zu sagen verrückte
Ereignisse schildern.
Da gibt es den Handelsvertreter, Herrn Bianchi aus Varese bei Mailand,
der jeden Abend seine kleine Tochter anruft, um ihr eine Gute-Nacht-Geschichte
durchs Telefon zu erzählen.
Da gibt es die kleine Frau, die zählte, wie oft die Leute niesten.
Da gibt es Giovannino Perdigiorno - zu Deutsch: Hänschen Tagedieb
-. Er fuhr nach Rom, um die Nase des Königs... Nein, nein,
nicht zu sehen, um sie anzufassen! Und das gelingt ihm sogar.
Da gibt es die Comic-Maus, die von allen anderen Mäusen geschnitten
wird, weil sie keiner versteht, denn sie spricht nur die Comic-Sprache.
Dann aber geschieht es: sie findet einen Freund, der ihre Sprache
versteht.
Da gibt es Apollonia, die die herrlichsten Marmeladen kochen kann,
aus allem, sogar aus Brennesseln. Da gibt es den zu spät an
den Strand gekommenen kleinen Herrn. Keinen Platz kann er für
sich finden. Macht nichts, er öffnet seinen Sonnenschirm und
erhebt sich mit ihm und seinem Liegestuhl über alle Sonnenschirme,
zieht ein Buch aus der Tasche und liest. Da gibt es Gonario, der
als Vogelscheuche arbeiten muss, weil seine Eltern nicht genug Essen
für ihre sieben Kinder kaufen können. Das ist eine sehr
wahre Geschichte.
Da gibt es Pulcinella, die unruhigste Marionette des alten italienischen
Puppentheaters. Pulcinella gelingt es, eine Schere zu ergreifen
und seine Haltefäden durchzuschneiden. Ähnlich wie Pinocchio
begibt er sich auf Wanderschaft. Doch was Pulcinella erlebt, das
musst du schon selbst lesen.
Denn die Entdeckerfreude daran möchte ich dir auf keinen Fall
nehmen. Vielleicht hast du nach dem Lesen Lust, die eine oder andere
Lügengeschichte weiterzuspinnen. Wenn du willst, dann kannst
du sie im Wettbewerb um den Nasenbaum an das Museum Kindheit und
Jugend senden (siehe "Rossipottis
Kulturtasche").
Übrigens, "Das fabelhafte Telefon" kannst du auch
deinen Eltern in die Hand geben. Ich bin ganz sicher, dass auch
sie fasziniert sein werden von den wahren oder vielleicht auch nicht
ganz wahren Lügengeschichten. Denn die Netze, die Gianni Rodari
auswirft, fangen alle Leser ein, ganz gleich ob sie groß oder
klein, alt oder jung, krumm oder gerade sind.
Gianni Rodari wurde 1920 in Omegna geboren. Er war Grundschullehrer
und Journalist, bevor er sich endgültig entschied, Bücher
für Kinder zu schreiben. Gianni Rodari starb 1980 in Rom.
Gianni Rodari: Das fabelhafte Telefon. Verlag
Klaus Wagenbach. Berlin 2002. 144 Seiten.
Zeraldas Riese von Tomi Ungerer
vorgestellt von Susanne Messmer
"Ach du liebes Bisschen", sagte neulich wieder Rossipotti
zu mir, als wir zum hundertsten Mal "Zeraldas Riese" angesehen
hatten. "Jetzt habe ich schon wieder einen Riesenhunger bekommen."
Das sagt er jedes Mal, wenn wir dieses Bilderbuch von Tomi Ungerer
zusammen lesen. "Lass uns schnell in die Küche gehen und
nachsehen, ob wir etwas Leckeres im Kühlschrank finden. Vielleicht
gibt es ein paar Eier und Speck, die wir uns braten können,
es müsste noch Milch da sein für einen Kakao und ein paar
Kekse zum Nachtisch gibt es vielleicht auch", sagte er. Rossipotti
hat "Zeraldas Riese" zum Fressen gern und auch ich muss
wirklich sagen: Es ist vielleicht das saftigste Kinderbuch, das
auf der ganzen Welt gibt.
Die Geschichte handelt von einem großen, hässlichen
Riesen, der eigentlich ein Menschenfresser ist und am allerliebsten
kleine Kinder zum Frühstück verspeist. Nun müsst
Ihr Euch nicht erschrecken, denn der Riese ist überhaupt nicht
gruselig, sondern einfach nur ein ziemlich ungeschickter, armer
Kerl. Als die Eltern ihre Kinder vor ihm verstecken, kann er kein
einziges mehr finden und muss sich wochenlang mit einer Kost aus
Haferschleim, Kohl und kalten Kartoffeln begnügen. Bis zu dieser
Stelle im Buch gibt es also noch gar nichts, das einem irgendwie
Hunger machen könnte. Aber dann taucht plötzlich Zeralda
auf, die Tochter eines Bauern. Zeralda kocht für ihr Leben
gern. Eines Tages wird ihr Vater, der Bauer, krank. Zeralda muss
allein zum Markt fahren und die Ernte verkaufen. Der Riese versteckt
sich hinter ein paar Felsen und gerade in dem Moment, als er sich
auf sie stürzen will, fällt er furchtbar auf die Nase.
Weil Zeralda so ein mutiges Mädchen ist, lässt sie ihn
nicht liegen und rennt schnell weg, sondern sie macht, was sie am
besten kann: Sie kocht ihm aus all den schönen Sachen, die
sie auf dem Markt verkaufen soll, ein tolles Essen mit Suppe und
Hühnchen und sogar einem ganzen Spanferkel.
Tomi Ungerer, der "Zeraldas Riese" geschrieben und gezeichnet
hat, ist im Elsaß aufgewachsen, einer Gegend in Frankreich,
die vor allem für ihre raffinierte Küche berühmt
ist, für knusprige Flammkuchen zum Beispiel. Als junger Mann
ging Tomi Ungerer nach Amerika und zeichnete viele Bilder für
Zeitungen und Bücher für Erwachsene. Darin kamen oft so
viele nackte Frauen vor, dass sich die Leute schrecklich über
ihn aufregten. Als er "Zeraldas Riese" schrieb, muss er
schlimmes Heimweh nach dem Elsaß gehabt haben. Er muss sich
wie der hässliche Menschenfresser vorgekommen sein, der in
Amerika nur Haferschleim und Kartoffeln zu essen bekam, zähe
Hamburger und trockene Pommes. Kurz nachdem Tomi Ungerer das Buch
geschrieben hatte, bekam er vielleicht deshalb drei Kinder, weil
er hoffte, dass sie für ihn kochen würden. Und wenig später
zog er womöglich deshalb auf einen Bauernhof nach Kanada, weil
er dort seinen eigenen Garten haben und sein eigenes, frisches Obst
und Gemüse ernten konnte.
Der Menschenfresser in "Zeraldas Riese" jedenfalls ist
richtig froh, dass er Zeralda gefunden hat. Er stellt sie sofort
als seine Köchin ein. Er lernt bei ihr, dass man tausend Sachen
essen kann, die tausend Mal besser schmecken als kleine Kinder.
Es gibt eine Seite in "Zeraldas Riese", die mir immer
ganz besonders gut gefällt: Darauf sind all die Speisen abgebildet,
die Zeralda für einen ganz gewöhnlichen Mitternachts-Imbiss
im Schloss des Riesen kocht. Es sind zu sehen: Sauerkraut und Würstchen,
Gänseleberpastete in Blätterteig, Klabskoteletts auf getrüffeltem
Aspik, Pompano à la Sarah Bernhardt, Schokoladensauce Rasputin,
gebratener Truthahn à la Aschenputtel, kandierte Löffelbiskuits
und Eistorte. Ich glaube, ich kann Rossipotti wirklich gut verstehen.
Geht es Euch nicht auch so? Habt Ihr jetzt nicht auch Lust, schnell
in die Küche zu flitzen und mal gucken, was es da Schönes
zu essen gibt?
Tomi Ungerer:Zeraldas Riese. Diogenes Verlag.
Zürich 2000 (Neuauflage).
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